Türkei 2011

 „Go East!“ – Türkei 2011

   
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Panorama von Ani mit Stadtmauer

Einleitung

Terra incognita, so bezeichnete man früher bislang unbekanntes, unerforschtes Land. Zugegeben: Für Marco Polo oder Alexander von Humboldt mag dieser Begriff noch einen anderen Klang gehabt haben. Aber wenn ich vor der großen Türkeikarte stand, die in unserem Büro hängt, fiel mir immer wieder dieser „weiße Fleck“ im Nordosten ins Auge. Die mit dickem Filzstift eingezeichneten Routen der letzten Jahre, die sich mittlerweile wie das Fernstreckennetz einer türkischen Busgesellschaft ausnehmen, sparen diese Gegend beharrlich aus. Tatsächlich verspürte ich eine diffuse, schlecht zu begründende Abneigung gegen diesen Teil der Türkei. Wahrscheinlich hielt mich der Gedanke an wabernde Nebelschwaden, alles durchnässenden Dauerregen und karge Küstenlandschaften davon ab, mich näher damit zu befassen. Doch damit konkurrierten auf der anderen Seite Bilder von elegischer Schönheit, von unendlichem Grün in allen Schattierungen, und nachdem ich den Film „Bal – Honig“ gesehen hatte, gab ich mich geschlagen.

Die Idee, den Gedanken an eine Reise in den Kaukasus, nach Georgien und Armenien, noch mal aufzugreifen, bestärkte Rendel und mich dann in dem Beschluss, diesen für uns weißen Fleck auf der Türkeikarte zu tilgen. Dass es dann mit Georgien und Armenien nichts wurde, ist eine andere Geschichte …

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Vorbereitung

Nachdem dies unsere fünfte Motorradreise in die Türkei in Folge sein wird, hat sich bei der Vorbereitung natürlich schon ein wenig Routine eingestellt. Meine Checkliste wird immer gleich nach einer Reise geprüft und angepasst, dieses Mal mussten lediglich ein paar Ergänzungen mit Blick auf Kälte und Regen vorgenommen werden, Regenkombis also obligatorisch, Ski-Unterwäsche, Halstuch, warme Handschuhe und – selbst für Rendel bislang in der Türkei undenkbar – eine Wärmflasche!

Im Blick auf die Motorräder (in der Folge oft „Moppeds“, für Nicht-Motorradenthusiasten: immer mit Doppel-P, also keinesfalls Moped!) war irgendwie der Wurm drin: Die mechanische Benzinpumpe an einer der beiden Honda Africa Twin leckt, Rücktausch auf die originale elektrische Pumpe, die es aber auch nicht richtig tut. Also kurzfristig für teuer Geld eine neue besorgt. Ein dunkler Kragen aus Ölnebel am hinteren Zylinderkopf von meiner Maschine beunruhigt mich ein wenig – defekte Zylinderkopfdichtung käme nicht gut. Als Ursache stellt sich aber nur eine unbedenkliche Undichtigkeit des Ventildeckels heraus.

Okay, alles klar, in drei Tagen sollen die Moppeds zur Spedition. Oh oh … was ist das? Ein letzter prüfender Blick auf meinen grobstolligen Hinterreifen verheißt nichts Gutes! Vom Profil noch fast neuwertig, weisen die einzelnen Stollen Risse auf, so wie kurz vor Zahnausfall. Leider ist kurzfristig kein Ersatz zu bekommen, also greife ich auf meinen zweiten Radsatz zurück, aber dessen Vorderreifen ist auch nicht mehr ganz koscher, doch den Typ kann mir der Händler noch schnell besorgen. Noch kurz ein prüfender Griff in die Radlager. Darf nicht wahr sein! Das läuft aber nicht rund. Zum Glück habe ich Reservelager zur Hand, innerhalb einer Stunde sind sie gewechselt. – So etwas ist natürlich des Perfektionisten Alptraum. Ich schieb’s auf den strengen Winter, der mich lange aus der eiskalten Garage und damit von den sorgfältigen Wartungsarbeiten fernhielt.

Schließlich können wir doch zwei schwer beladene, aber technisch einwandfreie Motorräder bei der Spedition in Wuppertal anliefern, als Übergabetermin in Griechenland wird Montag, der 16. Mai, vereinbart.

Die zehn motorradlosen Tage können dann noch gut für etwas Feinplanung genutzt werden, Unterkünfte ausfindig machen, Koordinaten ins Navi eintippen, Reiseführer scannen usw. Außerdem habe ich mir in diesem Jahr eine Türkei-Straßenkarte, die mir als großer Scan vorlag, abschnittsweise und doppelt so groß wie im Original ausgedruckt, laminiert, nummeriert und in einen Ordner geheftet. Die A4-großen Einzelblätter passen exakt in die Kartentasche meines Tankrucksacks, so ein zweiseitiges Blatt deckt in etwa eine Tagesetappe ab. Möchte ich nicht mehr missen!

(Hinsichtlich weiterer Details im Blick auf die Motorräder, die Ausrüstung und organisatorische Fragen sei auf die Reiseberichte der Vorjahre verwiesen, das meiste hat unverändert Gültigkeit.)

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Fakten, Fakten, Fakten

Reisezeit: Flug nach Thessaloniki am 15.5.2011, Start der eigentlichen Tour am 16.5. in Oreokastro, Rückkehr nach Thessaloniki am 15.6., Rückflug am 16.6.

Motorräder: zwei HONDA Africa Twin; Detlevs Bj. 1996, ca. 80.000 km, Rendels Bj. 1994, ca. 75.000 km (jeweils bei Abfahrt)

Fahrstrecke: ca. 7.000 Kilometer (gem. GPS-Aufzeichnung)

reine Fahrzeit: ca. 100 Stunden (gem. GPS-Aufzeichnung)

Benzinverbrauch: je Motorrad ca. 400 Liter; Gesamtkosten ca. € 1.500,-

Defekte: keine (abgesehen vom Unfallschaden), je ½ Liter Motoröl nachgefüllt

Kosten für Motorradtransport per Spedition Wuppertal–Oreokastro–Wuppertal: € 1.272,- incl. Versicherung

Gesamtkosten der Reise incl. Motorradtransport, Flug, Benzin etc.: ca. € 6.500,-

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Ein Start mit Biss – und nix zu beißen

Kaum zu glauben: Irgendwann ist er dann doch da, der Abreisetag. Da der Flieger nach Thessaloniki schon um 10 Uhr startet, haben wir uns diesmal einen Leihwagen genommen. Pünktlich, sprich: viel zu früh, kommen wir in Köln/Bonn an, nach einem ruhigen Flug landen wir mittags in Thessaloniki. Wir haben uns wieder das Hotel Tania ausgesucht – zwar etwas weit vom Schuss, dafür nur zwei Kilometer von der Spedition entfernt.

Während ich die Matratze im Hotelzimmer teste, durchstreift Rendel die Gegend, um eine Taverne zu finden (das Hotel bietet – Vorsaison – nichts an). Nach einer halben Stunde kann sie zwar nicht mit einer Restaurantempfehlung dienen, dafür mit der Botschaft, sie sei von einem Hund gebissen worden! Mein Grinsen vergeht mir, als ich die drei Löcher in ihrer Hose auf Unterschenkelhöhe sehe – wie gestanzt. Eine Untersuchung zeigt an einer Stelle eine oberflächliche Verletzung, dazu einige weitere Zahnabdrücke (nach ein paar Tagen wurde der ganze Unterschenkel blau). Sofort kommen mir Erinnerungen an eine ähnliche Begegnung der hündischen Art vor einigen Jahren im Taurusgebirge hoch, der Biss hat mir in der Folge zehn Tollwutspritzen beschert. Wir rufen Rendels Bruder Heiner an, der Arzt ist. Nach Schilderung der Verletzungen und der Umstände des Vorfalls rät er von einer vorsorglichen Impfung ab. Das beruhigt mich für den Moment, in den folgenden Tagen schlafe ich dennoch schlecht.

Ich beschließe, bis zum Abendessen die Strecke zur Spedition abzugehen und zu checken, ob wir die morgen früh vielleicht auch laufen können. Eine sehr unschöne Gegend. Wie kann man hier nur ein Touristenhotel errichten? Öde Flächen, dazwischen Bauruinen. Die Nachmittagssonne knallt und ich bereue, mich auf den Weg gemacht zu haben, und das umso mehr, als ich feststelle, dass ein großer Hund hinter mir hertrabt! Um nicht von ihm überrascht zu werden, versuche ich mich vorsorglich mit ihm „anzufreunden“. Schließlich verliert er das Interesse an mir und trollt sich.

Die Spedition hat zu, klar, ist ja Sonntag, trotzdem regt sich etwas. Das elektrische Tor öffnet sich und ein Auto fährt heraus. Ich versuche, den Fahrer nach unseren Motorrädern zu fragen, der spricht aber nur Griechisch und gehört wohl nicht zur Spedition, sondern zu einer anderen Firma, die auch in dem Gebäude ansässig ist. Zumindest kann ich so weit sein Mitleid erregen, dass er mich, vorbei an den streunenden Hunden, zum Hotel fährt.

Um dem Tag noch zu einem versöhnlichen (und sättigenden) Ausklang zu verhelfen, bestellen wir uns ein Taxi und fahren nach Oreokastro. Die rustikale Taverne, in der wir schon einige Male übersatt geworden waren, hat noch zu, ist wohl für südländische Verhältnisse etwas früh. Als sich nach einigem Warten immer noch nichts tut, studiere ich einen Zettel an der Tür. Meine rudimentären Altgriechisch-Kenntnisse lassen mich das Wort Κυριάκή, „Sonntag“, entziffern. Also wohl sonntags geschlossen. Okay, das da vorne sieht auch gut aus. Wir suchen uns einen freien Tisch, und da kommt auch die Bedienung: „Tut mir leid, wir haben sonntags geschlossen!“ – Heute scheint der Wurm drin zu sein. In einer Art Pizzeria werden wir schließlich zumindest satt, der Inhaber erklärt uns, dass seit einiger Zeit viele Restaurants sonntags geschlossen hätten.

Nun ja: Anreisetage sind ja eh etwas „kaputte“ Tage, der eigentliche Urlaub fängt ja erst noch an!

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Schlag auf Schlag, Knall auf Fall

Wir sind früh auf, brennen darauf, endlich Gas geben zu können. Ich rufe bei der Spedition an. Nein, die Motorräder sind noch nicht da. Und der Fahrer scheint sein Handy ausgeschaltet zu haben. Na prima! Formal ist bislang noch alles korrekt gelaufen, denn wir hatten nur den Montag – ohne Uhrzeit – als Übergabetermin ausgemacht. In den Vorjahren waren die Moppeds jedoch immer schon ein paar Tage vorher da. Ärgerlich ist auch, dass wir sie schon zehn Tage vorher abgegeben haben, sie aber erst am vergangenen Freitag, also vor drei Tagen, losgegangen waren. Ich rufe in Wuppertal an, erreiche aber zunächst niemanden – Zeitverschiebung. Ich bin stinksauer, sehe uns noch einen Tag in diesem blöden Hotel rumgammeln, unseren Zeitplan über den Haufen geworfen.

Dann, viertel vor zehn, der erlösende Anruf! Der LKW sei gerade auf den Hof gefahren, in einer halben Stunde sind die Moppeds abholbereit. Da es schon heiß ist, nehmen wir doch ein Taxi. Die freundlichen Mitarbeiter der Spedition kennen uns schon, schnell sind die Formalitäten erledigt, die Sachen umgepackt und wir umgezogen.

Und dann, 16. Mai 2011, 10.30 Uhr osteuropäischer Sommerzeit: „Ladies and Gentlemen, please start your engines!“

Bis vor zwei Tagen hat es geregnet, heute ist der Himmel fast blau. Zügig spulen wir die gut 300 Kilometer bis zur Grenze ab, tanken noch einmal den auch nicht mehr ganz billigen griechischen Sprit. Mit dem Tankwart, einem fetten, schwerfälligen Mann, können wir die ersten Worte auf türkisch wechseln, was ihn gleich eine Idee freundlicher werden lässt. In diesem Teil Griechisch-Thrakiens wohnen noch viele Türken, was auch an einigen Minaretten erkennbar ist. Mit den einzelnen Stationen der Abfertigung vertraut, haben wir das Prozedere des Grenzübertritts innerhalb einer Viertelstunde hinter uns. Das oft bemühte Bild vom „Gefühl des Nachhausekommens“ stellt sich ein, tatsächlich fühlen wir uns in der Türkei heimischer als in manchen mitteleuropäischen Ländern.

Von diesem Tag erwarten wir noch nicht zu viel, am Ende wollen wir nur „richtig“ in der Türkei sein, also im asiatischen Teil. Mit etwas Glück bekommen wir noch die Fähre, die gleich starten muss. Oh nee! Polizeikontrolle gerade hier und jetzt? Aber alle werden durchgewunken, wir auch. Oder?? Ein Blick in den Spiegel bestätigt mir, dass ich die Handbewegung des Polizisten missdeutet hatte. Also kehrt. Und alle anderen dürfen weiterfahren?! Wir müssen unsere Papiere vorzeigen, Funkverkehr, Blick auf unsere Nummernschilder, wieder Rücksprache per Funk, aus der Unterhaltung kann ich nur das Wort „Problem“ herausfiltern. Schließlich drückt man uns die Papiere in die Hand und erklärt uns, dass es wohl bei der Einreise ein Problem bei der Registrierung unserer Kennzeichen gegeben hat. Meines enthält ein großes „İ“, das der Beamte aber als den türkischen Buchstaben ohne Punkt angesehen und entsprechend in den Computer eingegeben hat. Aber dafür eine Straßensperre nur für uns? – Zuviel der Ehre! Zur Verabschiedung weist der Polizist noch auf seine Armbanduhr und bedeutet uns, dass wir, wenn wir uns beeilen, die nächste Fähre noch kriegen können. Also Gaas, was um diese Tageszeit im wuseligen Gelibolu nicht so einfach ist. Schnell die Tickets gekauft und mit fliegenden Fahnen auf die Fähre. Geschafft.

Die Überfahrt über die Meerenge der Dardanellen, in der Antike als Hellespont bekannt, dauert nur etwa 20 Minuten, aber Zeit genug für einen ersten Çay, den leckeren türkischen Tee (der meinen Zähnen im Laufe der Wochen wieder zu einem dezenten Braunschleier verhelfen wird). Die Rampe senkt sich, ich fahre vor und warte auf Rendel. Tut sich nix, einige Fahrzeuge, die hinter uns standen, rauschen vorbei. Schließlich taucht Rendel doch auf. Sie hatte beim Anfahren eine fette Verzurröse auf Deck übersehen, war gerutscht und hatte das Mopped umgeschmissen. Freundliche Helfer stellten ihr die Kiste wieder auf – nix Schlimmes, aber ein wenig demotivierend für Rendel.

In Biga, traditionell die erste Station, wenn’s in diese Richtung geht, finden wir das Hotel MRG zunächst nicht, kann aber nicht mehr weit sein. Einmal noch wenden, dürfte auch für Rendel auf dem großen, leeren Kreuzungsbereich kein Problem sein. Dann höre ich im Bordfunk einen scharfen Schlag. Es ist müßig, beschreiben zu wollen, wie es dazu kam, aber irgendwie hat Rendel zu Ende der Kehre noch mal Gas gegeben und dann den senkrechten Metallpfosten eines Buswartehäuschens gerammt.

Wenn sich in solchen Situationen abzeichnet, dass es ohne Personenschaden vonstatten gegangen ist, dann rücken auch eventuelle materielle Schäden in den Hintergrund. Echt an die Nieren geht es mir jedoch, wenn ich Rendel dann, an sich selbst völlig verzweifelnd, wie ein Häufchen Elend da hocken sehe. Natürlich will man wissen, was passiert ist und wie. Schimpfen ist aber das Letzte, was einem dann in den Sinn kommt.

Das Motorrad hatte sich mit der rechten Front an der Strebe verkeilt, so heftig, dass ich die Hilfe zweier Passanten brauche, um es wieder freizubekommen. Irgendetwas schleift, fahren geht aber zunächst noch. Rendel nimmt noch mal alle Kräfte zusammen, zwei Minuten später sind wir am Hotel. Nachdem wir eingecheckt und abgerödelt haben, schicke ich sie erst mal zum Duschen, während ich mich an die Schadensaufnahme und hoffentlich -behebung begebe. Der Sturzbügel ist heftig verformt (was ja seine Aufgabe ist), drückt dabei aber derart auf die Seitenverkleidung, dass diese leicht die Lenkung blockiert. Da sich der Bügel nicht richten lässt, schneide ich die Verkleidung in dem Bereich mittels eines Seitenschneiders aus, wodurch sie nach- und die Lenkung wieder freigibt. Glück im Unglück: Zwar ist ein Gewinde für den Gabelschoner am Gabelholm abgeschert, doch ist dieser weder verzogen noch hat die Bremsscheibe etwas abbekommen. Die Reparatur ist nicht schön, gewährleistet aber eine technisch uneingeschränkte Weiterfahrt.

Und was ist mit meinem Häufchen Elend? Zwei Malheure in zwei Stunden. Dass einem da Selbstzweifel kommen … Ich nehme sie in den Arm und lasse sie weinen, versichere ihr – und das nicht nur als Trost –, dass man sowas auf solch einer Tour einfach mit auf der Rechnung haben muss. Schließlich beruhigt Rendel sich wieder, ich bin ihr Held, da ich das Mopped wieder fahrtüchtig hinbekommen habe! Und so klingt der Abend (fast) wie seit Wochen erträumt im Innenhof des Hotels aus – mit lecker Salat!

Ganz ohne körperliche Blessuren ist die Sache dann jedoch nicht abgegangen, Rendel hat sich das rechte Handgelenk verstaucht, zudem hat sie am ganzen Arm blaue Flecken. Zum Glück beeinträchtigen sie diese kleinen Verletzungen nicht.

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Schrat liebt Jazz – Mudurnu

Gespannt und nach den gestrigen Ereignissen auch etwas angespannt machen wir uns auf den Weg. Rendel muss ihre Sicherheit erst wiederfinden, auch müssen wir den Zustand ihres Moppeds erst ein paar Kilometer weit testen, bevor wir es wieder zügiger angehen lassen können. Zum Glück haben sich beide „erholt“, schon bald taucht zu unserer Rechten der Uludağ, der Hausberg der Großstadt Bursa, auf. Dieser Fahrtag soll noch einmal als reine Verbindungsetappe dienen, ein kleiner Höhepunkt wird jedoch hoffentlich die Unterkunft bieten, die ich in Mudurnu rausgesucht habe, das Değirmenyeri Dağ Evleri (etwa zu übersetzen mit: „des Müllers Haus am Berg“). Der Preiscode im Kücük Oteller Kitabı lautete zwar „$$$$$“, also auf „teuer“, auch gibt es am Ort noch andere Unterkünfte, aber die Beschreibung „verbirgt sich in einer abgelegenen Gebirgsfalte nahe Mudurnu“ klingt einfach zu verführerisch. Die Koordinaten habe ich auf dem Navi, also kein Problem. In einem Dorf – das Navi sagt noch etwa einen Kilometer – kennt man das Değirmenyeri Dağ Evleri nicht. Ein zahnloser Opa, den man kaum versteht, weist zwar in eine Richtung, aber dieser unwegsame, steile Feldweg kann doch kaum die Zufahrt zu einer Pension sein! Trotzdem presche ich mal den Hang hoch – und stehe am Rande einer tief abfallenden Schlucht. Schließlich, nach weiterem Fragen und weiteren zehn Kilometern, stehen wir vor einigen kleinen Holzhäuschen. Blöd, wenn die jetzt nichts frei hätten! Wir sind jedoch neben einer Familie aus İstanbul derzeit die einzigen Gäste.

Tatsächlich ist der Platz an Lauschigkeit nicht zu überbieten. Ein schönes, baumbestandenes Gelände, überall rauscht Wasser, ein kleines Mühlrad dreht sich. Die Häuschen sind rustikal, aber geschmackvoll und komplett eingerichtet. Wir spulen die übliche Routine ab, abrödeln, duschen, umziehen, dann machen wir uns mit den anderen Gästen bekannt. Der Mann hat eine Baufirma, seine Frau ist Ärztin – und die Tochter wird heute zehn, Grund, das Abendessen zusammen einzunehmen und zu feiern.

Aber zunächst schaue ich mich noch etwas um. Ich stelle fest, dass mich das Navi soo verkehrt gar nicht geführt hatte, ich stand vorhin nur auf der gegenüberliegenden Seite der Schlucht. Auf dem Gelände sehe ich einen Mann Holz hacken, sieht aus wie ein echter Waldschrat. Allerdings stellt er sich später als Inhaber des Değirmenyeri Dağ Evleri vor, das er zusammen mit seiner Freundin führt. Das zauselige Äußere täuscht, er ist ein netter, unterhaltsamer Gastgeber, engagierter Umweltschützer, zudem Besitzer einer riesigen Sammlung an Jazz-CDs.

Zum Abendessen gedeckt ist in einer Gartenlaube, sowohl die Aktivitäten in der Küche als auch der zwischenzeitig angeworfene Grill verheißen Gutes. Tatsächlich werden im Laufe des Abends Mengen aufgefahren und nachgelegt, dass bei der Erinnerung daran noch heute der Gürtel drückt. Die İstanbuler verbringen wenn möglich jedes Wochenende hier – immer wieder begegnen wir an so abgelegenen Orten Menschen, die aus der Großstadt fliehen. Mutter und Tochter sprechen beide etwas deutsch, die Kleine sogar recht gut. Auffällig, wie zuvorkommend die beiden Erwachsenen um uns bemüht sind, uns immer wieder nachlegen, uns zuerst bedienen.

Eigentlich sind wir durch die Fahrt müde und müssen ins Bett, aber was wäre ein Geburtstag ohne Torte? Wir werden ins Haupthaus gebeten, Licht aus, dann öffnet sich die Küchentür und eine große, mit Kerzen bestückte Schokoladentorte wird hereingetragen. Mit strahlenden Augen schneidet die kleine Jubilarin die Torte auf und verteilt die Stücke an ihre Gäste. Sixpack adé!

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Ham se Hamsi? – Amasra

Wer hier, bei nichts als Grillenzirpen, Wasserrauschen und morgendlichem Vogelgezwitscher, nicht gut schläft, ist selbst schuld. Nach einem opulenten Frühstück sind die besten Voraussetzungen für einen guten Tag geschaffen. Wir müssen noch zahlen. Mit umgerechnet knapp 150 Euro für die eine Nacht gewiss kein Schnäppchen … Wir rödeln auf, verabschieden uns – und ich werfe zum ersten Mal meine Onboard-Videokamera an, die mir zu ein paar authentischen Fahreindrücken verhelfen soll. Einige Kühe, die uns auf der Dorfstraße entgegentraben, übernehmen gleich Komparsenrollen.

Heute soll es endlich soweit sein: Nachdem wir ihr bislang nur bis auf 50 Kilometer genaht waren, wollen wir heute tatsächlich an die Schwarzmeerküste. Bislang begleiteten uns unter fahrerischem Gesichtspunkt optimale 22 bis 28°C, mal sehen, wie das am Meer sein wird. Naturgemäß fällt das Thermometer, während wir die Ausläufer des Pontischen Gebirges erklimmen, kontinuierlich. Aber dazu kommt ein immer dichter werdender Nebel. Wir passieren Bartin und schließlich das Ortsschild von Amasra, angeblich die schönste Stadt in der Gegend und angeblich am Meer gelegen. Davon ist allerdings kaum etwas zu erkennen, undurchdringlich liegt der Dunst über der Bucht.

Im Blick auf die Routenführung und den zeitlichen Ablauf planen wir unsere Touren immer nur sehr grob. Als Motorradfahrer wäre eine Feinplanung lange im Voraus eh ein Vabanque-Spiel, zu leicht können einem Wetter und Straßenverhältnisse einen Strich durch die Rechnung machen. Am wichtigsten ist uns jedoch, flexibel zu bleiben – im Blick auf Interesse, Lust am Fahren usw. Wenn es uns irgendwo gefällt, wollen wir ohne Rücksicht auf eine zu festgezurrte Planung länger bleiben können, zur Not kürzen wir ab oder disponieren komplett um. Allerdings versuche ich, im Blick auf Sehenswürdigkeiten u. ä. optimal vorbereitet zu sein, auch, wenn sich die Route unterwegs ändern sollte. Und so treffen wir auch meist im Blick auf die Unterkunft eine Vorauswahl, um nicht am Ende eines anstrengenden Fahrtags noch lange suchen zu müssen.

Für Amasra habe ich uns eine einfache Pension in der Altstadt ausgeguckt. Allerdings scheint die Orientierung in den Gassen schwer zu sein. So fahren wir zunächst mal in den Hafen und Rendel erfragt den Weg. Bewaffnet mit einer Wegskizze starten wir noch einmal – und finden die Kuşna Pansiyon tatsächlich – einfach, aber schön gelegen, fast in die Stadtmauer gebaut und mit Blick auf’s Meer (das sich aber die ganze Zeit kaum blicken lässt).

Wie häufig, spielt Rendel zunächst den Scout, während ich mich ausruhe. Vor dem Essen schauen wir uns noch ein wenig den Ort an. Immer wieder rätseln wir, an welcher Stelle wir uns gerade befinden, denn die Uferzone ist ziemlich zergliedert, zwei Buchten, zwei Häfen, dazu eine durch eine Brücke aus der Römerzeit mit dem Festland verbundene Insel. Die Stadt hat tatsächlich einiges Flair, das bei Sonnenschein vielleicht noch ein bisschen besser zur Geltung gekommen wäre.

Etwas grob, ich hoffe augenzwinkernd, werden die Bewohner der türkischen Schwarzmeerküste manchmal als „Hamsifresser“ tituliert. Hamsi ist eine Sardellenart, die hier viel gefischt wird und die von der Speisekarte dieser Gegend nicht wegzudenken ist – bis hin zum Hamsiburger. So sehen wir in den Gassen und am Meer viele Männer, die mit flinken Fingern Hamsi und andere Fischarten ausnehmen. Wenn also Fisch essen, dann hier. Rendel hat eine Vorauswahl getroffen, wir gehen in das Canlı Balık Mustafa Amcan’nin Yeri Restaurant („dem Mustafa sein Onkel sein Platz, wo’s frischen Fisch gibt“), das als das älteste und beste in Amasra gilt. Wir bekommen einen Tisch direkt über dem Wasser (dass es das Meer war, möchte ich immer noch nicht beschwören).

Die türkischen Fischnamen sagen uns wie immer nichts, ich weise auf einen Teller am Nachbartisch und bekomme eine Portion kleiner Fische, jedoch größer als Hamsi, die paniert und frittiert auf den Tisch kommen und die man als Ganzes essen kann. Rendel bekommt nur einen, der aber so groß ist, dass er über den Tellerrand ragt. Beides mundet hervorragend, ein Genuss, der durch einen Öküzgözü, eine Weinsorte, die ich mittlerweile schätzen gelernt habe, noch abgerundet wird. Der Preis für dieses leckere Abendmahl unterstreicht noch die Annahme, dass Amasra vom Tourismus erst noch entdeckt werden muss.

Der anschließende Verdauungsspaziergang verhilft uns schließlich noch zu ein bisschen mehr Orientierung, zudem finden wir besagte römische Brücke, von der aus wir noch ein paar schöne Nachtaufnahmen machen.

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Über den Dächern von Amasya

Wollen doch mal sehen, ob wir das Meer doch noch zu Gesicht bekommen! Zeitig rollen wir durch die malerischen Stadttore aus Amasra hinaus und schrauben uns die Küstenstraße rauf. Die heutige Etappe soll bis Sinope führen, zu einem der nördlichsten Punkte der Küste. Leider verwehrt uns der Nebel weiterhin den Blick aufs offene Meer. Zwar ist die Strecke schön zu fahren – aber wollen wir uns das wirklich den ganzen Tag antun, zumal nur etwas weiter südlich die Sonne scheint? In Cide wird uns die Entscheidung fast abgenommen. Die Küstenstraße ist gesperrt, „eine Umleitung ist eingerichtet“. Diese Strecke fahren wir ein Stück und entscheiden dann, uns weiter Richtung Südosten zu halten, heute über Kastamonu die Stadt Amasya anzusteuern. Dort waren wir zwar schon mal, aber die Stadt, die als die schönste Mittelanatoliens gilt, zum zweiten Mal anzufahren, dürfte verzeihlich sein.

Kaum, dass wir das Küstenvorgebirge hinter uns gelassen haben, steigt das Thermometer wieder auf angenehme Werte und der Himmel reißt auf. Entlang des İlgaz-Nationalparks halten wir auf in Motorradfahreraugen wunderschönen Strecken auf Amasya zu. Diese heute ca. 100.000 Einwohner zählende Stadt geht auf eine hethitische Gründung zurück, der Fluss Yeşilirmak („Grüner Fluss“) teilt sie in einen alten, osmanisch geprägten, und einen neueren Teil. Da wir bei unserem ersten Besuch schon in einem der markanten Erkerhäuser am Fluss genächtigt hatten, können wir uns jetzt ein anderes Hotel suchen.

Während unserer diesjährigen Tour läuft die heiße Phase des Wahlkampfs für die Parlamentswahlen, Wahltag sollte der Tag unserer Ausreise sein. Die Kampagnen ähneln denen, an die ich mich noch aus den 1960-/70er-Jahren bei uns erinnern kann, vor allem geprägt durch die Lautsprecherwagen, die durch die Straßen fahren und mit Musik und Parolen versuchen, Werbung für den jeweiligen Kandidaten zu machen. So eine Propaganda-Disco auf Rädern haben wir vor uns, bis wir dann zum Hotel Melis abbiegen.

Der Inhaber des Melis, Levent Aslan, spricht perfekt deutsch und will uns noch bei der Anmeldung einige Tipps geben. Wir ziehen es vor, uns erst einmal in dem kleinen, gemütlichen Zimmer einzurichten. Die Fenster gehen zwar zur Hauptstraße raus, trotzdem ist es relativ leise (wenn nicht gerade wieder ein Lautsprecherwagen vorbeirauscht). Dann wollen wir doch mal hören, was Levent zu empfehlen hat. Zunächst drückt er uns einen Bildband in die Hand, in dem u. a. der Borabay-See beschrieben wird. Nie gehört, sieht aber gut aus und liegt außerdem fast an unserer morgigen Strecke.

Schon 2007, als wir das erste Mal hier waren, wurden wir auf ein Restaurant aufmerksam, das hoch oben auf den Felsen über der Stadt thront. Wir überlegen, ein Taxi zu nehmen, doch Levent greift zum Telefon – und zehn Minuten später steht ein Minibus vor der Tür – Service des Restaurants Ali Kaya. Die Plätze mit dem besten Blick sind alle besetzt, aber Levent hatte nicht nur für einen Transfer gesorgt, sondern auch dafür, dass wir einen dieser begehrten Logenplätze reserviert bekamen. So warten wir zwei Minuten, um dann den Blick über das Tal, die Stadt und den gegenüberliegenden Burgberg mit den Felsengräbern und der Zitadelle genießen zu können, ein Blick, der einen fast schwindelig werden lässt. Während wir uns das Essen munden lassen, wird es langsam dunkel, was der Szenerie noch mal in eine ganz andere Atmosphäre taucht. Ob uns der Kellner vielleicht wieder ein Fahrzeug …? – „Wann immer Sie möchten!“ So sind wir zehn Minuten später wieder im Hotel, der Preis für das Essen war so günstig, dass ich gerne noch ein gutes Bahşiş für den Fahrer springen lasse.

Mit Blick auf die Minibar auf dem Zimmer entschuldigt sich Levent, dass er nur Bier in Dosen anbietet – immer wieder hätten Gäste die Flaschen leergetrunken, mit Wasser gefüllt und wieder verschlossen. Nicht so schlimm wegen des Verlustes, aber peinlich gegenüber nachfolgenden Gästen … – Sachen gibt’s.

Wir planen noch ein wenig den morgigen Tag, wollen auf jeden Fall den Borabay-See mitnehmen.

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Statt Bora Bora: Borabay – Niksar

Nicht ganz so hoch wie am Vorabend, können wir doch von der Frühstücksterrasse des Hotels einen Blick auf das morgendlich-ruhige Amasya genießen. Bevor wir starten, ziehe ich noch mit der Kamera durch die unmittelbare Umgebung des Hotels, vor allem um die schöne Türbe, das Grabmal des Torumtay, der hier im 13. Jahrhundert Statthalter des Sultans war, zu fotografieren. Vorsichtshalber wende ich die Motorräder, und kurz drauf halten wir auf der D100 auf Taşova zu. Bis zum Borabay sollen es etwa 40 Kilometer sein, laut meiner Karte müssten wir ihn schon passiert haben. Aber um ihn zu erreichen, müssen wir tatsächlich erst an ihm vorbeifahren, dann auf der D030 ein Stück nordwestlich, bis sich dann die letzten Kilometer auf einer unbefestigten Straße den Berg hochschlängeln.

Der See ist mit 500 Metern Länge und einer Breite zwischen 40 und 110 Metern nicht gerade groß, die Lage aber einmalig. Umgeben von Bäumen, die zumeist bis ans Wasser reichen, ist es eine Idylle – zumindest im Moment, wo nur eine Schülergruppe eine Picknick hält. Zwei Tafeln geben Auskunft über die Vielfalt von Flora und Fauna rund um dieses schöne Fleckchen.

An einem Ufer steht eine Anzahl kleiner Holzhütten, die man mieten kann. Kurzfristig überlegen wir, ob das nicht der richtige Platz zum Abhängen sein könnte, um uns dann doch loszureißen, denn wir haben noch einiges vor uns, also weiter.

Bevor wir ein zweites Mal an die Küste kommen, wollen wir noch eine Nacht in einer dieser zumeist originellen Unterkünfte verbringen, die das Kücük Oteller Kitabı auflistet. Dieser Hotelführer beschreibt kleine Hotels in der Türkei, die auf die eine oder andere Weise besonders sind – vom Ein-Zimmer-Hotel über herrschaftliche Konaks bis hin zu abgelegenen Hütten irgendwo auf einer Yayla, den türkischen Hochalmen. Für die kommende Nacht haben wir das Ardıçlı Dağ Evi etwas nördlich von Niksar auf dem Schirm. Zur Vorsicht ruft Rendel vorher an, ja, sie haben etwas frei. Die avisierte Ankunftszeit wird sich aber verschieben, denn vor uns hat sich eine tiefschwarze Gewitterfront aufgebaut.

Den vor Jahren gefassten Vorsatz, in der Türkei bei Regen nicht zu fahren, haben wir diesmal schon im Vorfeld fallengelassen, denn bei einer Tour ans Schwarze Meer würde man dann unter Umständen kaum vom Fleck kommen. Auch Rendel hat ihre Angst davor ziemlich verloren, doch sollte man dem türkischen Straßenbelag trotzdem nicht mit Übermut begegnen. Vor allem innerorts ist der zum Teil spiegelglatt geschliffen, so, dass man schon in trockenem Zustand bei einem Ampelstopp sehr bewusst einen sicheren Stand für die Füße suchen muss.

Wenn auch das Fahren bei Regen nicht mehr tabu ist, so habe ich als Motorradfahrer vor Gewittern höchsten Respekt. Ein aufgegebener Gemüsestand am Straßenrand dient uns als Schutzhütte. Nachdem wir eine Stunde unfreiwillig gerastet haben, verzieht sich das Gewitter, es regnet aber weiter. Somit bietet sich die erste Gelegenheit auf dieser Reise, die Regenkombis zum Einsatz kommen zu lassen. In Niksar scheinen sich Navi und Karte zu widersprechen, nach einigem Rumgegurke verlasse ich mich auf meinen Instinkt, und kurz drauf kann uns Selda, die Tochter des Hauses, begrüßen. Das Haus liegt etwas abgelegen auf einer Anhöhe, zumindest so hoch, dass das Tal unter uns im dichten Nebel verschwindet.

Während uns Selda mit dem Haus vertraut macht, stellen wir fest, dass es hier so zugeht, wie wir es in derartigen Unterkünften schon öfter erlebt haben – dass wir hier praktisch inmitten der Familie wohnen werden. Das Zimmer ist einfach, praktisch und hinreichend komfortabel. Selda macht uns mit dem Hausherrn, einem Arzt im Ruhestand, sowie dessen Ehefrau bekannt. Die Frau scheint gesundheitlich sehr eingeschränkt, später erfahren wir, dass sie unter Parkinson leidet.

Der Hausherr erzählt von einer guten Bekannten, einer Deutschen, die ihrerseits einen mittlerweile pensionierten Arzt aus dem Ort geheiratet hat. Kurz drauf steht Gudrun in der Tür und wir haben beim Tee einigen Spaß miteinander.

Welch ein Geist in einem solchen Haus herrscht, lässt sich meist recht gut am Umgang mit den Angestellten ablesen. Die hiesige Haushaltshilfe, ein schlichtes Mädchen aus dem Ort, scheint es gut getroffen zu haben, hier wird viel gelacht und freundlich-respektvoll miteinander umgegangen.

Diese kleinen, besonderen Unterkünfte an sich sind das eine, auf der anderen Seite scheinen sie aber auch ein ganz besonderes Publikum anzuziehen. So füllt sich das Wohnzimmer nach und nach mit den wenigen anderen Gästen, zwei, drei Ehepaaren sowie einer Familie mit einem kleinen Mädchen.

Der große, runde Esstisch scheint darauf hinzuweisen, dass das Abendessen wieder im großen Kreis eingenommen wird. Die Dame des Hauses hat sich ihrer Gehhilfe entledigt und lässt es sich trotz ihres Zustands nicht nehmen, in der Küche das Regiment zu führen, Glück für uns, denn sie gilt als Meisterköchin. Tatsächlich biegt sich die Tafel unter Unmengen von Köstlichkeiten.

Die anderen Leute, allesamt Türken, scheinen Stammgäste zu sein und sich tatsächlich zur Familie gehörig zu fühlen. Somit haben wir die schöne Gelegenheit mitzuerleben, wie es in einer solchen „Familie“ zugeht. Die Zusammensetzung ist sicher nicht ganz typisch, am Tisch haben sich zumeist Akademiker und Geschäftsleute zusammengefunden. Da ist zum Beispiel das Ehepaar um die 40, das in İstanbul einen Großhandel für Flachglas betreibt. Oder Ömer, knapp 60, mit seiner charmanten und klugen (zweiten) Ehefrau, mit der er noch eine ganz nette Tochter bekommen hat. Die Kleine ist jetzt acht, sehr aufgeschlossen – und spricht sehr gut deutsch, so gut, dass sie, nachdem sie aufgetaut ist, uns sogar deutsche Lieder vorsingt. Ömer ist Weinkenner, der es schätzt, in mir ein Pendant gefunden zu haben. Er ist türkischer Statthalter einer großen deutschen Biotechnologiefirma. Von ihm und unserem Patron erfahren wir noch eine Menge Informationen über die Türkei, nach denen man in Büchern oder im Internet lange suchen müsste.

Eine Schilderung hat sich mir besonders eingeprägt: Vor einigen Jahren war Ömer mit einem deutschen Kollegen in Niksar, also ganz in der Nähe. In einer klaren Sommernacht fuhr er mit ihm in die Berge, um ihm den ganz besonderen Sternenhimmel, den man hier bewundern kann, zu zeigen. Angeblich soll man selbst in manchen Wüsten nicht so viele Sterne sehen können wie dort. Besonders beeindruckend sei, dass der dichte Sternenhimmel praktisch bis hinunter an den Horizont reichen würde, wie ein Schirm. Der deutsche Kollege hat die ganze Nacht draußen verbracht, ist dann nach Deutschland zurückgereist, nur um eine Woche später mit seiner Frau wieder vor Ort zu sein, um auch ihr dieses Schauspiel zu zeigen.

Eigentlich müsste ich schon lange im Bett sein. Als Ömer kurz zur Toilette ist, versuche ich, mich zu verdrücken, laufe ihm aber direkt in die Arme, woraufhin er noch eine Flasche Wein ordert …

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Entlang der Küste zum Sumela-Kloster

Am nächsten Morgen herrscht allgemeine Aufbruchstimmung, die meisten müssen zurück an ihre Arbeitsplätze. Das Frühstück kann es im Blick auf die Opulenz mit dem Abendessen aufnehmen. Interessant finde ich den Tee-Samowar: vom Prinzip her wie die altmodischen, also in der unteren Kanne das heiße Wasser, oben, in der kleineren, das Teekonzentrat. Diese Variante ist jedoch modern, aus Kunststoff, elektrisch betrieben, aber nach demselben Prinzip arbeitend.

Die Verabschiedung von allen – Gastgebern wie Mitgästen – ist herzlich, etwas irritiert bin ich, wie die Tochter des Hauses mit einer Kanne Wasser hinter mir herläuft. Ich denke erst, dass das eine ähnliche Bewandtnis hat wie das Eau de Cologne, das man nach einem Restaurantbesuch in die Hand geschüttet bekommt. Die Wasserkanne dient jedoch einem netten Abschiedsritual: Gästen, die man gerne wiedersehen möchte, wird bei der Abreise Wasser hinterhergeschüttet. – Ein liebenswürdiger Brauch und ein Wunsch, den wir gerne erfüllen würden.

Auf einer sehr kurvigen, mit Schlaglöchern übersäten Straße halten wir uns Richtung Norden, in Ünye sollen wir – hoffentlich! – wieder das Meer sehen. Kurz bevor es so weit ist, machen wir noch einen kurzen Stopp an der alten, auf einem steilen Felsen gelegenen Festung von Ünye. Wir wollen heute bis Trabzon, dort übernachten und dann morgen ein erstes kulturelles Highlight dieser Reise ansteuern – das weltberühmte Sumela-Kloster. Auf der Küstenstraße stellt sich schnell das Gefühl ein, froh zu sein, nicht die ganze Strecke nach Osten die Küste entlanggefahren zu sein. Zwar kann man von hier tatsächlich etwas vom Meer sehen, aber der Abschnitt ist im Großen und Ganzen recht öde. Dafür geht es auf der autobahnähnlichen Straße recht zügig voran. Bei einer Rast hält auf einmal ein Auto mit quietschenden Reifen an. Ein Deutschtürke auf Heimaturlaub fragt, ob wir irgendwelche Probleme hätten, was wir verneinen können. Trotzdem immer wieder nett, man hat nie das Gefühl, im Fall der Fälle auf sich alleine gestellt zu sein.

Zwischenzeitlich müssen wir mal wieder unsere Regenkombis bemühen. Ich bin froh, dass wir so früh in der Gegend sind, dass noch Zeit sein wird, uns außerhalb von Trabzon eine Unterkunft suchen zu können. Ich will nicht vorschnell urteilen, vielleicht liegt es am Regen, zudem treffen wir in der Rushhour ein, aber die Stadt macht auf uns einen abweisenden Eindruck. So bleibt uns auch erspart, noch lange nach einem Natascha-freien Hotel zu suchen. Diese russischen Prostituierten sind in der Gegend zu einer echten Plage geworden, so manche Ehe ist nach einem entsprechenden amourösen „Abenteuer“ in die Brüche gegangen.

Der Regen wird schlimmer, wir wollen versuchen, bei Maçka, also unweit des Sumela-Klosters, eine Unterkunft zu bekommen. Trotz des Regens ahnen wir etwas von der Schönheit der Gegend. Unter einer Laube am Straßenrand finden wir Schutz und rufen im Motel Çoşandere an. Auch sie haben etwas frei, und nachdem wir noch einmal gefragt haben, finden wir das Motel auch gleich.

Noch während wir die Motorräder abstellen, fallen uns zwei andere Moppeds mit Berliner Kennzeichen ins Auge – eine BMW 1200 GS und eine HONDA TransAlp neueren Baujahrs. Auch deren Besitzer erscheinen, sind auch gerade eingetroffen und dabei, ihr Zimmer zu beziehen. Wir machen uns kurz bekannt und verabreden uns zum Abendessen.

Das Çoşandere würde es nie zu einem Eintrag im Kücük Oteller Kitabı bringen. Der recht große, mit Holz verkleidete Kasten fügt sich zwar optisch schön in die Gegend ein, auch die Zimmer sind ganz nett, aber der Laden ist ganz offensichtlich auf Massenabfertigung eingerichtet. Ganze Busladungen vor allem türkischer Touristen werden hier für zumeist eine Nacht untergebracht. Entsprechend uninspiriert gibt sich auch die Gastronomie: ein riesiger Speisesaal und eine einfallslose Karte. Irgendwie werden wir satt, während wir uns mit den Berlinern unterhalten. Die beiden sind absolute Türkeineulinge und hatten bislang ziemliches Pech mit dem Wetter, sind fast angeschimmelt. (Abgesehen vom Tag der Ausreise war heute der letzte Tag, an dem wir die Regenkombi gebraucht haben. Oft sahen wir, wenn wir irgendwo eintrafen, noch Pfützen, aber wir blieben trocken, was mich zu dem Bonmot inspirierte: „Schlechtes Wetter findet nur ohne uns statt.“)

Bei der Fortbewegungsart hören die Gemeinsamkeit in Bezug auf das Reisen zwischen uns und den Berlinern schon fast auf. Klar kann man sich überraschen lassen, aber die beiden sind derart unbedarft und unvorbereitet, dass sich mir die paar verbliebenen Nackenhaare sträuben. Von nix ’ne Ahnung, obendrein ohne Reiseführer unterwegs, würden sie an den allerschönsten Sehenswürdigkeiten vorbeifahren! Nun kann man meine Besessenheit in Bezug auf Reiseplanung vielleicht nicht zum Maßstab nehmen, aber sowas …! Aber ein paar Tipps kann ich ihnen dann doch noch geben.

Beim Essen verdichtet sich der Verdacht, der schon angesichts eines Schildes draußen aufkeimte: Die ganze Einrichtung ist alkoholfrei. Nach so einem Fahrtag nicht einmal ein Bier? Ich biete mich an, noch mal kurz nach Maçka zu düsen, um ein paar Flaschen zu organisieren. Nachdem der Regen nachgelassen hat, macht die kleine Verdauungsspritztour noch mal richtig Spaß. Mit einem der beiden Berliner – der andere mag kein Bier – trinke ich noch ein, zwei Fläschchen. Beide sind ganz nett, allerdings ist U., mein Trinkkumpane, nach Rendels Kurzdiagnose ein Hardcore-ADHSler, entsprechend hektisch und etwas nervig. Beide sind noch in den Genuss einer Vorruhestandsregelung gekommen und erzählen schon beim Abendessen von ihren nächsten Urlaubsplänen. Ich hingegen werde während der Reise nur immer gefragt, ob ich schon in Rente sei!

Wir verabreden uns, die Anfahrt zum Sumela-Kloster am nächsten Morgen gemeinsam zu machen, dann geht’s in die Falle – reicht für heute.

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Himmelwärts – Sumela-Kloster

Es gibt ein paar Motive aus der Türkei, die als Poster oder Fotos in fast jedem Reisebüro, Prospekt oder Reiseführer auftauchen: die Lagune von Ölü Deniz, die Celsus-Bibliothek in Ephesus, die Statuen vom Nemrut Dağı, Kappadokien, der İşak-Paşa-Palast in Doğubayazıt, die Heilig-Kreuz-Kirche auf der Insel Ahtamar – und eben das Sumela-Kloster. Heute soll es so weit sein, dass wir dieses Motiv als letztes der genannten auch noch vor die eigene Kameralinse bekommen.

Das Frühstück hebt sich wohltuend von dem Essen am Vorabend ab, so gestärkt machen wir uns auf die gut zehn Kilometer zum Kloster. Das Wetter tut so, als sei nichts gewesen, blauer Himmel, etwas durchsetzt mit schneeweißen Schönwetterwolken. Schon auf den steilen Serpentinen hoch zum Kloster zeichnet sich ab, dass der Tag unseres Besuchs hier schlecht gewählt ist – ein Sonntag mit der entsprechenden Anzahl von Wochenendausflüglern. Das Stop-and-Go den Berg hoch meistert Rendel so gut, dass ihr sogar die beiden fahrerfahrenen Berliner Respekt bekunden. Ich zahle an der Eingangspforte für uns alle und betuppe dabei ungewollt den Kassierer, indem ich zwar vier Finger zeige, dazu aber üç kişi – „drei Personen“ – sage und dann auch nur für drei zahle. (Ja, und mir von allen das Geld wiedergeben lasse … Provision …)

Wir parken die Motorräder und machen die letzten Meter zu Fuß. Auf den engen Treppen und Stiegen drängen sich die Menschen, trotzdem gelingt es mir, einige Fotos ohne zu viel Volks zu machen.

Die Anlage von Sumela ist ein griechisch-orthodoxes Marienkloster aus byzantinischer Zeit. Die Ursprünge reichen ins 4. Jahrhundert zurück, immer wieder wurde es erweitert, durch Brände und bei Plünderungen zerstört, wieder aufgebaut. Seine derzeitige Gestalt erhielt es im 19. Jahrhundert, wieder brannte es ab, heute ist es von der Regierung als Nationalerbe unter Schutz gestellt. Interessanterweise ist Sumela auch für Moslems ein Pilgerort, sie verehren hier „Meryem“, die Mutter des „Propheten“ İsa (Jesus).

Abgesehen von der Lage – aus der Ferne betrachtet wirkt die Anlage wie an den senkrechten Fels geklebt – beeindrucken vor allem die schönen Fresken. Leider haben hier lange Zeit Vandalen ihr Unwesen treiben können, ein Großteil der Malereien sind stark zerkratzt. Für eine religiös motivierte Zerstörung kann man ja zur Not noch ansatzweise Verständnis aufbringen (so wie andernorts, wo häufig die Augen der dargestellten Personen ausgekratzt wurden), Zerstörungen im Sinne von „Ahmed was here!“ sind einfach nur eine Schande. Zum Glück wird das gesamte Gelände jetzt durchgehend bewacht, um weiteren Schaden zu verhindern.

Ich verabschiede mich von den Berlinern, sie wollen weiter nach Bayburt, Rendel ist alleine irgendwo auf Erkundungstour. Eigentlich müsste sie schon zurück sein, wurde aber von ein paar türkischen Mädels aufgehalten. Sie hatten irgendwie spitzbekommen, dass sie Türkisch spricht – und das musste natürlich ausgenutzt werden. Immer wieder gruppieren sich Menschen um Rendel, um ein Foto zu machen. Als dann sogar ein paar Männer bitten, sich mit ihr verewigen zu dürfen, wird es schon fast etwas bizarr.

Das Kloster scheint eine Dauerbaustelle zu sein, der Erhaltungsaufwand ist hoch. Alles Baumaterial wird mittels einer Seilbahnkonstruktion hier hochgeschafft.

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The Long and Winding Road – Mit letzter Kraft nach Yusufeli

Immer noch fasziniert, eisen wir uns los. Ähnlich wie die Berliner wollen wir erst ein Stück Richtung Süden, dann aber über Gümüşhane und İspir nach Yusufeli. Auf den ersten Kilometern, da, wo sich die Wolken an den Gipfeln verfangen, tröpfelt es noch ein wenig, ab da soll es fortan trocken bleiben.

Ich muss mich bremsen, um nicht in jedem zweiten Absatz zu schreiben, wie einmalig die Landschaft ist. Wenn man die Schwarzmeergegend beschreibt, muss man gut differenzieren, welchen Teil man gerade meint, denn die Gegend ist äußerst vielfältig und unterschiedlich.

In der Gegend um Gümüşhane fallen mir immer wieder große Schilder auf, auf denen auf die Produktion und den Verkauf von Pestil und Köme hingewiesen wird. Keine Ahnung, was das sein mag, auf jeden Fall eine lokale Spezialität. Als ich später in Kappadokien unseren Hotelier frage, weiß der auch keine Antwort. Erst eine Internetrecherche ergibt, dass es sich dabei um Erzeugnisse aus eingedicktem Obstsirup handelt, vor allem aus Maulbeeren, Nüssen, Honig und ähnlichen Zutaten. Neben der Verwendung als gesunde, nahrhafte Süßigkeit wird diesen Produkten auch heilende Wirkung bei verschiedensten Krankheiten nachgesagt.

Navi und Karte weisen für unsere heutige Etappe eine Strecke von etwa 380 Kilometer aus, peanuts. Bei Ballıkaya treffen wir auf den Çoruh Nehri, einen reißenden Fluss, der bei Raftern beliebt ist, der uns bis zu unserem Etappenziel nicht mehr von der Seite weichen wird und der bei Batumi in Georgien ins Schwarze Meer mündet. Unsere aktuelle Routenführung bedingt, dass ich mir eine Strecke, die ich eigentlich unbedingt fahren wollte, knicken muss: die über den Soğanlı-Pass. Nachdem Elke und Jochen, türkeierfahrene Motorradfahrer aus Augsburg, vor zwei Jahren wegen Unpassierbarkeit aufgeben mussten, ging mir die Strecke nicht mehr aus dem Kopf, zumal man dann auch an Uzungöl vorbeikommt, noch so ein Fremdenverkehrsamt-Postermotiv. (Der Tag sollte aber noch ausreichend „Entschädigung“ für diesen schwer zu befahrenden Pass bringen.)

Obwohl auf der Karte als normale Landstraße klassifiziert, geht die Strecke schon etwa 100 Kilometer vor Yusufeli in ein nur mäßig befestigtes einspuriges Sträßchen über, das fast immer den Windungen des Çoruh folgt. Das ist natürlich ein motorradfahrerischer Leckerbissen, zumal – ich sagte es schon – die umgebende Landschaft auch genial ist. Unser Zeitplan gerät jedoch ins Schwimmen, zudem geht der Sprit zur Neige. Das Navi hat schon längst aufgegeben, zeigt nur noch die aufgezeichnete Spur der von uns zurückgelegten Strecke irgendwo im Nirgendwo. Die dort verzeichneten Tankstellen befinden sich allesamt weit hinter uns, da, wo wir herkommen. Ein freundlicher Landmann kann uns zumindest Hoffnung machen, dass es in den nächsten zwanzig Kilometern Sprit gibt.

Sie mault zwar nicht, aber ich habe den Eindruck, dass Rendel so langsam an die Grenzen ihrer Kräfte kommt. Schließlich können wir bei İspir, einem 6.000-Seelen-Kaff, tanken. Bei einer Polizeikontrolle frage ich, wie weit es noch bis Yusufeli sei – etwa 70 Kilometer, das müsste zu schaffen sein, wenn … ja wenn da nicht das berühmt-berüchtigte Straßenschild Bozuk satih – „Schlechte Wegstrecke“ Ungemach ankündigen würde.

An dieser Stelle ist ein Hinweis für andere Motorradfahrer angebracht, vor allem für solche, die auch Enduros fahren und diese artgerecht halten. Natürlich machen solche Strecken einen Heidenspaß! Bei uns leckt man sich die Finger danach und fährt zum Teil Hunderte von Kilometern, um es mal auf solchen Untergründen legal richtig krachen zu lassen. Wir genießen es auch, aber „kaputt wie 1000 Mann“, nicht wissend, wie lange sich das noch zieht … Aber okay: Das ist eben Abenteuer!

Um es vorweg zu nehmen: Die Verheißung von Bozuk satıh erfüllte sich umgehend und auf eindrucksvolle Weise. Die nächsten 70 Kilometer sollten genial werden – zumindest in der Rückschau.

Was wir zu der Zeit nicht wissen: Die zwar auf der Karte als „E050“ ausgewiesene Landstraße ist zwar nicht gesperrt, aber im Grunde schon vor längerer Zeit aufgegeben worden. Es ist geplant, den Çoruh mittels bis zu 12 Dämmen zu stauen. Die Arbeiten zu einigen dieser Dämme laufen schon, die Straße ist seitdem nur noch Baustraße und wird, neben ein paar verbliebenen Dörflern, deren Häuser über kurz oder lang in den Fluten versinken werden, nur noch von schweren Baufahrzeugen befahren. Außerdem wurden zusätzliche Trassen durch die Felsen gesprengt, natürlich ohne echte Straßen anzulegen.

Also können wir mal auf zumeist losem Untergrund richtig Stoff geben. In der Nachmittagssonne erglühen die Felsen in den verschiedensten Rot- und Brauntönen, abwechselnd links und rechts gurgelt der wilde Çoruh, schöner geht’s fast nicht. Aber langsam kann auch ich nicht mehr, es ist nicht abzusehen, wie lange wir noch brauchen werden. Auf einmal ändert sich die Fahrbahnoberfläche. Knöcheltiefer roter, ganz glitschiger Schlamm, der uns gehörig ins Schwimmen bringt und der einen wohldosierten Umgang mit dem Gasgriff erfordert. Keine Ahnung, wo das dazugehörige Wasser herkommt, das übliche Besprengen zur Staubbindung reicht dazu längst nicht aus. Vor uns ein LKW, davor ein Tieflader mit einem Bagger drauf. Keine Chance zum Überholen, zu eng, zu rutschig. Schließlich ziehe ich doch vorbei, gebe Signal, dass mir noch jemand folgt. Dann packe ich mir noch den Tieflader, kurz drauf wieder normale Schotter- und Schlaglochpiste.

Vor uns tut sich ein Tunnel auf, Ende nicht zu sehen, gar nicht bis spärlich beleuchtet, unbefestigter Untergrund. (Zum Glück hat meine Onboard-Videokamera alles dokumentiert!) Auch der Tunnel hat schließlich ein Ende, hier und da zeigen sich Anzeichen menschlicher Besiedlung. Die Dörfer machen den Eindruck, als wüssten die Bewohner nicht, was sie erwartet. Viele der Dämme sind noch als „in Planung“ deklariert – lohnt es noch, in die Häuser zu investieren? Die schlammigen Dorfstraßen lassen nicht darauf schließen, dass die Menschen meinen, hier noch eine Zukunft zu haben.

Ich halte auf einen am Straßenrand parkenden PKW zu und komme mit dem dazugehörigen jungen Mann ins Gespräch (während ein zweiter hinter dem Auto hockt und sich übergibt – ihm scheint wohl bei dem Gegurke schlecht geworden zu sein, auch per Video festgehalten). Dreißig Kilometer seien es noch bis Yusufeli, unserem Ziel. Als Rendel mich kurz drauf fragt, wie er sich zum weiteren Straßenzustand geäußert habe, antworte ich – na ja, sagen wir: ausweichend. Später berichtet mir Rendel, dass sie zu dem Zeitpunkt drauf und dran war, stehen zu bleiben und nur noch zu heulen. Aber irgendwie habe ich instinktiv das Richtige getan, ihr gesagt, wie stolz ich auf sie bin und wie gut sie das alles packt. Da hat sie ihre Tränen runtergeschluckt und noch mal alles gegeben.

Zum Glück gestalten sich die letzten Kilometer erträglich, mit dem letzten Tageslicht fahren wir gegen 19.30 Uhr in Yusufeli ein. Es soll ins Hotel Barcelona gehen (die Inhaberin kommt aus Spanien). Die Wegbeschreibung ist nicht ganz klar, wir fragen ein paar Jungs. Der eine bedeutet mir, dass er uns hinführen würde, wenn er mitfahren darf, der andere geht, da Rendel sich nicht traut, jemanden mitzunehmen, leer aus. Mein Sozius setzt sich nicht etwa auf den Rücksitz, sondern hoch oben auf die Gepäckrolle und genießt dann sichtlich seine Triumphfahrt durch den Ort. Zum Schluss geht es über eine schwankende, holzbeplankte Hängebrücke über den Çoruh. Erst später am Abend, als wir zum Essen gehen, werde ich gewahr, dass das eigentlich eine Fußgängerbrücke ist, für zwei schwerbepackte Motorräder gleichzeitig eigentlich nicht ausgelegt …

Verdreckt wie wir sind, trauen wir uns kaum an die Rezeption, auf Socken checken wir ein. Nach dem Duschen kümmert sich Rendel um die Kleidung, ich versuche, die Motorräder mittels eines Wasserschlauchs von der schlimmsten Dreckkruste zu befreien, was mir aber endgültig erst zu Hause mit dem Hochdruckreiniger gelingen wird.

Beim Essen in einer kleinen Lokanta lassen wir den aufregenden Tag Revue passieren. Später im Hotel organisiert der junge Mann von der Rezeption noch etwas Bier, wobei ich die nötige Bettschwere auch so schon habe.

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Day Off am Fuß des Kaçkar-Gebirges

Yusufeli gehört zu den wenigen Orten in der Gegend, die sich ihr touristisches Potenzial zunutze machen. Hier tummeln sich in der Saison vor allem Rafter und Trekker, die das Kaçkar-Gebirge erwandern. Neben Naturschönheiten hat die Gegend, die als „Türkisch-Georgien“ bezeichnet wird, auch kulturell einiges zu biete. Tatsächlich zählte das hier mal zu georgischem Territorium. Entsprechend findet man auch heute noch gut erhaltene Zeugnisse aus dieser Zeit, vor allem Sakralbauwerke. Die stehen zwar auch auf unserer Agenda, aber heute ist erst einmal Ausruhen angesagt. Nach dem Frühstück kommt Rendel mit den Frauen ins Gespräch, die in der Küche helfen und putzen. Sie bieten ihr an, die Waschmaschine zu benutzen, was nach der gestrigen Schlammorgie nicht schlecht kommt.

Während die Maschine läuft, gehen wir in den Ort – ich muss mal wieder zum Friseur. Eine Wand des Kuaför-Shops nimmt ein Regal ein, in dessen kleinen Fächern sauber gefaltet je ein Handtuch, ein Rasierpinsel und ein Rasiermesser liegen. Was zunächst wie eine interessante geometrische Deko aussieht, stellt sich als besonderer Service heraus: Jeder Stammkunde hat sein Fach mit den eigenen Utensilien – angenehm, wenn man bedenkt, über wie viele Gesichter sonst so manches Handtuch putzt, bevor es – nein nicht etwa gewaschen, sondern x-fach getrocknet wieder seinen Zweck erfüllt. Ich habe noch kein Fach, werde aber trotzdem einwandfrei bedient, einschließlich Heißwachs für die feinen Härchen an den Wangenknochen.

Ganz zielgerichtet vertrödeln wir den Rest des Tages, genehmigen uns in einer Çayhane direkt an der Hängebrücke etliche Tees. Rendel trifft auf ein paar Kinder, die draußen zusammen Schulaufgaben machen. Auf die Frage, ob sie das fotografieren dürfe, brechen die Kinder in kollektive Hysterie aus. Klar darf sie!

Neben dem Teehaus prangt über einer Eingangstür eine großes Werbeschild für Efes-Pils, eine steile Treppe hinunter führt angeblich in eine Bierkneipe. Deren kleine Terrasse liegt zwar direkt am Fluss, aber die Bude sieht so „usselig“ aus, dass ich mir einen Besuch doch erspare.

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Georgische Kirche – Dört Kilise

So, genug Müßiggang! Heute Vormittag soll es zu einer in den Bergen gelegenen georgischen Kirchenruine gehen, nach Dört Kilise („Vier Kirchen“).

Dazu müssen wir erst ein Stück die Straße entlang, auf der wir zwei Tage zuvor gekommen sind, zurück, dann etliche Kilometer auf einem schmalen Schottersträßchen den Berg hoch, immer begleitet von einem Bach. Bis auf einen Wanderer begegnet uns keine Menschenseele. Das letzte Stück muss erlaufen werden. Rendel meint zu wissen, wo es lang geht, nach einigen hundert Metern steil bergauf sind wir uns jedoch einig, dass es hier nicht sein kann. Schließlich stehen wir doch vor dem imposanten Kirchenschiff dieser georgischen Basilika aus dem 10. Jahrhundert. Das Dach ist noch intakt und grün überwuchert. Vom konkreten Baustil abgesehen, könnte man auch meinen, irgendwo in Irland zu sein. Ein wirklich beschaulicher, „andächtiger“ Ort, den wir ausgiebig erkunden. Nach dem kurzen Abstieg erfrischen wir uns noch mit dem kühlen Wasser des Bachs, der hier vorbeiplätschert.

Auf dem Rückweg stoppen wir noch kurz am Fuß der Burg Tekkale, nicht besonders groß, aber imposant auf einem spitzen Bergkegel gelegen.

Abends essen wir wieder ganz einfach in einem Pide Salonu und wollen den Tag in den bequemen Sesseln am Pool des Hotels ausklingen lassen. Irgendwo qualmt ein Grill, obwohl das Hotelrestaurant gar nicht geöffnet hat. Nein, das sei auch nur für zwei befreundete Geschäftsleute, die hier einen Stopp machen. Wir sind zwar voll, aber nachdem wir ein wenig von uns und unserer Reise erzählt haben, „nötigen“ sie uns doch noch, von ihren Leckereien zu probieren: gegrillte Suçuk, eine pikante Rindswurst, und so etwas wie Cevapcici, auch sehr lecker und scharf, irgendein Gewürz bekommt mir aber nicht.

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Auf dem Weg in die türkische Schweiz – Tortum, Öşk Vank, Şavşat

Heute soll es weiter Richtung Osten gehen. Wir haben es noch nicht erörtert, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass wir nicht nach Georgien und Armenien fahren werden. Ziel unserer heutigen Etappe soll Şavşat sein, zwischen Artvin und Ardahan gelegen. Bei einem Abstecher wollen wir aber zunächst noch die Wasserfälle von Tortum und Öşk Vank, eine weitere georgische Kirche, ansteuern. Die Strecken an diesem Tag wird Rendel als die schönsten bezeichnen, die sie bislang gefahren ist. Wieder einmal geht es zwischen hoch aufragenden, in sich teilweise bizarr gefalteten Felsen Richtung Süden, zunächst vorbei am Tortum-See, ca. acht Kilometer lang und einen Kilometer breit. Der See ist ausnahmsweise nicht das Ergebnis eines Staudammbaus, sondern eines gewaltigen Erdrutsches vor langer Zeit. Der unweit des Sees gelegene gleichnamige Wasserfall wird in einem Reiseführer als „unspektakulär“ bezeichnet, an anderer Stelle gilt er als eine der schönsten Naturschönheiten der Türkei – die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen. Fakt ist, dass der Wasserfall früher, bevor Dammbau und andere Maßnahmen das ein wenig relativierten, der höchste der Türkei war. Aber auch heute noch stürzt sich der Fluss 48 Meter in die Tiefe – kein Vergleich mit Niagara oder Iguaçu, aber doch sehenswert.

Noch ein paar Kilometer, dann geraten wir an den Abzweig nach Öşk Vank. Anders als Dört Kilise liegt diese alte Basilika mitten in einem türkischen Dorf, auf dem Vorplatz sitzen ein paar alte Männer beim Plausch, von der Ladefläche eines Pickup werden Oliven verkauft.

Wie Dört Kilise ist auch hier das Äußere noch sehr gut erhalten, das Innere eher dürftig, im Gesamteindruck aber höchst imposant. Ein junger, mitteleuropäisch wirkender junger Mann spricht uns auf Englisch an. Ob wir uns nicht gestern bei Dört Kilise gesehen hätten? Tatsächlich war er der, der uns als Einziger bei der Anfahrt begegnet war. Martin ist aus Tschechien, studiert Arabistik und ist auf dem Rückweg von einer längeren Studienreise im Nahen Osten, die ihn unter anderem nach Syrien und in den Iran geführt hat. Er reist per Anhalter und mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Nachdem wir uns verabschiedet haben, macht er sich auf den Weg, während wir unsere Besichtigung fortsetzen. Auf unserer Rückfahrt gabeln wir ihn wieder auf und nehmen ihn bis zur Hauptstraße mit. Wir sind froh, dass wir nicht in seine Richtung müssen, denn dort braut sich ein Gewitter zusammen. Wie gesagt: Das schlechte Wetter findet ohne uns statt!

Um wieder Richtung Artvin zu gelangen, streifen wir noch mal kurz Yusufeli, tanken, dann geht’s Richtung Norden. Man könnte meinen, die Türkei sei im Staudammwahn! Und das Fatale ist, dass diese Bauprojekte in der Regel ohne Rücksicht auf Menschen, Kultur und Natur durchgezogen werden. Einen Eindruck davon bekommen wir auf der Fahrt nach Artvin. Überall Baustellen, an denen zurzeit vor allem gewaltig hohe Brückenpfeiler errichtet werden. Auch dieses Tal soll wohl irgendwann komplett geflutet und die Stauseen dann von den Brücken überspannt werden. Uns wurde erzählt, dass die Stromgewinnung aus den Kraftwerken nicht einmal der eigenen Versorgung dienen soll, vielmehr soll der Strom zumeist nach Georgien exportiert werden.

Uns bereiten die vielen Baustellen doch zunächst fahrerisch Mühe – an kaum einem anderen Tag haben wir so viel Staub geschluckt wie heute. Dann müssen wir einen anderthalbstündigen Zwangsstopp einlegen. Die Straße wird immer wieder für längere Zeit gesperrt, eine Tafel informiert darüber, dass wir zehn Minuten zu spät sind, also warten. Irgendwie riecht es hier seltsam! Vor allem LKW ziehen an Steigungsstrecken häufig eine Duftfahne hinter sich her, die von der langsam verschmurgelnden Kupplung herrührt. Aber das scheint von Rendels Mopped zu kommen! Immer wieder schleiche ich dort herum und stecke meine Nase tief in Richtung Motor, mittlerweile schon etwas mitleidig beäugt von den Mitwartenden. Letztlich stellt es sich aber doch als falscher Alarm heraus (oder als Paranoia).

Endlich, kurz vor Artvin, hat die Tortur ein Ende, wir biegen nach Osten in Richtung Şavşat ab. Die folgende Strecke wird in dem Reiseführer, der sich etwas herablassend über den Tortum-Wasserfall geäußert hat, als eine der schönsten der Türkei beschrieben. Mal sehen. Oder nein, sagen wir’s gleich: Diesmal hat der Reiseführer Recht! Am Wegweiser zum Kloster von Porta Pırnallı stürzt ein kleiner Bach herab, idealer Platz für eine Rast. Nur zu gern würden wir den steilen Pfad hoch zum Kloster hier im „Georgischen Sinai“ erklimmen, aber allein der Aufstieg soll eine Stunde brauchen. Soo viel gibt es noch zu sehen, dabei sind wir so schon fast besoffen von Eindrücken. Wieder einmal scheint es kurz vorher einen kräftigen Regenguss gegeben zu haben, aber schlechtes Wetter … doch das erwähnte ich schon.

In Şavşat, einer Kreisstadt mit knapp 7.000 Einwohnern, stoppen wir noch mal, um den Ausblick auf die hinter uns liegende weite Ebene zu genießen. Einige Jungs winken uns aus einem Hochhaus zu, wohl ein Internat, und machen, aber eher auf die liebenswürdigere Art, Rendel eindeutige Angebote. Individualtouristen, zumal auf Motorrädern, scheinen sich wirklich selten hierher zu verirren.

Ab hier tut sich eine Landschaft auf, die man mit dem üblichen Bild von der Türkei nur schwer in Einklang bringen kann. Weite, sanft ansteigende, sattgrüne Hügel, auf denen zum Teil riesige Rinderherden weiden, im Hintergrund schneebedeckte Berggipfel. Wären da nicht die Minarette, könnte man leicht denken, man sei irgendwo im Alpenvorland, selbst die sonstige Architektur erinnert daran.

Auch unser heutiges Quartier, das Laşet, ist in diesem Baustil gehalten. Es liegt schön am Fuß der Berge, umgeben von sanft ansteigenden Weiden, auf denen anscheinend glückliche Kühe grasen. Wir bekommen ein kleines, verwinkeltes Zimmer, das durch seine Holzverkleidung recht gemütlich wirkt. Im Moment ist das Motel nur spärlich ausgelastet, weswegen es sich die Ober und Köche erlauben können, sich jede freie Minute um unsere Moppeds zu scharen, um zu schauen und zu fachsimpeln.

Zwar ist es, der Höhe geschuldet, etwas frisch, doch können wir draußen sitzen, Tee trinken und die weitere Planung durchgehen. Da wir hier schon mehr Zeit als zunächst vorgesehen verbracht haben, zusammen mit dem Umstand, dass es hier schon viel Sehenswürdigkeiten georgischen Ursprungs gibt, entscheiden wir uns endgültig, das Thema „Georgien und Armenien“ ad acta zu legen.

Wir machen einen kleinen Spaziergang und genießen die Landschaft. So herrlich sich die Gegend auf unserer bisherigen Reise auch gezeigt haben mag: Die einzelnen Naturschönheiten an sich sind es eigentlich gar nicht, es ist vielmehr die Vielfalt, die man innerhalb eines einzigen Landes und zum Teil an einem einzigen Tag erleben kann.

Rendels Schalthebel ist etwas verbogen, der erste Gang lässt sich schwer einlegen. Einer der Ober stellt sich als „gelernter“ (was immer das in der Türkei heißt) Motorradmechaniker heraus. Schnell findet er mittels eines übergroßen Schraubensschlüssels und eines Spalts in einer Mauer ein geeignetes Hilfsmittel, den Hebel zu richten – und das ohne Rücksicht auf seine saubere Dienstkleidung.

Der Himmel bezieht sich, wird schwarz, dann bricht ein Gewitter los, begleitet von einem fürchterlichen, lang anhaltenden Hagelschauer. Die erbsgroßen Hagelkörner bedecken noch Stunden später fünf Zentimeter hoch den Boden.

Beim Abendessen lernen wir Bahri kennen, einen Mann in den Fünfzigern mit einem riesigen Kugelbauch. Er kommt aus Ankara und ist in der Gegend unterwegs, um Leute, die im Touristikbereich arbeiten, zu schulen. Unser Wirt ist berühmt-berüchtigt für seine Rakı-Tafeln. Schnäpse sind nicht so mein Ding, trotzdem lasse ich mir seine große Auswahl von diesem türkischen Nationalgetränk zeigen – okay, und ein Gläschen genehmige ich mir dann doch.

In der Nähe des Laşet entspringt eine Mineralquelle, die ihm den Namen gegeben hat: In der hier gesprochenen georgischen Mundart heißt „Laşet“ „bitteres Wasser“.

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Weiter Richtung Osten

Der Verzicht auf Georgien und Armenien entzerrt unseren Zeitplan etwas, statt der geplanten einen bleiben wir zwei Nächte. Wir sind gespannt, was der heutige Tag bringen wird. Zunächst schrauben wir uns weiter in die Berge hoch, dann steigt die von Schlaglöchern übersäte Straße zwar immer noch an, die Gegend öffnet sich nach Osten jedoch zusehends. Schließlich passieren wir den 2.640 Meter hohen Yalnızçam-Pass. Die Berge stellen eine markante Klima- und Vegetationsscheide dar: Im Westen dominieren dichte Wälder aus Laub- und Nadelbäumen die tieferen und höheren Lagen, dazwischen eingebettet liegen grüne Alpwiesen. Auf der dem Schwarzen Meer mit seinen regenbringenden Wolken abgewandten Ostseite werden die Bäume selten und die Landschaft ähnelt einer Grassteppe – ein starker, sehr abrupt einsetzender Kontrast. Dazu wird die Straße hier noch von größeren Schneeflächen gesäumt, die Winter in der Gegend sind lang und hart.

Die heutige Etappe soll uns zunächst in den nordöstlichen Zipfel der Türkei bringen, entlang des östlichen Ufers des Çıldır-Sees und nur etwa 25 Kilometer von der georgischen Grenze entfernt. Im gleichnamigen Ort tanken wir, der freundliche und recht gebildet wirkende Tankstellenbesitzer ist sichtlich froh über etwas Abwechslung, er will uns gar nicht wieder ziehen lassen, wir machen ein Erinnerungsfoto.

Ich habe mir abgewöhnt, Landschaften mit Worten beschreiben zu wollen. Und da es mir auch nicht vergönnt ist, sie mittels Kamera angemessen festhalten zu können, konzentriere ich mich mittlerweile lieber auf’s Genießen. So halten wir immer wieder an und lassen die Schönheit auf uns wirken (und ein paar Bilder machen wir natürlich auch). Am Ufer des Sees dreht ein Pelikan seine Runden. Ob das vielleicht Hülya ist? Ich erinnere mich an eine Beschreibung aus einem türkischen Reiseführer, die in etwa so lautete: „Die Halbinsel Akcakale [am Ostufer des Sees] … Interessant ist Gül Hanım, eine ältere Frau, die, ansonsten alleine, zusammen mit einer zahmen Krähe und einem Pelikan namens Hülya dort lebt. In ihrem behelfsmäßig eingerichteten Lokal serviert sie frischen Fisch und Rakı und singt dazu, wenn sie in Stimmung ist, alte Liebeslieder.“ Was eine liebe Internetbekanntschaft so kommentierte: „Ich seh euch vor meinem geistigen Auge am See sitzen, Balık futtern, dazu schönes Rotweinchen, Gül Hanım säuselt euch Liebeslieder ins Ohr, Hülya und der Rabe gackern den Background dazu (wer braucht da noch deutsches TV, frag ich mich …?), nach dem Essen schönes Zigarillochen, Sonnenuntergang betrachten … herrlich.“ – Wieder einmal seufze ich, bedaure, dass bei dem vielen, das man sieht, doch so viel ungesehen und unerlebt bleibt. Aber mich tröstet, dass wir vermutlich trotzdem hundertmal so viel sehen und erleben wie der „normale“ Tourist.

2007 mussten wir ihn uns aus Zeitgründen verkneifen, in diesem Jahr ist er fest eingeplant: ein Besuch der grandiosen Ruinenstätte von Ani. Doch zunächst müssen wir auf der Fahrt viele Kilometer buchstäblich Slalom fahren, der „Loch-Anteil“ der Straße übertrifft den intakten bei Weitem. Auf der Höhe von Kars biegen wir scharf in Richtung Osten ab. Ob Ani diesmal aus anderem Grund in Wasser fällt? Rechts von uns, am Dumanlı Dağı (dem „umwölkten Berg“) scheint sich ein schlimmes Gewitter zusammenzubrauen, heftiges Donnern hallt schon durch die Ebene. Das Unwetter scheint jedoch am Berg hängen zu bleiben, in unserer Richtung scheint die Sonne.

Wenn Ani auch ein Touristenmagnet ist, die Straße zwischen Kars und der Stätte scheint völlig überdimensioniert – ganz breit, vierspurig, und wir auf unseren Moppeds fast ganz alleine. Später erinnert mich jemand daran, dass das früher ja eine Schnittstelle zwischen NATO und Warschauer Pakt war, die Gegend mithin Aufmarschgebiet. So lange scheint das schon zurück, dass man kaum mehr daran denkt.

„Touristisches Aufmarschgebiet“ scheint es jedoch zumindest heute nicht zu sein, eine kleine französisch sprechende Gruppe und eine türkische Familie, mehr andere Besucher sollen uns hier heute nicht begegnen.

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Ani – Kleinod mitten auf der Grenze

Man betritt das Gelände durch das Löwentor, eines der noch erhaltenen Tore in den Resten der gewaltigen Stadtmauer. Dann bietet sich dem Auge zunächst eine weite grüne Fläche, die von Ruinen durchsetzt ist. Die Artefakte lassen kaum glauben, dass die Stadt im 11. Jahrhundert 100.000 Menschen und 1.000 Kirchen beherbergt haben soll. Wir sind richtig „heiß“ darauf, endlich einmal vor den Resten der besser erhaltenen dieser Kirchen zu stehen, deren Bilder wir uns schon so oft angeschaut haben. Richtig „schön“ wirken vor allem die in der für uns ungewohnten Rundbauweise errichteten Kirchen wie etwa die Gregorkirche des Gagik. Viele der hiesigen Kirchen sind Gregor dem Erleuchter (*ca. 240, †322) gewidmet, der das Christentum in Armenien zur Staatsreligion machte und fortan als Apostel des Landes galt. Zentrum des religiösen Lebens war die dreischiffige Kathedrale, die auch in teilweise verfallenem Zustand noch überwältigend schön wirkt.

Zwar islamischen Ursprungs, aber auch schön und ungewöhnlich: die Menüçehr-Moschee mit ihrem gewaltigen achteckigen Ziegelminarett. Wenn das behauptete Errichtungsjahr 1074 zutrifft, ist es die älteste seldschukische Moschee Anatoliens. Aus den Fensteröffnungen der Moschee hat man einen grandiosen Blick auf die Schlucht des Arpa Çay, der die Grenze zwischen der Türkei und Armenien markiert. Leider hat sich mit Ende der Ost-West-Konfrontation das Verhältnis zwischen den beiden Ländern nicht gebessert, entsprechend beäugen sich beide Seiten noch von Wachtürmen aus argwöhnisch, die Türken unter anderem von der vorgeschobenen Zitadelle, die aus diesem Grund auch nicht besichtigt werden kann.

Gerade wollen wir aufbrechen, als ich hinter einer Kuppe noch den Zipfel einer weiteren Kirchkuppel hervorlugen sehe. Gut, dass mir das noch aufgefallen ist, denn die Gregorkirche des Tigran Honentz (nach ihrem Erbauer, einem georgischen Kaufmann) gilt als besterhaltene Kirche Anis, zudem in atemberaubender Lage direkt am Steilhang über der Schlucht des Arpa. Die Fassade wird von schönen Reliefs verziert, und im Innenraum lassen sich noch zahlreiche Fresken bewundern.

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Postsozialistischer Charme? – Kars

Unser Quartier wollen wir in Kars nehmen (dort spielt Orhan Pamuks Roman Schnee – türkisch Kar –, außerdem stammt eine der Großmütter von Bob Dylan von dort). Attribute wie „postsozialistischer Charme“ könnten einen von einem Besuch absehen lassen, wir riskieren es mal, es gibt allerdings in der Nähe auch keine Alternative. Wieder haben wir aus unserem Hotelführer eine Empfehlung, das Kar’s. So schön kann hier jedoch kein Hotel sein, dass ich es mich 130 Euro kosten lasse, das Güngören macht’s für ein Viertel des Preises, großes, recht sauberes Zimmer, ruhig, bewachter Parkplatz – mehr braucht es nicht.

Wir streifen noch ein wenig durch die Stadt und suchen uns ein Restaurant. Ganz ehrlich: Ich weiß gar nicht, wie „postsozialistischer Charme“ aussieht … Auf jeden Fall macht die Stadt einen recht freundlichen Eindruck, viele junge Menschen, für die Lage hier im äußersten Osten ziemlich modern. Wir essen in einem Grillrestaurant und machen noch einen Verdauungsspaziergang. Im 19. Jahrhundert ließ Zar Alexander III. in der Gegend Deutsche ansiedeln, die unter anderem ihre Art der Käserherstellung mitbrachten. Noch heute finden sich viele entsprechende Käsereien. Die dicken Laibe in den Schaufenstern haben es Rendel angetan, sie fragt, ob sie ein paar Fotos machen darf, eine Bitte, der gerne entsprochen wird, und sie darf noch von dem Käse kosten. Die Geschmacksrichtung kommt unserem Kuhkäse, etwa dem Gouda, recht nahe.

Vor dem Schlafengehen rufen wir noch in Çolpan am Van-See an, um unser Quartier zu reservieren. Wir werden zu einer deutsch sprechenden Frau umgeleitet, die uns zu ihrem (und unserem) Bedauern mitteilen muss, dass alle Häuschen die nächsten zehn Tage belegt sind. Wir könnten jedoch in einem Zelt schlafen. In Ermangelung einer Alternative und weil wir unbedingt noch mal dort hin wollen, willigen wir ein.

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Vom Berg der Schmerzen zum Van-See

Beim Frühstück treffen wir ein Ehepaar aus Mettmann, das mit einem Allradfahrzeug unterwegs ist. Ich tue meinen Neid kund, weil sie, als Rentner, so viel Zeit haben. Sie winken jedoch ab, legen uns nahe, so viel wie möglich jetzt schon zu erleben – und verweisen auf die Erkrankung der Frau, die sie vermutlich zum Abbruch ihrer Reise zwingen wird.

Wohl kaum ein Berg hat einen so mythischen Klang wie „Ararat“. Zwar haben wir ihn 2007 schon einmal gesehen, doch freuen wir uns, ihn heute von einer anderen Richtung anzufahren. Insgeheim hoffen wir auch, dass er diesmal etwas mehr von sich preisgibt als seinerzeit. Wir passieren Iğdır, dessen einzige Attraktion eben dieser außergewöhnliche Hausberg ist. Die breit ausgebaute Straße wird vor allem von eine Unzahl von LKW auf der Iran-Route befahren. Nahezu jeder der Fahrer lässt, wenn er an uns vorbeizieht, seine Hupe erklingen. Endlich erscheint er, der Ağrı Dağı, der „Schmerzensberg“, wie er auf Türkisch heißt, von hier fast zum Greifen nahe. Der alte Herr hält sich zwar auch heute sehr bedeckt, einige schöne Aufnahmen gelingen uns bei etlichen Stopps trotzdem.

Wiewohl ich mich in der Türkei sehr sicher fühle, ist mir in dieser Gegend immer etwas unheimlich. Sowohl die Gegend als auch die Menschen erscheinen eher abweisend. Sicher wirken sich deren Lebensumstände auch darauf aus, wie sie mit Fremden umgehen, ich fühle mich misstrauisch beäugt. Auch der Tankwart in Çaldıran, etwa 50 Kilometer vor unserem Etappenziel, wirkt ziemlich reserviert (vielleicht sind ihm auch Motorrad fahrende Frauen suspekt). Radebrechend versuche ich, ihn etwas aus der Reserve zu locken. Schließlich greift er zu meinen Motorradhandschuhen, befühlt interessiert die Protektoren in meiner Jacke – und lächelt dann doch. Kein großer Akt der Völkerverständigung, doch jemanden lächelnd in Erinnerung zu behalten ist auf jeden Fall das bessere Gefühl. Überhaupt haben wir es uns zur Angewohnheit gemacht, im Vorbeifahren wann immer angemessen, freundlich zu grüßen. Hunderte Male konnten wir erleben, wie sich dann die Mienen aufhellten, Menschen lächelten, zurückgrüßten – nichts Besonderes, aber man kann gewiss sein, zumindest nicht als sturer, unfreundlicher Touri in Erinnerung zu bleiben.

Entlang der iranischen Grenze halten wir auf den Van-See zu. In Çolpan, dem kleinen Dorf, an dessen Rand unsere Unterkunft liegt, geht’s nicht weiter. Die Dorf„straße“ ist gesperrt, ein Türke, der mit seinem Auto ebenfalls zum Club Natura möchte, muss auch verzweifelt warten. Aber wir haben schließlich Enduros! Zug um Zug bringe ich beide Moppeds auf Abwegen über Misthaufen um die Baustelle herum. Kurz darauf erblicken wir Kemal, Opa des Hauses, der uns schon zu erwarten scheint. Wir dürfen unsere Motorräder in seiner improvisierten Garage unterstellen. Dann stärken wir uns erst mal bei einem Tee und erfahren, dass die Häuser von einer deutschen Ornithologengruppe belegt sind.

Zwischenzeitlich trifft auch der Mann ein, der an der Baustelle warten musste. Beim dritten Tee erzählt er mir, dass er Lehrer in Van sei, zudem Archäologie studiert hat, Schwerpunkt Uratäer, also das Reich, das seine Blütezeit in dieser Gegend zwischen dem 9. und 7. Jahrhundert v. Chr. hatte. Das heutige Van – früher Tušpa – war die Hauptstadt Urartus, und der Ararat hat (durch falsche Vokalisation) seinen Namen daher. Ich, dessen erster und nie völlig ad acta gelegter Berufswunsch Archäologe war, bin natürlich elektrisiert. Auf sein leichtes Hinken angesprochen, erzählt er mir, dass er jedes Jahr einige Araratbesteigungen macht, bei der letzten habe er sich am Bein verletzt. Grund seines Aufenthaltes ist, dass er die deutsche Gruppe auf einigen Exkursionen begleiten soll. Zum ersten Mal auf dieser Tour beneide ich Gruppenreisende!

Interessant ist auch die Auskunft, dass in den umliegenden Dörfern 100% der Einwohner Kurden sind, in den Städten wie Van hingegen etwa 80%. (Als Rendel nach unserer Heimkehr das verstauchte Handgelenk röntgen ließ, fragte der Arzt, wie das denn passiert sei. Fasziniert hört er ihren Schilderungen zu, um schließlich mit großen Augen zu fragen: „Haben Sie da etwa auch Kurden gesehen??“)

Apropos Rendel. Wo steckt sie eigentlich? Auf einer Wiese hinter dem Haus finde ich sie auf einer Decke hockend, umgeben von etwa zehn zumeist ziemlich hübschen jungen Frauen, dazu eine ganz alte, faltige Frau in kurdischer Tracht, die ich als Mutter von Kemal wiedererkenne. Die Mädels kommen aus Muradiye, dem nächstgrößeren Ort etwas nördlich. Sie haben ihr Abitur gemacht und veranstalten hier, bevor sie das Studium in alle Richtungen verstreut, ein Abschiedspicknick. Die Omi, die sie augenscheinlich sehr verehren, wurde dazu geholt. Jetzt steht Rendel im Mittelpunkt des Interesses. Auch ich muss mich setzen und bekomme Mengen an Essen auf den Teller geschaufelt – dabei gibt’s doch erst noch Abendessen! Witzig ist der holzbefeuerte Reisesamowar, aus dem uns ohne Ende Tee nachgeschenkt wird.

Die jungen Frauen erzählen von ihren Plänen, die meisten wollen Lehrerinnen werden. Erstaunlich, zehn Abiturientinnen aus einem kurdischen Dorf versammelt zu sehen, wo doch die Zahl der Analphabeten unter den Frauen dieser Volksgruppe sehr hoch ist. (1990 wurden der Anteil der Analphabetinnen im Bereich des GAP, des Güneydoğu Anadolu Projesi, eines großes regionalen Entwicklungsprojektes im Südosten der Türkei, das vor allem Bewässerungs- und Elektrifizierungsmaßnahmen durch Staudamm-/Kraftwerksbau umfasst, auf 55% geschätzt.) Hier – auch einem „fremden Mann“ gegenüber – trägt keines der Mädchen ein Kopftuch, später, als es dann wieder nach Hause geht, ziehen sich einige doch um.

Die Stimmung steigt, einige der jungen Frauen fangen an, in kurdischer Manier zu singen und zu tanzen, wobei ich sie filmen darf. Zum Schluss müssen noch unsere Motorräder besichtigt werden, wobei sich die Wortführerin kokett an Rendels Mopped lehnt, was ich auch gleich im Bild festhalte (ihr Vater bekommt das ja nicht zu sehen …). So waren wir noch keine Viertelstunde da – und schon mittendrin.

So, jetzt möchte ich aber doch langsam wissen, wie und wo wir schlafen sollen. Es hieß, es würden „Betten“ aufgestellt, was mich zu der Annahme verleitete, dass wohl ein Zelt in der Art der großen Rotkreuz-Zelte aufgeschlagen würde, in das dann eben Betten kämen. Aber weit gefehlt! Kemal und seine Helfer schleppen ein paar Bündel an, die sich als ganz normale Iglu-Zelte herausstellen, eins soll zum Schlafen, eins für unser Gepäck dienen. Dazu wird das Schlafzelt mit dicken Unterlagen und einem ganzen Stapel Decken ausgelegt – okay, Camping ist ja nicht unbedingt das Schlimmste.

Mittlerweile sind auch die anderen Gäste von ihrer Exkursion zurückgekehrt, Wanderer und Hobbyornithologen, so, wie wir sie schon vor Jahren hier getroffen hatten. Beim gemeinsamen Abendessen sind sie zumeist mit sich selbst bzw. den Erzählungen über die heutigen Vogelsichtungen beschäftigt. Außerdem gibt es erregte Diskussionen mit dem neuen Guide. Der Reiseveranstalter hatte angeblich den Fahrern und Führern vor Ort ihr Geld vorenthalten, weswegen die Gäste, obwohl sie ja schon bezahlt hätten, noch mal in Vorlage treten müssten.

Zu uns gesellen sich Josef und Lotte, Österreicher, die einige Monate mit dem WoMo unterwegs sind und die uns noch ein paar wertvolle Tipps im Blick auf die Klöster des Tur Abdin, denen wir uns auch noch widmen wollen, geben können.

Direkt am See gelegen, könnte unser Zeltplatz schöner nicht sein. Die Nacht ist von ungewohnten Geräuschen geprägt, ich möchte gar nicht wissen, was da neben meinem Kopf diese Kratzgeräusche macht. Auch die anderen, weniger beunruhigenden, gleichwohl ungewohnten Geräusche lassen uns nicht besonders gut schlafen. Das mit dem Schlafen im Zelt wäre ja prinzipiell okay, aber zum Abhängen für ein paar Tage ist die Lösung dann doch nichts, zumal das Wetter zwar nicht schlecht ist, aber eben auch nicht so, dass man den ganzen Tag draußen verbringen möchte. So entscheiden wir, es bei dieser einen Nacht bewenden zu lassen.

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Der Mond über Hasans Freude

Also brechen wir wieder auf, Ziel für eine Nacht soll Hasankeyf sein, die alte Kurdenstadt und -festung, die in Gefahr steht, durch den Tigrisstau abzusaufen. Diesmal verfahren wir uns nicht wie vor zwei Jahren, wo wir uns in den Erdölfeldern bei Batman verfranzt hatten. Am Spätnachmittag passieren wir die Brücke von Hasankeyf. Das einzige „Motel“ am Ort liegt direkt am Fluss und ist unglaublich schmutzig. Schon an der Rezeption schlägt einem der Geruch der berüchtigten „Klosteine“ entgegen, ein Duft, der sich in Richtung Gemeinschaftssanitärräume noch weiter differenzieren ließe … Immerhin liegt unser Balkon direkt zum Tigris raus, fast in Griffweite.

Wir duschen und machen uns gleich zur Besichtigung auf. Leider ist auch heute wieder Sonntag, und die Anlage wird von türkischen Touristen bevölkert.

2007 haben wir es uns schon kurz angeschaut, im letzten Jahr haben wir nur kurz gestoppt. In der Abendsonne wirkt das Gelände besonders schön. Bislang hatten wir nur die Zitadelle, die hoch in den Himmel ragt, genauer besichtigt, jetzt erklimmen wir den Felsen ganz und sehen auch die alten Wohnhäuser und -höhlen, die Moschee und vieles mehr. Der alte Begriff „Kleinod“ trifft es hier wohl am besten, eine Schande, dass das alles ohne Rücksicht auf Verluste in den Fluten eines Stausees untergehen soll!

Gegen halb sieben vertreiben uns die neuerdings überall aufgestellten Wächter. Die Einheimischen und die Tourismus- und Kulturverantwortlichen setzen wohl darauf, dass der Ort noch einige Zeit erhalten bleibt. Seit 2007 wurde das Gelände aufwändig eingezäunt, wohl zunächst, um die Besucherströme ein wenig zu kanalisieren, zudem war es zu einem tödlichen Zwischenfall mit der PKK gekommen, eine Wiederholung sollen die Wachen verhindern. Solche Maßnahmen können sinnvoll sein, verschandeln jedoch manchmal auch die Sehenswürdigkeiten. So wurden z. B. Teile des İşak-Paşa-Palastes in Doğubayazıt – mit EU-Geldern! – mit Glas überdacht, was dem Anblick überhaupt nicht guttut.

Im Ort essen wir eine Kleinigkeit, innerhalb einer Stunde leert sich Hasankeyf, die Touri-Busse fahren ab. Hasankeyf ist dann wieder (fast) ein ganz normales Kurdendorf.

Irgendwo in einem Hinterhof kann ich noch ein paar Dosen Efes-Pils erstehen, die ich dann auf dem Balkon mit Blick auf den Tigris genieße. Zwar hat es nicht zur Erfüllung des Traums gereicht, nachts von der Zitadelle aus zuzuschauen, wie sich die Sterne im Tigris spiegeln, der Mond muss die Sterne ersetzen, der Hotelbalkon die Zitadelle, aber das ist mindestens das Zweitbeste.

Die Nacht wird nicht so heiß wie befürchtet, außerdem gibt’s noch kaum Mücken. Jedoch schwankt das Hotel immer leicht, wenn ein schwerer LKW die neue Brücke quert. Nachts sitze ich einmal kerzengerade im Bett. Ein Gewitter war aufgezogen und ein Blitz muss wohl in der Schlucht eingeschlagen sein. Der Knall und der Widerhall waren gewaltig.

Morgens suchen wir uns direkt am Fluss eine Frühstücksmöglichkeit – unter anderem gibt’s sehr heftig schmeckende Käsesorten und Honig direkt aus der Wabe.

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Unter Freunden – Savur

Die heutige Etappe ist kurz, nur etwa 70 km durch sehr schönes, hügeliges, fruchtbares und blühendes Land. Savur ist einer unserer Sehnsuchtsorte. Schnell finden wir den Weg hoch zum Hacı Abdullah Konağı der Familie Öztürk. Aydın, der die Geschäfte führt, erwartet uns, ist ganz aus dem Häuschen, küsst mich schon, während ich noch den Helm auf habe.

Wir können uns das Zimmer aussuchen, wählen diesmal eine neue Variante.

Noch mal fix geduscht, schon steht ein zweites Frühstück auf dem Tisch. Die Oma des Hauses – sonst eher zurückhaltend – teilt die Freude über das Wiedersehen. Auch hier gibt’s verschiedene, allerdings für unseren Gaumen angenehmere Käsesorten sowie selbstgemachte Quittenmarmelade. Aydın schimpft, dass Oma noch mal Brot vom Morgen aufgetischt hat, innerhalb von fünf Minuten ist ganz frisches, noch warmes da.

Wir richten uns ein wenig häuslich ein, denn wir wollen mindestens drei Nächte bleiben. Die Planung sieht vor, dass wir morgen von hier aus einige Klöster im sogenannten Tur Abdin, der Gegend südlich von Midyat, besuchen wollen. Dort beginnt die mesopotamische Ebene, die dann nach Syrien abfällt.

Am Spätnachmittag kommen Aydıns Schwägerinnen extra vorbei. Sie, die hier im Haus die Gästeversorgung machen, haben heute eigentlich frei, lassen es sich aber nicht nehmen, uns zu besuchen. Was sie dann auch gleich damit verbinden, uns ein leckeres Abendessen zu bereiten, das in einen Wahnsinns-Nachtisch gipfelt: irgendetwas mit Grieß und ganzen Haselnüssen, warm serviert!

Der Abend klingt so aus, wie ich es mir das ganze Jahr über erträumt hatte – mit einer Flasche Wein von Aydıns Süriyani-Freund – die aramäischen Christen keltern ihren Wein noch selbst. Auf dem Dach unterhalten wir uns noch mit einer Schweizerin, nebst uns im Moment der einzige Gast. Sie ist im richtigen Leben Geschäftsfrau und nimmt sich einmal im Jahr eine längere Auszeit. Sie ist begeisterte Bergwanderin und war teilweise in den Gegenden, wo wir auch waren. Unter anderem war sie in Georgien, einen Trip, den sie aber abbrechen musste. Dort gab es vor Kurzem noch 40 Zentimeter Neuschnee, in den tieferen Gegenden Regen ohne Ende, Temperaturen tagsüber teilweise bei minus 4°C. Unsere Entscheidung, die Gegend zu meiden, hat sich also als richtig erwiesen.

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Im Tur Abdin

Stahlblauer Himmel, kein Wölkchen. Michaela, die Schweizerin, will weiter, beim Frühstück erzählt sie noch ein wenig von ihren Erlebnissen als Alleinreisende, ihre Erfahrungen unter Kurden klingen nicht durchweg positiv.

Wir machen uns mit leichtem Gepäck auf, fahren zunächst Richtung Midyat. Die Sonne knallt schon, das Thermometer zeigt 35°C. Erstes Ziel ist die Kirche von Anıtlı oder, aramäisch, Hah. Wie es Klöster oft so an sich haben, liegt es irgendwo im Nirgendwo. Lange Strecken müssen wir über wahnsinnig staubige Baustraßen fahren, manchmal ist der Staub so dicht, dass wir nur im Schritttempo weiterkommen. Der Fahrbahn„belag“ ist so hell, dass er in der gleißenden Sonne blendet.

Als wir das Klostergelände betreten, ist zunächst alles ganz still. Aus der Kirche dringen Stimmen. Zwei aramäische Christen aus der Schweiz – Vater und Sohn – schauen sich die Kirche an, geführt von einem Jungen. Nachdem sie gegangen sind, lassen wir uns die Kirche zeigen. Dann drücke ich dem Jungen fünf Lira in die Hand und frage nach seinem Namen: „Johann“, nicht gerade ein Name, den man hier erwarten würde, oder doch, ist ja schließlich eine christliche Kirche. Die Anlage ist in der hier typischen Bauweise gehalten, also alles aus hellem Sandstein, zumeist aufwändig mit Steinmetzarbeiten verziert. Die Kirche ist eine Stiftung von Kaiser Theodosius II. aus dem 5. Jahrhundert, die Fundamente sollen der Überlieferung nach aus dem 1. Jahrhundert stammen. Sie zählt auf jeden Fall zu den ältesten erhaltenen Kirchenbauten der Welt. Die Atmosphäre hat etwas Himmlisches, so abgeschieden, so friedlich, so schön.

Johanns Mutter zeigt sich, ein kleines Mädchen auf dem Arm. Die Kleine heißt Sara und ist zehn Monate alt. Die Mutter, eine freundliche Frau mit offenem Gesicht, bewirtet uns mit Tee und Kuchen, dann verabschieden wir uns und fahren ins nur zwei Kilometer entfernte Dorf İzbirak, aramäisch Zaz. Auf der kurzen Strecke scheuchen wir ungewollt einen jungen Esel auf, der am Straßenrand grast. Völlig panisch stürmt er auf die Fahrbahn und rennt eine ganze Strecke zwischen uns her, bis er sich mit einem Satz ins Gebüsch in Sicherheit bringt.

Die Kirche Mar Dimet ist festungsartig angelegt. Eine alte Frau schaut etwas argwöhnisch aus dem Fenster, der Ausdruck wird jedoch gleich freundlicher, als wir sie auf türkisch ansprechen. Sie zeigt auf ein Tor, in dem gleich darauf ein älterer Mann mit weißem Rauschebart erscheint. Er stellt sich als Yakup vor und ist der Priester der Kirche. Auch sie hat ein wechselvolle Geschichte hinter sich, wurde, wie viele Kirchen und Klöster im Tur Abdin, im 14. Jahrhundert von dem als grausam bekannten Mongolenfürsten Timur Lenk geplündert und zerstört. Die aus den Trümmern wieder aufgebauten Mauern weisen an vielen Stellen bildhauerisch bearbeitete Steine auf, die zumeist christliche Symbolik zeigen. Tief unter der ansonsten schlichten, dennoch sehr schönen Kirche befindet sich ein altes Gewölbe, das wohl schon in vorchristlicher Zeit als Kultstätte gedient hat. An der Decke sind zwei Halterungen aus dem Fels herausgearbeitet. Dort seien Schlaufen befestigt worden, an denen jemand festgebunden und dann mit Feuer gefoltert worden sei. Wenn wir Yakup richtig verstanden haben (die gesamte Führung verlief auf Türkisch), handelte es sich dabei um einen Priester namens Nikolaos. Zum Schluss zeigt uns Yakup noch die Eingänge zu mittlerweile zugeschütteten Fluchttunneln sowie eine Sammlung von Fossilien, die auf dem Gelände gefunden wurden. Auf die Frage, ob wir ein Foto von ihm machen dürften, ziert er sich erst ein wenig, willigt dann aber doch ein. Auch er ist – wie die Frau zu Anfang – im Laufe unserer Begegnung immer offener und zugänglicher geworden, entsprechend herzlich ist dann auch der Abschied. Schade, dass die „Gemeinde“ dort nur noch aus zwei Seelen besteht.

Eigentlich wollen wir noch ins Hauptkloster des Tur Abdin, nach Mar Gabriel, doch die Hitze wird noch schlimmer. Da wir auf dem Weg ins Quartier aber eh über die Staub- und Rüttelpiste zurück müssen und wir dann schon auf halber Strecke nach Mar Gabriel sind, wollen wir das doch noch auf uns nehmen. Von Mardin müssen wir die Straße Richtung Çizre nehmen, also in eine Gegend, die als kurdisches Kernland gilt. Mar Gabriel ist eine riesige Anlage und in exzellentem Zustand, mit Geldern vor allem von Diaspora-Christen in den letzten 35 Jahren aufwändig restauriert. Das Kloster, gegründet 397, ist das geistliche Zentrum der Syrischen Kirche und Sitz des Erzbischofs. Dort leben derzeit noch etwa 75 Menschen – Mönche und Nonnen sowie Lehrer mit ihren Familien und etliche Schüler, die dort die aramäische Schrift und Sprache und die kirchliche Liturgie erlernen.

Bedeutung, Schönheit und Lage des Klosters haben dazu geführt, dass sich auch ein gewisser Tourismus entwickelt hat. Damit nicht jeder überall herumläuft, wurde ein System zur Führung der Besucher entwickelt. An einem Tor der äußeren Mauer werden wir empfangen und per Funk weitergemeldet. Am eigentlichen Eingangsportal werden die Gäste übernommen und zunächst in die Hauptkirche geführt. Hier beeindrucken vor allem die Reste eines Deckenmosaiks, das ganz aus Gold ausgeführt wurde. Besagter Timur Lenk soll 80 Wagen benötigt haben, um alles geplünderte Gold fortzuschaffen. Den Besuchern wird u. a. eine Krypta gezeigt, in der alle verstorbenen Priester begraben liegen, so auch Gabriel, der Namensgeber des Klosters, sowie die Sakristei. Die dort aufgehängten liturgischen Gewänder zeigen, dass hier noch regelmäßig Gottesdienste gehalten werden.

Unter den Mitbesuchern fällt uns eine asiatisch aussehende Familie mit zwei kleinen Kindern auf. Erstaunlich ist, dass die Eltern fließend türkisch sprechen. Darauf angesprochen, gibt uns der Mann seine Visitenkarte, die ein Foto zeigt, das auch wir in unserer Sammlung haben: die Methodistenkirche in Antakya, vor deren verschlossener Tür wir vor Jahren standen. Der Mann, Koreaner, ist der dortige Pastor und steht einer kleinen Gemeinde von 30 Menschen, zumeist Türken, vor. Er verspricht uns, dass wir bei einem weiteren Besuch in Antakya offene Türen vorfinden werden.

Der Rückweg ist schnell geschafft, einmal bleibt mir noch kurz das Herz stehen, als Rendel hinter einer Straßenkuppe nicht wieder auftaucht, zumal der Funk ausgefallen ist. Sie war aber nur stehen geblieben, um noch ein Foto zu machen.

Im Ort treffen wir auf Aydın, der sich auf meinen Sozius schwingt und sich, den Bekannten auf der Straße huldvoll winkend, von mir nach Hause bringen lässt.

Wir haben uns vom Abendessen abgemeldet. Da wir heute die einzigen Gäste sind, bringt das den Mädels des Hauses etwas Entspannung, wir wollen in das kleine Forellenrestaurant Perili Bahçe. Das liegt inmitten eines Wäldchens an einem Bach, die Tische sind über den Bach gebaut, also extrem lauschig und angenehm kühl. Gegrillte Forelle, handgemachte Pommes, Salat mit Nar-, also Granatapfel-Dressing, dazu ein kaltes Bier – perfekter Abschluss eines perfektes Urlaubstages.

Omi und Rendel verstehen sich immer besser, die beiden haben viel Spaß zusammen. Als wir nachmittags zurückkommen, steht nach dem Duschen ein großer Teller mit etlichen Obstsorten auf dem Tisch. Rendel versucht Omi klarzumachen, dass wir ja noch essen gehen würden. Ja, meint Omi, aber zwischendurch, wie ein Vögelchen („Kuş gibi“), immer wieder etwas picken. So gibt ein Wort das andere – und die beiden lachen sich scheckig.

Da ich die letzte Nacht nicht so gut geschlafen hatte, tauschen wir die Betten, ich schlafe im „richtigen“ Bett, Rendel auf den traditionellen, auf dem Boden ausgerollten Matratzen. Als ich nachts mal aufs Klo muss, bin ich bei der Rückkehr wohl etwas verpeilt, will mich auf das Bett auf dem Boden legen. Dabei packe ich statt der Bettdecke Rendel an, die fast zu Tode erschrickt. Ich entschuldige mich am nächsten Morgen damit, dass ich zeigen wollte, dass Rendel auch mit 50 – denn die ist sie die Nacht geworden – noch begehrenswert sei …

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Geburtstagsfeier auf türkisch-arabische Art

Rendel hat also – mal wieder – in der Türkei Geburtstag. Das läuft wie immer recht unspektakulär ab, Rendel gibt sich mit der schönen Umgebung als Geschenk zufrieden (was mir nicht unrecht ist …). Nach dem Frühstück können wir eine Maschine Wäsche waschen, kommt nach so viel Staub gut. Rendel will den gegenüberliegenden Burgberg erklimmen, nimmt ein Handy mit, um anzurufen, wenn ich winken soll. Zwischenzeitig treffen Glückwunsch-SMS ein, auch die Schweizerin ruft aus Mardin an, um zu gratulieren. Als Aydın sieht, wie Rendel den Berg raufläuft, reißt er eine weiße Decke vom Tisch, um ihr damit zu winken. Ein verrückter, netter Kerl.

Das Abendessen können wir auf der kleinen Privatterrasse einnehmen. Die Mädels fahren wieder Unmengen auf, und die Küche ist im Moment für uns tabu, irgendein konspiratives Treffen. Nach dem Essen kommt zunächst Aydın und überreicht Rendel ein typisches Hirtentäschchen, dann die drei Frauen mit einer dicken Geburtstagstorte, bestückt mit Kerzen. Nach der Auspustezeremonie teilt Rendel die Torte auf, trotz vollem Bauch wird sie fast alle, dann reden wir noch ein wenig. Ich will, angesichts der hauptsächlich arabisch sprechenden Omi, mein einziges arabisches Wort anbringen – shukran, „danke“, werde dann aber belehrt, dass die hiesige Arabisch-Variante dieses Wort nicht benutzt. Punkten kann ich dann aber noch mit einem Atatürk-Zitat im Original, das macht mächtig Eindruck, Aydın murmelt den Satz noch einige Male vor sich hin.

Bevor wir uns ins Bett kugeln, verabschieden sich die beiden jungen Frauen, wenn sie morgen kommen, sind wir schon weg. Wir verewigen uns noch im Gästebuch und Ayşe malt ein Motorrad daneben, um unseren Eintrag immer schnell identifizieren zu können. Es geht noch ans Bezahlen; etwa 65 Euro pro Tag mit Vollpension für beide, mit Wein und allen weiteren Getränken und Extras am Rande möchten sie haben, viel günstiger geht es kaum. Noch ein paar Minuten auf der Dachterrasse, dann geht’s endgültig schlafen.

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Durch die wilde Bergwelt nach Divriği

Um halb sieben sind wir schon wach. Zwar hatte es in der Nacht gewittert, jetzt ist der Himmel aber ziemlich klar. Schnell aufgerödelt, von Omi und Aydın verabschiedet, dann geht es los, zunächst über kleine Straßen und durch ärmlich anmutende Dörfer Richtung Diyarbakır. Tagesziel ist Divriği, ein etwas abgelegener Ort, der für seine Moschee berühmt ist. Wir durchqueren Diyarbakır, die heimliche Hauptstadt der Kurden, in der es uns im letzten Jahr wider Erwarten so gut gefallen hatte. In der Gegend, die wir danach durchfahren, wird im Tagebau Erz abgebaut, entsprechend unattraktiv ist die Landschaft. Erst ab Maden wird es wieder schön und grün. Dort halten wir an einer kleinen Lokanta. Wie in dieser Art Restaurant üblich, gibt es vorgekochte Speisen, die lecker schmecken. Der Inhaber kann etwas Deutsch. Nach dem Essen, beim Tee – Rendel ist zum Klo – raunt mir der kleine Macho ins Ohr: „In Deutschland, ich bin Frau!“ Während ich mir das noch vorzustellen versuche, kommt Rendel und mahnt zum Aufbruch, zurecht, denn wir haben noch einiges vor uns.

Wir passieren den Huzur-See am Nordufer, vorbei am Hotel Mavi Göl, in dem wir im letzten Jahr geschlafen haben, dann pfriemeln wir uns aus Elazığ hinaus, orientieren uns Richtung Keban. Auf freier Strecke stockt plötzlich der Verkehr. Wieder mal eine Vollsperrung wegen Sprengarbeiten. Keiner kann recht sagen, wie lange es dauert. Etliche der Wartenden vertreiben sich die Zeit, indem sie unsere Motorräder inspizieren und uns ausfragen. Auch zwei junge Männer auf einer kleinen Yamaha zeigen Interesse. Einer von ihnen schält den Stamm von Disteln, die am Wegesrand wachsen, und isst sie. Auch wir probieren. Nicht schlecht, ein Geschmack von Möhre und Sellerie. (Ich erinnere mich, dass ich solches Gemüse schon eher zum Verkauf angeboten gesehen habe.) Endlich geht es weiter. Vielleicht reicht es noch, die Moschee von Divriği vor dem Hotelbezug zu besichtigen. Immer höher windet sich die kleine Straße die Berge hinauf, zudem wird es immer einsamer. Der letzte Wegweiser nach Divriği liegt lange zurück, das Navi findet schon längst keine Straße mehr.

Die Landschaft ist absolut grandios – weit, grün, sanfte Hügel, schneebedeckte Gipfel rücken ganz nah. Aber langsam wird es etwas unheimlich und auch unwegsam. Alles, was noch ansatzweise an Zivilisation erinnert, sind improvisierte Zelte von Hirten. Wir fühlen uns beide am Ende unserer Kräfte, außerdem ist uns schon lange das Wasser ausgegangen. Schließlich findet die fahrbare Strecke ihr endgültiges Ende, nur noch eine lehmige Piste, die steil einen Abhang hinunterführt. Rendel kommt mit ihrem Fahrvermögen ans Ende, ich stapfe zu ihr zurück und nehme ihr das Stück ab. Schließlich stoßen wir auf einige Bauarbeiter, die uns zumindest sagen können, dass wir noch in die richtige Richtung fahren, es aber bis zu unserem Ziel noch 40 Kilometer sind, davon noch gut die Hälfte auf extrem schlechter Strecke. Aber immerhin. Nachdem auch das durchstanden ist, weitet sich die Straße zu einer Art Autobahn. Wohlgemerkt: dieselbe, auf der Karte in gleicher Weise klassifizierte Strecke! (Als ich unsere Fahrstrecke später in GoogleEarth analysiere, stelle ich fest, dass wir doch irgendwo einen Abzweig verpasst hatten und so in das unwegsame Gelände geraten waren.)

Endlich das erlösende Ortsschild. Zum Glück hatten wir das Hotel am Tag zuvor gebucht und uns auch eine Wegbeschreibung besorgt. Zwar nicht so malerisch wie manche unserer Unterkünfte, gehört das Divhan doch zu den besten Hotels, die wir auf dieser Reise vorfanden. Da es kein Restaurant hat und zudem etwas außerhalb liegt, lassen wir uns ein Taxi rufen, das uns zu einem Lokal im Ortskern bringen soll. Als wir dort Platz genommen haben, sehen wir, dass es genau gegenüber der berühmten Moschee liegt und dass das Licht noch für eine Besichtigung und ein paar Fotos ausreichen könnte. So vereinbaren wir, erst eine halbe Stunde später zu essen und uns noch die Moschee anzuschauen.

Die Ulu Camii („große Moschee“) gehört zum UNESCO-Weltkulturerbe. Was sie so besonders macht, sind die riesigen und mit extrem aufwändigen Steinmetzarbeiten verzierten Portale, dem Kölner Dom in nichts nachstehend. Ich habe für Moscheen eigentlich nicht so viel übrig, aber vor diesen Portalen stehe ich mit vor Staunen offenem Mund. Einfach gigantisch. Das Licht reicht tatsächlich noch, um die wichtigsten Ansichten festzuhalten, dann geht’s zurück ins Lokal – Rendel Forelle, ich Hähnchen-Şiş.

Irgendwie schließt sich für mich hier und heute gefühlsmäßig ein Kreis. Im Laufe der Jahre hatte ich mir innerlich eine Art Liste von Stätten und Orten in der Türkei zurechtgelegt, die ich unbedingt gesehen haben wollte. Nachdem ich auf dieser Tour in der Nordost-Ecke gewesen bin, dann noch in Ani, bin ich jetzt in Divriği. Da es immer weitab unserer Routen lag, hatte ich insgeheim gehofft, diesen Schlusspunkt noch etwas vor mir herschieben zu können …

Rendel ist so erschossen, dass sie nicht mal mehr ein paar Seiten im Reiseführer lesen mag, so heißt es schon um 22 Uhr: „Licht aus“.

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Fever!

Rendel geht’s nicht gut. Sie meint, sich gestern bei der Warterei an der Baustelle einen Sonnenstich geholt zu haben, außerdem hatte sie kaum etwas getrunken. Sie hat Temperatur und auch die sonstigen Fiebersymptome wie Kopf- und Gliederschmerzen. Zwei Paracetamol tun zunächst ihren Dienst, Rendel meint, sie würde es schaffen. Wir frühstücken draußen, zahlen (ganze 36 Euro für das Zimmer und eine kleine Flasche Wein). Nach einem kurzen Fotostopp, bei dem wir noch die hiesige Festung aufnehmen, sind wir wieder on the road. Ab heute soll das Abenteuer zugunsten von mehr Erholung etwas in den Hintergrund rücken. Wir wollen nach Kappadokien, um in Mustafapaşa im Old Greek House ein paar erholsame Abhängtage zu verbringen.

Die Fahrt ist unspektakulär, auf der teilweise autobahnartigen Strecke fahren wir manchmal 120 (zur Erinnerung: Erlaubt sind für Motorräder 70!). Eine neue Streckenführung, die es uns erspart, durch die Millionenstadt Kayseri fahren zu müssen, gewährt noch einen langen Blick auf den Erciyes Dağı, den Hausberg Kayseris, der, ich erwähnte es schon an anderer Stelle, zu der Zeit, als er noch seiner Tätigkeit als Vulkan nachging, die Grundlage für die kappadokische Zauberlandschaft legte. Noch schnell durch Ürgüp, dann die letzten Kilometer nach Mustafapaşa. In der Tür des Old Greek House steht schon dessen Inhaber, der sichtlich erfreut ist, uns zu sehen, ganz wie seine herzliche Frau, die kurz drauf erscheint. Wir bekommen wie im letzten Jahr das Zimmer Saçmalık zugeteilt. Rendel leidet noch etwas unter den Nachwirkungen des gestrigen Tages, auch ich bin nicht so ganz fit, kann sein, dass ich mich auf der heutigen Fahrt, bei der es zunächst noch empfindlich kalt war, etwas zu spät wärmer angezogen habe. Aber hier sind wir ja erst einmal „in Sicherheit“.

Neben zwei italienischen Paaren sind wir die einzigen Übernachtungsgäste, erst nächste Woche soll es wieder voller werden. Das Abendessen enttäuscht erwartungsgemäß nicht; als der Junior mit dem Teller seines Abendessens vorbeigeht, gibt er uns davon je einen großen Löffel zum Probieren auf – Manti, die hiesige Ravioli-Variante, jedoch viel kleiner und u. a. mit viel Knoblauch gefüllt. Außerdem hat es mir eine Vorspeise auf der Grundlage von Portulak, eines bei uns kaum bekannten Gemüses, angetan – nur blanchiert und mit einer Joghurtsauce angemacht.

Unsere Schlafgewohnheiten sind hier sehr solide, auch heute wieder vor zehn im Bett.

Entsprechend sind wir auch schon wieder um halb sieben wach. Ich fühl mich wieder fit, Rendel plagt noch ihr Kopf, der sie jedoch im Übrigen bislang praktisch völlig unbehelligt ließ – und das bei den strapaziösen Fahrten.

Doch Rendel ist richtig krank – hohes Fieber, Glieder- und heftige Kopfschmerzen im Stirnbereich. Die Angst vor der Tollwut schwebt immer noch im Raum. Wir entschließen uns, einen Arzt aufzusuchen. Unser Hotelier ist umgehend bereit, uns nach Ürgüp ins Krankenhaus zu fahren. Zunächst sind 15 TL Aufnahmegebühr zu zahlen, dann kommen wir schnell dran. Der junge Arzt untersucht Rendel und meint, den Tollwutverdacht ausschließen zu können. Er lässt eine Blutuntersuchung machen (50 Werte, die nach einer Stunde vorliegen, für 34 TL!) Die sind im Großen und Ganzen unauffällig, aufgrund der Symptome schließt er auf eine Stirnhöhlenentzündung, verschreibt ein Antibiotikum sowie Paracetamol gegen Fieber und Schmerzen. Dagegen verpasst er Rendel außerdem noch eine Spritze, die höllisch weh tut. Während der gesamten Zeit, in der wir auf die Ergebnisse der Blutuntersuchung warten mussten, wich unser Hotelier nicht von unserer Seite.

Rendel schafft es noch ins Bett, ist völlig fertig. Ich telefoniere noch mit ihrem Bruder, dem Arzt, der sich der Ferndiagnose anschließt (und der später bekennt, dass ihm angesichts des Fiebers und der Symptome doch heiß und kalt geworden sei).

Wir führen die Erkrankung auf die letzte Nacht in Savur zurück, wo wir im Zimmer Durchzug gemacht hatten, den Rendel voll abbekommen hatte. Dann folgte der anstrengende Fahrtag nach Divriği, wo dann abends die ersten Beschwerden auftraten.

Ich mache mir Sorgen: um Rendel „an sich“ und um unser Weiterkommen. Im Moment wirft uns die Sache noch nicht zurück, da wir eh bis Montag bleiben wollten. Einen Tag hängen wir auf jeden Fall dran, zur Not mehr, bis Rendel wieder richtig fit ist.

Ich versorge Rendel so gut wie möglich und begebe mich dann zum Abendessen, das mir aber nicht so recht schmecken will. Eine Familie aus Berlin mit einem Vierjährigen ist noch ins Hotel gekommen. Ich begrüße sie kurz und gehe dann auch zu Bett. Rendel hat eine schlechte Nacht, gegen Morgen wird es aber besser, das Fieber hat nachgelassen.

Wirklich klasse, wie sich die Wirtsleute um uns kümmern. Die mütterliche Frau erkundigt sich ständig, wie es Rendel geht und ob sie noch etwas tun können, tröstend streicht sie mir über den Arm und zeigt mir, wo sie schläft, damit ich sie im Notfall wecken kann.

Ich sitze mit dem Laptop auf der Dachterrasse, als es zu mir hochschallt: „Simon, çay!“ – Wie öfter am Tag, wenn es gerade etwas ruhiger ist, sitzen die Inhaber mit den Angestellten zusammen, trinken Tee, dazu gibt’s immer irgendeine Leckerei. Zwei der Zimmermädchen schauen immer zu mir rüber, tuscheln und prusten …

Rendel steht zum Frühstück auf, wo wir uns mit den Berlinern austauschen. Sind nach İstanbul geflogen, mit dem Zug nach Kayseri, da einen Mietwagen übernommen. Alex, Jana und der kleine Anton sind sehr nett, heute wollen sie das Soğanlı-Tal besuchen und noch eine Nacht im OGH verbringen.

Rendel geht’s wieder schlechter, sie hat wieder Fieber. Langsam kann sie nicht mehr liegen, die Arme. Ich besorge noch Nasentropfen und kümmere mich dann ein wenig um die Moppeds. Rätselhafterweise ist an Rendels der rechte Kettenspann-Exzenter massiv verstellt. Hatte ich das zu Hause übersehen oder hat er sich – fast undenkbar – selbst verstellt?

Die Zeit hier war eh zum Ausspannen gedacht, so greife ich zum ersten Mal in diesem Urlaub zu einen Buch, dem neuen John Le Carré. Die Bücher heute sind auch nicht mehr, was sie mal waren. Schon nach gut einem Tag habe ich die über 400 Seiten durch.

Ich möchte Rendel nicht lange alleine lassen, beschränke meine Ausflüge auf die fußläufige Umgebung. Das neue Hotel, das uns der OGH-Eigner im letzten Jahr im Rohbau gezeigt hat, ist fertig, optisch recht gefällig und dem hiesigen Baustil angepasst. Bislang waren wir fast alleine, bis auf Besuchergruppen, die das alte Haus regelmäßig durchstreifen und meist auch hier essen (und manchmal auch unvermittelt in unserem Zimmer stehen). Kann sein, dass wir es, wenn wir länger bleiben, wieder mit einer amerikanischen Reisegruppe zu tun bekommen. Zum Glück liegt unser Zimmer so ruhig, dass wir von dem Trubel im Innenhof kaum etwas mitbekommen.

Immer, immer wieder bestelle ich mir zu viel zum Essen! Man muss einkalkulieren, dass es hier noch ein Nachtischchen extra gibt, da noch etwas zum Probieren. Diesmal mache ich nach dem Essen den Fehler und spreche unsere Gastgeberin an, die mit einem großen Backblech vorbeikommt. Die riesige Portion Börek ist für das Abendessen der Angestellten bestimmt, aber sie reißt kurzerhand einen großen Fladen ab und legt ihn mir auf den Teller. Das abzulehnen wäre unhöflich!

Rendel ist elend dran. Wir haben beide nicht gut geschlafen, ich vor allem, weil ich mir Sorgen um unsere Weiterreise mache. Ich erkundige mich beim ADAC nach den Möglichkeiten, ein Fahrzeug ohne den Halter auszuführen. (Fahrzeuge werden bei der Einreise in den Pass ein- und bei der Ausreise wieder ausgetragen.) Das nötige Prozedere ist aber derart aufwändig (Vollmachten, Übersetzungen, Besuch beim Zoll in Ankara etc.), dass ich es schnell verwerfe. Rendel bringt die Möglichkeit ins Spiel, zur Not einen Pickup zu leihen, mit dem wir fahren und gleichzeitig die Moppeds transportieren können. Wir beschließen, noch einen Tag abzuwarten, und hoffen, übermorgen wieder normal starten zu können. Ich nehme mir das Buch vor, das Rendel eigentlich schon angefangen hatte – hält aber auch nicht lange …

So fiebern wir beide der Weiterfahrt entgegen – wortwörtlich und im übertragenen Sinne.

Es scheint mit Rendel bergauf zu gehen, die Schmerzen lassen nach und auch das Fieber sinkt. Sie telefoniert noch mal mit ihrem Arzt-Bruder und bespricht die weitere Medikation.

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Opium und fette Wurst – Afyon

Fieberfrei und fast ohne Schmerzen! Wir starten früh, Hüseyin, unser Patron, ist aber schon auf, um uns İyi yolculuklar – „Gute Reise“ zu wünschen. Rendel ist noch etwas durmelig, doch das legt sich nach einiger Zeit und sie findet die gewohnte Sicherheit wieder.

Rituale dienen auch dazu, dem Leben Sicherheit zu geben. Auf unseren Touren ist das „Abklopfen“ so ein Ritual. Nach den ersten Metern eines neuen Fahrtages greifen wir bewusst an die Stellen unserer Kleidung, wo wichtige Dinge wie Pässe, Geldbeutel etc. untergebracht sind. Damit ist sichergestellt, dass z. B. die Pässe nicht noch an der Rezeption liegen.

Wir wollten uns mit Regina aus dem TürkeiTouri-Forum in Pamukkale getroffen haben, was wir aber wegen der Fiebergeschichte verwerfen mussten. Jetzt werden wir wieder etwas mutiger und nehmen Kontakt mit ihr auf. Möglich wäre, uns auf der Karaburun-Halbinsel (vor İzmir) zu treffen. Das ist an einem Tag nicht zu schaffen, wir peilen für heute Afyon an, doch auch das sind schon gut 460 Kilometer. In Aksaray halten wir noch mal kurz, letzte Möglichkeit, eventuell doch die schnellere Heimroute zu nehmen. Aber Rendel ist zuversichtlich. Somit lassen wir Kappadokien, wovon wir diesmal nicht viel mitbekommen haben, hinter uns (ist aber nicht so schlimm, war ja schon der fünfte Besuch). Die Strecke nach Afyon ist nicht unbedingt sehr attraktiv, doch heute sind wir für gut ausgebaute Straßen, auf denen wir schnell Kilometer machen können, dankbar. Das Hotel Grand Çınar finden wir schnell, ist direkt an der Hauptstraße gelegen. Damit ist auch sichergestellt, dass wir noch viel vom türkischen Wahlkampf mitbekommen. Ständig fahren Busse mit riesigen Lautsprecherbatterien vorbei, aus denen Parolen und Musik dröhnen.

Wir bekommen ein anständiges Zimmer – mit Halbpension, was sich aber eher als eine Art Kantinenfutter erweist. Aber was soll’s – das Essen ist akzeptabel, ein Bier dazu holt mir Rendel aus dem Tekel-Markt – und umgerechnet 43 Euro für zwei mit Halbpension ist ein guter Tarif.

Überragt wird Afyon von dem spitz aufragenden Burgberg, der in der Abendsonne besonders imposant wirkt. Wir schlendern noch ein wenig durch die quirlige Stadt, deren Bevölkerung relativ modern wirkt. In den Auslagen vieler Schlachtereien türmt sich die Spezialität dieser Stadt – Suçuk, eine Wurstspezialität. Wenn es eine echte Afyon-Sucuk ist, dann besteht sie aus Wasserbüffel- und Rindfleisch, ein bisschen Fett aus dem Darm, viel Knoblauch, Thymian und rotem Pfeffer. Man sagt, die Afyon-Suçuk schmecke deswegen so delikat, weil die Tiere auf den Feldern vor allem Opium fressen. Denn Opium, türkisch Afyon, ist der Namensgeber dieser Stadt. Offiziell heißt die Stadt heute Afyonkarahisar, was dann „Schwarze Opiumburg“ bedeutet, aber der lange Name konnte sich nicht wirklich durchsetzen.

Von einem Teegarten aus beobachten wir noch ein bisschen das Treiben, besichtigen in einem Park das wuchtige, brutal anmutende Denkmal, das an den Sieg der Truppen Atatürks über die Griechen erinnern soll, die finale, kriegsentscheidende Schlacht fand 50 Kilometer westlich von Afyon bei Kocatepe statt.

Zurück am Hotel, sehe ich zwei Jungs, die unsere Moppeds bewundern. Als ich sie anspreche, stellen sie mir ein paar Fragen, die ich nicht verstehe. Ich verweise auf Rendel. Der größere der beiden ist so erschrocken, von einer ausländischen Frau auf türkisch angesprochen zu werden, dass er regelrecht Haltung annimmt, die rechte Hand ehrerbietig auf sein Herz legt und sich verneigt.

Vom Balkon aus schauen wir noch ein wenig zu, was sich in der Nachbarschaft tut, dann geht’s ins Bett.

Mit Regina haben wir ausgemacht, dass sie und ihr Begleiter sich morgen auf der Karaburun-Halbinsel nach einer schönen Unterkunft umsehen und uns dann simsen, wo wir sie finden können. Ich freue mich auf das Treffen, denn Regina scheint sympathisch und obendrein ein Türkeifreak wie wir zu sein.

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Navi vs. Instinkt – Über Izmir nach Karaburun

Als wir die Moppeds beladen, kommt ein Polizist der gegenüberliegenden Wache auf uns zu, um ein wenig zu plaudern, fragt nach unseren Berufen. Nachdem Rendel ihm die Frage beantwortet hat, meint er, er sei Polizist und würde hier arbeiten. Hätte ich aufgrund der Uniform gar nicht vermutet! Ich erinnere mich an die Vorhaltung in einem Forum, die mir mal angesichts einer Geschichte, die ich erzählt hatte, gemacht wurde: Ich sei doch wohl eher ein moderner Karl May, sprich: habe das nur erfunden. So fabuliere ich diesmal, dass der Polizist der Polizeipräfekt von Afyon sei, der es sich nicht nehmen ließ, uns persönlich zu verabschieden. Worauf Rendel einwendet, dass Karl May nicht einmal den kleinen Polizisten leibhaftig gesehen hätte.

Wir halten auf İzmir zu, wieder auf Straßen, die teilweise Geschwindigkeiten von 120 gestatten. Erinnerungen an Verfahrer in İzmir bei früheren Reisen lassen es geraten scheinen, diese Viermillionen-Metropole auf der Autobahn zu umfahren. Leider verpasse ich trotz Navi die richtige Auffahrt und wir finden uns dort wieder, wo wir auf keinen Fall hin wollten. Das Navi mahnt beharrlich zum Wenden, doch ich verlasse mich im Großstadtdschungel lieber auf meinen Instinkt! Die Wegweiser sind völlig überflüssig, denn die Einheimischen kennen sich eh aus, dem Fremden helfen die Bezeichnungen nicht weiter. Stop and go. Die Temperaturanzeige fast am Anschlag, der Kühlerventilator schaltet gar nicht mehr ab. Im Stadtteil Buça geben wir auf, halten und lassen uns den Weg erklären – mehr als die grobe Richtung und den Stadtteil, an dem wir uns orientieren sollen, kann man uns aber sinnvollerweise auch nicht vermitteln. Ganz hat mich mein Orientierungssinn aber doch nicht verlassen, eine Positionsbestimmung am Navi lässt vermuten, dass wir in der richtigen Richtung sind, was eine weitere Nachfrage bestätigt. Schließlich der ersehnte Hinweis auf die Autobahn Richtung Çesme. Von dort hat man einen schönen Blick auf diese riesige Stadt, die sicher auch ihren Reiz hat, aber Großstädte liegen uns definitiv nicht.

Der Autobahnabschnitt ist mautpflichtig, ein Ticket ziehen kann man jedoch nicht. Ein LKW-Fahrer bedeutet uns, einfach durchzufahren. Wir müssen an der Abfahrt Karaburun raus, die Schranke öffnet sich aber nicht. In einem Büro müssen wir zwei aufladbare Mautkarten erstehen. Während ich warte, humpelt ein LKW-Fahrer vorbei, zeigt auf seinen geschwollenen Fuß: Wespenstich. Ich krame in meiner Reiseapotheke und verpasse ihm eine Soventol-Salbung. Dankbar humpelt er weiter. Dann öffnet sich die Schranke, aber als wir durchfahren, schrillt eine Sirene und eine synthetische Lautsprecherstimme ruft uns barsch etwas hinterher. Was solls: Wir haben bezahlt und die Schranke ging auf.

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Neue alte Freunde

Per SMS und später Telefonat klären wir mit Regina unseren Treffpunkt. Das zunächst anvisierte Ata’nin Yeri ganz im Norden der Karaburun-Halbinsel will 240 TL pro Nacht, zwar mit Halbpension, aber doch etwas heftig. In Karaburun gebe es eine nette Pension, Regina nennt mir den Namen, ich verstehe „Veli Pension“.

Die Karaburun-Halbinsel ist touristisch gut erschlossen, jedoch wurden die schlimmsten Bausünden vermieden. Das hier ist Ägäis im besten Sinne. Die Anfahrt nach Karaburun ist eine Traumstrecke, die vielen Kurven lassen uns für die 50 Kilometer eine Stunde brauchen. Die Veli Pension soll direkt am Meer liegen – aber keiner kennt sie wirklich – der eine sagt, sie sei geschlossen, ein anderer, sie sei noch gar nicht fertig … Wir fahren einen abenteuerlichen Pfad über Haufen von Seetang unter der überhängenden Steilküste entlang, wieder Fehlanzeige. Ich rufe Regina noch mal an. Wir seien gerade an ihnen vorbeigefahren, hätten aber ihr Winken nicht gesehen. Doch, gesehen schon, aber ich hielt den eifrig winkenden Mann für einen Schlepper. Die Pension liegt nur 100 Meter von der Stelle, an der wir zuletzt gefragt haben – und heißt nicht „Veli“, sondern „Yalı“, weshalb sie niemand kannte.

Jetzt kommt der große Moment – ich lerne Regina kennen! Man macht sich ja von einer Internetbekanntschaft so sein Bild. Ich denke, wir sind uns gleich sympathisch. Die gemeinsamen Vorlieben ließen das schon ahnen. Sie und ihr Begleiter Markus haben gute Scout-Arbeit geleistet. Die Yalı Pension liegt einmalig – wirklich direkt am Wasser – und hat schöne, riesige Zimmer, mit 100 TL pro Nacht auch preislich akzeptabel.

Wir haben uns zum Abendessen verabredet und schlendern erst noch die kleine Promenade lang. Ein Fischrestaurant reiht sich ans nächste. So essen wir hervorragend, lernen uns noch etwas besser kennen und tauschen uns über unsere Erlebnisse und weitere Planungen aus.

So schön es hier ist – sowohl Regina und Markus als auch wir beschließen, morgen weiterzuziehen. Uns wird es langsam zu heiß (> 35°C), und wenn wir zügig weiterkommen, sitzen vielleicht noch ein paar Tage in Olympiada auf der Chalkidiki drin.

Ich muss mal etwas für das Äußere tun und beschließe, im Ort einen Kuaför aufzusuchen. Ich schwinge mich auf’s Motorrad, komme aber zunächst nicht von der Promenade, da tagsüber alles mit Schranken abgesperrt ist. Schließlich finde ich eine Lücke und fahre ausnahmsweise – wir sind ja in der Türkei! – ohne Schutzkleidung und Helm in den Ort, nur, um dort umgehend einem Polizisten in die Arme zu laufen, der mich auf den fehlenden Helm anspricht. Mit „Pension“ und „nur kurz zum Friseur“ kann ich mich irgendwie rauswinden. Mit verbessertem cw-Wert geht es dann wieder zur Pension zurück. Der Rest des Tages wird vertrödelt und klingt im selben Restaurant wie am Vorabend aus. Da wir am nächsten Morgen früh loswollen, verabschieden wir uns vorsorglich, wobei ein paar Tränchen fließen. Wir vereinbaren dann noch einen zeitigen Frühstückstermin, dann geht’s in die Heia.

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Wieder in Europa

Unser heutiges Etappenziel lassen wir zunächst offen. Bis zur letzten „Abhängstation“ in Griechenland ist es eh nicht an einem Tag zu schaffen, wir wollen sehen, wie weit die Kräfte reichen. Selbst hier, weit im tourismusgewohnten Westen der Türkei, schlägt uns als Motorradfahrern noch viel Sympathie und Interesse entgegen, die Zahl der winkenden Hände und Hup-Grüße geht in die Hunderte, nicht selten passieren wir Menschen, die uns beim Vorbeifahren applaudieren oder den anerkennend nach oben gerichteten Daumen zeigen.

An einer Raststätte essen wir – eher untypisch – einen Hamburger und beschließen, bis Keşan, schon im europäischen Teil der Türkei gelegen, zu fahren. Etwas wehmütig lassen wir die Wegweiser zu den Inseln Bozcaada und Gökceada links liegen und fahren in Çanakkale auf die Fähre, die uns in kurzer Zeit auf die Gelibolu-Halbinsel übersetzt. Die Strecke fahren wir mittlerweile fast im Schlaf. Keşan kennen wir bislang nur bei Nacht, vor Jahren machten wir hier einen Zwangsstopp wegen Regens. Wir entscheiden uns diesmal für ein besseres Hotel, das Sapçı. Tatsächlich schon gehobener Standard, gut ausgestattete Zimmer, die Dusche in so einer „Wasserfall“-Ausführung, zudem liegt im Bad eine Duschhaube aus – wichtig für meine Frisur. Der Ort ist nicht wirklich schön, nachdem heute Markt war, liegt überall Müll herum. Wir essen einen Hähnchen-Döner und streifen noch ein wenig durch die Stadt. Ich erinnere mich, dass ich vor Jahren lange nach einem Bier hatte suchen müssen und bin ziemlich erstaunt, eine Straße zu finden, an der sich eine Bier-Bar an die nächste reiht. Den Besuch verkneifen wir uns jedoch, zumal uns die 520 Kilometer des heutigen Tages doch etwas in den Knochen sitzen.

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Erholung vom Urlaub – Olympiada (Chalkidiki)

Wahltag. Erdoğan wird haushoch gewinnen, die Zweidrittelmehrheit, die für Verfassungsänderungen nötig ist, jedoch (zum Glück) verfehlen. Der Himmel ist grau, die 17°C versprechen aber ein angenehmes Fahren. Bis zur Grenze sind es nur gut 30 Kilometer, doch schon kurz nachdem wir aus der Stadt sind, ziehen wir die Regenkombis über. Heftiger Regen peitscht uns entgegen, erschwert die Sicht. Unseren seinerzeitigen Vorsatz, bei Regen in der Türkei nicht zu fahren, haben wir ja lange fallen gelassen, wäre auch nicht durchzuhalten gewesen. Aber auch Rendel hat mittlerweile die Angst davor verloren, so zuckeln wir mit Tempo 60 auf den Grenzübergang zu. Mit spitzen Fingern nimmt der Beamte unsere nassen Pässe entgegen. Zügig wie immer ist das Grenzprozedere erledigt, schnell noch ein Tee, dann geht’s weiter. Immer wieder muss ich mit leichtem Schaudern daran denken, dass es mir erspart blieb, die Motorräder beide und einzeln nacheinander nach Griechenland zu überführen.

Um uns noch etwas wärmer anzuziehen, steuere ich einen Rastplatz an. Außer uns parkt dort noch ein Auto mit Münchener Kennzeichen. Ich grüße das dazugehörige Paar zunächst mit „Hallo“, um dann, nach einem kurzen Check der Einkaufstüten, zu fragen: „Oder darf ich hier noch Merhaba sagen?“ Das Paar – sie traditionell mit Kopftuch und langem Mantel – war auf Heimaturlaub in Rize, also ganz im Osten der Schwarzmeerküste. Sie machen Picknick und haben dazu alleine fünf verschiedene Käsesorten aufgefahren, dazu Gemüse, Brot, Çay etc. Keine Frage, dass wir sofort eingeladen werden zuzugreifen. Der Mann betreibt in München eine Firma, die Reinigungs- und sonstige Dienstleistungsarbeiten für die Deutsche Bahn durchführt. Zum Abschied gibt er mir seine Visitenkarte, auf deren Rückseite er noch den Namen eines Hotels in Rize notiert – Verwandtschaft, für den Fall, dass wir mal wieder in die Gegend kommen …

Rendel und ich wetten, ob wir wohl heute noch blauen Himmel zu Gesicht bekommen. Die Chancen dafür – darauf setze ich – stehen schlecht, der Himmel ist schwarz. Als wir die Autobahn verlassen und zunächst auf Stavros und dann auf Olympiada zuhalten, schüttet es wie aus Eimern.

Das Hotel Liotopi steuern wir zum dritten Mal an, finden es also gleich. Der Ort ist recht voll, ausnahmsweise fallen „unser“ und das orthodoxe Pfingsten in diesem Jahr auf denselben Termin, entsprechend haben sich viele Griechen hier eingefunden.

Lulu, die Patronin des Liotopi, und Thea, ihre gleichermaßen niedliche wie unsagbar emsige georgische Hilfe, begrüßen uns freudig, und wir beziehen eines der liebe- und geschmackvoll eingerichteten Zimmer. Vor uns liegen noch drei ruhige Tage und das leckere Essen in der zum Hotel gehörenden Taverne. Letzteres genießen wir auch ausgiebig, unter anderem mit einem hervorragenden Stifado. Ich mokiere mich beim Essen künstlich über die zumeist übergewichtigen und etwas hässlichen englischen Frauen an den Nachbartischen, sodass Rendel schon Angst hat, ich könne einen Krieg anzetteln. Vorher hatten wir uns – von Balkon zu Balkon – mit einem französischen Paar unterhalten. Sie ist französische Konsulin in Thessaloniki, und die beiden äußerten sich auch recht undiplomatisch über die Eigenheiten der Engländer.
Übrigens: Die Wetter-Wette habe ich gewonnen.

In der Folge haben wir uns noch gut mit einigen der Engländer unterhalten, nette Leute …

Als ich wach werde, ist mir schlecht, und ich kann auch nachvollziehen, warum. Im letzten Traum wurde mir ein seltsames Gericht serviert: frittierte Affenhände, richtig schön schwarz-braun und ledrig, so auf dem Teller angerichtet, dass die Finger nach oben weisen. Als ich Rendel davon erzähle, bringt sie mich darauf, woher diese Vorstellung stammen muss. Sie hatte gestern unsere nassen Handschuhe zum Trocknen aufgestellt, dass sie genau so auf dem Balkontisch zu liegen kamen wie eben später die Hände in meinem Traum. Warum ich die jedoch zu einem Abendessen umgemünzt habe, bleibt ein Rätsel.

Rendel hat Kopfschmerzen, die sich aber nach einer Tablette bessern. Wir legen uns ein wenig an den Strand und ich komme das erste Mal in diesem Urlaub ins Wasser. Rendel hat mir geraten, zur Entspannung alle Sinne einzusetzen, den Sand zu spüren, die Sonne, dem Meeresrauschen zu lauschen. Hat nicht geklappt. Nach fünf Minuten bin ich eingedöst und später mit einer sonnenverbrannten rechten Körperseite wieder aufgewacht. Gut, das Brennen fordert schließlich auch die Sinne.

Per Internet habe ich uns für Mittwoch ein Hotel direkt am Flughafen in Thessaloniki gebucht. Unser Flug geht schon um 10.30 Uhr, so ersparen wir uns die einstündige frühmorgendliche Taxifahrt von Oreokastro, wo wir die Motorräder abgeben müssen.

Ich schreibe auf TripAdvisor noch eine Empfehlung für das Hotel Liotopi. Es ist wirklich eine Empfehlung wert, zudem möchte ich Lulu einen Gefallen tun. Zwar klagt sie nicht wirklich, erzählt jedoch, dass es sich aufgrund der Wirtschaftskrise immer weniger Einheimische leisten können, mal ein paar Tage bei ihr im Hotel zu verbringen.

Der Abend endet as usual in der Taverne, endgültiger Abschluss bildet ein Gespräch mit den reizenden Engländern vom Nachbartisch.

Die Kunst des Tötens liegt nicht zuletzt darin, möglichst wenig Blutspuren zu hinterlassen. (Rendel Simon)

Diese Kunst zu vervollkommnen gibt sich Rendel wieder alle Mühe, als sie, mit nichts als einem Handtuch in den nackten Händen, im Zimmer Jagd auf Mücken macht. Nur leicht zudrücken, so, dass das Opfer bis zuletzt an eine freundschaftliche Umarmung glaubt. Und so, dass das Hotelhandtuch möglichst frei von Spuren bleibt.

Beim Frühstück blicken wir auf die letzten Wochen zurück. Zwar hat Rendel wegen ihrer Infektion einige schlechte Tage gehabt, doch sind wir froh und dankbar, dass ansonsten nichts passiert ist und wir beide sehr gesund geblieben sind. In den vergangenen Jahren hatte ich manchmal an jedem dritten Tag Migräne, dieses Mal blieb mir das komplett erspart, ähnlich gut ging es Rendel, zudem hatten wir auch nicht mal ansatzweise Durchfall oder Ähnliches.

Finito! Wir können uns mit dem Start etwas Zeit lassen, packen in Ruhe, so, dass wir möglichst alle Schmutzwäsche mit nach Hause bekommen. Dann zahlen wir (315 Euro für drei Tage Halbpension mit Getränken), sagen dann kurz und schmerzlos „Tschüss!“. Lulu gibt uns noch je einen Beutel selbstgepflückten Lindenblüten- und Kamillentee sowie Oregano mit und wir machen uns auf die endgültig letzte Etappe – 90 Kilometer bis Oreokastro. Die ersten Kilometer kommt etwas Wehmut auf, denn es geht noch einmal eine denkbar schöne Strecke direkt am Meer lang. Der Rest ist Autobahn. Ausnahmsweise kann ich mich tatsächlich auf das Navi verlassen, es führt uns direktemang zur Spedition. Ich stutze kurz, weil alles zu ist, höre dann aber aus der Halle Musik plärren. Innerhalb von 30 Minuten sind wir umgezogen, haben das Geschäftliche geklärt und sitzen im Taxi. Heute ist in Griechenland mal wieder Generalstreik, in Athen gehen die Massen auf die Straße. Der Taxifahrer fragt unverblümt, was die Deutschen über die Griechen sagen, ich antworte ebenso offen: „Dass die alle faul sind.“ Er erzählt dann, dass sein Arbeitstag mindestens 12 Stunden hat, meist mehr. Während der Fahrt bricht ein Gewitter aus, heftiger Platzregen inbegriffen – doch wir sind wieder mal verschont geblieben.

Das Athina Palace ist nicht gerade schön gelegen, aber nur drei Minuten vom Flughafen (ohne dass man etwas davon hören würde). Zum Glück wurden die Fluglotsen – zum Schutz der Tourismuswirtschaft – vom Streik ausgenommen, sonst hätten wir am Abflugtag vielleicht noch etwas von den Nachwirkungen des Ausstands gespürt.

Rendel macht noch etwas auf Urlaub und legt sich an den Pool – als Einzige.

Da es weit und breit nichts gibt, müssen wir mit dem Hotelrestaurant vorlieb nehmen, ich bestelle einen „American Burger“, der sich jedoch als dicke Bullette mit einem Spiegelei erweist. Egal, ich habe den ganzen Urlaub nicht so einen Kohldampf gehabt und futtere entsprechend.

Der Abend klingt auf dem Balkon aus – das war’s.

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Das war’s für 2011

Nach dem – reichhaltigen – Frühstück ordern wir den Shuttle zum Makedonia Airport. Chauffeur ist der Kellner aus dem Restaurant, auch einer von denen, die ihre Familie nur schwer durchbringen können. Er hofft, dass seine beiden Söhne nicht noch lange unter der Krise zu leiden haben.

Der Flug geht pünktlich um 10.30 Uhr ab, punkt 12 Ortszeit setzen wir in Köln auf.
Ich hatte es schon geahnt: Motorradreisen irgendwohin zu organisieren ist kein Problem, der ÖPNV hingegen überfordert mich. Den ersten Zug verpassen wir, weil wir keinen Fahrkartenautomaten finden.

Aber die DB habe ich eh gefressen. Ich fahre zwar nicht oft Bahn, aber fast alles, was ich diesbezüglich erlebt habe, war negativ. Auf freier Strecke muss der Zug dann halten, weil irgendwo der Blitz in die Oberleitung geschlagen ist. Okay, da kann die Bahn nichts für, aber als dann ausgerechnet und als einziger unser Anschlusszug nach Lüdenscheid die drei Minuten in Hagen nicht warten kann, habe ich den Kaffee auf, diese hirnverbr… – „Ruhig, Schatz, denk an dein Herz!

Nein, das kann mir den Urlaub nun wirklich nicht vermiesen. Wir nehmen uns ein Taxi und sind am späten Nachmittag zu Hause – glücklich und wehmütig zugleich.

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Nachwort

„Traumreise mit Alptraumeinlagen“ – so habe ich unsere Tour nach der Rückkehr manchmal zusammengefasst. Aber wie das nun mal so ist: Von den kurzen Lebenszeichen, die wir per Mail oder Telefon von uns gaben, blieben vor allem die „Schreckensmeldungen“ haften. Trotzdem konnte uns das den Urlaub unterm Strich in keiner Weise verleiden. Sicher hätten wir uns manches Erlebnis gerne erspart, doch muss man so etwas auf einer so langen Tour und der Art und Weise, wie wir reisen, einfach einkalkulieren.

Am besten bringt es wohl Rendels Reaktion auf die Frage zum Ausdruck, die ihr nach unserer Heimkehr gestellt wurde. „Und, das war’s doch dann wohl für dich mit Motorradreisen, oder?“ – „Nöö“, meinte sie, „wir planen schon die nächste Tour.“

Was auch fast stimmt. Wir haben jetzt zusammen weit über 30.000 Kilometer auf den Motorrädern in der Türkei hinter uns gebracht, dazu kommen mehr als 20 Reisen per Flugzeug. Im Grunde könnten wir noch bis an unser Lebensende in die Gegend fahren, langweilig würde es nie. Trotzdem haben wir uns für 2012 mal eine andere Gegend vorgenommen – den Balkan mit Schwerpunkt Mazedonien und Albanien.

Aber mal sehen …

Stand: Juli 2011