Kaukasus 2019

Sie sprachen von den Georgiern als Übermenschen,
als großen Trinkern, großen Tänzern, großen Musikern,
großen Arbeitern und Liebhabern.
Und sie sprachen vom Land im Kaukasus
und rund um das Schwarze Meer
als einer Art zweiten Himmel.

John Steinbeck, A RUSSIAN JOURNAL, 1948

Kaukasische Impressionen

 Eine Reise an das östlichste Ende Europas

Einleitung

Karfreitag 2020. Der per se „stille Feiertag“ ist in diesem Jahr noch ruhiger. Verordneter Stillstand, Anlass: die Corona-Pandemie. Schweren Herzens haben wir uns gerade unsere diesjährige Reise, zumindest in der geplanten Form und dem anvisierten Zeitraum, abgeschminkt. Es wäre so schön gewesen: Am 9. Mai starten, mit den Motorrädern über den Balkan in die Türkei, dort Freunde treffen, die geflogen wären, um dann dort zusammen mit uns eine Woche Kappadokien kennenzulernen. Lange geplant, endlich in greifbare Nähe gerückt, Vorfreude auf „MAX“ hochgefahren – und dann dieser blöde Virus. Immer wieder machen wir uns klar (wenn auch nicht sehr überzeugend), dass das alles Klagen auf sehr hohem Niveau ist, versuchen, wie die meisten Leute derzeit, das Beste daraus zu machen.

So kommt mir der eigentlich lange überfällige Reisebericht von letztem Jahr in den Sinn. Einmal hatte ich auf Nachfrage von Motorradkollegen schon angesetzt, es dann aber doch wieder aufgesteckt, weil mir ein Teil der Aufzeichnungen, die ich per „Diktat“ auf dem Handy gemacht hatte, beim Handywechsel abhandengekommen waren, dann war ich auch schon zu sehr mit den Planungen für die neue Reise beschäftigt (bei der ich ja auch als Reiseleiter gefragt sein würde) – und schließlich fehlte mir auch ein wenig die Inspiration. Bei den vorherigen Reiseberichten war ich zumeist immer so „drin“, dass ich sie in einem Rutsch runterschreiben konnte; die Begeisterung über das Erlebte trieb mich vor sich her, ich erlebte die Reisen jeweils nochmal neu.

Dieser Karfreitag ist untypisch, die Sonne scheint, ich sitze „mit kurzen Armen und Beinen“ unter unserer neuen Markise, durch den Virus ausgebremst – also keine Ausrede mehr. Und die fehlenden Aufzeichnungen kann ich wohl anhand der Fotos hinreichend rekonstruieren.

Wer meine Reiseberichte kennt, der weiß, dass sie seehr lang sind. Dabei bin ich um einen guten Mix aus Information, „Miterleben“ und Unterhaltung bemüht. Ob das immer gelingt, muss der Leser beurteilen. Ich schreibe die Berichte immer zunächst für mich/uns, der veröffentlichte Text ist dann lediglich ein „spin off“ für einen weiteren Leserkreis.

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Reisezeit/Praktisches

13. Mai bis 3. Juli 2019 (51 Tage – Detlev; Rendel flog am 20. Juni von Thessaloniki zurück)

Die Zeit von Mitte Mai bis (maximal) Mitte Juli hat sich für uns als die beste Reisezeit in dieser Gegend bewährt, alternativ kämen auch die Monate September/Oktober infrage.

Hinsichtlich Ausrüstung, Ausstattung der Motorräder etc. verweise ich auf die entsprechenden Anmerkungen in den anderen Reiseberichten. Kleidungstechnisch sollte man flexibel aufgestellt sein, vor allem, wenn man schon im Mai losfährt; dann ist Regenkleidung Pflicht.

Die Spritversorgung ist fast überall gut bis sehr gut, gepanschter Sprit wurde uns nirgendwo untergejubelt. Reifentechnisch war ich nicht optimal aufgestellt, siehe dazu weiter unten. Insbesondere wenn man die abgelegenen Gegenden Georgiens in Angriff nehmen will (Mestia, Tuschetien), sollte man über entsprechendes Fahrkönnen verfügen, gemäßigtes Enduroprofil (Heidenau K60, Conti TKC 70/80 o. ä.) reicht aus.

Alle Länder lassen sich mit dem Reisepass bereisen, lediglich Aserbaidschan verlangt ein Visum, das vorab online beantragt werden kann und problemlos erteilt wird. In den nicht EU-Ländern ist die „Grüne Versicherungskarte“ zumeist Pflicht, reicht aber nicht überall aus, dann muss an der Grenze eine (erschwingliche) Zusatzversicherung abgeschlossen werden. Auslandskrankenversicherung sollte selbstverständlich sein. Schließlich sollte man im Hinterkopf haben, dass es östlich von Ankara zusehends schwierig wird, eine Motorradwerkstatt zu finden, Reifenreparateure gibt es hingehen zuhauf. Rein mechanische Reparaturen lassen sich häufig auch in Autowerkstätten erledigen, wenn’s um Elektronik geht, wird es schon schwieriger. Armenien fanden wir fast „zweiradfrei“ vor.

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Etappen

Wir starteten zusammen in Thessaloniki, von wo Rendel, meine Frau, dann auch zurückflog, wärend ich, der ich mehr Zeit hatte, noch eine kleine Balkantour anschloss und auf dem Landweg nach Hause fuhr. Für mich bedeutete das per saldo eine Fahrstrecke von etwa 11.000 Kilometern.

  • Thessaloniki (GR)
  • Biga (TR)
  • Polatlı (TR)
  • Erciyes (TR)
  • Van/Van-See (TR)
  • Kars (TR)
  • Vardzia (GEO)
  • Gjumri (ARM)
  • Jerewan (ARM)
  • Sewan-See (ARM)
  • Goris (ARM)
  • Ararat (ARM)
  • Tiflis (GEO)
  • Stepantsminda (GEO)
  • Kutaissi (GEO)
  • Trabzon (TR)
  • Tokat (TR)
  • Mustafapaşa (TR)
  • Eskişehir (TR)
  • Biga (TR)
  • Thassos (GR)
  • Thessaloniki (GR)
  • Dilofo (GR)
  • Butrint (AL)
  • Vuno (AL)
  • Tirana (AL)
  • Karuč (MNE)
  • Šćepan Polje (MNE)
  • Jajce (BiH)
  • Lonja (HR)
  • Voralpenkreuz (A)

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Startschwierigkeiten

Alle unsere bisherigen Motorradreisen haben Rendel und ich auf unseren Honda Africa Twin Bj. 1994 bzw. 1996 absolviert, alles ohne nennenswerte Defekte und nur mit Blessuren, deren Narben wir heute eher wie Auszeichnungen tragen. Doch obwohl sie mittlerweile gut damit zurechtkam, erschien uns die große AT für Rendel doch manchmal etwas schwer zu händeln, vor allem beim Rangieren. Im Herbst zuvor konnte ich ein echtes Ringeltäubchen schießen, eine gute Bekannte verkaufte ihre Honda TransAlp, die zwar schon fast zwanzig Jahre alt war, dafür aber nur 4.800 Kilometer „auf der Uhr“ (und das aus erster, guter Hand). Also nicht lange überlegt, zugeschlagen, die zu erwartenden Standschäden beseitigt, problemlos „getüvt“ – und schon stand ein zuverlässiges, trotz des Alters praktisch neuwertiges Reisemotorrad in der Garage. (Für die Motorrad-Laien: Die TransAlp/TA ist im Grunde die etwas kleinere Version der Africa Twin/AT – etwas schwächer motorisiert, ansonsten fast baugleich, somit musste sich Rendel kaum umgewöhnen.)

Obwohl ich mir kurz zuvor die ganz neue Africa Twin, die Adventure Sports-Ausführung mit Doppelkupplungsgetriebe (im Prinzip also eine Automatik mit manuellen Eingriffsmöglichkeiten) zugelegt hatte, kam für die Reise nur die alte AT infrage. Die geballte Ladung Elektronik mit zig Sensoren etc. ließ mich davor zurückschrecken, diese Tour mit der Neuen anzugehen; zudem war ich mit dem Gerät noch nicht wirklich vertraut. Und so komplett das Motorrad auch dastand, fehlten ihm doch noch etliche Komponenten, die es erst zu einem Reisemotorrad machen würden (Schutzbügel, Koffer etc.) Die altgediente 1996er-AT wartete – schon komplett aufgerödelt – in der Garage auf ihren nächsten Einsatz.

Dass es dann doch anders kam, ist – ich kann es nicht anders sagen – ausschließlich meiner Dusseligkeit geschuldet. Mit folgender Schilderung folge ich nur der Chronistenpflicht, angenehm ist es mir nicht …

Wegen der zu erwartenden langen Fahrstrecke und dem daraus resultierenden Zeitaufwand wollten wir wieder auf die bewährte Anreise per Spedition und Flug nach Thessaloniki/Griechenland zurückgreifen. Die Flüge waren gebucht und der Motorradtransport mit der Spedition geklärt. Etwa 14 Tage vor dem Anliefertermin der Motorräder war ich mit der neuen „ATAS“ (Abkürzung für die neue Africa Twin Adventure Sports) unterwegs gewesen (was nicht immer gleich heißt, „auf Tour“ gewesen zu sein; vielmehr mache ich praktisch alle Alltagswege mit dem Motorrad). Zu der Zeit beherbergte unsere Garage vier Motorräder, also alles ziemlich eng. Ich versuchte, die ATAS noch vorsichtig zwischen bzw. hinter ihren älteren Geschwister abzustellen. Gerade in Parkposition, kam eine Horde Nachbarskinder schreiend angerannt: „Motorradfahrer, Motorradfahrer!“ Ich erschrak, zog nochmal kurz am Gas, das Mopped machte ein Ruck nach vorn – und die anderen drei Maschinen fielen wie eine Dominostein-Kaskade um. (Ich war noch nicht an die „Automatik“ gewöhnt, die nicht mehr über einen Kupplungshebel verfügt, den ich üblicherweise in der Situation gezogen gehalten hätte – dann wäre der Gasstoß folgenlos geblieben.) Noch bevor die Motorräder alle umgekippt waren, rannten die Blagen weg: „Wir war’n das nicht!!!“

Der Aufprall war eigentlich fast keiner, ein kleiner Satz nach vorne, mehr nicht. Davon hatte keines der Motorräder Schaden genommen. Aber ausgerechnet das Reisemotorrad kippte so unglücklich um, dass der Rohrträger-Vorbau (für Insider: das „Geweih“), an dem die Lampenmaske und die Seitenverkleidungen befestigt sind, irreparabel verbogen war, zudem waren die Verkleidungen an ihren Befestigungspunkten eingerissen. Aus Erfahrung wusste ich, dass sich dieses Geweih nicht sinnvoll richten ließ, auch ein Austausch mit Teilen meiner zweiten alten, an sich baugleichen AT brachte nichts. Wenn die Verkleidungsteile nicht völlig spannungsfrei montiert werden können, ist ein Bruch meist nur eine Frage von wenigen hundert Kilometern.

Schnell wurde klar, dass jetzt doch die ATAS gefragt sein würde. Die war nur – etwa gepäcktechnisch – noch gar nicht reisefertig. Erschwerend kam hinzu, dass, wegen des neuen Modells, die entsprechende Ausrüstung bei den Zulieferern noch nicht in ausreichender Anzahl verfügbar war, selbst geeignete Reifen waren gerade Mangelware. Um es kurz zu machen: Etliche Telefonate und unplanmäßige Schrauberstunden später stand die ATAS im Reisetrimm da! Einzig das mulmige Gefühl, mit einem Hightech-Bomber, den jenseits von Ankara niemand reparieren könnte, unterwegs zu sein, würde mich zumindest die ersten 1.000 Kilometer nicht loslassen.

Etwas anders als geplant konnten wir dann doch die Motorräder bei der Spedition abliefern, avisierter Übernahmetermin 14. Mai.

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Iberien und Albanien in einem Rutsch?

Die Türkei war für uns immer das Reiseland schlechthin, schon vor, aber nicht zuletzt auch nachdem Rendel ihre Motorradkarriere gestartet hatte. Abgesehen von den echten Großstädten hatten wir in den Jahren 2007 bis 2015 praktisch jeden Winkel dieses vielfältigen Landes unter die Stollenreifen genommen. Nachdem jedoch die Regierung eines gewissen Recep Tayyip Erdoǧan zunehmend autokratische Züge annahm, wich die Unbekümmertheit und wir entschlossen uns mit einem weinenden – „Adieu, du schönes Land!“ – und einem lachenden Auge – „Auf zu neuen Ufern!“ –, dem Land den Rücken zu kehren. Es folgten einige nicht minder schöne Reisen auf dem Balkan. Der Kaukasus steht schon seit einigen Jahren auf der Liste unserer Wunschländer, die lange Anreise und der Umstand, dann eben doch durch die Türkei zu „müssen“, stand dem jedoch etwas entgegen (wenn man mal von der Anreise über Russland oder per Fähre von Bulgarien über das Schwarze Meer absieht). Nachdem ich jedoch 2018 bei einem Kurztrip per Flieger nach Georgien Blut geleckt hatte, konnte selbst „Babo“ Erdoǧan uns nicht mehr abhalten. Damit sich die weite Anreise lohnt, wollten wir alle drei Kaukasusstaaten – also Georgien, Armenien und Aserbaidschan – in unsere Route einbeziehen, wobei Letzteres als einziges der Länder ein Visum verlangt. Dass wir den Aserbaidschan-Abstecher letztlich doch gecancelt haben, ist lediglich der Tatsache geschuldet, dass die ersten beiden Länder (und dann eben auch wieder zusammen mit der Türkei, die nicht nur als Transitland dienen sollte) schon attraktiv und fordernd genug sein würden. Bedingt durch die aktuelle politische Gemengelage und manche geschichtliche Hypothek (Stichwort „Aghet“, der Genozid an den Armeniern Anfang des 20. Jahrhunderts), ist das Reisen durch den Kaukasus etwas umständlich. Weder kann man von der Türkei direkt nach Armenien einreisen, noch ist der Grenzübertritt von Armenien nach Aserbaidschan möglich, von Feinheiten wie der Bergkarabach-Problematik u. ä. ganz zu schweigen. (Nachtrag Winter 2020/21: Der Konflikt Armenien–Aserbaidschan ist zwischenzeitlich ja wieder brutal eskaliert, was eine Reise in die Gegend derzeit wieder fast unmöglich machen würde.)

Die Grobplanung sah dann so aus (jetzt schon unter Auslassung von Aserbaidschan): zunächst schnell von Griechenland durch die Türkei, kurz nach Georgien, um dann von dort zunächst nach Armenien gelangen zu können. Dann wieder Einreise nach Georgien, in diesem Fall dann ausführlicher, und letztlich zurück in die Türkei. Nachdem Rendel dann – urlaubszeitlich bedingt – wieder nach Hause fliegt, schließe ich noch eine kleine Balkantour an.

Als geschichtlich und kirchengeschichtlich interessiertem Menschen hatte es mir schon der „Georgische Sinai“, also der Nordostzipfel der Türkei, der von georgischer und armenischer Sakralarchitektur durchsetzt ist, sehr angetan. Georgien und Armenien gelten ja als älteste „christliche“ Länder (die Gänsefüßchen setze ich mit Bedacht – wieweit ein Land christlich sein kann, sei dahingestellt). Ein weiterer Appetizer war dann mein Kurztrip nach Georgien im vergangenen Jahr. Aber auch im Blick auf die Frühgeschichte und auch die Sagenwelt hat die Gegend Einiges zu bieten, so spielt etwa ein Großteil der Argonautensage, Stichwort „Goldenes Vlies“, in dieser Gegend. Die antiken Provinzen im heutigen Georgien und Armenien hörten übrigens auf Namen wie Albanien und Iberien, Landstriche, die man heute gemeinhin woanders verortet. Und als Tüpfelchen auf dem „i“ kam dann noch der Ruf der beiden Länder dazu, Wiege des Weinbaus zu sein – mit anderen Worten: das perfekte Reiseziel.

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Auf zu neuen Ufern!

   
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Gute Nachricht: Die Motorräder sind wohlbehalten in Oreokastro, einem Vorort von Thessaloniki, eingetroffen. Günstig auch, dass wir diesmal von Dortmund aus hinterherfliegen können, mithin ein kurzer Transfer. Den Ablauf der nächsten 24 Stunden könnte ich fast aus den Vorjahresberichten kopieren, trotzdem im Schnelldurchlauf: Flug nach Thessaloniki, Taxi zum Galaxy Art Hotel in Oreokastro, Abendessen in „unserer“ Taverna, eine erste gute Nacht, Taxi zur Spedition, Übernahme von den wie immer sehr freundlichen und hilfsbereiten Mitarbeitern von ENCO Griechenland, Umziehen, letzter Check, schnell zur Tanke – und dann geht es wieder richtig los!

Die gut ausgebaute Autobahn bis zur griechisch-türkischen Grenze ist als Einstieg immer optimal, diesmal nicht zuletzt für mich mit dem immer noch etwas ungewohnten Motorrad. Der für den Moment wesentlichste Unterschied zu früher: Ich muss immer aufpassen, Rendel mit meinen nunmehr doppelt so vielen PS nicht abzuhängen, zudem könnte ich, dem fetten Spritfass sei’s gedankt, die erste Tagesetappe fast mit einer Tankfüllung absolvieren, während Rendel schon nach der Hälfte nach einer Tankstelle Ausschau halten muss. Wir erinnern uns, dass die von uns angesteuerte Tankstelle von Türkischstämmigen (wir sind ja in Thrakien) betrieben wird, es ist also schon hier „Merhaba“ und „Teșekür ederim“ angesagt.

Ein klein wenig mulmig ist mir beim Grenzübertritt. Seit unserem letzten Türkeibesuch ist einiges passiert, etwa der vermeintliche Putschversuch und seine Folgen. Könnte es sein, dass mir irgendeine regimekritische Bemerkung im Netz gefährlich werden könnte? Wohl nicht. Zwar erweist sich das Grenzprozedere auf türkischer Seite als ungewohnt zäh und langwierig, wir kommen aber ungehindert rein. Unmittelbar nach der letzten Kontrolle (hier werden immer nochmal alle Stempel etc. der vorhergehenden Stationen gecheckt) müssen wir zwingend durch eine etwa 100 Meter lange Schlammstrecke – schon vor Ende des ersten Fahrtags sieht mein Mopped aus wie sonst am Ende einer Tour.

Erstes Etappenziel soll wieder Biga unweit der Marmaraküste sein, zur Abwechslung aber nicht das MRG-Hotel mit seiner abenteuerlichen Tiefgarageneinfahrt, sondern das Big Point. Zunächst müssen wir jedoch bei Gelibolu über die Dardanellen. Schon weit vor dem Fährhafen, den wir normalerweise immer zügig erreicht haben, geht nichts mehr: aus sämtlichen Richtungen Stillstand, und das ohne ersichtlichen Grund. Alle theoretischen Möglichkeiten, sich irgendwie durchzuschlängeln oder den Drubbel zu umfahren, erweisen sich als nicht machbar. Die Bordsteinkanten sind 30 cm hoch, zudem blockiert alle 20 Meter eine Laterne oder Poller den Bürgersteig. Nach zeitweisem Stop-and-go geht es schließlich gar nicht mehr weiter. Als Ursache erweist sich die Vollsperrung der Gegenfahrbahn, die aber nicht durch entsprechende Maßnahmen kompensiert wird. Ach ja: Das Thermometer zeigt 32°C im Schatten. Für den Moment sind unsere prinzipiell-konzeptionellen Vorteile als Motorradfahrer nichts wert, eher im Gegenteil, denn die „Dosenfahrer“ können ihre Klimaanlage genießen. Rettung naht in Gestalt zweier jugendlicher Rollerfahrer, die sich zu uns durchgewurschtelt haben. „Feribot?“ – „Evet, evet – ama büyük problem var!“ – „Hayır, problem yok!“ („Zur Fähre?“ – „Ja, aber da gibt’s ein Problem!“ – „Nöö, kein Problem!“) Souverän weisen die beiden Jungs die Fahrer der vor uns stehenden Fahrzeuge an, zu rangieren und etwas Platz zu machen, gerade genug, um ein paar Meter voranzukommen, wo sich dann auf dem Mittelstreifen eine Lücke auftut, gerade breit genug, um auf die gesperrte Gegenfahrbahn zu wechseln. Um die eigentliche Baustelle zu umfahren, bedarf es dann noch einiger Schlenker. Kurz vor dem Ziel macht der Elektroroller eines der Jungen schlapp. Kurz entschlossen schwingt er sich auf meinen Sozius, wobei er natürlich nicht weiß, dass das heute meine erste längere Strecke auf dem ungewohnt hoch bauenden Motorrad ist; vollflächig komme ich mit der Stiefelsohle nicht auf die Straße … Während er stolz und feixend alle seine Bekannten grüßt, schwitze ich Blut und Wasser, schmeiße das Mopped bei einer Bremsung fast um. Schließlich erreichen wir doch – äußerlich – unversehrt den Fähranleger (während die anderen bestimmt noch ein, zwei Stunden warten müssen). Ich drücke den beiden einen wahrscheinlich viel zu großen Schein in die Hand, bedanke mich und eile zum Ticketoffice. Auch hier hat mittlerweile Computertechnik Einzug gehalten, es dauert etwas, bis ich checke, dass die Dame den Hubraum unserer Motorräder eingeben muss. Um die Sache zu vereinfachen, einigen wir uns auf „büyük“ – groß. (Wieder einmal wird mir klar, dass keine Kenntnisse der Landessprachen manchmal besser ist als ein bisschen. Fängt man mit seinen paar Brocken an, meint das Gegenüber gleich, man kenne die Sprache – und entgegnet einem dann entsprechend.)

Auch ohne Navi ahne ich, wo das Hotel liegen könnte, als ich es dann wahrnehme, sind wir auch schon vorbei. Kurz gewendet, geparkt, abgerödelt – das war’s. Der Ramadan-Termin wandert von Jahr zu Jahr etwas nach vorne, wir haben diese Fastenzeit schon im Oktober erlebt, jetzt eben im Mai. In Touristengegenden bekommt man davon wenig mit, hier, wo kaum jemand Urlaub macht, ist das anders. In der Praxis heißt das, dass tagsüber kaum ein Restaurant geöffnet hat. Ausgedörrt wie ich bin, lechzt mein Inneres nach einem Bier, zumindest auf den Abend. Der Rezeptionist verweist uns an einen Laden Richtung Innenstadt, den wir jedoch nicht finden. Wir laufen ein wenig am Fluss entlang, amüsieren uns über die überwältigend kitschige Illumination der Straßenbäume. Schließlich finden wir auch einen Tekel-Shop (also ein Laden mit Lizenz zum Alkoholverkauf), dann gilt es, sich schnell einen Platz im Restaurant zu sichern, denn hier wird es niemanden geben, der den Schuss nicht gehört hat. Schuss? Ja, denn jeder Fastentag im Ramadan-Monat wird mit einem mordsmäßigen Böller aus einer improvisierten Kanone beendet. Und dann füllen sich die Restaurants schlagartig. Das hoteleigene Restaurant ist eher mäßig, etwas neidisch erinnern wir uns an den „Hähnchentempel“, den wir auf unserem Spaziergang gesehen haben. Das dort angezeigte „Ramazan Menü“ sah verlockender aus. Aber egal. Wir sind wieder „on the road“, haben den ersten Tag geschafft, sind halbwegs gesättigt – und das „Efes“ auf dem Balkon mundet auch gut. Zeit für eine erholsame Nacht.

Zuerst war ich mir nicht ganz sicher: „Rendel?! Hast du das auch gehört?“ Kerzengerade sitze ich im Bett. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Irgendein Hirni läuft mitten in der Nacht durch die Straßen, drischt dabei auf eine fette Trommel ein und ruft dazu irgendwas. Und das nicht nur einmal. Wohl eine Stunde lang schwillt der Krach an, wenn sich der Trommler wieder dem Hotel nähert, wird dann wieder leiser (bei uns steigt die Hoffnung, noch etwas Schlaf zu kriegen), um dann wieder zuzunehmen. Später lese ich, dass die Tradition des „Ramadan-Trommlers“ in der Türkei gerade eine Renaissance erfährt. Der Trommler/Rufer weckt die Leute etwa zwei Stunden vor Sonnenaufgang(!), um die frommen Muslime an das Morgenmahl zu erinnern, bevor dann wieder ein langer Fastentag ansteht. Dass für uns wieder ein langer Fahrtag ansteht, scheint niemanden zu interessieren … (Dieses nächtliche Konzert werden wir in den kommenden Tagen noch einige Male genießen.)

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Kurz vor Ankara – Polatlı

Etwas gerädert frühstücken wir und suchen uns den Weg aus der Stadt Richtung Polatlı. Zum Glück finden wir diesmal die richtige Autobahnabfahrt, um die Großstadt Bursa zu umfahren. Dies ist nochmal eine „Überführungsetappe“, eher unspektakulär, zudem schon etliche Male gefahren. Als rechter Hand das Mehmetçik-Monument, das an die Schlacht von Sakarya im Griechisch-türkischen Krieg (1919–1922) erinnert, in den Blick kommt, wissen wir, dass wir für heute fast am Ziel sind. („Mehmetçik“ ist die Verkleinerungsform des Namens „Mehmet“ und steht als Synonym für den türkischen Soldat schlechthin – etwa wie „GI“ für den amerikanischen.) Unweit von hier haben wir vor einigen Jahren einen Abstecher nach Gordion gemacht, dorthin, wo Alexander den berühmten Knoten durchschlagen hat – der Umweg lohnte jedoch nicht.

Um ein wenig Abwechslung zu haben, wollen wir diesmal nicht in das „Ausbildungshotel für angehende Baumängelsachverständige“ (siehe den 2009er-Bericht), sondern in ein anderes. Polatlı am späten Nachmittag, das war für uns schon immer ein Alptraum, insbesondere die Hotelsuche. Viele Einbahnstraßen, Gassen – und dann die breiten Boulevards, die, bedingt durch den Grünstreifen, einen kilometerweit nicht die Richtung ändern lassen. Schließlich finden wir das Hotel, jedoch keine sinnvolle Möglichkeit, die Moppeds auch nur kurz zum Fragen und Abrödeln zu parken. Nassgeschwitzt und schon etwas genervt vereinbaren wir kurzerhand, doch wieder besagtes Hotel, das Duatepe, zu beziehen. Auch hier ist das Parken immer etwas prekär: hohe Bordsteinkanten, schmale Bürgersteige, ich muss mich diesbezüglich eh immer um beide Motorräder kümmern, also irgendwo auf den Bürgersteig, ein ganzes Stück darauf gefahren, dabei Kollateralschäden (sprich: umgefahrene Fußgänger) vermeiden, dann möglichst platzsparend parken. Geschafft. Nach dem Duschen möchte die mittlerweile angetretene Nachtschicht des Hotels die Moppeds doch besser im Auge behalten können, also nochmal umrangiert. Aber das gehört dazu.

Der gewohnte Blick vom Balkon auf das Treiben in den Gassen erinnert im Nachhinein etwas an unsere derzeitige Corona-Situation: eigentlich alles wie immer, aber viel ruhiger; die paar alten Männer vor dem Teehaus unter uns wirken etwas apathisch, keiner raucht. Tja, eben Ramadan. Und das ist dann auch wieder unser Stichwort: Wir sollten zeitig genug vor dem Böllerschuss los, um uns einen Platz zu sichern. Wir sind hier immer satt geworden, eine kulinarische Offenbarung war Polatlı bislang jedoch nicht, Grund genug, mal genauer um eine Restaurantempfehlung nachzufragen. Und, ja, der Rezeptionist hat da was für uns, nur einige Straßenecken entfernt. Einmal kurz verlaufen – da ist es, ein Restaurant namens Çorba, was „Suppe“ bedeutet; hoffentlich gibt’s auch was anderes. Pavillonartig angelegt, mit der Möglichkeit, auch draußen zu sitzen. Wir verziehen uns mit Blick auf das aufkommende Gewitter doch nach drinnen, wo zig gedeckte Tische auf den Ansturm der Fastenbrecher warten. Trotzdem lässt es sich der Inhaber nicht nehmen, sich eben wie ein echter Patron um uns zu kümmern. In einem Nebengebäude ist die Küche untergebracht, wo wir zunächst in die Töpfe schauen und alles, was uns interessiert, probieren dürfen. In der Zwischenzeit haben die in aufwändige Trachten gekleideten Bediensteten schon mal aufgefahren – Vorspeisen ohne Ende. Und immer noch mehr. Zwischenzeitlich hat es wieder ordentlich gerumst, das Fasten ist für diesen Tag vorbei, der Laden füllt sich und binnen Minuten ist kein Tisch mehr frei. Dann der Hauptgang und – ohne geht im Orient nicht – die Nachspeisen. Boaah, allein dieses Essen hat alle Anstrengung des Tages gelohnt. Wir zahlen (weniger als 10 Euro pro Person) und wanken nach Hause (nein, es gab keinen Alkohol, aber man hätte uns zum Hotel rollen können). Witzigerweise stellen wir auf dem Heimweg fest, dass das Çorba gar nicht das empfohlene Lokal war. Aber wer wollte sich da beschweren. Der Abend klingt bei einem Bier aus dem „Tekel“ auf dem Balkon aus – nicht, ohne dass ich die Parkposition unserer Motorräder noch ein wenig korrigieren muss …

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Extrem trockene Gegend hier …

Zwar waren wir schon in fast allen Gegenden der Türkei, doch fehlen natürlich noch manche Details. Dazu zählt auch der Berg Erciyes, türkisch Erciyes Dağı, ein fast 4.000 Meter hoher ruhender Vulkan, dem der Großteil des „Rohmaterials“ für die kappadokische Zauberwelt zu verdanken ist und der als Hausberg der 25 Kilometer nördlich gelegenen Großstadt Kayseri (eines der antiken „Caesareas“) gilt. Oft haben wir ihn aus der Entfernung fotografiert, heute soll es bis knapp unter den Gipfel gehen.

(Hier ein kleines „Special“ für meinen alten Freund Klaus, der sich immer über den „auf liebenswerte Art leicht klugscheißerischen Erklär-Detlev“ amüsiert: Das Dağı heißt „Berg“ und spricht sich „da-e“, wobei das „e“ nur leicht angedeutet wird, etwa wie im deutschen „Rose“. Ein Bekannter sprach immer von „Daggi“ – und wunderte sich, dass keiner wusste, was er meinte …)

Es steht also, nach zwei Tagen Routine, etwas Neuland an. Wir finden schnell aus Polatlı raus und halten auf landschaftlich schöner, fast menschenleerer Strecke über Haymana auf Şereflikoçhisar zu, lange Zeit am Ostufer des Salzsees Tuz Gölü. Hier lass ich mir dummerweise eines von mindestens zwei Fotos entgegen, die ich bis heute bereue, nicht gemacht zu haben – eine Schafherde am Ufer mit dem in der Hitze flirrenden und in Weiß und Orangetönen schimmernden See im Hintergrund. Ab Aksaray sind wir dann wieder in Kappadokien, aber statt wie üblich auf Mustafapaşa zuzuhalten, fahren wir ein Stück südlich, über (sic!) die unterirdische Stadt Derinkuyu in Richtung Develi. Unser Ziel ist das Ramada Resort in der Ortschaft Erciyes, auf der einen Seite flankiert vom mächtigen, immer schneebedeckten Erciyes-Gipfel, auf der anderen Seite vom Tekir-See. Eigentlich ist die Kulisse traumhaft, trotzdem liegt ein Hauch von Tristesse über der Gegend – eben ein Wintersportort außerhalb der Saison. Der kleine Ort wird von einer breiten, vierspurigen Straße zweigeteilt, wieder so ein Fall, wo es lange braucht, bis man die Richtung wechseln kann. Das praktizieren wir dann auch einige Male, bis wir unser Hotel gefunden haben. Hier ist alles recht gediegen und komfortabel, die Jahreszeit, zusammen mit Ramadan, lassen aber auch hier alles etwas melancholisch rüberkommen.

Wir beziehen unser Zimmer und machen uns auf, den Ort zu erkunden. Aber der hat eigentlich praktisch nichts zu bieten: einige Hotels, ein kleiner Ortskern mit einer Ansammlung von Läden und ein großes Karree, in dem Ski-Verleihe und alles, was der Wintersportler zum Glück braucht, versammelt ist. Nur derzeit eben gähnende Leere im „Kayak Center“ („Kayak“ heißt „Ski“ auf Türkisch. – Die spinnen, die Türken …) Auch im Winter scheint das typische Aprés Ski hier anders auszufallen als etwa in den Alpen, denn, so versichert man uns, der Ort sei komplett alkoholfrei. Wir sind mittlerweile durchgefroren, kein Wunder auf fast 2.500 Meter Höhe, es ist noch recht früh im Jahr und zudem weht ein eisiger Wind. (Auch, wenn der Ort sich zu dieser Zeit nicht von seiner schönsten Seite zeigt, kann man davon ausgehen, dass er für Wintersportfreunde alles bietet, was deren Herz begehrt.)

Wir fühlen uns etwas verloren in dem großen Hotelrestaurant. Zwar ist zwischenzeitlich eine wohl fünfzigköpfige Männergruppe eingetroffen, die alle zu einer Firma gehören, die ziehen sich aber in einen abgetrennten Raum zum Abendessen zurück. Zumindest schmeckt es sehr gut, heute gibt’s mal wieder Saç Tava, ein in einer flachen Gusspfanne zubereitetes und serviertes Fleischgericht mit viel Gemüse, pikant gewürzt. Und den Erciyes haben wir jetzt auch mal von ganz nahe gesehen!

Aber selbst im alkoholfreien Erciyes gibt es einen Wermutstropfen! Der wird uns kredenzt, als wir bei telefonischer Anfrage erfahren, dass unser schönes Hotel in Tunceli – wochenend- und ramadanbedingt – ausgebucht ist. Nun reisen wir zwar nicht, um Hotels zu genießen, aber mit dem Grand Şaroğlu und seinem wunderschönen Gartenrestaurant verbinden uns viele nette Erinnerungen. Nach dem Wochenende wäre wieder etwas frei, aber das würde unsere Planungen – unser eigentliches Ziel ist ja der Kaukasus – zu sehr durcheinanderbringen. Statt also kurz nach Nordosten abzubiegen, wollen wir stracks Richtung Osten auf die Gegend um Malatya und Elaziğ zuhalten.

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Erciyes–Elazığ

Die heutige Strecke wird mit 500 Kilometern zwar noch zu schaffen sein, diese Entfernung ist aber schon nahe an dem, was wir uns gerne zumuten, zumal es fast die ganze Zeit über eher kleine Straßen geht. Um nicht am Spätnachmittag – es wird jetzt schon wieder sehr heiß – noch lange ein Hotel suchen zu müssen, buchen wir die Unterkunft vor, ein recht lauschig wirkendes Haus im Schatten der uralten Burg von Harput.

Im Gegensatz zum Vorabend tut die morgendliche Kühle gut, der Himmel ist stahlblau und klar – das wird ein schöner Tag! Beim Frühstück nehme ich nochmal kurz mein Wörterbuch zur Hand, um mir die türkischen Begriffe für „Kettenspannung“ und „Drehmomentschlüssel“ einzuprägen. Ich habe nämlich den Eindruck, dass unsere Ketten etwas zu stramm gespannt sind, was z. B. bei heftigen Schlaglöchern und Bodenwellen im schlimmsten Fall zum Kettenriss führen kann, zudem wird das Getriebeausgangslager über Gebühr auf Zug belastet. In der Eile der Reisevorbereitung habe ich keinen passenden Schraubenschlüssel für meine Hinterachsmutter eingepackt, weswegen ich irgendwo in einer Werkstatt Abhilfe schaffen möchte.

Die Straße, die Erciyes durchquert, zielt nordwärts geradewegs auf die City von Kayseri, eine Stadt mit mittlerweile fast 1,5 Millionen Einwohnern. (Als meine Eltern 1969 mit ihrem VW-Käfer in Kayseri waren, gab es dort nur eine Handvoll KFZ in Privathand.) Rush hour in einer Millionenstand, das brauchen wir heute Morgen nicht, auf der Karte biegt kurz vorher ein Sträßchen nach rechts ab, das uns dann auf die D300 in Richtung Malatya bringen soll, nur: Das Navi kennt das Sträßchen nicht, beharrt auf dem Weg über Kayseri. Wir wenden einige Male und nehmen schließlich die Straße, die uns am logischsten erscheint. Und das passt tatsächlich. Kurz drauf nehme ich im Augenwinkel ein Schild mit der Aufschrift „Lastici“ wahr, Hinweis auf die in der Türkei verbreiteten Reifenreparaturbetriebe. Schnell kann ich dem Inhaber mein Anliegen begreiflich machen, er drückt mir das passende Werkzeug in die Hand. Ich bin fast fertig, als noch ein anderer junger Mann dazukommt, der fließend Deutsch spricht. Und der könnte auch mit einem Drehmomentschlüssel dienen, müsste dazu aber kurz in seinen eigenen Betrieb fahren. Gesagt, getan – so kann ich die Hinterachsmuttern auch gleich mit der vorgeschriebenen Kraft anziehen, was zwar nicht zwingend nötig ist, aber das gute Gefühl vermittelt, dass alles okay ist. Wir quatschen noch ein bisschen, bedanken uns (mehr wird als Gegenleistung nicht akzeptiert) – und dann geht’s „richtig“ los für heute.

Routine kann etwas Schönes sein, gibt Sicherheit. Eine unserer Routinen, besser „Angewohnheiten“ auf Reisen ist, dass wir das Abendessen immer als abschließenden Höhepunkt eines Fahrtags betrachten: frisch geduscht und meist ziemlich „kaputt“ hinsinken, das Essen und zumeist auch einen schönen Wein genießen – und gemeinsam den Tag Revue passieren lassen. Entsprechend halten wir uns den Tag über mit kleinen Snacks über Wasser, um abends hungrig genug zu sein. Als heute, nach gut der Hälfte der Fahrstrecke, der Vorwegweiser auf „Darende“ weist, schwant mir, dass es Zeit ist, diese Routine zu durchbrechen. Vor Jahren haben wir in Darende im Lehrerwohnheim übernachtet und uns abends zu den Günpinar-Wasserfällen bringen lassen. Ich brauche Rendel nicht lange zu diesem kleinen Umweg überreden, zu präsent ist uns beiden noch, dass wir dort die beste Forelle unseres Lebens gegessen haben. Zudem ist das Setting einmalig: Die Terrasse des kleinen, von der Gemeinde betriebene Lokals liegt unmittelbar an einem zwar nicht sehr hohen, aber doch schön gegliederten Wasserfall, so nah, dass meist eine leichte, an so einem heißen Tag angenehme Gischt zu den Tischen herüberweht. Ramadan-bedingt ist das Lokal ganz leer, erst später gesellt sich ein weiterer Tourist mit seinem Führer dazu. Ein älterer Herr ist für Küche und Service zuständig, nach fünf Minuten steht knackig-frischer Salat auf dem Tisch, kurz drauf auch die Forellen – wie vor einigen Jahren mit einer leichten Tomatenmarinade. Das Leben kann so schön sein. Wir genießen noch ein wenig die Kühle, bevor es dann wieder in die echte Welt und ihre Hitze zurückgeht.

Die Gegend hier ist sehr einsam, wir fahren wohl 100 Kilometer durch die Berge ohne Haus, Dorf oder Tankstelle. Langsam tut der Hintern weh, Rendel meldet sicher immer häufiger mit der Bitte um Pause. Wir passieren Malatya, Zentrum des türkischen Aprikosenanbaus, müssen aber noch ein Stück bis zu unserem Tagesziel Elaziğ. Am Abzweig zum Hazar-See erinnern wir uns an unseren dortigen Aufenthalt (und später zu Hause daran, dass dort im Januar 2020 das Epizentrum eines schweren Erdbebens lag). Mangels eindeutig identifizierbarem Quellfluss gilt der Hazar-See als Quellsee des Tigris. Wir haben auch unsere „Identifizierungsprobleme“, denn für unser vorgebuchtes Hotel gibt es zwar einen Straßennamen, aber keine Hausnummer – und die Straße ist etliche Kilometer lang. Auch manchmal von Booking zur Verfügung gestellte Koordinaten gibt es nicht. Wir fahren hin und her, zwei Mal den Berg zur Harput-Festung rauf, Rendel ist am Ende ihrer Kräfte und den Tränen nahe. Ein Taxifahrer meint, dass es doch oben an der Festung läge, also nochmal hoch. Das Gebäude, das ausweislich des Schildes davor unser Hotel sein soll, ist verwaist und verrammelt. Auch das Telefonat des Obers eines Cafés führt nicht weiter – uns reichts. Da wir ja mit der Ramada-Kette schon gute Erfahrungen gemacht haben, lasse ich mir das entsprechende Haus hier in Elaziğ vom Navi anzeigen. Nochmal alle Kräfte zusammennehmen. Und die braucht es auch: Im Feierabendverkehr müssen wir uns Stop-and-go nochmal durch die Stadt quälen, die mit fast 600.000 Einwohnern auch kein Dorf ist. Ich kann Rendel überzeugen, dass ich trotzdem unbedingt noch an einer Weinhandlung halten muss, schließlich ist Elaziğ das Zentrum des Weinbaus in der Türkei (für Kenner: Stichwort „Buzbağ“ und „Oküzgözü“ …)

Das Ramada liegt in einem Randbezirk von Elaziğ und zählt zu den besseren Häusern. Dazu gehört natürlich auch ein bewachter Parkplatz. Zudem verfügt es, wohl wegen der fromm-muslimischen Gäste, über einen zwar dazugehörigen, aber räumlich getrennten Laden, der alles bietet, was das Weinkennerherz begehrt. Unser Zwischenstopp war also überflüssig. Trotz der leckeren Zwischenmahlzeit am Wasserfall freuen wir uns aufs Abendessen, das nicht enttäuscht. Etwas irritiert sind wir, als sich der Inhaber des eigentlich gebuchten Hotels meldet. Er ist ärgerlich, weil wir nicht gekommen sind. Wir versuchen, die Umstände zu erklären, unsicher, ob es uns gelungen ist. Wenn es je die besagte Flohbude, wo wir es versucht haben, gewesen ist, sind wir froh, im Ramada gelandet zu sein, zumal die Nacht im Doppelzimmer mit Frühstück hier nur etwa € 30 kostet, im anderen Hotel hätte wir € 45 berappen sollen. Einziger Vorteil wäre gewesen, dass wir von dort ohne Mühe die Festung von Harput, deren Erbauer die Urartäer waren, hätten besichtigen können. Aber morgen soll es nach Van gehen, also ins alte Tuşpa, der Hauptstadt des urartäischen Reichs – mit einer noch spektakuläreren Festung!

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Keine Tote Hose am WannVan-See

   
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Da bislang Fahrtag auf Fahrtag folgte und der geplante Day-off in Tunceli entfallen ist, wird es Zeit für ein bisschen Runterkommen und Erholung. Zwar befinden wir uns immer noch auf der Anreise zu unserem eigentlichen Ziel, wir haben aber das Gefühl, schon jetzt mehr erlebt zu haben als der typische Urlauber in drei Wochen.

Es liegt zwar immer ein bisschen an der aktuellen innenpolitischen Situation in der Türkei, doch muss man tendenziell mit mehr Straßenkontrollen rechnen, je weiter man nach Osten kommt. Heute werden wir einige Male angehalten, einmal werden wir gefragt: „Haben Sie irgendeinen Wunsch?“ Hätten wir geantwortet: „Ja, gerne, für mich bitte einen Tee und ein nicht zu kleines Stückchen Baklava!“ – ganz gewiss wären wir zehn Minuten später mit dem Postenkommandanten in seiner Amtsstube gesessen (wäre nicht das erste Mal gewesen). Als wir an diesem Tag wieder mal herausgewunken werden, murmelte der Beamte erst etwas von „Ticket“, nach einer freundlichen Smalltalk-Runde dürfen wir jedoch unbehelligt weiterfahren. (Die netten Erlebnisse mit den Vertretern der türkischen Obrigkeit könnten mittlerweile ein kleines Büchlein füllen.)

Die Strecke von Elaziğ nach Van sind wir noch nie gefahren, in einem Jahr war es uns verwehrt, weil die Gegend wegen irgendwelcher „Unruhen“ gesperrt war. Heute können wir unbehelligt über Bingöl und Muş auf Tatvan am äußersten Südwestzipfel des Van-Sees zuhalten. Die Strecke ist nicht sonderlich spektakulär, wenngleich doch etwas „spannend“, denn viele der Anschläge, über die man auch in unserer Presse lesen konnte, geschahen hier. Kurz überlege ich, zu den „Schwimmenden Inseln“ bei Hazarşah abzubiegen, der Umweg scheint dann aber doch zu weit. Routiniert lotse ich uns durch Tatvan, vorbei an den – laut Rendel – besten Lahmacun-Buden der Türkei. Etwas besorgt schauen wir zum Himmel – da braut sich ein heftiges Gewitter zusammen. Wir diskutieren kurz, ob schon die Regenkombis angesagt sind, versuchen es dann zunächst ohne. Motorradfahren bei Gewitter, zumal im Gebirge – das nötigt mir immer Respekt ab, wir haben aber Glück, denn Blitz und Donner scheinen sich immer ein Stück vor uns abzuspielen. Tja, und hier ist leider auch der Moment, wo ich das zweite spektakuläre Foto ungemacht lasse: Ein Stück hinter Tatvan windet sich die D300 direkt am Seeufer die Berge hoch. Die Straßen sind seit unserem letzten Besuch hier wesentlich besser, somit kann ich auch während der Fahrt ein bisschen gefahrlos die Landschaft genießen. Durch das Gewitter liegt der See in einem eigenartigen, unwirklichen Licht. Am gegenüberliegenden Ufer glänzt der schneebedeckte Kratergipfel des Süphan Dağı. An sich schon schön, aber durch die Lichtverhältnisse scheint der Berg über der Wasseroberfläche zu schweben! Eine unwirkliche Erscheinung, die ich, weil ich immer noch Schiss vor dem Gewitter habe, leider unverewigt lasse und schnell weiterfahre. Auf jeden Fall kommen wir fast trocken an.

Heute also als „final destination“ die Großstadt Van. Wir sind schon öfter durchgefahren, einmal mit einem Zwangsstopp, nachdem ein Autofahrer Rendel vom Mopped geholt hat (Rippenprellung), übernachtet haben wir hier noch nie. Bei der Einfahrt in die Stadt achte ich auf Spuren des verheerenden Erdbebens vom Oktober 2011, aber die offensichtlichsten Schäden sind wohl beseitigt. Wir haben für das DoubleTree by Hilton vorgebucht (übrigens immer nur einen Tag im Voraus; alles andere ist nicht kalkulierbar und auch von uns aus Gründen der Flexibilität nicht gewollt). Diesmal sollte es mit der Hotelsuche einfacher werden, denn ich hatte mir die bereitgestellten Koordinaten auf das Navi übertragen. So, links ab Richtung See, so zeigte es auch Google Maps, jetzt müsste es gleich … Aber in dieser Gegend kann doch kein Hotel … Also nochmal das Navi konsultiert, ausdrücklich den Hotelnamen eingegeben – knapp daneben ist auch vorbei … Dabei sind wir schon dran vorbeigefahren! Recht nobler Kasten, ohne zuu Etepetete zu wirken. Dabei äußerst erschwinglich, heute gibt’s sogar einen Sonderpreis. Rendel richtet das Zimmer ein, ich schau mal nach den Moppeds, da treffen zwei weitere Motorradfahrer ein, der eine auf exakt demselben Modell wie meines. Wir verabreden uns zum Abendessen.

Küche und Keller bieten alles, was man sich wünscht. Wir bedienen uns heute am Buffet, das eine gigantische Auswahl bietet. Interessant ist, dass das Thema Alkoholverbot – trotz Ramadan – hier kein Thema ist. Wir sitzen noch lange mit Peter, einem „Belgier aus Österreich“, Atomphysiker i. R., und seinem Freund Daniel, Autohausbesitzer aus Bukarest, zusammen. Sie sind beide weitgereist, heute wurden sie an der iranischen Grenze abgewiesen. (Seit einiger Zeit gibt es ein Problem mit großen Motorrädern; das Verbot der Einreise richtet sich wohl eigentlich gegen Harley-Davidson, also die USA, aber auch andere Fabrikate fallen anscheinend – mitgefangen, mitgehangen – unter die unklar formulierten Vorschriften. Besonders leid tut uns das französische Ehepaar, das davon nichts wusste und heute ebenfalls unverrichteter Dinge umkehren musste.)

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Armenisches Kleinod im See – Ahtamar

   
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Wir waren zwar schon einmal dort, aber die kleine Klosterinsel Ahtamar kann man sich auch mehrmals „antun“. Wir starten nach dem Frühstück und fahren die gut 35 Kilometer am Seeufer zurück zum Fähranleger. Es ist schon sehr heiß, wir sind froh, bis zum Ablegen im Schatten sein zu können. An einem Kiosk mache ich eine etwas gruselige Entdeckung: In einem Regal vor dem Büdchen stehen – in der prallen Sonne – große Schraubdeckeldosen, in denen gesalzene Fische liegen. Allem Anschein nach eine Delikatesse. Beim Übersetzen kommen wir mit einer Frau Mitte 40 ins Gespräch, Französin mit Wohnsitz in Spanien. Sie hat selbst vier Motorräder, darunter echte Hard-Enduros – Respekt.

Unser erster Besuch hier war an einem Spätnachmittag, die Zeit war etwas knapp. Diesmal wollte ich mir mehr Zeit nehmen, die Insel, die früher eine Pfalz der armenischen Könige war, und die Heilig-Kreuz-Kirche, zeitweise Sitz des armenischen Katholikos (vergleichbar einem kirchlichen Patriarchen), zu besichtigen. Zunächst sind wir ziemlich für uns, dann trifft ein weiteres Boot mit einer Reisegruppe ein. Leider ist das Innere der Kirche verschlossen, aber immerhin reicht es diesmal zu etlichen sehenswerten Fotos, etwa des Reliefs der Jona-und-der-Wal-Geschichte und von David und Goliath. „Sehenswert“ ist auch die Frau von dem Ehepaar, das mit uns eines der Reliefs betrachtet – eine Dame von außergewöhnlicher Schönheit. Wir kommen ins Gespräch und sie erzählt uns, dass sie ursprünglich aus Afghanistan stammt. Kleidung und Benehmen legen nahe, dass sie sicher froh ist, nicht mehr unter den dortigen Bedingungen leben zu müssen.

Das ganze Gebäude-Ensemble ist noch heute überwältigend schön, ich versuche mir vorzustellen, wie das seinerzeit, als das alles noch farbig, regelrecht bunt bemalt war, ausgesehen haben mag. Ich hänge meinen Gedanken in dem kleinen Teegarten nach, während Rendel den gegenüberliegenden Hügel erklimmt, von wo aus man einen schönen Rundblick über die Insel hat. Dann geht es zurück ans Festland und weiter ins Hotel.

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Van Kalesi

Da ich nicht davon ausgehe, noch ein weiteres Mal in diese Gegend zu kommen, muss ich jetzt endlich noch die Hauptattraktion der Stadt erkunden, die Festung von Van. Es ist zwar Nachmittag, aber noch früh genug, also lassen wir uns ein Taxi kommen, damit wir, unbeschwert von den Motorradklamotten, die Anlage besichtigen können. Die riesige Zitadelle – größte Ausdehnung etwa ein Kilometer – wurde in ihrer ursprünglichen Form zwischen dem 9. und 7. Jahrhundert v. Chr. von der Lokalmacht der Urartäer errichtet; das heutige Van, früher Tuşpa, war die Hauptstadt des Urartäerreichs. Ich hatte schon viel über die Festung gelesen, jetzt ragt sie vor uns auf. Besonders der ältere, untere Teil ist imposant: Er wurde ohne Mörtel aus Basalt errichtet und wirkt entsprechend wie ein gewaltiger Monolith. Die anderen Abschnitte bestehen aus einer Ziegelkonstruktion. Der Aufstieg ist in der Nachmittagssonne anstrengend, aber ich bin ziemlich euphorisiert. Um diese Zeit sind die meisten Besucher schon weg, wir unterhalten uns nur mit einem jungen Ehepaar aus Istanbul. Hier könnte ich länger bleiben. Leider finde ich die berühmte, in vier Sprachen verfasste Inschrift des Achämenidenkönigs Xerxes I. nicht, aber vielleicht komme ich ja doch nochmal hierher …? (Besagter Xerxes I. ist übrigens vermutlich mit dem im biblischen Buch Esther erwähnten König Ahasverus, der die Esther zur Frau nahm, identisch.)

Wir treffen auf eine Gruppe von Jugendlichen, die uns wie üblich nach dem Woher und Wohin ausfragen. Wir sind da eher auskunftsfreudig, doch fangen die Jungs an zu nerven und etwas aufdringlich zu werden. Mein türkischer Spruch, mit dem ich schon häufig schallendes Gelächter ausgelöst und so auch schon die eine oder andere etwas prekäre Situation entspannt habe, verfehlt auch hier ihre Wirkung nicht: „Anladımsa arap olayım!“ – „Ich möchte schwarz (wörtl. „wie ein Araber“) werden, wenn ich dich jetzt verstanden habe.“ Trotzdem sind wir froh, wieder am Eingang angelangt zu sein, wo die Jungs vom Wärter einen Anschiss bekommen; uns fragt er, ob wir irgendwie belästigt worden sind, was wir dann aber doch verneinen.

Uns fällt ein etwas hilflos wirkender junger Mann mit asiatischen Gesichtszügen auf. Er muss zurück in die Stadt, hat aber den Bus verpasst. Wir bieten ihm an, ihn auf der Rückfahrt dort abzusetzen. Da er zu einem bestimmten Punkt in der Innenstadt muss und zudem gerade Rush hour ist, dauert die Fahrt ziemlich lang. Schließlich lassen wir den Chinesen raus und sind bald drauf am Hotel. Ich möchte den Fahrpreis gerne etwas aufrunden, der Fahrer besteht jedoch darauf, uns weniger abzunehmen, als der Taxameter anzeigt – da wir doch unverschuldet so lange fahren mussten …

Der Ausklang des Tages gleicht dem Vorabend, zu uns gesellt sich noch das französische Paar, das gestern an der iranischen Grenze kehrtmachen musste. Sie tragen es aber mit bewundernswerter Contenance.

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Bei Bob Dylan seine Omma (Van–Kars)

   
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Heute steht die letzte Etappe an, bevor wir ins eigentliche Zielgebiet einreisen. Gleichzeitig gehört sie zu den landschaftlich attraktivsten Strecken in dieser Gegend, wenn nicht in der ganzen Türkei. Wir sind erholt und die vor uns liegenden 400 Kilometer sollten gut zu schaffen sein. Als wir starten, ist es schon recht warm, wir lassen linker Hand das Dörfchen Çolpan an uns vorbeiziehen; hier haben wir schon dreimal einige schöne Tage direkt am Seeufer und in unwirklicher Stille verbringen können. Wir sollten mal wieder tanken. Als wir eine Tankstelle ansteuern, erinnere ich mich an eine etwas unschöne Begegnung angesichts eines Tankstopps unweit von hier vor einigen Jahren. Zwar konnte ich das seinerzeit mit Freundlichkeit und Humor lösen, jedoch ist nicht zu übersehen, dass zwischen Van-See und iranischer bzw. armenischer Grenze ein ganz eigener Menschenschlag zu Hause ist – eher verschlossen, etwas misstrauisch und abwartend. Sicher prägt die raue Gegend die Menschen, außerdem ist das hier mit der ärmste und kargste Landstrich der Türkei. Die winzigen Gehöfte, die auf den Feldern vor dem Ararat verstreut liegen, wirken düster und abweisend, wie kleine Festungen. So ist mir auch ein bisschen mulmig, als wir die Tanke ansteuern und sich gleich eine Gruppe Jugendlicher (alles Jungs) um uns schart. Aber da wir noch nie wirklich schlechte Erfahrungen im Umgang mit Einheimischen gemacht haben, setzen wir auch hier auf Offenheit und Freundlichkeit. Und tatsächlich löst sich die latente Spannung schnell, wieder kommen uns unsere Sprachkenntnisse zu Hilfe. Mittlerweile haben sich auch ein paar Erwachsene dazugesellt, allesamt bringen sie sich für ein Foto mit uns und den Motorrädern in Stellung, unter dem Gejohle aller müssen wir auch zwei witzig aussehende Männer fotografieren.

In Sichtweite der Grenze zum Iran halten wir auf Doğubayazıt zu, das wir jedoch schnell hinter uns lassen. Zwar hätte der Işak-Paşa-Palast auch noch ein zweites Mal gelohnt, aber a) zieht sich die Strecke doch ziemlich und b) ist die Anlage durch (sicherlich notwendige) Schutzüberdachungen ein wenig entstellt, so behalten wir diesen Prachtbau lieber so in Erinnerung, wie wir ihn vor Jahren gesehen haben. Immer auf der Suche nach auch kleineren und abgelegeneren Sehenswürdigkeiten war ich auf die Beschreibung einer interessanten Kirche in der Nähe der Kleinstadt Kağızman gestoßen. Streckentechnisch würde dies nur ein paar Kilometer mehr bedeuten, also biegen wir vor Kars noch einmal ab. Schnell bereuen wir diese Entscheidung. Die Strecke zieht sich endlos (wohl nicht tatsächlich, aber „gefühlt“), zudem wird es kalt und wir fahren auf ein Regengebiet zu. Aber da wir trotz Umweg weiter in Richtung unseres Zielortes Kars sind, macht auch umdrehen keinen Sinn. Hin und wieder ist man auch als Motorradfahrer für gute Straßen dankbar, wir erinnern uns an 2008, wo die hiesigen Straßen zu den schlechtesten zählten, die wir je unter die Reifen bekommen haben.

Da ich zu besagter Kirche keine weiteren Angaben habe, müssen wir uns durchfragen. Ob der Opi vielleicht …? Ich stoppe den Motor, nehme höflicherweise den Helm ab und grüße. Opi reagiert so, als wäre ich ein alter, lange vermisster Freund: Mit breitem, makellos zahnlosen Lachen begrüßt er mich, schüttelt mir die Hand – und beweist uns so, dass hier doch nicht alle so zurückhaltend und misstrauisch sind. Ja, er meint zu wissen, was wir suchen. Rendel, die noch besser Türkisch versteht, schaltet sich ein, wir bekommen eine Ahnung, wo es langgehen könnte. Wir verabschieden uns aufwändig und scheinen beide das Gefühl zu haben, dass schon wegen dieser Begegnung der Umweg gelohnt hat. Jedoch: Weitergeholfen hat die Auskunft nicht. So halten wir noch kurz auf das Zentrum von Kağızman zu, wo wir einen Polizisten fragen wollen. Gleich sind wir von einer Menschentraube umringt, sie diskutieren, wo die gesuchte Kirche wohl sein könnte – leider auch Fehlanzeige. Nun wird es langsam Zeit. Angesichts der Kälte und des aufziehenden Regens quälen wir uns in die Regenkombis – eine echte Hassliebe … Als ich später zu Hause nochmal wegen der Kirche nachforsche, entdecke ich, dass Kağızman der Wohnort von Bob Dylans Großeltern war – ob väterlicher- oder mütterlicherseits, weiß ich nicht.

Wir queren den Fluss Aras, der bei Ani auch die Grenze zwischen der Türkei und Armenien bildet – und geben nochmal Gas. Mittlerweile regnet es Bindfäden, ein kalter, unangenehmer Regen. Wir steuern das Katerina Sarayı an, eine ehemalige Sommerfrische Katharina der Großen. Kars war, bedingt durch die geografische Lage, immer mal wieder unter russischer Herrschaft, woran noch heute manche Straßennamen u. ä. erinnern. Im 19. Jahrhundert ließ Zar Alexander III. Deutsche ansiedeln, angeblich soll es noch eine Familie von deren Nachkommen in Kars geben. Ansonsten schließe ich mich – zumindest bei dem derzeitigen regenverschleierten Blick – dem Urteil eines Reiseführers an: „Kars wirkt träge-traurig wie der hindurchfließende gleichnamige Fluss.“ Überregionale Bekanntheit erlangte Kars durch den Roman „Schnee“, türkisch „Kar“, von Nobelpreisträger Orhan Pamuk, dessen Handlung in Kars spielt.

Wäre der Fahrtag nicht so lang und das Wetter besser gewesen, hätten wir noch einen Ausflug nach Ani ins Auge gefasst. Die alte armenische Hauptstadt mitten auf der türkisch-armenischen Grenze ist ein Juwel, das wir gerne nochmals funkeln gesehen hätten, zumal das Fotografierlicht seinerzeit nicht optimal war. Aber uns ist klar, dass man eben nicht alles haben kann, zumal unser eigentliches Ziel ja noch vor uns liegt.

Zumindest ist unser Hotel recht schön gelegen – oberhalb die Festung, direkt davor der kleine Fluss. Bei schönem Wetter mag es hier sogar recht lauschig sein. Das werden wir in diesem Jahr jedoch kaum mehr erleben. Wir richten uns ein, erkundigen uns nach Restaurants und schlürfen bis zur Essenzeit einen starken, wärmenden Tee nach dem anderen. Zwischenzeitig treffen Hannes und Sabina mit ihrem Bulli ein – sie wollten bei dem Wetter mal in einem richtigen Bett schlafen. Wir machen uns bekannt, plaudern ein wenig und machen uns gemeinsam zu Fuß in den Ort auf. Das Pushkin macht einen netten Eindruck, wiewohl es hier etwas laut ist – den Abiturienten geschuldet, die hier ihren Abschluss feiern. Kars ist für seinen Gänsebraten bekannt, also ordern wir für alle, was wir fast bereuen: Zum einen kommt schon vor dem Hauptgang so vieles „aufs Haus“, dass wir fast schon satt sind, zudem ist die Gans ziemlich zäh … Übersatt und übervoll mit vielen Eindrücken des Tages sinken wir in tiefen Schlaf …

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Georgia On My Mind

… aus dem wir schon sehr zeitig wieder erwachen, denn wir sind etwas aufgeregt. Heute geht es nach Georgien! Aber zunächst nehmen wir unser Frühstück in dem gediegen-plüschig ausgestatteten Speisesaal der Zarin ein. Unsere Klamotten sind wieder trocken, mit etwas Glück können wir die Regenkombis heute unausgepackt lassen. Entsprechend früh kommen wir los, halten in der frischen Morgenluft – 10°C – auf den Çıldır-See zu, passieren die kleine Halbinsel Akcakale, dort, wo – weil es so schön ist, schreib ich es nochmal – „Gül Hanım, eine ältere Frau, die, ansonsten alleine, zusammen mit einer zahmen Krähe und einem Pelikan namens Hülya lebt. In ihrem behelfsmäßig eingerichteten Lokal serviert sie frischen Fisch und Rakı und singt dazu, wenn sie in Stimmung ist, alte Liebeslieder.“ Doch für Rakı ist es definitiv noch zu früh am Tag, dafür kreist aber ein ganzer Schwarm Pelikane – wahrscheinlich Verwandte von Hülya – über unserem Kopf. Kurz vor Çıldır können wir noch einem Kontrollposten einen Moment lang aus der Langeweile helfen, unsere Pässe brauchen wir gar nicht erst wieder zu verstauen, denn bis zum Grenzübergang Aktaş sind es nur noch wenige Minuten. Wir hatten uns ja schon einige Male über die Fortschritte beim Straßenbau in der Gegend gewundert, das hier erscheint uns jedoch arg übertrieben – die letzten Kilometer vierspurig, aber wir allein auf weiter Flur. Wir hatten zwar bewusst diesen eher unbekannteren Grenzübergang gewählt, aber dass hier so wenig los ist! Die Abfertigungsgebäude sind ganz neu und um etliches größer als etwa die von Ipsala zwischen Griechenland und der Türkei. Außer uns wartet hier niemand. Aus der Türkei raus sind wir schnell, wo es nach Georgien rein geht, erschließt sich nicht so schnell. Wir geraten an eine äußerst transusige georgische Grenzbeamtin, deren – sagen wir: robustes Auftreten uns signalisiert, dass man hier mit Meckern und Drängen wenig ausrichten kann. Zwar sind manche Beschriftungen auch in Englisch, trotzdem ist uns schnell klar, dass wir hier einen anderen Kultur- und vor allem auch Sprachraum betreten. An der Entzifferung der georgischen Würmchenschrift hatte ich mich schon im letzten Jahr vergeblich versucht, jetzt setze ich gar nicht erst neu an, wohl wissend, dass uns schon in zwei Tagen die für uns optisch ganz ähnliche und doch ganz andere armenische Schrift erwarten wird. Eine Besonderheit bei dieser Grenzkontrolle ist, dass wir detailliert zu unseren mitgeführten Medikamenten befragt werden, unsere Reiseapotheke sogar durchgesehen wird. Aber schließlich sind die bürokratischen Hürden genommen, schnell noch eine Versicherung abgeschlossen (€ 10,- je Motorrad für 30 Tage, die „Grüne Versicherungskarte“ gilt hier nicht), dann geht es weiter.

Von hier direkt weiter nach Armenien wäre gegangen, doch a) wäre es doch noch ein ganzes Stück gewesen, zumal mit einem weiteren, wie sich zeigen würde nervenzehrendem Grenzübertritt, b) ist eine der georgischen Attraktionen nicht weit von hier entfernt, die Höhlenstadt Vardzia.

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Vardzia

   
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Der Straßenzustand auf georgischer Seite ist das absolute, wirklich absolute Gegenteil zur Türkei: schmal, Schlagloch – was sag ich: Krater an Krater, dazu Regen, der die Sicht erschwert. Obendrein zeigt mein Navi seit der Grenze nur noch eine grobe Skizze der Straßen und Orte. Zwar habe ich ein zweites Navi mitlaufen, aber auf dem sind nicht die richtigen Karten installiert, auch nicht die von mir rausgesuchten Ziele – hat irgendwas mit der Unverträglichkeit der OSM-Karten zu tun. Egal, auf jeden Fall im unpassendsten Moment. Erschwerend kommt hinzu, dass die Wegweiser hier zumeist nur in besagter Würmchenschrift verfasst sind. Irgendwann, nachdem uns die Gegend irgendwie bekannt vorkommt …, haben wir doch einen sicheren Orientierungspunkt und schließlich stimmt die Richtung. Die mächtige Festung Khertvisi ist eine unübersehbare, eindeutige Landmarke, von hier sind es nur noch zwanzig Kilometer entlang der Kura, die unweit von hier in der Türkei entspringt, mitten durch Tiflis fließt (dort wird der Fluss dann Mtkwari genannt), dann durch Aserbaidschan, wo sie dann ins Kaspische Meer mündet. Hier ist die Kura noch recht schmal, dafür wild und reißend.

Wir wollen uns in Valodia’s Cottage einquartieren, einer rustikalen Herberge aus Holzhäusern, großem Garten und vielen Möglichkeiten zum Grillen, draußen sitzen u. ä. Draußen ist es jedoch immer noch ungemütlich kühl und regnerisch. Nach kurzem Check der Lage beschließen wir, zwei Tage zu bleiben – die umgerechnet € 53 pro Zimmer, in diesem Fall sogar mit Halbpension, liegen in sehr akzeptablem Rahmen. Für heute reicht es uns mal wieder, wir lassen uns noch reichlich Vorspeisen und Forelle am Spieß schmecken, dann geht’s in die Heia.

Das Wetter ist am nächsten Morgen wie ausgewechselt, die Sonne leckt die letzten Pfützen schnell auf, dann ist zumindest T-Shirt angesagt. Auf der Anfahrt haben wir zwar schon Wegweiser zu den Sehenswürdigkeiten gesehen, sind aber noch ein wenig desorientiert was genaue Richtung, Laufstrecke etc. anbelangt. Beim Frühstück hören wir mit einem Ohr, wie eine augenscheinlich georgische junge Frau einigen Gästen Erläuterungen auf Deutsch gibt. Nach dem Frühstück sprechen wir sie an und sie gibt uns gerne alle Infos, die wir brauchen. Dazu gehört die Auskunft, dass die Hauptattraktion, die Höhlenstadt, gut zu Fuß zu erreichen ist.

Wenn die Sonne dann mal wieder freie Bahn hat, wird es schnell heiß, ich bereue, dass ich nicht Rendels Rat, mir eine kurze Hose anzuziehen, gefolgt bin. Wir laufen die wenig befahrene Straße entlang und schon nach der Hälfte der Strecke kann man die ersten Höhleneingänge erahnen. Als wir das Gelände betreten, bietet sich die Chance, wieder mal Informationen zu schmarotzen. Wir kommen mit einem deutschen Ehepaar ins Gespräch, das mit einem Führer unterwegs ist. Wir dürfen uns anschließen und erklettern die Anlage zu fünft.

Vardzia (oder Wardsia) wurde im 12. Jahrhundert von einem georgischen König, Vater der späteren, legendären Königin Tamara, als Grenzfestung erbaut. Vor der teilweisen Zerstörung durch Erdbeben umfasste das Areal etwa 3.000 Wohnungen, die in sieben Etagen in den aufragenden Fels gehauen wurden, und die fast 50.000 Menschen Unterkunft und alle zu einem Gemeinwesen dazugehörigen Einrichtungen boten. Besonders sehenswert sind noch einige Kirchen, etwa die „Maria Himmelfahrt“ mit prächtigen Fresken. Zudem soll es hier viele Schlangen geben, von denen wir – wieder mal – keine zu Gesicht bekommen. Die sieben Etagen fordern die Kondition ganz schön, manche Ecken sind nur durch regelrechtes Klettern zu erreichen. Nicht verwunderlich, erinnert uns die Stadt an ähnliche Strukturen in Kappadokien, dort ist es aber ehrlich gesagt noch etwas spektakulärer. Aber gelohnt hat es allemal. Wir verabschieden uns von dem Paar, nicht, ohne noch ein paar Infos, insbesondere hinsichtlich Kappadokien, ausgetauscht zu haben. Uns fällt noch eine BMW mit Alzey-Wormser Kennzeichen auf, den Fahrer können wir jedoch nicht ausmachen.

Auf dem Rückweg schlägt Rendel noch einen Abstecher zu einem Nonnenkloster vor. Ich stimme zunächst zu, als sich das aber zu sehr hinzieht, beschließe ich, sie die Besichtigung alleine machen zu lassen, während ich schon zum Hotel zurücklatsche. Ich überlege es mir dann doch anders und warte unterdessen im Halbschatten unter einem Baum. Auch im Kloster konnte Rendel sich einer Führung durch eine Nonne anschließen. Wieder im Hotel muss sie sich erstmals wegen Migräne zurückziehen, erst zu einem Abendspaziergang ist sie wieder halbwegs fit. Ach ja: Zum Abendessen gibt es wieder Spieß, diesmal Hähnchen. (Das mit den Spießen hat hier besonders Tradition, das Schaschlik wurde hier erfunden.)

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Armenien, wir kommen! – Gjumri

   
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Unser georgisches Abenteuer soll schon heute ein vorläufiges Ende nehmen, denn wir wollen zunächst weiter nach Armenien. Leider hat sich das schöne Wetter nicht gehalten, wir starten gleich in Regenkombi. Schon kurz hinter Vardzia überholt uns ein Motorrad, die BMW von gestern, ein Fahrer mit Sozia. Wir stoppen kurz, tauschen unsere Pläne und Kontaktdaten aus. Es ist diesig, weswegen wir wohl die kleine, aber nette Attraktion am Wegesrand verpassen (wiewohl wir sie gestern schon kurz gesehen haben): eine Brücke über den Fluss, konstruiert aus einem Zugwaggon. Ziel der Tagesetappe soll Gjumri sein, was eine erfreulich kurze Fahrstrecke von etwa 120 Kilometern bedeuten wird. (Georgien und Armenien sind mit ihren 70.000 bzw. 30.000 km² Fläche recht kleine Länder; zum Vergleich: BRD knapp 360.000 km², die oftmals schlechten bis sehr schlechten Straßenverhältnisse lassen jedoch oft nur eine geringe Reisegeschwindigkeit zu.) Bei einem Tankstopp in Ninozminda vergewissern wir uns, dass wir noch auf richtigem Kurs sind, denn die schlechte Straße lässt uns zunehmend daran zweifeln.

(Kleiner Exkurs: Vor allem bei Städtenamen trifft man in Georgien nicht selten auf die Endung „-zminda“ oder „-tsminda“. Das steht für „heilig, Heilige(r)“; Ninozminda heißt also „Heilige Nino“, die Nationalheilige Georgiens. Sie steht in derart hohem Ansehen, dass die Georgische Kirche sie den Aposteln gleichgestellt und ihr den Beinamen „Erleuchterin Georgiens“ gegeben hat.)

Je mehr wir uns der Grenze nähern, desto grausamer wird die Piste. Wir sind in eine etwa 15 Kilometer lange Baustraße geraten, und das zu einem äußerst ungünstigen Fertigstellungsstadium. Der Untergrund ist purer Schlamm, glitschig wie Schmierseife. Dazu kommt der Regen, der einem die Sicht nimmt, anzuhalten ist bei der einspurigen Verkehrsführung, zumal man in einem Tross von Fahrzeugen mitschwimmen muss, nicht möglich. Es kann sich nur noch um Sekunden handeln, bis Rendel ihr Mopped hinschmeißt, und auch bei mir sieht es nicht besser, eher schlechter aus: Nicht damit rechnend, dass ich mit dem Motorrad in den Kaukasus fahren würde, hatte ich die Maschine mit eher straßentauglichen Reifen besohlen lassen, im Schlamm eine Katastrophe. Und mit den elektronischen Hilfsmitteln, die dieser Computer auf Rädern zur Verfügung stellt (Traktionskontrolle, Gravel-Modus etc.), hatte ich mich noch nicht auseinandersetzen können. Und dann werde ich auch noch gewahr, dass meine altgediente Regenhose im Schritt undicht geworden ist! Ich bin blasentechnisch ein bisschen empfindlich, hoffe, keinen Infekt zu kriegen. Im Moment herrschen hier, auf etwa 2.100 Metern Höhe, 7°C. (Wieder zu Hause erzählte mir eine armenischstämmige Nachbarin, dass sie besagte Strecke fast zur selben Zeit mit dem Auto gefahren sind; dass wir da mit Motorrädern lang sind, konnte sie kaum glauben. Mittlerweile sei die Strecke jedoch fertig und gut ausgebaut.)

Endlich zeichnet sich im Dunst die Grenzstation ab. Im Gegensatz zum türkisch-georgischen ist diese gut frequentiert, an allen Schaltern lange Schlangen. Wir versuchen, das Abfertigungsprozedere zu durchschauen, was uns schließlich gelingt. Schwieriger ist es mit den diversen Formularen, die praktisch ausschließlich auf Armenisch verfasst sind. Zwar haben wir alle Papiere zur Hand, aber es geht noch um Einfuhrdeklarationen für die Moppeds, Versicherungen u.a.m. Irgendwie wurschteln wir uns durch, letzte Station. Aber es geht nicht weiter. Immer wieder dreht und wendet der Grenzpolizist meinen Pass, zeigt ihn einem Kollegen, telefoniert, fragt, ob ich schon mal in Armenien gewesen sein. Das nervenzehrende an solchen Situationen ist ja, dass man meist nicht dahinterkommt, worum es geht – und entsprechend auch nicht reagieren kann. Letztlich – und das bestätigt sich dann auch nochmal bei der Ausreise – lag das Problem wohl darin, dass ich mit ebendiesem Pass schon mal ein Armenien-Visum beantragt, dann aber nicht genutzt hatte (seinerzeit brauchte man das noch). Ich war wohl in deren Computern, obwohl ich letztlich nie eingereist war.

So, jetzt aber: Nichts wie weg! Es schüttet noch immer. Auf einer Wiese sehen wir eine Art Picknickhütte. Wenigstens unterstellen und etwas futtern. Wir lassen die Moppeds an der Straße stehen und stapfen durchs nasse Gras. Mein Unterleib ist mittlerweile völlig nass und eiskalt. Wenigstens trockene Unterwäsche anziehen, aber das hält auch nicht lange. Rendel hat eine Idee: Mit ihrer Fleecejacke „windelt“ sie mich, dann noch eine aufgeschnittene Plastiktüte drüber – das sollte bis Gjumri warm- und trockenhalten. Wir möchten heute in der Villa Kars unterkommen (ja, wie die türkische Stadt). Den Hotelnamen akzeptiert das Navi widerspruchslos. Gjumri ist, nach der Hauptstadt Jerewan, mit gut 170.000 Einwohnern schon die zweitgrößte Stadt Armeniens; sie hieß im Laufe ihrer Geschichte u. a. schon Alexandropol und Leninakan (ach ja, wir sind ja in einer ehemaligen Sowjetrepublik). Also überschaubar, das Hotel müsste also leicht zu finden sein. Müsste, hätte, könnte … Mein optimistisches „Da muss es sein!“ erstirbt mir auf der Zunge. Zwei paar Kinderaugen blicken mich interessiert, aber auch ein wenig konsterniert-fragend aus dem Fenster des etwas heruntergekommenen Wohnhauses an (was dann, als ich dort zum dritten Mal wende, in ein etwas spöttisch wirkendes Grinsen umschlägt …) An einem Polizeirevier kann man uns wenigstens die grobe Richtung weisen, mit rauskommen möchte bei dem Sauwetter aber keiner. Zum wiederholten Mal scheinen wir fast davor zu sein, aber immer versperren uns Straßenbaustellen den Weg. Wir möchten ja auch niemanden nötigen, in dem Regen lange stehenzubleiben, um uns den Weg zu zeigen. Schließlich spreche ich doch eine junge Frau, Typ Studentin und tatsächlich mit Englischkenntnissen gesegnet, an. Aber ja, sie kennt die Villa Kars! Die letzten 200 Meter läuft sie uns auf dem Bürgersteig vorweg, dann sind wir da, direkt an der Hauptstraße gelegen …

Nach dem Abrödeln gilt es zunächst, genügend Hänge- und Ablagemöglichkeiten zum Trocknen unserer Klamotten zu finden. Zum Glück ist das Zimmer recht groß und mit einem Heizkörper ausgestattet. Auch hier reicht man uns erstmal den einen oder anderen heißen Tee, der unsere Lebensgeister neu weckt. Da wir hier nur eine Nacht bleiben wollen, steht natürlich noch heute ein Stadtrundgang an. Der Himmel ist zwar noch teils bedeckt, aber die Straßen trocknen schnell ab und es wird schwülwarm. Gjumri wurde bei dem schweren Erdbeben am 7. Dezember 1988 schwer beschädigt, etwa 25.000 Menschen kamen in der Gegend ums Leben. Trotzdem bieten die breiten Straßen dem Auge etwas, viele Häuserfassaden wurden authentisch wiederhergestellt. Das Zentrum dominiert der große Unabhängigkeitsplatz mit der Statue „Armenisches Mädchen“, die an die Opfer jenes Erdbebens erinnern soll. Im Hintergrund erhebt sich ein pompöses Gebäude mit überdimensionalem Uhrturm, das ich zunächst als Regierungs- oder Universitätsgebäude deute, in Wirklichkeit handelt es sich um eine ehemalige Textilfabrik! Imposant ist auch die zunächst im 19. Jahrhundert errichtete und nach dem Erdbeben restaurierte Erlöserkirche. Gerne würden wir noch das angeblich schönste Gebäude der Stadt, die alte Bibliothek, sehen, tun uns aber mit dem Stadtplan etwas schwer, zumal auch hier fast jede Straße aufgerissen ist und man durch den Schlamm balancieren muss. Eine Frau scheint unsere Orientierungslosigkeit zu bemerken und spricht uns an – auf Englisch. Sie kommt gerade aus dem Jugendzentrum, in dem sie arbeitet. Obwohl es ein Umweg ist, geleitet sie uns zur Bibliothek, ein Weg, der tatsächlich lohnt. Wir danken und verabschieden uns, dabei ergeht noch die Einladung, morgen zum Jugendzentrum zu kommen, von wo aus uns Volunteers gerne die Stadt zeigen würden. Aber da sind wir leider schon wieder unterwegs.

Etwas Lokalkolorit erhaschen wir noch beim Gang über den Markt – Fleischberge, frisches Obst und Gemüse und Käse in langen, faserigen Bündeln, ähnlich wie Rhabarber, allerdings in milchig-weißen bis grünlich schimmernden Tönen. Und das ist dann auch fast unser Stichwort: Wir haben Hunger! Nicht weit von unserem Hotel gruppieren sich einige Restaurants, wir entscheiden uns für das Florence, ein neu eröffneter Ess-Tempel im Art-déco-Stil. Ein Ober geleitet uns in die erste Etage, auch hier tolle Einrichtung und schönes Geschirr und zudem im Hintergrund geschmackvolle Musik.

Kennt jemand den schwulen Galerie-Angestellten „Serge“ aus „Beverly Hills Cop 1“? „Sie wolle habe Durst? Wein, Cocktail, Espresso? Ich selbst machen hinten mit ein Fitzelchen Zitron von Schale. Verruckt, sollten sie versuchen!“ Nicht ganz die Statur und auch nicht so hektisch, aber sonst … hätte unser Kellner den spielen können.

Mein Pfeffersteak könnte besser nicht sein, der Kebab schmeckt Rendel nicht ganz so gut, dafür wird sie mit dem Salat entschädigt. Nein! Nicht hauen! Is’ ja schon gut! Das mit dem vermeintlichen Salat war entweder ein Missverständnis oder ein Fehlgriff unsererseits in Unkenntnis der hiesigen Küche. Statt dem, was wir unter einem Salat verstehen, bekommen wir einen großen Strauß verschiedener Kräuter, so, ganz trocken, ohne Dressing. Ihren Favoriten kann Rendel auch eindeutig identifizieren: Koriander! In der Folge beeilt sie sich, sich ihren einzigen Satz sowohl auf Georgisch als auch auf Armenisch anzueignen: „Ich mag keinen Koriander!“ Was schwierig ist, denn dieses Gewürzkraut ist quasi integraler Bestandteil der Kaukasusküche. Und da Rendel keinen Alkohol trinkt, kann sie den bitteren Geschmack noch nicht einmal mit Wein kompensieren. Ich hingegen genieße eine Flasche köstlichen Karas, eine Mischung aus Syrah, Malbec und Cabernet Franc – schließlich sind wir ja in einem der ältesten Weinländer der Welt. So spiegelt dieses Abendessen den Tag gut wider: ein Mix aus bitter und lieblich …

Die Heizung auf dem Zimmer tut ihren Dienst, wir sind zuversichtlich, dass bis morgen alles trocken sein wird. Morgen, das heißt Hauptstadt Jerewan. Um Verzögerungen bei der Abreise zu vermeiden, zahlen wir heute schon (ca. € 65,- für Ü/F). Als der Rezeptionist von unseren Plänen hört, weist er uns darauf hin, dass der Inhaber der Villa Kars auch ein schönes Hotel in Jerewan besitzt, das Ayghedzor. Ein Blick auf den Stadtplan zeigt, dass es günstig gelegen ist, also buchen wir gleich für zwei Nächte vor.

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Im Prinzip ja“ – Jerewan

   
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Heute also mal wieder Groß- und Hauptstadt. Eigentlich nicht so unser Ding, aber zum einen sind wir auch schon positiv überrascht worden (Skopje, Sarajewo), zudem macht uns das Attribut „eine der ältesten Städte der Welt“ schon neugierig. Und meinem Jahrgang kommen beim Stichwort „Jerewan“ natürlich gleich Erinnerungen an die legendären „Fragen an Radio Eriwan“ hoch, deren Antworten immer mit „Im Prinzip ja“ ansetzten und die dann zumeist, etwas verklausuliert, die „Errungenschaften“ des Sozialismus in Frage stellten.

Ausnahmsweise decken sich Planung der Strecke und Realität diesmal ziemlich. Bei fast blauem Himmel steuern wir über gute und breite Straßen die Hauptstadt an – nach schlappen 120 Kilometern und zwei Stunden Fahrt passieren wir schon gegen 12 Uhr das Ortsschild. Das Navi kennt die Straße auch, nur das eigentliche Haus finden wir erst nach etlichem Fragen, denn es ist kein Hotel im eigentlichen Sinne, sondern eine entsprechend hergerichtete Villa. Ja, das ist eine standesgemäße Bleibe: ein riesiges Zimmer (eher zwei ineinander übergehende), dazu ein großer Balkon mit Blick auf die Stadt, ganz rechts erkennt man noch den Obelisken der Gedenkstätte Zizernakaberd, wo der Opfer der Aghet, armenisch für „Katastrophe“, also dem Völkermord an den Armeniern, gedacht wird.

Großartig ausruhen müssen wir uns nicht, wir richten uns ein, Rendel klärt mit den Mädels noch kurz, dass sie etwas Wäsche für uns waschen – dann beugen wir uns über den Stadtplan. Die Stadt ist übersichtlich angeordnet, wir müssen nur unsere Straße ein Stück runter, schon sind wir auf der breiten Marshall-Baghramyan-Avenue, die direkt ins Zentrum führt, und an der u. a. das Gebäude der Nationalversammlung, etliche Botschaften und weitere repräsentative Gebäude liegen. Dabei fällt auf, dass sich zwischen den Prachtbauten auch immer heruntergekommene Häuser, Büdchen und Läden finden, die „eigentlich“ nicht in dieses Umfeld passen. Die Gegend von Jerewan ist seit dem 4. Jahrtausend v. Chr. bewohnt, als antiker Vorfahr Jerewans gilt die Festung Erebuni aus dem 8. Jahrhundert v. Chr., auch dies wieder – da war doch was? – eine urartäische Gründung. Die Stadt macht einen geschäftigen, jungen und sympathischen Eindruck. Wir lassen sie noch etwas auf uns wirken, streifen über den nach Charles Aznavour benannten Platz, sicher einer der bekanntesten Armenier. Unser Übersichtsplan weist auch auf die beliebtesten Restaurants hin, damit und mit Hilfe von Google haben wir eine Vorauswahl getroffen, finden aber, auch mit Hilfe der Touristeninformation, zunächst kein einziges unserer Top-3-Auswahl. Das einzige ist schließlich komplett ausgebucht. Des Pflastertretens überdrüssig, sagen wir kurzerhand: Komm, das sieht doch auch nett aus! Keine der Empfehlungen, aber das will ja nichts heißen. Das Yasmine ist eher praktisch eingerichtet, macht aber einen sauberen Eindruck und wir werden von einer Mitarbeiterin gleich sehr freundlich begrüßt. Und die Auswahl schöner Weine tut ein Übriges. Die Karte beschreibt die Speisenauswahl als „westarmenisch-arabisch“, klingt also verlockend. Wir bestellen Kash-Kash-Kebap mit frischer Tomatensauce und Fattush-Salat mit hauchdünnem frittierten Brot – alles ein Gedicht.

Mittlerweile ist auch der Inhaber eingetroffen. Er und seine Familie sind Armenier aus dem syrischen Aleppo. Hier haben wir natürlich einen Anknüpfungspunkt, und der Mann erzählt uns, dass er ursprünglich in Jerewan Pharmazie studiert hat und bei Kriegsbeginn in Syrien mit der Familie nach Jerewan umgesiedelt ist. Er behauptet: „Jeder Mensch hat eine zweifache Heimat: seinen Geburtsort und Syrien.“ Unverkennbar ist jedoch, dass in seinen Schilderungen die Sehnsucht nach der eigentlichen Heimat Aleppo mitschwingt.

Wir sind uns einig, beim Restaurant doch die beste Wahl getroffen zu haben. Fußlahm und satt nehmen wir uns ein Taxi zu unserer „Villa“ – und der Taxifahrer freut sich wie Bolle übers Trinkgeld. Auf dem Balkon und mit Blick über diese faszinierende Stadt lassen wir einen wunderschönen Tag ausklingen.

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Jerewan 2

Optisch beherrscht wird das Zentrum Jerewans durch die so genannte „Kaskade“, einen aus 572 Stufen bestehenden Terrassenkomplex, in den 1970er-Jahren noch durch die Sowjets begonnen, aber nie ganz fertiggestellt. Wir sind uns zunächst nicht ganz sicher, ob wir uns den kompletten Aufstieg antun sollen. Dem Komplex vorgelagert ist ein origineller Skulpturengarten, auch auf den jeweiligen „Etagen“ der Kaskade sind ansehnliche Beispiele zeitgenössischer Kunst ausgestellt. Dies ist seit Anfang des neuen Jahrtausends auch – abgesehen von der Funktion als Aussichtsplattform – Hauptzweck der Kaskade: Sie beherbergt das erste Museum für zeitgenössische Kunst im ganzen Kaukasus. Leider ist das Museum zu, für uns gibt es jedoch immer noch genug zu sehen. Zwar bei dieser Witterung und Tageszeit nur schemenhaft, trotzdem kann man, wenn man in Richtung „runter“ schaut, die Umrisse des armenischen Sehnsuchtsorts erkennen: den Ararat – so nah und doch so fern, da auf türkischer Seite gelegen. Und natürlich hat man – in derselben Richtung – einen grandiosen Blick auf die Innenstadt Jerewans.

Runter geht’s leichter als rauf … Hier sticht noch besonders der „Platz der Republik“ ins Auge – weitläufig und mit imposanten Gebäuden umstellt, etwa dem Sitz der Regierung, Museen, einem Marriott in historischem Gebäude (na ja, fast: von 1958) und manches mehr. Wir schauen uns immer gerne Märkte und Markthallen an, die ja gerade in südländisch und orientalisch geprägten Gegenden oft Basarcharakter haben. Allen gemein ist, dass sie zumeist eine schier überbordende Menge von Waren auftürmen. Schon fast legendär ist diesbezüglich der „GUM“-Markt in Jerewan. Ganze Galerien von Schinken, Käse, Brot, dazu Lebendtiere wie Flusskrebse, Hühner, Gänse und vieles mehr. Jetzt werden wir doch langsam müde, nehmen uns ein Taxi in unsere Villa.

Dort geht es gerade wuselig zu. Ein augenscheinlich professionelles Filmteam dreht, mit der Villa als Kulisse, ein Musikvideo. Die Crew ist dafür extra aus Indien angereist, wie mir der Regisseur, ein Sikh mit Turban, erklärt. Ich soll die Motorräder noch etwas umparken, damit sie besser ins Bild kommen.

Ich mache den Routinecheck der Moppeds, dann ruhen wir uns etwas aus, bevor es auf die abendliche Restaurantsuche geht. Das Wine Time kommt unseren Ansprüchen entgegen, Rendel gibt dem Essen eine „zwei minus“ (und auch hier konnte sie wieder ihren Lieblingssatz anbringen: „Khndrum yem voch’ mi hamem!“). Den abendlichen Ausklang versüßt uns der Gesang unzähliger Vögel, der wesentlich lauter ist als die Verkehrsgeräusche. War schön hier, auch sehr interessant, aber jetzt freuen wir uns auch wieder auf Natur.

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Klöster, Tempel – und ein See

   
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Da das Hotel auf Barzahlung besteht, müssen wir unseren Cash-Vorrat ergänzen. Die Suche nach einem Geldautomaten gestaltet sich etwas schwierig, so halten wir mit den Moppeds zunächst auf das Zentrum zu – unproblematisch, denn es ist Sonntag, zudem noch sehr früh. Das Portemonnaie aufgefüllt, geht es los, aber Stopp! Die Tanks könnten auch Nachschub gebrauchen. Der Tankwart erzählt uns, dass er mal zum olympischen Ringerkader Armeniens gehört hat, was mich daran erinnert, dass Armenien tatsächlich zu den großen Ringernationen zählte. Tagesziel soll Sewan am gleichnamigen See sein, auf der Strecke, wenn auch mit kleinem Umweg, stehen jedoch noch zwei kulturelle Highlights an. „Schlechte Wegstrecke“ trifft es auf dem Weg zum Kloster Geghard nicht ganz, es ist eher so, als hätte man die Streckenführung einer Motocross-Piste in Asphalt gegossen: Bodenwellen, urplötzlich auftauchende Steilkurven mit engem Radius, dann fällt auf einmal die Fahrbahn um 30° nach rechts ab. Grund für diese abenteuerliche Strecke sind zumeist Erdrutsche, wohl verbunden mit unzureichender Ausführung der Tragschicht. (Nach einiger Zeit, wenn man drauf gefasst ist, macht es direkt Spaß.)

Ich erwähnte es schon: Die georgische und armenische Kirchen- und Klosterarchitektur hat es mir angetan – ohne, dass ich mich deshalb als Kenner bezeichnen möchte. Dazu kommt, und das werden wir in diesen Tagen noch zu Genüge bestätigt bekommen, dass diese Bauten in den allermeisten Fällen an Orten unbeschreiblicher Schönheit errichtet wurden. Mit Geghard ist es nicht anders. Wir haben Glück – trotz des Sonntags sind noch nicht viele Besucher da, wir haben die Kirchen, eine davon mit einer Quelle mittendrin, fast für uns alleine. Der Komplex ist UNESCO-Weltkulturerbe – hier ein kurzer Ausschnitt der Begründung, warum Geghard ist die Liste aufgenommen wurde:

Das Kloster von Geghard und das obere Azat-Tal enthält eine Reihe von Kirchen und Gräbern, von denen die meisten in den anstehenden Felsen geschnitten sind, die die armenische mittelalterliche Architektur auf ihrem Höhepunkt veranschaulichen. Der Komplex aus mittelalterlichen Gebäuden liegt am Eingang zum Azat-Tal in einer Landschaft von großer natürlicher Schönheit. Hohe Klippen umgeben den Komplex an der Nordseite, während die Verteidigungsmauer den Rest umgibt.

Wir genießen diese Gegend noch ein bisschen und starten zum nächsten Etappenziel dieses Vormittags, der Tempelanlage von Garni, die fast auf dem Weg liegt. Auch hier fasziniert zunächst die Lage, dann aber auch der gute Erhaltungszustand des eigentlichen Tempels mit seinen 24 Säulen. Der Tempel wurde wohl im 2. Jahrhundert n. Chr. errichtet und der römischen Sonnengottheit Mithra geweiht (wohl nicht identisch mit der fast namensgleichen persischen Gottheit Mithras). Nicht ganz so spektakulär, aber doch sehr sehenswert sind die Reste eines Badehauses mit gut erhaltenen Bodenmosaiken. Als wir den Parkplatz verlassen, kommt uns ein Biker mit Berliner Kennzeichen auf einer alten 2-Ventil-BMW entgegen. Kurzes „Hallo!“ und, an Rendel gewandt: „Meine Mutter hat sich nicht getraut, ein so großes Motorrad zu fahren.“

Erst hielten wir es für eine eher zufällige Beobachtung, dann haben wir genauer hingeschaut: In Armenien begegnen uns praktisch keine motorisierten Zweiräder, nicht einmal Mopeds oder Mofas. Angesichts dieser Feststellung hoffe ich einmal mehr, dass es für unsere Motorräder keinen Bedarf an Werkstatt geben wird … Auf jeden Fall scheint den Einheimischen unsere Reiseweise zu imponieren, immer wieder wird uns zugewunken, „Daumen hoch“ oder es wird gar geklatscht.

Der Sewan-See ist der größte Süßwassersee des Kaukasus, der Wasserspiegel liegt mit 1.900 Meter etwa 200 Meter höher als der des Van-Sees. Nicht zuletzt durch Bewässerungsmaßnahmen nahm der Wasserstand in den letzten 100 Jahren um fast 20 Meter ab. Erst heute entscheiden wir, den See nicht wie zunächst geplant komplett im Uhrzeigersinn zu umrunden, sondern morgen am Westufer Richtung Süden zu fahren. Für die eine Nacht quartieren wir uns im Hotel Lavash ein, ein recht uriger Komplex mit auf Hütten getrimmten einzelnen Häuschen. Als Betreiber hätte ich entsprechend eher Späthippies erwartet, die Inhaberin ist jedoch eine äußerst modern und elegant wirkende Dame.

Rendel, die sich wohl vorgenommen hat, auf unseren Reisen jedes Gewässer auszuprobieren, steigt todesmutig in die zu dieser Zeit noch eiskalten Fluten. Im Restaurant nehmen wir einen kleinen Imbiss und unterhalten uns dann mit einer in Erfurt wohnenden Armenierin – ihr deutscher Mann ist zum ersten Mal hier. Zwar verdunkelt sich der Himmel, trotzdem machen wir uns vor dem Abendessen noch zur Klosteranlage von Sevanavank auf (die Endung „-vank“ bedeutet „Kloster“). Es ist Sonntag, der Komplex entsprechend bevölkert, wobei die meisten Besucher schon Zuflucht vor dem aufziehenden Gewitter suchen. Der Aufstieg ist unerwartet steil und lang, dennoch lohnenswert. Auch hier finden wieder Architektur und Lage sehr schön zusammen. Die Gewitterfront tut an diesem Tag ein Übriges, um eine fantastische Atmosphäre zu schaffen. Wir können noch die beiden Hauptgebäude, die „Heilige Apostel“- und die „Mutter Gottes“-Kirche besichtigen – dann fix zu den Moppeds und Gas geben. Mit den ersten Tropfen treffen wir am Hotel ein. Ein Fisch-BBQ bildet den kulinarischen Abschluss dieses an Eindrücken schon überreichen Tages.

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Steinerne Kreuze und ein pyromanischer Tankwart

Wir starten zeitig, müssen zunächst ein paar Kilometer am Seeufer in die Gegend, aus der wir gestern kamen, fahren. Hier liegt eine der „besonderen“ Sehenswürdigkeiten Armeniens, „besonders“ in der Hinsicht, dass man hier – im Gegensatz zu Kirchen und Klöstern – eine armenische Spezialität besichtigen kann, die so genannten Chatschkare, „Kreuzsteine“. Dabei handelt es sich um kunstvoll behauene, bis zu drei Meter hohe Gedächtnissteine, die im Zentrum zumeist ein Kreuz aufweisen.

Wir kommen früh an, noch sind die Dörfler nicht ganz so weit. Dann beeilen sich einige Frauen, ihre Handarbeiten auszubreiten und sie uns – mal mehr, mal weniger lautstark und aufdringlich – anzupreisen, zumeist ultra-dicke Socken, die man hier im Winter sicher gut gebrauchen kann. Ein freundlicher behinderter Mann sucht immer wieder unseren Blick, um uns dann, mit Verweis auf unsere Motorräder, den anerkennend nach oben zeigenden Daumen zu zeigen. Zudem ist er eifrig bemüht, den ankommenden Reisebus so zu dirigieren, dass er den Moppeds nicht zu nahe kommt und zudem unsere Abfahrt nicht behindert. – Für die italienischen Touristen sind wir zunächst die größere Attraktion …

Hier, in Noratus, findet sich das größte noch erhaltene Chatschkar-Feld überhaupt, etwa 900 sind hier in Reih und Glied versammelt. Die meisten wurden zwischen dem 13. und 17. Jahrhundert errichtet, die ältesten Exemplare stammen aus dem 9. Jahrhundert. Das Stelenfeld von Noratus ist zwar seit ältester Zeit ein Friedhof, doch ist ein Chatschkar nicht immer zwingend ein Grabstein, er kann auch an andere Ereignisse erinnern. Hier sind es jedoch zumeist Grabsteine, die im Blick auf die Gestaltung von schlicht bis hin zu sehr aufwändigen Steinmetzarbeiten reichen. Mancher Stein stellt komplette, typische Szenen aus dem Leben des Verstorbenen dar, etwa eine Hochzeit oder einen pflügenden Bauern. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass es neben dem hiesigen Chatschkar-Feld noch zwei gab: ein noch größeres mit etwa 2.500 Kreuzsteinen in der autonomen aserbaidschanischen Exklave Nachitschewan und eins im Kernland Aserbaidschans. Die dortigen Stelen wurden jedoch nach und nach systematisch zerstört.

Wir müssen uns ein wenig ranhalten, denn unser Tagesziel ist noch ein Stück vor uns. Bei Martuni lassen wir den Sewan-See hinter uns. Über menschenleere Bergstraßen erklimmen wir den Selim-Pass auf 2.400 Metern. Bei einer Rast hält ein seltsames Gespann hinter uns: Ein Pickup mit iranischem Kennzeichen zieht ein ähnliches, aber brutal auf offroad getrimmtes Auto hinter sich her. Die beiden iranischen Männer erzählen uns, dass sie oft hierher kommen, um Offroad-Rallye zu fahren (warum das nicht im Iran geht, erschließt sich uns nicht).

Wir wollen heute nach Goris, um von dort aus eines der spektakulärsten Klöster Armeniens zu besichtigen, Tatev. Wir sind das Fahren mittlerweile leid, Rendel hat Kopfschmerzen. Ein Picknickplatz am Fluss bietet sich für eine Pause an. Rendel legt sich hin, doch kaum hat sie etwas abgeschaltet, fährt ein Kleinbus vor, dem eine Schulklasse samt Lehrern entsteigt. Hier, wo Motorräder fast unbekannt sind, werden wir zur Attraktion. Alle – alle, einschließlich der Lehrkräfte – wollen sich auf einem Motorrad fotografieren lassen, zum Teil mit Helm. Die Truppe will uns noch zu ihrem Picknick einladen, der Busfahrer hält uns seine Brotdose hin und meint lachend auf Deutsch: „Butterbrott!“ Eines der Mädel fragt Rendel, wie alt sie sei, und meint darauf „Wow!“ (Wir wissen nicht, ob sie damit meinte: „Und du fährst schon oder noch Motorrad …?“)

Wir verabschieden uns und starten durch, werden aber schon kurz drauf von zwei Soldaten angehalten, einfache Rekruten, die gerne mit nach Goris fahren wollen. Mir würde es mittlerweile nichts ausmachen, aber Rendel ist keinen Sozius gewohnt. Mit Nachdruck muss ich die beiden davon abhalten aufzusteigen. Sprit wird langsam knapp, doch dann sehen wir eine Tankstelle, na ja, eher eine Zapfstelle. Der verschlafene Tankwart ist auch so fasziniert von unseren Moppeds, dass er bei Rendel die Zapfpistole vergisst und sich eine Menge Benzin über Tank und heißen Motor ergießt. Jetzt ist er wach. Hätte der Heini uns doch glatt das Mopped abgefackelt! Als ich mir die nach Benzin stinkenden Hände waschen will, kann ich einen Blick in seine Kammer erhaschen, was ihm offensichtlich unangenehm ist. Ein ziemlich fieser Verschlag.

Wir fahren heute zunächst am Abzweig zum Tatev-Kloster vorbei, passieren unseren letzten Pass für heute und kommen nach Goris. Unser Hotel, das Yeghevnut liegt schön, aber etwas abseits. Die Zufahrt ist heftig, in der letzten Aufwärtskehre schmeißt Rendel ihr Mopped hin. Das Hotel ist so, wie wir es vor 30 Jahren oft in der Türkei gesehen haben: große, kahle Eingangshalle, einige Zimmer schon hergerichtet – immer so, wie gerade Geld da ist. Aber wir werden freundlich willkommen geheißen und das Zimmer ist geräumig, sauber und mit allem, was man braucht, ausgestattet. Irgendwo hatten wir eine Restaurantempfehlung aufgeschnappt, das Wine Garden, also los. Wir latschen gefühlte fünf Kilometer, die Füße tun weh. Unser Spaziergang gibt uns einige Eindrücke vom Land – offensichtlich ein sehr armes. Das Wine Garden ist tatsächlich in einem Garten gelegen – mit einzelnen, windgeschützten Pavillons. Nach einiger Zeit zeigt sich die Besitzerin, eine imposante Erscheinung mit Riesenoberweite und dröhnendem Lachen – „Haaah, ha, hoho!“ – auf jeden Fall aber eine sehr herzliche Frau. Sie spricht nur Russisch und Armenisch, aus der Speisekarte werden wir nicht recht schlau. Auf jeden Fall schon mal Salat – diesmal „richtigen“ … Dann springt Rendel ein Begriff an, den wir ja schon mal hatten, die Tage in Jerewan im Restaurant: „Kash“ (hier „Chash“ geschrieben – eine orthografische Feinheit mit Folgen). Madame schaut etwas verwundert, aber auch erfreut. Es dauert etwas, dann kommt sie mit einer großen Terrine und einigen Rollen dieses ganz dünnen, aufgewickelten Brotes, des Lavash. Aber das ist nicht so ganz das wie die Tage …?! Die Terrine ist voll mit Brühe, in der undefinierbare Stücke von grauem Etwas schwimmen. Madame zeigt Rendel noch, wie man das Brot tunkt und dann isst – und wünscht uns „Guten Appetit!“ Danke. Rendel probiert und wendet sich mit Grausen. Später stellen wir fest, dass es sich um eine im ganzen Kaukasus beliebte Spezialität handelt – Hauptbestandteil sind lange gekochte Kuhfüße … Früher galt das als Arme-Leute-Essen, heute als Delikatesse. Rendel beschränkt sich auf das Stippen der Brühe – und die Wirtin scheint nicht wirklich überrascht, dass das Meiste zurückgeht.

Wir machen uns auf den Rückweg, treffen an der Hotelrezeption noch die Besitzerin. Sie erzählt uns, dass sie und ihr Mann eigentlich Ingenieure sind, aber ohne Chance auf adäquate Anstellung. Dann bekommen wir noch ein wenig Hintergrundinformationen über die Gegend, zudem erzählt sie vom Krieg mit Aserbaidschan und den Folgen, unter anderem, wie Nachbarschaften und Dorfgemeinschaften auseinandergerissen wurden. Lange denken wir noch über eine kleine Begebenheit nach: Die (christliche) Oma unserer Gastgeberin wollte es bei Kriegsbeginn nicht glauben, sagte im Blick auf ihren (muslimischen) Nachbarsjungen: „Mein Hassan macht das nicht, der wirft keine Bomben!“ (Aktualität gewannen diese Erzählungen für uns dann im Sommer 2020, als Armenien und Aserbaidschan mal wieder zum Waffengang antraten, mit der Folge, dass Armenien einen Großteil des von ihm beanspruchten Territoriums abtreten musste.)

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Auf Adlers Flügeln – Kloster Tatev

   
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Mit uns frühstücken fünf armenischstämmige Männer, die in Kanada leben. Einer erzählt, dass er, als er sieben war, mit seinen Eltern ausgewandert ist, jetzt, nach 25 Jahren, ist er das erste Mal wieder in der alten Heimat. Die Truppe ist in den letzten Tagen gewandert, sie heißen unseren Entschluss gut, nicht nach Aserbaidschan zu fahren. (Wobei man wissen muss, dass das Verhältnis zwischen beiden Ländern bzw. Ethnien so grundsätzlich zerrüttet ist, dass per se kein gutes Haar am andern gelassen wird.)

Wir hätten die Wahl: Das Tatev-Kloster kann man auf einer schmalen Straßen anfahren; wie wir noch sehen sollten, hätte das auf dem Motorrad einen unbeschreiblichen Reiz gehabt. Dem entgegen steht die Möglichkeit, die Anfahrt mit den Wings of Tatev, einer der längsten Luftseilbahnen der Welt (5.750 Meter) zu bewältigen. Auf jeden Fall ist die Seilbahn die längste, in einer Sektion mit einem durchgehendem Tragseil ausgeführte Pendelbahn der Welt. Diese Gelegenheit bietet sich selten, weswegen wir schon vom Hotel die Fahrtickets mit festgelegter Abfahrtszeit vorbuchen, ein Taxi bringt uns dann zur Talstation.

Auf dem Weg kommen wir durch einige Dörfer. In einem können wir beobachten, wie im Straßengraben gerade eine Kuh geschlachtet wurde, der abgeschnittene Kopf liegt daneben. Okay, das geschieht in unseren industriellen Schlachthöfen tausende Male am Tag, aber hier, so unmittelbar, wirkt das doch irgendwie archaisch.

Wir erfahren, dass die imposante Seilbahn Teil eines Projekts zur wirtschaftlichen Förderung dieser eher benachteiligten Gegend ist. Die Anlage wurde vom österreichischen Weltmarktführer errichtet, ist entsprechend hochmodern und vertrauenserweckend. Die „Flugbegleiterin“ in schnieker Uniform ist sichtlich stolz auf ihren Job. Die Fahrt dauert gut 10 Minuten und führt vom auf 1.546 Meter gelegenen Dorf Halidsor über zwei Bergkuppen und die 2,7 Kilometer breite und rund 500 Meter tiefe Worotan-Schlucht hinweg zum auf 1.537 m gelegenen Kloster und Dorf Tatev. Wirklich grandios! (Ich schicke schon mal vorweg, dass wir noch einige Seilbahnfahrten auf dieser Reise absolvieren werden, darunter solche mit völlig anderem Charakter …) Auch unter uns, im Tal, scheint es einige Sehenswürdigkeiten zu geben, etwa ein verfallener Gebäudekomplex, der sich als Große Eremitage von Tatev herausstellt. (Nach diesem buchstäblichen „Überblick“ wäre eigentlich angesagt, die Gegend nochmal im Detail und per Motorrad und zu Fuß zu erkunden. Aber wie schon bemerkt: Man kann nicht alles und nicht alles auf einmal haben!)

Zur Herkunft des Namens „Tatev“ gibt es mehrere Theorien, am besten gefällt mir die Legende, nach der der Architekt von Tatev nicht von einer soeben gebauten Kuppel herabsteigen konnte. Daraufhin rief er: Togh astvats indz ta-tev („Möge Gott mir Flügel geben“), woher wohl auch die Bezeichnung der Seilbahn als „Wings of Tatev“ abgeleitet wurde.

Die Beschreibung der Anfahrt zum Kloster sagt schon genug über die beeindruckende Lage aus. Die Anlage selbst zählt zu den wichtigsten Architekturdenkmälern des Landes, was aber noch wenig über die spirituelle und intellektuelle Bedeutung des Klosters in der Vergangenheit aussagt. Im frühen Mittelalter war Tatev eine berühmte Universität, an der viele geachtete Theologen lehrten. Später war es Zentrum des Fürstentums Sjunik und Sitz eines Erzbischofs. Das Klostergelände umfasst drei Kirchen, die noch sehr gut erhalten sind bzw. die derzeit noch restauriert werden. Originell und einzigartig ist der so genannte „Hirtenstab“, eine vielleicht 10 Meter hohe, achteckige verzierte Säule, die bei Erschütterungen der Erde oder bei Berührung ins Wanken gerät.

Wie es sich für eine solche Attraktion gehört, ist sie recht gut besucht; wir seilen uns ein wenig ab und wandern um den Komplex herum, auch, um noch ein paar gute Fotoperspektiven zu erhaschen. Dann geht es auf den „Wings“ zurück zum Parkplatz, wo uns unser Fahrer schon erwartet. Zwar ist die Sicht heute nicht optimal, trotzdem wollen wir uns noch ein paar Meter fahren lassen. Zunächst steuern wir die „Teufelsbrücke“ an. Diese überquert eine engere Stelle der Worotan-Schlucht; vom Parkplatz aus kann man über einen schmalen, felsigen Pfad weiter in die Schlucht steigen. An einer Stelle gibt es natürliche Becken, in denen man baden und dabei allerlei Malessen kurieren kann. Wir fahren noch ein Stück und halten an der Halidzor-Aussichtsplattform. Von der Straße geht es einen schmalen Weg entlang, der an einem Felsvorsprung endet, auf dem eine kleine Kapelle errichtet ist. Von dort aus hat man auch trotz Dunst einen phänomenalen Ausblick über die Schlucht, trotzdem schade, dass es nicht klarer ist. Wir lassen uns ins Hotel bringen, zahlen für den Vormittag etwa € 25, dann ausruhen und für morgen planen. Für den Abend haben wir eine Restaurantempfehlung, das Takarik – gemütliche Gaststube, Pizza, Schweinekoteletts, überbackene Champignons und viel Granatapfelwein …

Und diesmal wird auch Rendel satt.

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Goris–Noravank–Khor Virap–Ararat

Der heutige wird schon der letzte volle Tag in Armenien sein, wobei „voll“ angesichts dessen, was wir uns noch vorgenommen haben, wörtlich zu verstehen ist. Wir zahlen (€ 35,- pro Nacht mit Frühstück) und machen uns auf, zunächst auf demselben Weg, auf dem wir vor zwei Tagen gekommen sind, also auch vorbei an der Tankstelle mit dem Pyromanen. Kurz hinter dem Abzweig, wo wir aus Richtung Norden vom Sewan-See kamen, geht ein kleines Sträßchen in Richtung Grenze zu Nachitschewan ab. Hier, zunächst hinter engen Schluchten verborgen, versteckt sich das – hier sind sich Rendel und ich einig – bislang schönste Kloster in Armenien: Noravank. („-vank“ kennen wir ja schon, das „Nora“ bezieht sich ausnahmsweise nicht auf eine Heilige dieses Namens, sondern bedeutet „neu“.) Wirklich neu ist die Anlage jedoch nicht mehr, sie stammt aus dem 13. Jahrhundert. Sie befindet sich in der Schlucht des Amaghu, deren Klippen in der Sonne rot glühen. Der Komplex besteht aus mehreren Kirchen, deren detaillierte Beschreibung ich mir spare. Aber wohl kaum jemand, auch nicht derjenige, der „mit alten Steinen nichts anfangen kann“, wird sich der Faszination dieses Ortes entziehen können – leider etwas geschmälert von dem großes Andrang an Besuchern. Besonders beliebt ist die zweigeschossige Mausoleumskirche, dessen Obergeschoss man über zwei außenliegende, geländerlose Treppen erreichen kann. Auch Rendel traut sich für das obligatorische Foto. Eine viel bessere Fotografierposition bekomme ich jedoch, nachdem ich ein Stück einen Hang heraufgekraxelt bin. Von hier kann ich schön das gesamte „Setting“ erfassen, zudem fast ohne Besucher.

Die Mittagssonne knallt, wir haben noch ein Stück vor uns. Sowohl unser letztes Besichtigungsziel für den heutigen Tag als auch unsere Unterkunft liegen nah beisammen, beides quasi im Schatten des Ararat. Wir halten auf das Grenzviereck Armenien–Nachitschewan–Iran–Türkei zu, dann noch ein paar Kilometer, bis es zum Kloster Khor Virap abgeht, nahe am Fluss Aras und schon fast auf türkischen Territorium. Khor Virap – „tiefes Verlies“ – spielt in der spirituellen Geschichte Armeniens eine wichtige Rolle. Der Überlieferung nach wurde hier Gregor der Erleuchter, der spätere „Apostel Armeniens“, im 3. Jahrhundert vom heidnischen König Armeniens gefangen gehalten, um ihn vom christlichen Glauben abzubringen. Nachdem Gregor den König jedoch von einer schlimmen Hautkrankheit geheilt hatte, ließ sich der Herrscher mitsamt seiner Familie taufen und verfügte, dass alle seine Untertanen den christlichen Glauben annehmen sollten. Seitdem gilt Armenien als das älteste christliche Land der Welt. Die Klosteranlage ist sehr übersichtlich, im Zentrum die „Mutter-Gottes“-Kirche. Hier findet heute eine Trauung statt, die wir zum Teil mitverfolgen. Nur etwa 200 Meter hinter dem Kloster verläuft der erste Grenzzaun zur Türkei – und dahinter erheben sich majestätisch von links nach rechts der Kleine und der Große Ararat. So schön, deutlich und nah haben wir ihn noch nie zu Gesicht bekommen.

Für heute reicht es uns, das Hotel kann nicht weit entfernt sein. Aber irgendwie ist heute navitechnisch wieder der Wurm drin. Einige Male fahren wir die breite Hauptstraße hin und her, finden aber den vom Navi angezeigten Punkt nicht. Wir landen in einer kleinen Siedlung, meinen, noch ein Stückchen weiter zu müssen, aber Rendel streikt, denn die Fahrbahn wird erneuert und besteht derzeit aus einer dicken Schicht golfballgroßer Kiesel. Ich mag auch nicht mehr, wende die Moppeds, halte ein Auto an und frage das junge Paar. Ein Telefonat später haben die beiden eine Ahnung, wohin wir wollen, und fahren uns voraus. Ich mag’s kaum sagen, aber das Hotel liegt direkt an besagter Hauptstraße, wir sind schon einige Male dran vorbeigefahren.

Mittlerweile ist es brutal heiß. Ich parke noch schnell die Moppeds auf dem Gelände, dann aufs Zimmer. Keine Klimaanlage! Zu sagen, die Einrichtung hätte schon bessere Zeiten gesehen, wäre untertrieben. Das Sofa durchgesessen, das Bett … Bett? Die Sprungfedern der vormaligen Matratze liegen fast frei. Ich würde ja meckern, aber die Gastleute sind überwältigend freundlich, versöhnlich wirkt außerdem ein großes, frischgezapftes Bier vom Fass! Die Leute sprechen kein Wort Englisch oder Deutsch, helfen sich aber erstaunlich effektiv mit Google Translator. Im Garten sind einige Pavillonzelte aufgebaut, die etwas Schutz vor der Sonne bieten. Die Qualität des Essens überrascht, es gibt u. a. Pizza und mit Käse und Tomate überbackene Hähnchenbrust. Die Chefin freut sich über unseren Appetit, zum Schluss schenkt sie uns noch eine Flasche Rotwein – „für zu Hause“. Die Nacht ist dann wie befürchtet, die Matratze erwähnte ich schon, zudem ist das Doppelbett viel zu schmal und kurz. Die Klobrille ist von einem Typus, mit dem ich erst einmal vor vielen Jahren in der Türkei Bekanntschaft gemacht habe: eine Art aufblasbares Polster, aus dem beim Hinsetzen – „pschhh“ – die Luft entweicht. Eher etwas fies.

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Ararat–Tiflis

Heute geht es wieder nach Georgien. Wir machen uns zeitig auf, sind schon gegen neun wieder in Jerewan, das nicht sinnvoll zu umfahren ist – leider, denn der Verkehr ist brutal und die Hitze ebenso. Aber dann sehr passable Straßen bis zur Grenze. Kurz vorher passieren wir die Stadt Vanadzor. Das war, abgesehen von Jerewan, der erste Städtename, den ich mir in der Vorbereitung gemerkt hatte, viele der armenischen Ortsnamen, so finde ich, hätten auch gut zum „Herrn der Ringe“ gepasst.

Die Grenzabfertigung ist korrekt, diesmal sogar ziemlich freundlich. Noch genauer als bei der seinerzeitigen Einreise werden unsere Medikamente gecheckt. Jeder Wirkstoffname wird in einer Datenbank abgefragt und auf seine Zulässigkeit hin überprüft. Dann sind wir wieder in Georgien. Hier erwartet uns zunächst das Pendant zur Marterstrecke bei der Einreise nach Armenien, nur, dass es heute nicht regnet. Dafür 12 Kilometer Rüttelstrecke, auf der sich außer uns nur LKW tummeln. Nicht ganz: Auf halber Strecke kommt uns ein spanisches Paar auf einer BMW RT entgegen, sie bekleidet wie zum Flanieren in der Shopping Mall. Beide sind schon recht verzweifelt, warnen uns vor „fetten Wasserlöchern“ und ähnlichem mehr. Okay, Motorradkenner wissen, dass eine RT vielleicht nicht das Motorrad der Wahl für eine Kaukasustour ist, aber die Warnung war sehr übertrieben. Kurz drauf erreichen wir wieder festen Untergrund und halten auf Tiflis zu.

Wegen der günstigen Lage und dem schönen Balkon mit Blick auf Tiflis habe ich uns – wie mich selbst im Sommer zuvor – im Old Tblissi einquartiert. Somit habe ich, abgesehen von den Navi-Koordinaten, eine ungefähre Vorstellung, wie wir uns dem Ziel zu nähern haben. Nach meinem letztjährigen Besuch hatte ich Rendel wohlweislich nur sehr vage vom georgischen Großstadtverkehr und den Gepflogenheiten erzählt. Zwar bin ich diesbezüglich eher schmerzfrei, finde, nachdem ich ein wenig Gespür für die jeweilige Fahrweise entwickelt habe, sogar Spaß daran. Ich erinnere mich jedoch auch gut daran, wie ich im letzten Jahr als Beifahrer im PKW manchmal dachte: „Mann, das war knapp! Wie das wohl mit Rendel und den Moppeds klappt?“ Aber schließlich hat Rendel schon Damaskus und Aleppo gemeistert! Zum Glück hält sich das Verkehrsaufkommen heute Nachmittag in Grenzen, zudem bin ich auch ohne den Blick auf das Navi recht orientiert und führe uns ganz ohne Umwege fast bis zum Hotel. Da es etwas versteckt liegt und in der Nachbarschaft neu gebaut wurde, muss ich noch einmal kurz fragen – et voilá!

Der Besitzer ist nicht da, mit dem vorbestellten Zimmer gibt’s ein Problem (ich wollte ja den Balkon). Letztlich weist man uns das größte Zimmer überhaupt, ein Familienzimmer mit kleiner Küche und noch größerem Balkon, zu (zwar nicht mit dem Traumblick, aber mit anderen Vorteilen). Die drei Nächte werden uns – mit Frühstück – 570 GEL, also etwa 190 Euro kosten. Das Hotel ist auch wieder eine alte Villa, die zu Beherbergungszwecken umfunktioniert wurde. Das Umfeld ist irgendwie ungewöhnlich: Vom Balkon sieht man direkt unter sich, fast direkt ans Hotel reichend, enge Gassen und Innenhöfe armseliger Behausungen mit Wellblechdach, aus denen nachts das Schimpfen und Schnattern der Bewohner zu einem dringt, 200 Meter und nur eine Straßenecke weiter erstreckt sich der neue Präsidentenpalast, errichtet auf einem Felsvorsprung, die Altstadt von Tiflis überblickend. Und zur anderen Seite, noch ein wenig höher auf dem Hang, reckt sich das neue Wahrzeichen der Hauptstadt in den Himmel – die Sameba– oder Dreifaltigkeitskathedrale mit ihrer vergoldeten Kuppel und einer Gesamtfläche von etwa 5.000 Quadratmetern.

Für uns steht heute nur noch das Abendessen auf dem Programm. Als „Ortskundiger“ kenne ich natürlich auch schon eines der besten Restaurants, das praktischerweise nur 10 Laufminuten entfernt liegt. Dabei können wir schon einen kurzen Blick auf die Kathedrale werfen, dann geht es auf einem für Unkundige ziemlich suspekten Gässchen schließlich zum Saamo. Die Dachterrasse ist wegen der Sonne noch leer, wir finden trotzdem ein Schattenplätzchen. Leider ist der Blick seit meinem letzten Besuch in eine Richtung etwas verbaut worden, aber man sieht immer noch die Narikala-Festung, den Fluss Mtkwari (den wir ja schon in Vardzia kennen gelernt hatten) und im Rücken die große Kathedrale im Abendlicht. Perfekt! Und dieses Attribut verdient auch mal wieder das Abendessen: Hähnchen in Knoblauchcréme-Sauce (ein georgisches Nationalgericht) und Kalbfleisch in Adjikasauce, dazu lecker Rotwein und Livemusik von drei singenden und Gitarre spielenden Senioren, die, sehr zum Vergnügen der georgischen Gäste, Volksweisen zum Besten geben. (Das Restaurant ist tatsächlich so gut, dass ich im Jahr zuvor keinen Grund sah, abends woanders zu essen.)

An dieser Stelle muss ich nochmal John Steinbeck zu Wort kommen lassen, der sich ähnlich begeistert von der georgischen Küche zeigte:

„Der Anblick der Tafel brachte uns beinahe um“, schrieb Steinbeck über eine georgische Supra, die traditionelle Festtafel, zu der er geladen worden war. „Ich glaube, dies war die einzige Mahlzeit, die wir jemals erlebten, wo gebratenes Huhn als Vorspeise galt und wo jede Vorspeise ein halbes Huhn ausmachte. Und das Schreckliche an allem war, dass alles köstlich schmeckte. Die Düfte waren alle neu, und wir wollten alles probieren. Und wir starben beinahe, weil wir uns überaßen.

Wir setzen uns noch kurz in den kleinen Vorhof des Hotels, rustikal mit Paletten möbliert; ich genehmige mir noch ein Glas des Hausweins, an dem man sich kostenlos und ohne Mengenbeschränkung selbst bedienen darf. Ein Muss ist natürlich noch für ein paar Minuten Balkon in der lauen Sommerluft, dann geht’s ins Bett.

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Wo die heißen Quellen wohnen – Tiflis 2

   
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Da ich mich ja schon gut auskenne …, biete ich Rendel an, den Führer zu machen. Also am Präsidentenpalast rechts ab, die steile Kopfsteinpflasterstraße runter bis zum Baratashvili-Denkmal und dann am besten durch die Unterführung unter der Mtkwari durch – dann ist man schon in der Innenstadt. Zwischen alter Stadtmauer und Fluss betritt man die Altstadt. Eine der (zeitgenössischen) Hauptattraktionen ist der Uhrturm, der 2010 von Rezo Gabriadze gebaut wurde – bunt, schief, witzig. Am Ende jeder Stunde kommt ein Engel aus einer schön bemalten Tür und läutet die Glocken mit einem kleinen Hammer. Der Turm gehört zu dem ebenfalls von Gabriadze geführten Marionettentheater. Wir decken uns mit Trinkwasser ein und gehen über die futuristische Friedensbrücke in den Rike-Park. Dort ist die Talstation der Seilbahn, die auf die Narikala-Festung führt. Wir lösen das Ticket – auch hier ist schon die Fahrt an sich das Geld wert, denn die geht von der Mtkwari über die Altstadt zur Festung, mit einem unüberbietbaren Blick auf Tiflis.

Narikala ist eine persisch-sassanidische Gründung, die Ursprünge reichen ins 3. Jahrhundert zurück. Der Name bedeutet „uneinnehmbare Festung“, ein Titel, der für die Zeit, als die Burg noch in Funktion war, sicher seine Berechtigung hatte. Unmittelbar neben der Festung ragt eine gewaltige, fast von jedem Punkt der Stadt sichtbare Skulptur in den Himmel, Kartlis Deda, „Mutter Georgiens“ – eine Bezeichnung für die Hauptstadt Tiflis. In der Linken hält sie eine Schale Wein, in der Rechten ein Schwert. Das metallische Glänzen täuscht nicht, jedoch ist die 20 Meter hohe Grundkonstruktion aus Holz und dann mit Aluminium verkleidet.

Georgien und Tiflis sind zwar touristisch noch nicht überlaufen, als Geheimtipp kann man sie jedoch auch nicht mehr bezeichnen. Wir sehen Besucher aus aller Herren Länder, unterhalten uns z. B. mit einer Familie aus Pakistan, wobei sie aus Karatschi stammt, er aus England. Um den Massen ein wenig zu entfliehen, schlage ich einen Spaziergang durch den Botanischen Garten vor. Aber zunächst klettern wir noch ein wenig an der Festung rum, von dort führt dann ein Fußweg hinunter in den tiefer gelegenen Park. Botanischer Garten ist etwas irreführend, Hauptsammelgebiet sind Gehölze, also Bäume und Sträucher, weniger bunte Blumen. So wirkt die Anlage auf den Laien auch eher wie ein vielfältiger, artenreicher Wald. Durchzogen ist er mit etlichen kleinen Bächen, Rondells mit Bänken bieten Gelegenheit zur Rast und Muße. Schon im Jahr zuvor – es war einer der heißesten Tifliser Sommer seit Menschengedenken – hatte ich gedacht: „Jetzt ein schönes Buch und ausreichend zu Trinken – so ließe es sich aushalten!“ Auch heute habe ich kein Buch dabei, leider auch wieder keine Badehose, denn dann hätte ich mich unter dem kleinen Wasserfall an einer Badestelle schön abkühlen können. Wären wir nicht schon wieder unterhalb der Festung, hätten wir von oben auch per Zipline wieder ins Tal gelangen können, so, wie im letzten Jahr die vollverschleierte Frau, die mit lautem Juchzen die kurze Fahrt sichtlich (und hörbar) genoss.

Am Fuße der Festung, dort, wo wir jetzt rauskommen, liegt der für mich schönste Teil von Tiflis, Abanotubani, das Bäderviertel der Altstadt. Tblissi, also Tiflis, bedeutet im Georgischen „heißes Wasser“. Daraus speisen sich bis heute die noch erhaltene Handvoll an Schwefelbädern, von denen es im 13. Jahrhundert sage und schreibe 65 Stück gegeben haben soll. Schon in der Türkei hat mich die Badekultur mit den Hamams immer begeistert. Hier in Tiflis sieht man noch Komplexe aus kleinen Ziegelkuppeln, unter denen man heute noch baden und sich massieren lassen kann. Besonders imposant ist die Fassade des noch recht neuen (1893) Orbeliani-Bades, die der einer persischen Medrese nachgebildet ist, also eine Art großes, mit überwiegend blauen Kacheln verziertes Portal (weswegen ich es auch erst für eine Moschee gehalten habe).

So langsam tun uns die Füße weh, auch die Hitze setzt uns zu. Gegenüber von Abanotubani, auf der anderen Seite des Flusses auf dem Steilufer, thront unübersehbar die große Metechi-Kirche, im 13. Jahrhundert erbaut auf dem Gelände der früheren Residenz der georgischen Könige. In ihrem Schatten machen wir Rast, schlürfen einen Orangensaft, bevor wir uns auf den Heimweg machen. Als Zwischenmahlzeit greifen wir noch eine Art Börek ab, sind dann froh, erst einmal das klimatisierte Zimmer aufsuchen zu können. Auf dem Weg zum Abendessen, natürlich ins Saamo, besichtigen wir noch die Kathedrale. Selbst mein Superweitwinkel bekommt die Ausmaße nur knapp auf den Sensor gebannt, kein Wunder, ist sie doch das größte Kirchengebäude Transkaukasiens. Der Bau ist neueren Datums, wurde erst zwischen 1996 und 2004 errichtet, finanziert mit Mitteln eines georgischen Geschäftsmanns (…)

Zurück auf dem Zimmer können wir unter uns, in den Wohngebäuden, noch lange das Zetern eine Frau mit anhören, wir haben beide den Eindruck, dass sie ihren Mann verhaut.

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Tiflis 3

Wir wollten ihnen noch eine Chance geben, deshalb hatten wir uns gestern noch nichts anmerken lassen. Aber nachdem es selbst mir heute nicht gelungen ist, sie zu knacken, steht fest: Die Damen, die hier das Frühstück servieren, sind die muffligsten Servicekräfte auf unserer ganzen Reise. Meine gleichlautende Erfahrung im letzten Jahr war also keine Ausnahme. Aber was solls: Wenigstens wir haben Grund zur Freude, denn Rendel hat heute Geburtstag – wie immer seit zig Jahren im Urlaub. Ich unterbreite den Plan für den heutigen Tag – keine Gegenstimmen. Also wieder in die Stadt, heute in den neueren Teil. Zunächst der Freiheitsplatz, an dem auch das Rathaus liegt und wo die Flaniermeile Tiflis‘ schlechthin, die Rustaveli Avenue, endet. Im Zentrum des Platzes steht auf einer Säule die vergoldete Statue des Schutzpatrons und Namensgebers Georgiens, des Heiligen Georg. Der Platz war häufig Schauplatz politischer Veränderungen, nicht selten blutiger, zuletzt fanden hier die Demonstrationen im Zuge der „Rosenrevolution“ statt, die sich gegen Präsident Eduard Schewardnadse, dem ehemaligen sowjetischen Außenminister, und seine Regierung richteten. Vor dem Heiligen Georg „zierten“ den Platz auch schon Statuen Lenins sowie des berüchtigten Geheimdienstchefs der Stalin-Ära, Lawrenti Berija, der als Personifizierung des Terrors zu dieser Zeit gilt (und dem er dann, kurz nach dem Tod Stalins, selbst zum Opfer fiel). Das alles belastet uns heute nicht, aber wir halten es für nicht unwichtig, uns anlässlich unserer Reise auch an die geschichtlichen Hintergründe zu erinnern. (Etwas skurril fanden wir den Stalin-Doppelgänger, der sich, gegen Entgelt und stilecht in Marschall-Uniform, mit Touristen fotografieren ließ.)

Wie gesagt: Rendel hat Geburtstag. Und was gehört zu einem zünftigen Kindergeburtstag? Richtig, ein Besuch im Vergnügungspark! Wir arbeiten uns zur Talstation der Standseilbahn vor, die zum Berg Mtazminda hinaufführt. Der Berg ist leicht zu identifizieren, denn oben drauf steht eines der Wahrzeichen von Tiflis, der Fernsehturm, auf staksigen Beinen und nachts bunt illuminiert.

Eine Standseilbahn ist zwar auch seilgetrieben, läuft aber auf Schienen. Bei der hiesigen fährt immer parallel eine Gondel rauf und eine runter, auf demselben Gleis, auf halber Strecke teilen sich die Schienen, damit die Gondeln aneinander vorbeifahren können. Dabei zieht quasi die eine Gondel die andere durch ihr Eigengewicht nach unten, natürlich noch mit motorischer Unterstützung. Neben dem Fernsehturm befindet sich auf dem Berg ein Ausflugslokal und ein weitläufiger Vergnügungspark mit Fahrgeschäften, Imbissbuden und Cafés. Rendel darf sich natürlich was wünschen – eine Fahrt im 80 Meter messenden Riesenrad. Ich muss schon sagen: recht beeindruckend, zumal man dann wieder einen sagenhaften Blick über die Stadt hat, jetzt aus anderer Perspektive.

An der Stelle, wo die beiden Seilbahnkabinen einander passieren lassen, ist ein Haltepunkt. Wir steigen aus und gehen ein paar Treppen bis zu einer etwas versteckt liegenden Kirche. Der dazugehörige Friedhof gilt als Pantheon von Tiflis und ist offizielle Begräbnisstätte berühmter georgischer Dichter und Staatsmänner, etwa des Dichters Nikolos Barataschwili, dessen Denkmal wir immer passieren, wenn wir auf dem Weg zum Hotel sind, oder Swiad Gamsachurdia, des ersten georgischen Präsidenten nach Zerfall der Sowjetunion. Ich hingegen bin des Pantheons nicht würdig, der Pope verweist mich unter Hinweis auf meine Kleidung des Geländes …

Wir latschen noch ein wenig über die Rustaveli Avenue, vorbei am berühmten gleichnamigen Theater. Als Letztes möchte ich Rendel noch eine weitere Sehenswürdigkeit der Stadt zeigen, die ausnahmsweise nichts mit Klöstern, Kirchen und alten Steinen zu tun hat: den Flohmarkt an der Dry Bridge. Auf dem Flohmarkt gibt es beinahe alles zu kaufen. Neben Büchern liegen Messer, neben alten Haushaltsgeräten findet sich Silberschmuck. Tassen und Teller aus Porzellan stehen neben alten Schreibmaschinen und Kameras. Von der goldenen Stalin-Büste bis zum Ersatzteil für ein Handy aus den Neunzigern findet man auf dem Flohmarkt so ziemlich alles, was nützlich oder unnütz ist. Handwerkskunst aus Georgien und schönen Schmuck findet man auf dem Dry Bridge-Markt genauso wie allerlei Schrott. Für Touristen ein Highlight sind die Händler, die ein Potpourri aus Relikten der Sowjetunion auf ihren Tüchern ausbreiten: militärische Abzeichen, Auszeichnungen der Kommunistischen Partei und allerlei Pins, Fähnchen und Bilder gibt es zu bestaunen. Die „besseren“ Händler dürfen sich prominent präsentieren, zu den Rändern hin finden sich Verkäufer, die – vermutlich ohne viel Erfolg – eher unverkäufliches Zeug anbieten. Manches Mütterchen verbirgt sich vor dem Hitze unter einem alten Schirm und hält den Passanten Büschel von Koriander oder anderen Kräutern hin, ein Bild, das man auch in den Straßen und Parks häufig sieht. (Das monatliche Durchschnittseinkommen eines Erwerbstätigen beträgt etwa € 300,-, die staatliche Rente beläuft sich auf 180 GEL, also gut 50 Euro!)

Wir schleppen uns noch einmal den Hang zum Hotel hoch, stärken uns mit Kirschen, Kuchen und Tee – und einem Nachmittagsschläfchen. Und dann ruft auch schon wieder das Saamo mit seinen stimmgewaltigen Sängern. – Gerne kämen wir noch einmal hierher zurück …

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An die russische Grenze – von Tiflis nach Stepantsminda/Kazbegi

   
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Manche Begriffe haben für mich einen regelrecht mythischen Klang – etwa Euphrat und Tigris, Mesopotamien, oder eben auch „Georgische Heerstraße“ und „Kasbek“. Diese erwarten uns heute; in der Vorbereitung habe ich extra nochmal Brechts „Kaukasischen Kreidekreis“ gelesen, dessen Haupthandlung hier spielt. Mit meiner Faszination stehe ich nicht alleine da, ihr waren schon andere Geistesgrößen wie Alexandre Dumas, Michael Lermontow und Alexander Pushkin erlegen.

Die Ausfahrt aus der Hauptstadt gestaltet sich, es ist Sonntag, wieder recht einfach, aber es ist sehr heiß und schon bald wird auch der Verkehr Richtung Norden dichter – viele Ausflügler. Nach etwa einem Drittel unserer heutigen Strecke passieren wir die imposante Burg von Ananuri, eine Befestigungsanlage aus dem 13. Jahrhundert. Die mächtige zinnenbewehrte Ringmauer ist durch einen quadratischen Bergfried in der Mauer und mehrere weitere Ecktürme verstärkt und noch in gutem Zustand. Wegen des Besucherandrangs beschränken wir uns auf einen Fotostopp. Etwa 30 Kilometer vor Stepantsminda und kurz vor dem berühmten Kreuzpass stoßen wir ziemlich unvermittelt auf ein etwas eigentümliches Denkmal: ein Relikt aus der Sowjetzeit, das monumentale Denkmal zur 200-jährigen georgisch-russischen „Freundschaft“. In einem großen Zweidrittelkreis aus Beton ist in einer Art Panoramabild ein Zyklus russischer und georgischer Legenden in einem Stilmix aus naiver Kunst und sozialistischem Realismus abgebildet, gruppiert um die Figur von „Mütterchen Russland“, die mit ihren Armen Georgien, in Gestalt eines unschuldigen Knabens, umfangen hält. Irgendwie ein bisschen abgefahren, zumal heute, wo von „georgisch-russischer Freundschaft“ ja nun gar keine Rede mehr sein kann. Auf jeden Fall hat man dafür eine prachtvolle Kulisse gewählt, die sich bietenden Ausblicke werden mit jedem Kilometer spektakulärer.

Stepantsminda ist ein kleines Städtchen mit nicht einmal 1.500 Einwohnern auf 1.700 Metern Höhe; bis zur russischen Grenze sind es noch gut 10 Kilometer. Der Besuch lohnt vor allem wegen der traumhaften Lage am Fuß des Kasbek (5.047 m). So nehmen wir auch ohne Zögern das Angebot an, gegen einen kleinen Aufpreis ein Zimmer mit Blick auf den Berg und gleichzeitig auf die Gergetier Dreifaltigkeitskirche zu nehmen. Das Hotel Porta Caucasia ist ziemlich luxuriös, die 95 Euro für die Nacht sind aber immer noch akzeptabel. Rendel macht mal wieder den Scout und besorgt uns einen Fahrer, der uns zu besagter Kirche bringt. Das Bild – Kirche auf Berg mit noch höherem Berg dahinter – gehört zu denen, die man auf den Postern der Fremdenverkehrszentrale u. ä. findet – einfach einmalig. Das schon öfter erwähnte Manko – Sonntag und viele Ausflügler – kommt auch hier zum Tragen. Der Komplex ist ziemlich überlaufen, aber trotzdem: wunder-wunderschön! Unser Fahrer hat gewartet und wittert noch ein kleines Zusatzgeschäft: „You want see waterfall?“ Erst lehnen wir ab, erliegen dann aber seiner Hartnäckigkeit. Was dann folgt, ist schier unglaublich: Wir fahren mit einem der hier sehr beliebten allradgetriebenen Delica-Minibusse. Die letzten zwei, drei Kilometer bis zu besagtem Wasserfall sind nicht einmal ein Ziegenpfad, sondern einfach nur Felsen. Und darüber balanciert unser Fahrer wie eine Gämse, oft so, dass wir meinen umzukippen. Allein dieses Fahrabenteuer war den gesamten Fahrpreis wert. Unser Fahrer lässt uns raus, die letzten Meter gehen wir zu Fuß. (Tatsächlich ist zu den Gveleti-Wasserfällen nicht mal ein Feldweg auf Google Maps verzeichnet.) Die Wasserfälle an sich sind schön, aber nicht so spektakulär wie beschrieben. Den Reiz macht eher die Umgebung an sich aus und sicher auch der Hinweis, dass man hier aufpassen soll, nicht versehentlich auf russisches Territorium und auf eine entsprechende Grenzpatrouille zu geraten.

Im Hotel gibt es heute Steak mit Polenta, dazu einen exzellenten Roten. (Das Hotel gehört zu Khareba, einer der renommiertesten Weinkellereien Georgiens; der Wein reift in 15 unterirdischen Tunneln, die jeweils bis zu 800 Meter lang sind.)

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Ein Wurm oder keiner“ – Chiatura

   
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Nur ungern lassen wir diesen eindrucksvollen Landstrich wieder hinter uns. Ein Stück, bis kurz vor Tiflis, geht es auf derselben Strecke zurück, dann halten wir uns auf der Autobahn zunächst westlich. Morgen wollen wir nach Kutaissi, wo ich im letzten Jahr ein paar Tage verbracht habe, vorher steht aber noch ein Abstecher in eine eher nicht so bekannte Ortschaft an. Wir passieren Gori, Geburtsstadt eines gewissen Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili, dem in Gori immer noch gehuldigt wird. Wem? Ach so: genannt „Stalin“. Nahe der Stadt befindet sich auch das Höhlendorf Uplisziche, auf das wir aber auch verzichten. Bei Khashuri verlassen wir die Autobahn und halten auf verwinkelten Sträßchen auf Chiatura zu. Was wollen wir hier, in einem Ort, von dem es heißt: „Seit 1992 war in Chiatura die Gas-, Wasser- und Stromversorgung zusammengebrochen. Strom gibt es seit 2004 wieder. Das Gas- und Wasserleitungsnetz ist inzwischen völlig verrottet. Wasser fließt alle drei bis fünf Tage für etwa 30 Minuten. Trinkwasser muss in Kanistern aus Quellen und einigen wenigen Brunnen in der Stadt herbeigeschafft werden. Wohnungen, auch in Hochhäusern, werden mit Holzöfen beheizt. Durch die Situation hat sich die Einwohnerzahl fast halbiert.“ (Wikipedia; 23.04.2020)
Fürst Akaki Zereteli, Dichter, Politiker und Leitfigur der georgischen Nationalbewegung, soll dem Ort seinen Namen gegeben haben, auf Deutsch: „Ein Wurm oder keiner“, Anspielung auf die gewundenen Straßen der Stadt.

Ich war im letzten Jahr mit meinem Gastgeber Zaal hier, u. a., um mir eine interessante Höhlenkirche in einem Berg direkt über dem Ort anzuschauen. Zaal, Inhaber des Hotel Paradise Road und Professor, hatte, als er mein Interesse erkannte, einen echten Narren an mir gefressen, fuhr mit mir tagelang durch die Gegend, zeigte mir tausend Sachen und erzählte dabei ohne Punkt und Komma. Zu Chiatura wusste er u. a., dass der Ort einmal eines der Zentren des Mangan-Abbaus war, zeitweise wurde von hier 40% des Weltbedarfs bedient. Eher beiläufig wies er mich auf die zu Hochzeiten über 70 Seilbahnen hin, die zu etwa 2/3 dem Material- und 1/3 dem Personentransport dienten. Davon sind noch eine Handvoll übriggeblieben. Die Menschen sind aber weiterhin darauf angewiesen, sonst könnten sie nicht zu ihren meist auf dem Berg gelegenen Wohnungen gelangen. Nachdem wir im Fernsehen eine Dokumentation über eben diese Seilbahnen gesehen hatten, war klar: Da müssen wir auch hin.

Das kleine Hotel Pirosmani am Ortseingang ist schnell gefunden, auch hier wieder nette Inhaberfamilie. Einfaches Haus, aber alles, was man braucht. Wenn es nur nicht so brutal heiß wäre! Aber nützt nix, wir müssen noch los. Auf dem Weg in die „City“ hören wir schon das Sirren der Lastengondeln an ihren Kabeln – immer noch transportieren sie, wenn auch nur noch wenig Manganerz von den Fördereinrichtungen zu den Verladestationen. Direkt im Ort sehen wir die „Talstation“ einer der letzten Personenbahnen. Ganz ohne Übertreibung: Einem unvoreingenommenen Betrachter wäre ganz klar, dass es sich hier um ein Museumsexponat handelt. Ganz aus rostigem, zigmal überpinseltem Stahl, Fenster – wenn noch vorhanden – mit fast blindem Glas, in der Ecke ein Uralt-Telefon, sorry: ein Fernsprechapparat mit so einer außen angebrachten Glocke. Wahnsinn! Irgendwann gibt’s ein kurzes Signal, dann geht’s los – fünf Passagiere und der „Zugführer“ (der auch schon mal, ausgerüstet mit eher grobschlächtigem Werkzeug, auf halber Strecke durch die Dachluke auf die Gondel steigen muss, um allfällige Wartungsarbeiten vorzunehmen – nein, auf unserer Fahrt nicht …) Die Anlage wurde 1953 errichtet und dürfte sich – eben abgesehen von der Farbe – im Originalzustand befinden. So geht es dann, in einem Winkel von 48°, hoch auf den Berg. Dort befinden sich einige der in obigem Wiki-Zitat erwähnten Hochhäuser, eher Ruinen und nur noch zum Teil bewohnt – Plattenbauten aus Sowjetzeiten. Wir sehen uns ein wenig um, flüchten uns dann aber vor der Sonne in den Schatten, bevor es zurück geht.

Im Hotelgarten machen wir uns mit Philipp aus Berlin und Tomaş und Ludmilla aus Tschechien bekannt. Philipp ist angestellter Architekt, lebt sehr bescheiden und arbeitet immer nur so lange, bis er wieder genug Geld zum Reisen hat. Er ist, soweit es irgend geht, mit Bus und Bahn unterwegs, zudem ist er Seilbahnfan, was ihn – wie uns – hierher verschlagen hat. Tomaş und Frau arbeiten für Bayer, er ist sehr unglücklich über seine derzeitige berufliche Situation. Deshalb befragt er mich auch detailliert über meine Entscheidungsfindung und die Erfahrungen mit meinem vorzeitigen Ausstieg aus dem Berufsleben. (Beim Verabschieden am nächsten Morgen gesteht er mir, dass er in der Nacht noch viel darüber nachgedacht habe, vielleicht sei das bei ihm der letzte Anstoß gewesen.)

Das Abendessen ist rustikal und schmackhaft, vor allem viel Schaschlik – wie gesagt: wurde hier erfunden.

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Chiatura–Khatskhi–Gelati–Kutaissi

In der Nacht hat es mal kräftig geschüttet, die damit verbundene Abkühlung ist nicht von langer Dauer. Auf dem Weg nach Kutaissi liegen noch zwei Zwischenziele, die ich mir, mit Erläuterungen meines neuen Freundes Zaal, schon im letzten Jahr angesehen habe. Bis Katskhi sind es nur 10 Minuten, dann sieht man sie schon zwischen den Bäumen, die Felsnadel mit dem winzigen Kloster an der Spitze. Der freistehende Fels ist 40 Meter hoch, das kleine Plateau, auf dem das Minikloster steht, misst etwa 10 mal 15 Meter. Das Kloster entstand wohl im 10. Jahrhundert und wird seit den 1990er-Jahren wieder von einem Einsiedlermönch bewohnt. Dieser steigt zwei Mal in der Woche herab, empfängt keinen Besuch und wird über einen Flaschenzug mit dem Lebensnotwendigsten versorgt. Aufstieg und Zutritt zum eigentlichen Kloster sind nicht gestattet. Funde weisen darauf hin, dass der Ort schon vor Gründung des Klosters ein christliches Heiligtum beherbergte (etwa 5./6. Jh.).

Ein Gelato käme jetzt gut, aber leider … Dafür gibt’s Gelati! Eine ordentliche Portion. Denn das Kloster von Gelati ist schon beeindruckend. Die Anlage liegt etwas nordöstlich von Kutaissi. Es ist eines der bedeutendsten Klöster Georgiens, zudem liegt auf seinem Areal die frühere Akademie von Gelati, eines der damaligen kulturellen und geistig-geistlichen Zentren Georgiens. Gelati ist Kloster, war aber früher auch Bischofssitz. Zudem liegen hier die bedeutendsten Könige und Königinnen Georgiens begraben, etwa der berühmte David der Erbauer. Auf seine Anweisung hin wurde das Kloster errichtet. David wurde auf eigenen Wunsch nicht im Dom, sondern in einem der Eingänge der Klosteranlage beerdigt. Auf seiner Grabplatte ließ David festhalten, dass jeder Besucher der Klosteranlage über sein Grab laufen solle. Was wir dann auch tun. Fröhlich pfeifend spaziere ich an einer der Kirchen vorbei, woraufhin mich ein freundlicher Pope anspricht – warum ich so fröhlich sei? „Nun ja, ich bin ein fröhlicher Mensch und habe gerade einen sehr guten Tag!“

Mir fällt ein Deutsch sprechendes Paar auf, das, über einen Reiseführer gebeugt, im Schatten sitzt. Ich spreche sie an – ein Ehepaar aus München. Sie haben etwas für dieses Land extrem Exotisches gemacht: sich einen Wohnwagen geliehen. Das ist hier praktisch unbekannt, entsprechend fallen sie auf – und ab und zu steht dann jemand mit einer Flasche Wein und Essen vor der Tür, immer erstaunt, was so ein Wohnanhänger an Komfort zu bieten hat. Sie berichten auch von viel Hilfsbereitschaft, etwa anlässlich einer Panne. Die Beiden zeigen sich an unseren Reisen interessiert, spielen auch mit dem Gedanken, vielleicht früher aufzuhören …

Zaal hatte mir erzählt, dass er als Kind, wenn sie von einem Ausflug nach Hause kamen, am Rattern des Autos beim Überfahren eines bestimmten Kopfsteinpflasters selbst im Dunkeln immer wusste, dass sie gleich daheim sein würden. Diese Katzenkopfstrecke hatte ich mir, auch anhand anderer Merkmale, gemerkt, wusste also auch, dass wir gleich „zu Hause“ sein würden. Zudem liegt das Hotel sehr markant direkt am Fluss Rioni.
Es muss wohl am Schweiß liegen, der so in den Augen brennt! Irgendwie habe ich die Orientierung verloren. Alles Fragen hilft nicht wirklich weiter, schließlich zeige ich einem Taxifahrer die Telefonnummer. Er ruft im Hotel an, weiß dann gleich Bescheid und fährt uns voraus. Na klar, hätt’ ich doch auch … Zaal wartet schon, begrüßt uns überschwänglich und mit offensichtlicher echter Freude. Untröstlich ist er, dass er das schöne Zimmer, das ich im letzten Jahr hatte, nicht frei hat. In dem Moment kommen Frau und Tochter und berichten, dass vor ein paar Minuten ein Gast abgesagt hätte – und wir bekommen ein tolles Dreierzimmer für uns.

Das Paradise Road liegt, wie gesagt, direkt am Rioni, der kleine, abschüssige Garten grenzt ans Ufer. Für ein Hotel dieser Preisklasse gehört es zu dem Besten, was mir je untergekommen ist. Äußerst geschmackvoll eingerichtet, ganz modern, auch die handwerkliche Ausführung perfekt (Stichwort: Silikonfugen …), effektive Klimaanlage – alles ganz top! Ich parke die Moppeds im Innenhof, wir duschen, richten uns ein und warten die heftigste Hitze ab.

Im 10./11. Jahrhundert war Kutaissi Sitz georgischer Könige und auch später immer mal Hauptstadt des westgeorgischen Königreichs Imeretien. Von 2012 bis 2019 war die Stadt Sitz des georgischen Parlaments, das auch heute noch hin und wieder hier tagt. Mit seinen knapp 150.000 Einwohnern ist Kutaissi auch schon – nach Tiflis und Batumi – die drittgrößte Stadt Georgiens. Die Stadt verfügt über zwei Universitäten, die zugleich zu den größten Arbeitgebern gehören. (Dass die Sängerin Katie Melua von hier stammt, sei auch nicht unerwähnt.) Ganz ähnlich wie in Tiflis dominieren auch hier mehr oder weniger gut erhaltene Prachtbauten die Optik der Innenstadt. Und auch hier sieht man nicht wenige Bettler oder Menschen, die Kräuter, Papiertaschentücher oder Obst anbieten, um sich irgendwie über Wasser zu halten. (Anm.: Kutaissi wird – Stand April 2021 – regelmäßig von Deutschland aus mit WIZZ Air angeflogen; so bin ich 2018 von Dortmund aus dorthin gelangt.)

Auch, wenn ich das Hotel nicht gleich gefunden hatte – richtig in Erinnerung war mir geblieben, dass es direkt an einer der Straßen liegt, die direkt zum zentralen Platz der Stadt führen. (Schön ist – und das war auch einer der Gründe, warum ich die Adresse nicht richtig ins Navi bekam –, dass das Hotel in dritter Reihe liegt, damit recht abgeschottet vom Verkehrslärm, der zumeist eh vom Rauschen der Rioni übertönt wird. „Tsereteli street 4-th lane, №1“). So sind es dann nur 500 Meter bis zum Zentrum Kutaissis, zum großen, kreisrunden David-Agmashenebeli-(„David, der Erbauer“)-Platz (der mit dem Grabstein im Gelati-Kloster), in dessen Mittelpunkt wiederum eines der Wahrzeichen der Stadt, der Kolchis-Brunnen, liegt. Die Gestalten und Figuren auf dem Brunnen stellen vergrößerte Nachbildungen von Fundstücken aus der antiken Provinz Kolchis dar, bekrönt wird der Brunnen durch ein vergoldetes Pferdepaar. Auf dem Brunnenrand sitzt eine männliche Bronzefigur, die ein Trinkhorn in der Hand hält, auch dies die vergrößerte Kopie eines Fundes. Sie stellt den „Tamada“ dar – den Zeremonienmeister bei einem georgischen Gastmahl, der für den ordentlichen Ablauf des Festes und vor allem für die typischen Trinksprüche sorgt. An den Platz grenzt ein Stadtpark, unter dessen Bäumen wir doch wieder Schutz vor der Sonne suchen müssen.

Im Zentrum kann man gut essen, da es noch etwas früh ist, wollen wir einer Empfehlung folgen, die noch einige Meter Fußmarsch erfordert – oder, ganz bequem per Seilbahn zu erreichen ist. Deren Talstation (hört sich gewaltiger an als es ist) befindet sich am Ufer des Rioni unmittelbar neben der Weißen Brücke. Die zuständige Dame bescheidet uns jedoch abschlägig, die Bahn führe nicht. Seltsam, bis grade doch noch … Okay, dann zu Fuß, was wir – besonders ich – dann bald verfluchen, denn zum kleinen Park auf dem Hügel geht es ziemlich steil hoch. Und zu allem Überdruss gibt es das besagte Restaurant nicht mehr. Aber es ist noch steigerungsfähig: Oben erfahren wir, dass die Seilbahn doch fährt! Missverständnis? Auf jeden Fall können wir den Rückweg wenigstens auf die Weise absolvieren – und das Gardenia Restaurant, das ich in guter Erinnerung hatte, liegt direkt zwischen der Seilbahnstation und der Weißen Brücke. Diese war lange wegen Baufälligkeit gesperrt, wurde dann überholt und ist jetzt wieder Fußgängerbrücke. Auf dem Geländer sitzt ein Junge aus Bronze, der in jeder Hand einen Hut hält – Anspielung auf einen georgischen Film. Leider gerät der Restaurantbesuch heute zum Ärgernis. Rendel hat ihren Salat und ihre Pizza längst auf, während ich, trotz mehrmaliger Nachfrage, immer noch auf mein Hähnchen in Knoblauch warte. Es war klar, dass das etwas länger dauert, aber als ich eine halbe Stunde, nachdem Rendel fertig ist, noch nichts habe, brechen wir verärgert auf. Dann müssen es eben ein Paar Hotdogs vom Büdchen tun … Und mehr als versöhnlich ist dann der Ausklang auf der eigens für uns hergerichteten Terrasse mit Blick auf den Rioni – und einer Flasche von Zaals bestem Roten!

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Kutaissi

   
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Das Paradise Road war – bei meinem ersten Besuch noch eher zufällig, jetzt mit Bedacht gewählt – in jeder Hinsicht ein Glückstreffer. Zunächst das Hotel an sich, dann aber vor allem auch Zaal und seine Frau, auch sie eine Seele von Mensch. Nachdem Zaal bei meinem 2018er-Aufenthalt registriert hatte, dass ich an Land und Leuten überdurchschnittliches Interesse zeigte und zudem auch recht gut vorbereitet war, nahm er jede Gelegenheit wahr, mich auf irgendetwas hinzuweisen, mir etwas zu zeigen und zu erklären. Tagelang sind wir in seinem Wagen durch die Gegend gefahren – und er erzählte und erzählte …, wobei es mir nicht immer leicht fiel, ihm zu folgen. Auf mein Nachfragen musste ich mir immer wieder anhören: „But I already told you!“ Als Professor mit weitem Horizont konnte er natürlich aus dem Vollen schöpfen, vor allem auch im Blick auf neuere Geschichte. Es ist hier nicht der Ort, das alles zu referieren, aber die Fakten (und Anekdoten) stellten eine echte Bereicherung, zudem mit hohem Unterhaltungswert, dar. Haften geblieben ist etwa die Geschichte von Stalin und Churchill. Letzterer neigte im Alter zu Depressionen. Diese zu durchstehen half der Georgier, indem er ihm hin und wieder ein paar Fläschchen des besten Roten zukommen ließ, den Zaal noch heute keltert. Interessant war auch ein Ausflug in den alten Kurort Zqaltubo unweit von Kutaissi. Hier kurte Prominenz aus dem gesamten sowjetischen Einflussbereich, und das in einem Ambiente, dessen verfallende Überreste auch heute noch an Baden-Baden erinnern. Zaal erzählte von etlichen Malen, wo das Gelände von Geheimpolizei großflächig abgesperrt wurde, weil sich Mitglieder der Staatsspitze dort aufhielten.

Georgien und Armenien gelten als die Ursprungsländer kultivierten Weinbaus, die Anfänge reichen über 7.000 Jahre zurück. Das Mikroklima, der Boden und andere Faktoren lassen hier außergewöhnliche Tropfen gedeihen. Und was für ein Glück, dass Zaal Winzer mit Leib und Seele ist! Der kleine Frühstücksraum des Hotels ist mit alten Amphoren und ähnlichem dekoriert. Ins Allerheiligste soll ich jedoch erst später eintreten dürfen …

Gut ausgeschlafen begrüßen wir den neuen Tag, duschen und Frühstück müssen jedoch etwas warten, weil der Strom ausgefallen ist. Im Großen und Ganzen trifft die georgische Küche genau meinen Geschmack, lediglich mit einem der Hauptnahrungsmittel, gleichzeitig der bekannteste Snack für zwischendurch, kann ich mich nicht recht anfreunden: Chatschapuri, ein in unterschiedlichsten Varianten – je nach Gegend – erhältliches Hefegebäck, das auch schon zum Frühstück gereicht wird und auf jeden Fall sehr satt macht. Auch auf eine andere „Stärkung“ verzichte ich morgens gerne: Zaal hat mit seiner Frau geschimpft, weil sie mir nicht die gängige 100-Gramm-Portion Tschatscha serviert hat. Ja, das wird in Gramm bemessen – und handelt sich um einen Tresterbrand mit einem Mindest-Alkoholgehalt von 45%. Üblicherweise zum Frühstück. Aber ansonsten liegt mir alles, was georgische Küche und Keller zu bieten haben, beim Essen insbesondere die Chinkali, relativ große, mit würzigem Hackfleisch gefüllte Teigtaschen, die in kochendem Wasser gegart werden. Beim Verzehr knabbert man erst die Hülle vorsichtig an, schlürft die Brühe heraus, und isst dann die Teigtasche mit der Füllung. Die kunstvoll zum Verschluss verzwirbelten „Kragen“ lässt man auf dem Teller – zum Schluss wird gezählt, wer am meisten geschafft hat!

Auch ohne Chatschapuri werde ich satt, wir machen uns auf zum Grünen Markt, einer Markthalle für Obst, Gemüse und allem anderen, was man für die Küche braucht. Die georgische Küche kennt eigentlich kein Fastfood. Leider reicht die Zeit unseres Aufenthalts nicht aus, das mitzuerleben, von dem Zaal mir vorgeschwärmt hat: ein richtiges traditionelles georgisches Abendessen in seinem Herkunftsdorf, dort, wo auch seine Rebstöcke stehen. Aber dazu kann man nicht mal eben anrufen und sagen: „Heute Abend kommen wir!“, denn die Vorbereitungen für so ein Mahl dauern üblicherweise einige Tage. Somit bleibt nur die Hoffnung, nochmal für etwas länger wiederzukommen. Aber immerhin können wir mit Augen und Nasen in dem schwelgen, was in der Markthalle feilgeboten wird. Und auch die Ohren kommen nicht zu kurz, denn den fast schon legendären Marktfrauen zuzusehen und zuzuhören, ist ein Schauspiel für sich (auch, wenn man nix versteht …)

Ähnlich wie die Sameba in Tiflis kann man die Bagrati-Kathedrale von fast jedem Punkt der Stadt aus sehen, hoch thront sie über Kutaissi. Will ich mir den Aufstieg nochmal antun? Allerdings ist es heute nicht so heiß wie im letzten Jahr. Ich erinnere mich, dass ich seinerzeit mehrmals von alten „Ömmakes“ auf dem Weg hinauf überholt worden bin. Welch eine Schmach. Also los! Tatsächlich geht es diesmal besser. Optisch vergleichbar, da im selben Baustil errichtet, trennen die beiden Kathedralen doch Jahrhunderte, genauer gesagt: ein Jahrtausend. Denn während der Prachtbau in Tiflis im Jahr 2004 vollendet wurde, ist für die Bagrati das Fertigstellungsjahr 1003 gemäß einer Inschrift an der Fassade belegt. Von den Osmanen zerstört, wurde sie später restauriert, allerdings in einer Weise, die ihr die Aberkennung als UNESCO-Weltkulturerbe einbrachte. Trotz allem wirken das Gebäude und das ganze Ensemble immer noch erschlagend groß und schön. Lange stromern wir um den Komplex und genießen immer wieder neue Perspektiven und den Blick über die Stadt. (Später erfahre ich, dass die Kirche von Öşk Vank im Georgischen Sinai – also in der Nordost-Türkei – den Erbauern der Bagrati zum Vorbild diente; siehe den Bericht 2011.)

Mit Blick über die Stadt versuchen wir, uns zu orientieren: Ich hatte von einer lutherischen Kirche gelesen, eine Seltenheit in dieser Gegend. Dahinten, auf der anderen Flussseite, das muss sie sein. Allerdings verfransen wir uns heillos, landen zunächst an einer Synagoge, dann wieder einen Berg hoch – sehr schön gelegene Kirche mit altem Baumbestand und Friedhof, aber wieder orthodox. Also den Berg runter, dann die gesuchte Kirche. Der Pope schüttelt jedoch verständnislos den Kopf … Okay, dann eben nix mit Luther! Und langsam melden sich auch Rücken und Füße. Wir machen uns auf den Rückweg, vorbei an winzigen Lädchen, die sich aneinanderreihen – fast alle im Souterrain. Auch hier werden fast ausschließlich Gemüse, Obst, Käse und Wein angeboten und dem Kunden durch die kleines Türchen herausgereicht.

Nach der (teilweisen) Pleite am Vorabend setze ich diesmal auf Bewährtes: Ich führe uns ins Restaurant Baraka im Herzen von Kutaissi, wo mir im Vorjahr eine sehr charmante Bedienung eine Kurzeinweisung in die georgische Küche gegeben hat. Heute ist uns jedoch mal nach Pizza, ergänzt um Salat und gegrillte Pilze. Wieder „zu Hause“ legt sich Rendel zeitig hin – der Kopf macht nicht so mit. Ich sitze alleine auf dem Balkon und lausche dem Rauschen der Rioni.

Jäh werde ich aus meiner Andacht gerissen, Zaal bedeutet mir, ihm unauffällig zu folgen … Ich mag diesen Mann! Bei meinem ersten Besuch brauchte es nur wenig Zeit um zu wissen, dass wie beide gut miteinander können. Vielleicht Anfang, Mitte 50, einen Kopf kleiner als ich, aber ungemein drahtig, was sicher auch auf seine Zeit als erfolgreicher Wasserballer zurückzuführen ist. Als Professor für Klassische und römische Philologie, gepaart mit einem schier unerschöpflichen politischen und geschichtlichen Wissen, war er für mich die anregendste Informationsquelle, die ich mir wünschen konnte – dazu noch sehr sympathisch und humorvoll. (Wobei ich ihm natürlich kaum ein adäquates Gegenüber sein konnte – was er sich aber freundlicherweise nie anmerken ließ …)

Zaal führt mich in einen verschlossenen Raum, der an einen Mini-Weinkeller erinnert, ein dicker Holztisch in der Mitte, rundherum amphorenartige Gefäße und große Glaskolben unterschiedlicher Größe. Natürlich ist dies nicht der eigentliche Weinkeller, angebaut und produziert werden die Weine der Familie nahe der Ortschaft Wani, die noch zur Provinz Emeretien gehört, deren Hauptstadt Kutaissi ist. Es übersteigt mein Erinnerungs- und auch wohl Auffassungsvermögen, um all das wiederzugeben, was mir Zaal an diesem Abend über Weine in Georgien zu vermitteln versuchte. Gut, wenn auch etwas verschwommen, erinnere ich mich an die Tropfen, die er mir nach und nach mit aufsteigender Qualität kredenzt. Hängengeblieben ist die interessante Information, dass es im Grunde nur zwei grundsätzlich unterscheidbare Weintraditionen auf der Welt gibt: die eher europäische, also vornehmlich französisch/italienische und die georgische. Der fundamentale Unterschied besteht darin, dass erstere Weine in Holzfässern, die georgischen jedoch in großen Tonkrügen, Quevri genannt, ausgebaut werden. (Nicht in jeder Phase und nicht bei allen Weinen, aber im Grundsatz. Zudem wird heute in Georgien die Masse der Weine auch nicht mehr auf diese traditionelle Weise hergestellt, auch hier haben Stahltanks Einzug gehalten.) Die Quevri werden langsam rar, da es kaum mehr Töpfereien gibt, die mit deren Herstellung vertraut sind. Die Tongefäße – Fassungsvermögen 10 bis 2.000 Liter – werden bis zum Hals in der Erde versenkt, mit einem Stein verschlossen und mit Ton und Asche abgedichtet. Die unter diesen Bedingungen stattfindenden mikrobiologischen und chemischen Prozesse unterscheiden sind in vielerlei Hinsicht von denen in Holzfässern, was einen anderen, ganz eigenen Weincharakter zur Folge hat.

Neben der vinologischen Lektion bekomme ich von Zaal noch ein wenig Einblick in die georgische Kultur und Denkweise. So erfahre ich, dass es im Georgischen, das überhaupt eine sehr blumige Sprache ist, alleine 61 Synonyme bzw. unterschiedliche Bezeichnungen für „Regen“ gibt. Hingegen gibt es für die „Qualität“ von Wein – und von Frauen – nur zwei Kategorien: „gut“ und „göttlich“ … Zum Abschluss dieses unvergleichlichen Abends schenkt mir Zaal noch eine Flasche selbstgebrannten Tschatscha. Natürlich nicht ohne eine passende Geschichte: Einmal im Jahr, im Spätwinter, zieht sich Zaal zum Schnapsbrennen zurück. Eine Woche lang bekommt er praktisch keinen Schlaf, weil er ständig die Brenntemperatur überwachen und das dafür erforderliche Holz nachlegen muss. Die Ausbeute ist klein, aber durchaus fein: 25 bis 30 Flaschen sind der Mühe Lohn. Aber, so kann ich später daheim feststellen: Das Ergebnis kann es mit den besten mir bekannten Grappas aufnehmen!

Liegt es an der Fülle von Informationen – oder doch am Wein? Ich muss ins Bett. Zufrieden stelle ich fest, dass meine „Göttliche“ ihre Kopfschmerzen hinter sich gelassen hat und friedlich schlummert.

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Zurück in die Türkei (Kutaissi–Trabzon)

Wir frühstücken zeitig, bekommen aber noch nicht viel runter. Zaal und seine Frau haben sich zur Verabschiedung eingefunden, insbesondere sie spart nicht mit wertschätzenden Worten und fragt ihren Mann, ob das Reisen per Motorrad nicht auch etwas für die beiden sein könnte … Als Zaal mich zum Abschied drückt, hat er Tränen in den Augen. Wir müssen auch etwas schlucken, und wieder wird uns bewusst, dass der Kontakt mit Menschen der alles überragende Aspekt bei unseren Reisen darstellt.

Wir starten bei 26°C, wärmer wird es auch später am Tag nicht mehr, also gutes Fahrwetter. Immer straff gen Westen halten wir auf Batumi zu. Meist geht es über eher schmale Straßen durch kleinere Orte, etwas deplatziert wirkt ein kurzer, vierspuriger Autobahnabschnitt mitten auf der Strecke. Kurz vor der Küste zeichnet sich die Skyline von Batumi mit ihren futuristischen Hochhäusern am Horizont ab. Batumi ist die zweitgrößte Stadt Georgiens und eine echte „Boom Town“. Wir sind davon eher abgeschreckt, wiewohl es hier auch eine sehr sehenswerte Altstadt geben soll. Die Hoffnung, diese, mit etwa 160.000 Einwohnern gar nicht mal soo große Stadt ganz umfahren zu können, erfüllt sich nicht. Wir quälen uns hindurch und machen auch mit dem etwas ruppigen Fahrstil der Georgier Bekanntschaft. Ein Autofahrer schneidet mich so frech, dass ich kurz versucht bin, ihm mit meinem Seitenkoffer eine kleine Lektion zu erteilen …

Nach nur weiteren knapp 20 Kilometern erreichen wir den georgisch-türkischen Grenzübergang Sarpi. Was für ein Unterschied zur seinerzeitigen Einreise! Lange Schlangen in den nicht wenigen Abfertigungsspuren, langsam fußelnd nähern wir uns den Schaltern, nach einer Stunde sind wir durch. Das also waren Georgien und Armenien. Der Abschied fällt uns nicht ganz leicht, denn die Länder und ihre Menschen haben es uns schon sehr angetan. Zumindest Rendel tröstet sich damit, die Koriander-Berge hinter sich lassen zu können – hier an der Schwarzmeerküste sind eher Çay und Haselnüsse angesagt …

Das Wetter hat in Richtung „feucht“ gewechselt, drei fette Regenschauer machen die Fahrt etwas unangenehm, zumal wir durch eine Unzahl von Städten müssen. Etwas surreal anzuschauen, wabert dichter Nebel über dem Meer. Wir müssen unbedingt tanken, doch alle – buchstäblich alle – Tankstellen, die mir das Navi anzeigt, befinden sich linker Hand, dazwischen kilometerweit eine nicht unterbrochene Mittelleitplanke. Langsam nervt mich das etwas, zumal das dann auch bedeutet, nicht nur bei nächster Gelegenheit links rüberzufahren, dann ein Stück in Gegenrichtung zur Tanke, sondern dann auch in der Richtung ein ganzes Ende weiterfahren zu müssen, bis sich wieder eine Möglichkeit zum Wenden in Zielrichtung auftut! Irgendwann bleibt uns nichts anderes übrig, denn ohne Sprit liegenzubleiben wäre noch ärgerlicher.

Nach den guten Erfahrungen mit dem Double Tree by Hilton in Van haben wir auch für Trabzon hier ein Zimmer gebucht. Links sehen wir die Kuppel der hiesigen „Hagia Sophia“, die wir vor Jahren mal besichtigt haben, fünf Minuten später taucht rechter Hand der Hotel-Schriftzug auf. Im Gegensatz zu Van ist das Essen hier eher mäßig, auch Bier gibt es keins. Wir laufen ein wenig die Straße entlang, das Umfeld ist eher trist (ein Eindruck, den ich von Trabzon jedes Mal habe). Aber zumindest kann ich in einem „Tekel“ zwei Bier erstehen, damit genießen wir auf einem Felsen am Meer sitzend die Abendstimmung – versöhnlicher Ausklang eines fordernden Tages.

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Trabzon–Tokat

Nächstes Etappenziel soll – Ehrensache! – Kappadokien sein. Die Strecke ist sinnvoll nicht an einem Tag zu schaffen, stellt sich die Frage nach dem Zwischenstopp. Mindestens drei fast gleichwertige Routen stehen zur Auswahl, wir entscheiden uns für Tokat, denn da waren wir noch nicht. Außerdem lockt eine dortige Spezialität, die ich schon mehrmals in Amasya genießen durfte: der Tokat-Kebab, der sich vor allem dadurch auszeichnet, dass er mit ganzen, gegrillten Knoblauchknollen auf den Tisch kommt.

Um 7 Uhr frühstücken wir (besser als das Abendessen – etwa mit ganz leckerer Kiwi-Marmelade auf Joghurt und außergewöhnlich aromatischem Tee). Etwas unangenehm ist lediglich die große Gruppe griechischer Touristen, die sich insgesamt sehr laut und etwas rücksichtslos gebärdet. (Die Gegend ist die historische Heimat der so genannten „Pontusgriechen“, von denen heute nur noch wenige hier leben. Die Vorfahren von Griechen, deren Familiennamen auf „-idis“ oder „-iadis“ enden, stammen zumeist von der türkischen Schwarzmeerküste.)

Der Himmel ist völlig grau und bedeckt, leichter Sprühregen, der manchmal etwas stärker wird. Wir fädeln uns wieder in die O10, die zumeist recht eintönige und bei diesem Wetter zusätzlich triste Küstenstraße, ein. Wann immer mich jemand danach fragt, rate ich, auf dem Weg nach Osten (oder zurück) eine Route südlich der Küste zu nehmen, denn die ist zumeist wesentlich spannender und auch nicht unbedingt länger. Zudem ist die Chance groß, dem ewigen Regen, der für die Küste eigentlich ein Segen ist, zu entgehen. Gut, dass ich, neben der eigentlich geplanten Route, meist auch noch ein paar Infos abseits des Weges in petto habe. So lockern wir die Eintönigkeit ein wenig auf, indem wir die Hauptstraße kurz hinter Ordu verlassen und den Schlenker direkt am Meer entlang über Perşembe und das Kap Jason nehmen (die, in diesem Bereich teilweise über längere Strecke durch Tunnel geführte Hauptstraße, soll dem Durchgangsverkehr genau diesen weiten Umweg vermeiden helfen). Der Straßenabschnitt ist auf der Karte grün markiert, was eine „schöne Strecke“ anzeigt. Und tatsächlich erweist sich die kleine Halbinsel teilweise als regelrecht „lieblich“, vor allem die Westseite. An der nördlichsten Spitze, dem Kap Jason (benannt nach dem Argonautenführer), befindet sich eine kleine, recht originelle Kirche aus dem späten 19. Jahrhundert, errichtet von Georgiern und Griechen. So schön der Ort ist – heute liegt wetterbedingt eine gewisse Melancholie über der ganzen Gegend, auch, wenn die kleinen Fischerorte mit ihren Buchten bestimmt ihren Reiz haben. Jetzt ist Zeit, mal wieder Sonne zu sehen. Aber in der Hinsicht steht uns zunächst noch Schlimmeres bevor. Bei Ünye wollen wir scharf nach Süden abbiegen. Ein junger Mann, mit dem wir am Kap Jason ins Gespräch gekommen sind und der selbst Motorrad fährt, versuchte uns dringend, mit Hinweis auf den schlechten Straßenzustand, auf eine andere Strecke zu verweisen. Wir sind die „850“ Richtung Niksar, die auch grün gekennzeichnet ist, jedoch schon öfter gefahren, wissen also, was uns erwartet. Oder besser: meinen, zu wissen … Tatsächlich gehört die Strecke über den Canik-Bergrücken zu den schönsten Strecken in der Gegend – zunächst noch viele Haselnussbäume, dem Gold dieser Gegend, dann, soweit das Auge reicht, tiefschwarze Wälder. Ja – soweit das Auge reicht. Aber schon kurz nach dem Anstieg sehen wir kaum mehr die Hand vor Augen, dichter, fast undurchdringlicher Nebel umgibt uns. Dazu eine Kurvenstrecke, die bei Sonne das Bikerherz jubeln ließe. Heute bin ich froh, dass mein neues Mopped ein Paar Nebelscheinwerfer hat. Verbessern zwar die Sicht nur minimal, doch ist wenigstens der Gegenverkehr gewarnt. Fast im Blindflug tasten wir uns Kilometer um Kilometer weiter, erst kurz vor Niksar lichtet es sich etwas. Einen kurzen Moment erwägen wir, unsere Tagesplanung umzuwerfen und im Gästehaus Ardıçlı Dağ, wo wir vor Jahren einen wunderschönen Abend in illustrer Runde verbracht hatten, um Unterkunft nachzufragen. Aber ausgerechnet im Dorf Duman Dagı – „Rauchberg“(!) – klart es endgültig auf. Jetzt nervt nur noch die über viele Kilometer aufgefräste, noch dazu nasse Fahrbahn. Wir konzentrieren uns auf den noch intakten schmalen Seitenstreifen und sind froh, als, fast aus dem Nichts, die Marterstrecke durch eine breite, autobahnähnliche Straße abgelöst wird. Die restlichen Kilometer bis Tokat fliegen wir förmlich dahin. Auch die Sonne hat sich mittlerweile vollends wieder durchgesetzt, der Hotelturm des Dedeman ist weithin sichtbar, was uns nach fast acht Stunden echt fordernder Fahrt sehr entgegenkommt.

In Sichtweite befindet sich das Sultan, ein riesiger Kebab Salonu, in dessen Gartenrestaurant wir erschöpft in die Sessel sinken. Etwas enttäuscht bin ich, dass es den ersehnten Tokat-Kebab hier nur mit Lamm gibt – nicht so mein Ding. Okay, dann eben mal wieder Saç Kavurma (soll Rind sein, schmeckt aber auch nach Lamm …) Dafür müssen wir für Essen, zwei Softdrinks und etliche Tee nur knapp 10 Euro berappen. Rendel würde gerne noch in den Ortskern, doch dann beschränken wir uns auf die Hotelterrasse und lassen den Tag bei Reispudding, Wein und Tee ausklingen. Als wir am nächsten Morgen doch noch durch den Ort müssen, bereuen wir es ein wenig, denn das, was wir im Vorbeifahren erhaschen können, sieht doch recht attraktiv aus. – Vielleicht gibt’s ja doch noch ein nächstes Mal …

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Nach Hause kommen (Tokat–Mustafapaşa)

Nach einem ausgezeichneten Frühstück können wir das erste Mal seit Tagen bei strahlendem Sonnenschein starten, kurz vor acht geht’s los. Die guten Straßen sorgen für ein zügiges Vorankommen, die schöne Gegend tut ein Übriges, um die Fahrt angenehm zu machen. Neben Polizisten und Soldaten haben wir oft sehr nette Begegnungen mit Tankwarten in Erinnerung (den Feuerteufel bei Tatev zähle ich jetzt mal nicht dazu …) Daraus scheint diesmal nichts zu werden. Der Mann an der Zapfpistole schafft es tatsächlich, nicht ein einziges Wort mit uns zu wechseln. Auch sein Kollege erweist sich zunächst als gleichermaßen mundfaul. Erst als er mitbekommt, dass wir etwas Türkisch sprechen, taut er auf, quatscht mit uns und versorgt uns mit Tee. Grinsen muss er, als Rendel von einem Paar auf Türkisch gefragt wird, wo die Toiletten sind und Rendel ihnen den Schlüssel aushändigen kann.

Dann zeigen die ersten charakteristischen Tuffstrukturen an, dass wir uns Kappadokien nähern. Ich erinnere mich, wie wir uns beim ersten Mal in Ürgüp verfranzt haben, als wir den Weg nach Mustafapaşa suchten. Mittlerweile sind wir die Strecke zigmal gefahren, und so treffen wir 10 Minuten später in diesem unserem Lieblingsort ein. Wir wollen die Familie Öztürk im Old Greek House (OGH) überraschen, hatten uns deshalb bewusst nicht angemeldet. In normalen Jahren kann das schon mal etwas „risky“ sein, da sich das Touristenaufkommen in diesem Jahr jedoch allgemein in Grenzen hält, ist es vertretbar. (Davon abgesehen: Die Öztürks haben auch dann, wenn eigentlich alles belegt war, immer eine Lösung für uns gefunden.) Auf jeden Fall gelingt die Überraschung. Als Erster erblickt uns Niyazi, Sohn und Juniorchef. Er scheint in gewisser Weise schon Ausschau nach uns gehalten zu haben, denn kurz vorher war ein Schweizer Paar mit ihren Motorrädern eingetroffen, die sie von Weitem für uns gehalten haben. Sofort packt uns Niyazi und schleift uns in die Küche, wo seine Mutter Emine werkelt. „Mama, schau mal, wer da ist!“ Auch sie fällt uns um den Hals, freut sich sichtlich. Wieso bin ich nicht überrascht, dass unser Lieblingszimmer, das Saçmalık, wie für uns reserviert bereitsteht?

Schnell haben wir uns eingerichtet und frischgemacht, Rendel muss erst einmal ihren obligatorischen Besuch bei unserem alten Freund Cavit absolvieren. Er und sein Sohn hatten auch schon fast mit uns gerechnet. Cavit steht mit seinen 81 Jahren noch täglich in seinem Souvenirlädchen, immer zu einem Schwätzchen bereit. Auch, wenn wir nie etwas kaufen, gibt es immer Tee und häufig auch noch eine Lebensweisheit dazu.

Wieder im OGH, machen wir uns mit den Schweizern bekannt, zu denen noch ein weiterer Mann gehört. Sie sind in der Gegenrichtung unterwegs, wollen nach Georgien. Die Frau fährt eine BMW 650 GS, die Männer reiten beide eine der neuen Africa Twin, im Gegensatz zu mir mit Schaltgetriebe. Insbesondere die Frau beeindruckt uns: Sie hat einen guten Job in der Wirtschaft aufgegeben, dann Islamwissenschaften studiert und arbeitet jetzt als Reiseleiterin mit Schwerpunkt Kaukasus, Iran und Mongolei. Allesamt nette Leute!

Klar, die Beziehung Gast/Gastgeber ist immer auch eine Geschäftsbeziehung, trotzdem gibt es auch da sone und sone. Gerade die Familie Öztürk gibt uns das Gefühl, wirklich willkommen zu sein, was sich immer auch an kleinen Gesten und Wohltaten am Rande zeigt. So auch an diesem Abend: Niyazi lädt uns zum BBQ im Familien- und Mitarbeiterkreis ein. Dazu wird ein großer Grill auf dem Vorplatz aufgebaut, auf dem nicht minder große Fleischbrocken landen. Süleyman, der Patron, schaufelt uns unaufhörlich nach, dazu jede Menge Beilagen, die Emine mit ihren Helferinnen tagsüber vorbereitet hat. Wer schon mal beim Füllen und Rollen von Weinblättern zugeschaut hat, weiß die Arbeit doppelt zu schätzen. Wieder ist unübersehbar, wie gut das Miteinander zwischen Inhabern und Mitarbeitern ist. So treffen sich alle mindestens einmal am Tag zu einer gemeinsamen Mahlzeit, bei der meist viel gelacht wird – und wozu wir immer, wenn wir in der Nähe sind, dazugebeten werden.

Später gesellen sich auch noch die Schweizer dazu, es wird Einiges an „Benzin geredet“ und natürlich Erlebnisse und Tipps ausgetauscht. Heute darf es ruhig etwas später werden, denn wir planen, uns hier ein paar Tage zu erholen. Für das letzte Glas Wein des Abends ziehen wir uns an unseren Lieblingsplatz, die Dachterrasse, zurück. (An diesem Abend reift dann auch der konkrete Plan für die Kappadokienreise mit Freunden, der dann – siehe die Vorbemerkungen zu diesem Bericht – „dank“ Corona kurz vor der Umsetzung aufgegeben werden musste.)

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Mustafapaşa

   
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Die Frühstücksbuffets sind in der Türkei meist recht reichhaltig und für unseren Geschmack gut bestückt, das  im OGH ist jedoch ein Punkt im Tagesprogramm, auf den wir uns immer richtig freuen. Dazu das einmalige Ambiente im Atrium dieses alten Herrnhauses. Derart gestärkt, planen wir den Tag, bevor es losgeht verabschieden wir jedoch erst noch die Schweizer.

Ich mache mich zum Berber, dem „Barbier“, auf. Zu Hause hasse ich das Rasieren und Resthaar-Trimmen, in der Türkei ist es Genuss pur. Während ich mit geschlossenen Augen dasitze und mich pflegen lasse, legt sich eine Hand auf meine Schulter – und ein freundlich-faltiges Gesicht strahlt mich an: Cavit, der alte Herr, der uns im Laufe der Jahre so ans Herz gewachsen ist. Ich verspreche ihm, gleich frisch rasiert zu ihm in den Shop zu kommen, wo Rendel schon auf ihn wartet. Sie erzählt mir später, dass Cavit ihr die Frau des Muhtars vorstellt. Der Muhtar ist der Dorfvorsteher, ausgestattet mit relativ viel Befugnissen und Aufgaben. Cavit hat ihr von uns und unseren häufigen Besuchen erzählt. Sie zeigt sich erfreut und sagt, dass wir in Mustafapaşa immer herzlich willkommen seien. Herzlich lachen muss sie, als Cavit meint, der eigentliche Muhtar sei sie.

Es ist nur ein winziger und, gemessen am Gesamtbild, gar nicht mal einer der spektakulärsten Plätze in Kappadokien, doch begeistert uns der obligatorische Gang durchs Klostertal, das direkt in Mustafapaşa beginnt, immer wieder neu. Tatsächlich wäre alleine dieses Tal in jedem anderen Land schon die Touristenattraktion schlechthin. Hier finden sich zwar keine der ganz bizarren Tuff-Formationen wie in anderen Teilen Kappadokiens, doch alleine die Klosterkirchen, die dem Tal seinen Namen gaben, wären eine Reise wert. Wir beschließen, dass diese Wanderung bei der Reise mit unseren Freunden die Einführung werden soll … Wir sind heute praktisch alleine, treffen lediglich auf drei junge Frauen, Freundinnen aus Shanghai und Frankfurt, die die Türkei bereisen und begeistert sind, deutsche Motorradfahrer zu treffen.

Zurück im OGH stärken wir uns mit Menemen, Salat und Çay. Gut, dass wir zurück sind, denn es hat sich bezogen und fängt an zu gewittern. Dabei fällt das Thermometer auf 16°C. Damit muss man im Frühjahr immer noch rechnen, aber genauso zuverlässig stellt sich bald darauf wieder die Sonne ein.

Mein Tagebucheintrag geht an dieser Stelle direkt vom Mittag- ins Abendessen über. Ich wollte den Leser gerade beschwichtigen, dass unsere Reisen nicht nur aus Essen bestehen, aber für Mustafapaşa und das Old Greek House gilt das nur bedingt. Denn neben den Hauptmahlzeiten werden wir immer mal wieder zum Probieren gebeten, wird uns immer mal wieder etwas zugesteckt – ein Stückchen Baklava hier, eine Scheibe Kaymak (getrockneter Rahm) mit Honig direkt aus der Wabe da … Aber als Gast will man ja auch nicht unhöflich sein!

Wo war ich stehen geblieben? Ach ja – Abendessen! Es sind noch Yaprak Sarması, also gefüllte Weinblätter, da, dazu Ezme (die scharfe, rote Paste), Salat (auf’s Haus), Taze fasulye (grüne Bohnen in leichter Tomatensauce). Und das gilt dann ja nur als Vorspeise. Um satt zu werden (…) bedarf es noch Hünkar beğendi (Rinderhack mit Auberginenmus und Joghurt – der Name bedeutet „Der Sultan war entzückt“; die Zutaten entsprechen in etwa denen für Imam bayıldı, „Der Imam fiel in Ohnmacht“). Abgerundet wird das Ganze noch durch Testi kebab. Dafür werden Fleisch, Gemüse, Gewürze und viel Knoblauch in einem Tontopf gegart. Traditionelle Besonderheit ist, dass der kleine Tontopf (etwa geformt wie eine Amphore) mit Brotteig verschlossen und dann in den Backofen geschoben wird. Beim Servieren wird der Teig dann (etwas martialisch) mit einem großen Messer abgeschlagen und das Gericht aufgefüllt. – Ob wir den Nachtisch noch geschafft haben? Dazu fehlt mir jegliche Erinnerung.

Es wird ruhig, Süleyman findet Zeit, sich etwas zu uns zu setzen. Er ist ein sehr angenehmer Zeitgenosse, vom Naturell eher ruhig und besonnen. Aber er macht seinem Ärger Luft, schimpft über „stupid Erdoğan“. Früher, so erzählt er uns, hätten im Dorf etwa 60% für ihn gestimmt, bei der letzten Wahl nur noch ca. 30%. Mancher hätte sich wohlweislich Reserven, etwa in Gold oder Dollar/Euro, angelegt, aber bei den meisten sei das mittlerweile aufgebraucht. (Das war, wie gesagt, im Frühsommer 2019, als in der Folge des Putschversuchs die Touristen ausblieben. Während ich diese Zeilen schreibe – Februar 2021 – grassiert Corona schon seit einem Jahr.)

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Mustafapaşa/Soğanlı-Tal

Es ist bedeckt, ein paar dunkle Wolken, trotzdem machen wir uns auf ins so genannte Soğanlı-Tal („soğan“ heißt „Zwiebel“). Als wir kurz vor 10 Uhr aufbrechen, ist allerdings schon wieder die 30-Grad-Marke geknackt und die Sonne wirft – als Fotograf sage ich: leider – schon wieder markante Schatten.

Welches ist die schönste Ecke in Kappadokien? Das kommt drauf an, wann oder wo du mich fragst … Das Faszinosum dieses etwa 10.000 km² großes Gebiets wird aus meiner Sicht durch zwei Hauptfaktoren ausgemacht: zum einen durch die einmaligen, originellen bis atemberaubenden Formationen, welche die Erosion in dem weichen Tuff hinterlassen hat, zum anderen die Symbiose, die diese Naturphänomene mit der menschlichen Kultur eingegangen ist. Und so mag dann in der einen Gegend das Natürliche überwiegen, etwa bei den Feenkaminen, den phallusförmigen Felsnadeln im Liebestal oder den schlanken Säulen, die oben einen rundlichen Felsen balancieren, der „eigentlich“ jeden Moment runterfallen müsste (etwa im Tal von Paşabağ). Und dann eben die Stellen, wo sich Menschen die Eigenschaften des Materials zunutze gemacht haben und ober- (z. B. in Ürgüp) oder unterirdisch (wie in Derinkuyu) Wohnungen, Kirchen, Ställe oder ganze Städte in den Tuff gegraben haben. Unser heutiges Ziel, das Soğanlı-Tal, ist irgendwo dazwischen angesiedelt. Die Felsen mit ihren schroffen Abbrüchen, den farbig hervortretenden Lavaschichten und den sanften Rundungen begeistern schon auf den ersten Blick, wenn man auf einer der beiden Hauptzufahrtswege ins Tal einfährt. Und dann fasziniert das Tal durch seine große Anzahl in die Felsen modellierter Kirchen, wobei es manchmal verblüfft, wie sehr die von der Natur vorgegebenen Formen schon unserer Vorstellung von Kirchenbauten entsprechen. Eindrückliches Beispiel im Soğanlı-Tal ist etwa die Kubbeli Kilise, die Kuppelkirche, die schon von außen aussieht wie eine miniaturisierte Version einer mehrschiffigen Basilika.

Im Gegensatz zu unserem ersten Besuch hier sind wir fast alleine. Wir parken an einem lauschigen, an einem kleinen Bach gelegenen Gartenrestaurant, in dem auch überhaupt nichts los ist. Das Soğanlı-Tal besteht im Wesentlichen aus zwei Taleinschnitten, die sich an einer Stelle treffen. Wir erwandern zunächst den längeren Arm, der sich von Nordwest nach Südost erstreckt und in dem sich auch der Großteil der schönsten Kirchen befindet. In einigen kann man noch die vormalige Pracht der farbenfrohen Fresken erahnen, die jedoch häufig durch Umwelteinflüsse und Vandalismus Schaden genommen haben. Zurück am Ausgangspunkt starten wir auf den Motorrädern zum anderen „Teil-Tal“. Bei einem Fotostopp kommen wir mit einem Türken ins Gespräch, der uns erzählt, dass er hier 3.000 m² besitzt, auf denen er gerne ein Café, ein Restaurant und eine Disco(!) errichten möchte, zudem plant er, Heißluftballonfahrten anzubieten … Wir hoffen inständig, dass die Touri-Flaute (und jetzt noch die Coronakrise) diesen Plänen den Garaus machen werden. Dann hätte selbst das noch etwas Gutes!

Auch der andere Teil des Tals ist sehenswert. Während Rendel herumkraxelt, versuche ich, ein paar Libellen und Frösche zu fotografieren. Ein VW-Bulli fährt vor, dem eine türkische Familie entsteigt. Ein junger Mann bietet mir Aprikosen an und lädt uns auf einen Tee ein. Okay, gerne – aber erst muss ich mich noch ein bisschen umschauen. Als wir uns dann zu der Familie gesellen, haben sie alles für ein zünftiges Picknick vorbereitet: ein Teppich wurde ausgerollt, der improvisierte Grill ist schon heiß und aus Tüten und Tupper werden allerlei Leckereien hervorgeholt. Wir sollen uns dazuhocken und zugreifen: Her şey organik! – „Alles Bio!“ In der Mitte steht eine große Pfanne mit gebratener Suçuk und Eiern, dazu Gurken, Tomaten, Schafskäse, Zwiebeln, Knoblauchzehen, Brot und Helva. Mit einem Höflichkeitshäppchen kommen wir nicht davon, aber das Frühstück ist ja auch schon etwas her … Die Familie erklärt uns ihre Verwandtschaftsverhältnisse, ein Teil lebt in İstanbul und ist zu dem jährlichen Familientreffen anlässlich Bayram zu Besuch. – Auch hier drängt sich wieder die Frage auf: Wo in Deutschland würden Ausländer so spontan und gerne zum Picknick dazugebeten? Wir haben das schon viele, viele Male erlebt.

Wieder zurück, lassen wir uns von Süleyman den Baufortschritt im Upper Greek House zeigen. Dieses Haus war nur noch eine Ruine, das Untergeschoss völlig verschüttet. Seit unserem letzten Besuch hat sich einiges getan, besser gesagt: Das Haus ist komplett fertiggestellt und bereit, Gäste zu empfangen. Die ca. 10 Zimmer sind wunderschön und individuell eingerichtet, eines ist ein echtes Höhlenzimmer. Dazu ein herrlicher Innenhof und kleine, verwinkelte Terrassen. Noch vor Ort klären wir, dass, wenn das mit unseren Freunden klappt, wir das ganze Haus mieten wollen. Aber auch besagter Keller hat es in sich. Nachdem der ganze Schutt abgeräumt war, tat sich ein veritabler Gewölbekeller auf, in dem man prächtig feiern oder auch kleine Konzerte veranstalten könnte. Die spektakulärste Entdeckung war jedoch ein kilometerlanger Tunnel, der im Keller beginnt und fast bis zum Damsa-See einige Kilometer von Mustafapaşa entfernt reicht. Ich muss an die Bemerkung eines Bekannten und Kappadokienkenners denken, der darüber sinnierte, dass vermutlich nicht mal 10% der kappadokischen Schätze gehoben sind.

Rendel verabschiedet sich noch von Cavit und Familie, seine Frau bringt er morgen zeitig in eine Klinik nach Kayseri, während wir uns dann zur Weiterreise aufmachen wollen. (Die Klinik sollte Cavits Frau, wie wir bei unserem Besuch im Sommer 2021 erfuhren, nicht mehr lebend verlassen – Krebs!) Noch einmal lassen wir es uns essenstechnisch gutgehen, danach setzen wir uns vors Haus zur Familie, reden über Politik und Psychologie, über Lieblingsorte in der Türkei und vieles mehr. Zeynep, eine Enkelin von Süleymans Bruder, ist sehr pfiffig und richtig süß. Puzzles und Bücher zieht sie anderem Spielzeug vor, demonstriert stolz, was sie schon alles auf Englisch sagen kann. Kinder, die Bücher lieben, haben bei mir eh einen Stein im Brett …

Ein Tag voller Erlebnisse und Begegnungen. Ein Tag, an dem man mehr über Land und Leute lernen konnte, als man sich je anlesen könnte. Mit diesen Eindrücken in Kopf und Herz schlummern wir unserer Abreise entgegen.

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Mustafapaşa–Eskişehir

Zeit, aufzubrechen und Abschied zu nehmen. Aber im Moment sind wir ja noch zuversichtlich, schon im nächsten Mai mit einem knappen Dutzend unserer Freunde hier wieder einzufallen. Gute Wünsche begleiten uns, nach „Küsschen links, Küsschen rechts“ von allen und mit einem Fresspaket von Emine verproviantiert, starten wir die Moppeds und fahren winkend und hupend vom Hof. Über Aksaray und Şereflikoçhisar geht es wieder am Ufer des Tuz Gölu, des größtes Salzsees der Türkei, entlang. Diesmal muss ein längerer Fotostopp drin sein, denn der See schimmert in Weiß und einem unwirklichen Lila in der Sonne. Wir überholen einen Motorradfahrer mit Marburger Kennzeichen und halten zu einem kurzen Smalltalk an. Der Kollege ist mit einer BMW R80GS, Bj. 1988, unterwegs. Nein, das ist kein Wagnis, vielmehr setzt er auf bewährte, unverwüstliche Technik, an der man im Fall der Fälle auch selbst etwas (fast alles) reparieren kann. Auf dem Weg nach Eskişehir überholen wir uns gegenseitig noch einige Male, so auch kurz vor dem Ziel, als sich der Marburger seine Regenkombi überstreift. Gute Idee – oder schaffen wir es auch ohne? Noch ist es trocken, aber vor uns, direkt darüber und scharf abgegrenzt, lauert eine bedrohlich wirkende schwarze Wolke, aus der zudem noch Blitze zucken, über der Stadt. An einer Tanke machen auch wir uns regenfest, das Angebot des Tankwarts, uns unterzustellen, lehnen wir dankend ab. Sind doch nicht aus Zucker!

Wie blöd kann man sein? Wir sind praktisch auf der Stadtgrenze, als das Inferno losbricht. (Okay, ich übertreibe ein bisschen, aber „Inferno“ klingt so gut!) Auf jeden Fall ist es am helllichten Tag fast stockdunkel, es kübelt förmlich Wasser vom Himmel. Das Navi spinnt, aber egal, ablesen kann ich es derzeit sowieso nicht. Die unzulängliche Kanalisation kann die Wassermassen nicht fassen, es steht bis an die Bordsteinkante. Ständig verspringt das Vorderrad, wenn es sich an den Straßenbahnschienen entlangzieht. Das hier mal, wie nicht selten in der Türkei, ein Gullideckel fehlen könnte, mag ich mir gar nicht ausmalen! Unwillkommene Verschnaufpausen bieten die langen Rotphasen an den Ampeln, unsere Regenkombis haben schon längst kapituliert. Wir waren schon zwei Mal hier, haben eine ungefähre Ahnung, wo sich das Hotel Soyiç befinden muss. Fast im Blindflug tasten wir uns heran, halten an einem Laden, um die letzten Meter zu erfragen. Der Inhaber ist überfreundlich, bietet uns Tee an, aber wir möchten nur schnell weiter und raus aus den nassen Klamotten. Gegenüber des Hotels warte ich an Rendels Mopped im Halteverbot – unter den eher wohlwollend-mitleidigen Blicken eines Polizisten, der entsprechend stillhält. Rendel kommt und kommt nicht wieder. Wir wissen von früher, dass man zum Hotelparkplatz einen weiten Bogen um den Block zum Hintereingang fahren muss. Da wir nicht vorgebucht haben, will Rendel erst fragen, bevor wir uns vielleicht vergeblich dahin aufmachen. Endlich! Wir queren vorschriftswidrig die Straße und nehmen entgegen der erlaubten Fahrtrichtung eine Einbahnstraße (haben wir doch immer so gemacht!) Schließlich stehen wir beide triefend an der Rezeption. Der Mitarbeiter erkennt uns wieder und beäugt uns mitleidig. Peu à peu schleppen wir unsere Klamotten aufs Zimmer – alles muss mit, da bis auf meinen Packsack alles durchgeweicht ist. Auch mein neuer rechter Seitenkoffer hat seine Feuer-, besser: Wassertaufe nicht bestanden. So ein Mist! Als ich unter der Dusche herkomme, scheint wie zum Hohn schon wieder die Sonne. Inständig hoffen wir, dass alle wichtigen Kleidungsstücke bis morgen wieder trocken sind.

Unser Zimmer sieht aus wie ein Theaterfundus, überall, an jedem verfügbaren Haken, Fensterriegel oder Bettpfosten hängt irgendwas zum Trocknen. Wir suchen uns das an Kleidung raus, das noch halbwegs tragbar ist und machen uns auf. Denn eigentlich gefällt uns Eskişehir sehr gut, eine moderne Studentenstadt mit Flair (und eine der wenigen Großstädte, in der sich Erdoğans AKP noch nicht die Macht sichern konnte). Im Steakhaus „222“ haben wir vor Jahren sehr nett Rendels Geburtstag gefeiert, jedoch ist es in den Bewertungen drastisch abgerutscht. So orientieren wir uns kurzfristig um und setzen auf italienisch – das Restaurant Sempre. Die Tische sind wieder abgetrocknet, so können wir im Halbschatten unter Sonnensegeln schon wieder draußen sitzen. Pizza, Hähnchen und eine Flasche Öküzgözü-Boğazkere Kavaklıdere Selection helfen zu einem versöhnlichen Ausgang des Tages …

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Eskişehir–Biga

Das mit dem Trocknen hat zumindest halbwegs geklappt, schon vor acht sind wir wieder unterwegs. Leichter Sprühregen macht das Fahren unangenehm, dazu ist es grau. Als das Marmarameer zur Rechten auftaucht, klart es etwas auf und es wird wärmer. Das kleine Hotel Palas in Biga liegt mitten in der Stadt, entsprechend prekär zeigt sich die Parksituation. Vorerst dürfen wir die Moppeds direkt davor auf dem schmalen Bürgersteig parken, später muss ich nochmal umrangieren, was angesichts der überhohen Bordsteine immer eine sehr schweißtreibende Angelegenheit ist. Biga ist keine besonders sehenswerte Stadt, sie liegt nur strategisch günstig und diente oft als Etappenquartier.

Rendel schaut sich trotzdem ein wenig um und kommt mit zwei neu erstandenen Kleidern zurück. Wir wollten mal nicht in unser Stammquartier, das Hotel MRG, aber das Restaurant dort war immer gut, und so machen wir uns dorthin auf. Abgesehen von einer Gruppe junger Leute, die wohl einen Geburtstag feiern, sind wir die einzigen Gäste. Kaum sitzen wir, fängt es wieder an zu regnen, diesmal empfinden wir es aber eher als erfrischend. Koch und/oder Inhaber scheinen gewechselt zu haben, das leckere Bœuf Stroganoff, auf das ich mich gespitzt hatte, gibt’s nicht mehr, dann eben gebratene Leber und Rinderfilet, dazu Ezme, Cacık und Salat.

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Biga–Thassos

   
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Nach dem Frühstück bugsiere ich die Moppeds von den hohen Bürgersteigen. Die Fahrt zum Fährhafen Lapseki ist unspektakulär, aber es wird heiß. Auf der Fähre kommen wir mit einem türkischen LKW-Fahrer ins Gespräch. Er hat etwa 7 Millionen Zigaretten geladen – sollte man vielleicht nicht laut sagen. „Ich lebe in Izmir, eine schöne, große Stadt. Alles ist gut – bis auf die Politik!“, sagt er, um dann hinzuzufügen: „Scheiß Erdoğan!“ Auch etwas, was man hier vielleicht nicht zu laut sagen sollte. Er schaut sich um, so, als bereue er schon, sich so in Hörweite von Landsleuten geäußert zu haben. Sein Beifahrer steckt uns eine Tüte mit Aprikosen aus seiner Heimat Malatya, dem Anbauzentrum für diese Früchte, zu.

Die Grenzabfertigung verläuft zügig, aber das Thermometer steigt auf über 35°C und Rendel bekommt Migräne. Auf der Fähre von Komotini nach Thassos verkriecht sie sich schnell in das klimatisierte Restaurant – und die Tablette wirkt, gegen 16.30 Uhr treffen wir im Hotel Kinira Beach ein. Die charmante griechisch-österreichische Inhabertochter begrüßt uns herzlich und geleitet uns in unsere Junior-Suite, die freundlicherweise schon seit einigen Stunden heruntergekühlt wurde. Traumhafte Hanglage mit Blick aufs Meer. Wir essen in einer benachbarten Taverne, noch ein Moment auf der Terrasse, dann fallen wir völlig erschöpft in einen tiefen Schlaf.

Hier ist der Sommer endgültig eingekehrt; die 35°C werden uns tagsüber nicht mehr verlassen. Und Zaals Tschatscha erfährt in meinem Motorradkoffer einen weiteren Destillationsdurchgang …

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Thassos

Die knappe Woche auf Thassos tut gut, vor allem Rendel, die danach zurückfliegt und dann wieder an ihrer Arbeitsstelle erwartet wird. Die 250 Kilometer bis Oreokastro/Thessaloniki sind schnell abgesessen. Erst geht’s kurz ins Hotel, um Rendels Handgepäck zu deponieren. Dann zur Spedition, ihr Mopped abgeben, umziehen – dann fahre ich uns beide zum Hotel zurück. Traditioneller Abschluss in der kleinen Pizzeria, dann früh ins Bett, denn das Taxi kommt schon um sechs Uhr, um Rendel zum Flughafen zu bringen. – Für mich schließt sich allerdings noch eine kleine Balkantour an.

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Alleine weiter – Thessaloniki–Dilofo

Rendel ist gut weg- und wie ich später erfahre, auch gut angekommen. Ich starte gegen acht. Eben Sprit nachfassen und den Luftdruck checken – es ist schon heiß und ich bin tiefenentspannt. Das erwähne ich, weil ich immer die Krise kriege, wenn ich in der Hitze und in voller Montur an den Ventilkappen schrauben und mich über die nicht passenden Einfüllstutzen des Kompressors ärgere. Ich verfahre mich kurz, saue mich in einer unvorhergesehen tiefen und langen Pfütze (die Nacht hat es gewittert) ziemlich ein – aber wie gesagt: gaaaanz entspannt …! Dann bin ich schließlich doch auf der Autobahn Richtung Westen. Kurz hinter Veria (dem neutestamentlichen Beröa) fängt eine schier unendliche Reihe von Tunnel an, ich zähle über dreißig. Autobahn ist ja nicht so der Bringer, aber ich tue mir das ganz bewusst an, weiß ich doch, was mich gleich und in den nächsten Tagen erwartet: Kurven, Kehren, Serpentinen. Auf unserer ersten Albanientour haben wir ganz kurz Bekanntschaft mit einer der urwüchsigsten, dünnstbesiedelten und landschaftlich schönsten Gegenden Griechenlands gemacht, dem Epirus, und hier vor allem dem Landstrich, der Zagoria, „hinter dem Berg“, genannt wird. Zwar hatten wir nur eine Nacht in Monodendri verbracht, die An- und Weiterfahrt nach Albanien war jedoch schon vielversprechend. Für mich sollte heute schon ein besonderes Schmankerl auf der Speisekarte stehen, einige der prächtigen Steinbrücken eingangs der Zagoria. Runter von der Autobahn, schlagartig ist es mit der Monotonie vorbei, fast umgehend werden die Straßen zu Sträßchen, einspurig, eng, aber super zu fahren. Ich greife noch schnell Sprit ab, grüße drei Harleyfahrer – dann bin ich ca. 30 Kilometer praktisch alleine unterwegs, kein Fußgänger, kein anderes Fahrzeug. Dass ich mich dem Ziel nähere, merke ich, als ich im Augenwinkel eine kleine Brücke wahrnehme und mich erinnere, dass sich Rendel hier vor Jahren bei einem Umfaller kräftig das Schienbein geprellt hat.

Die Steinbrücken der Zagoria stellen eine echte Besonderheit dar, zumal deshalb, weil sie so dicht aneinander liegen. Direkt an meiner Strecke liegt die dreibogige Plakidas-Brücke, die hier den Vikos überquert. Hier muss ich mich ausnahmsweise beim Fotografieren etwas gedulden, bis sich ein freies Sichtfeld auftut, denn mit mir hat ein holländischer Reisebus angehalten, der eine Ladung Senioren ausspuckt, die zum Teil nicht mehr so gut zu Fuß sind. Um die eigentliche Brücke zu erreichen, muss man einen kleinen Abstieg absolvieren – aber ich habe Zeit, bis zum Ziel sind es nur noch ein paar Kilometer. Neben den Brücken sind auch die Schluchten sehenswert bis atemberaubend – so gilt etwa die Vikos-Schlucht als eine der, wenn nicht als die tiefste Schlucht der Welt, der Guinness-Book-Eintrag vermeldet es jedenfalls so. Letztlich hingewiesen auf diese Gegend und ihre Brücken wurde ich durch ein Foto in einem Bildband. Dieses zeigte – jedoch aus einer Perspektive, die vermutlich nur per Drohne zu erlangen war – die nächste Brücke, die an meiner Route liegt. Und das buchstäblich, denn die neue Brücke verläuft 50 Meter parallel zu ihrem Vorgänger – der Kokkori-Brücke, errichtet im Jahr 1750. Mit ihrem einen großen Bogen überspannt diese so genannte Gewölbebrücke den Voidomatis-Fluss, der jedoch an dieser Stelle kaum Wasser führt. Kurz drauf passiere ich noch ein weiteres dieser interessanten Bauwerke, die nicht selten von wohlhabenden Bewohnern der Gegend finanziert wurden und die den Personen- und Warenverkehr in dieser so unwegsamen Gegend sehr erleichterten. Die Kapetan-Arkoudas-Brücke, auch eine der einbogigen, ist nicht ganz so groß und spektakulär, jedoch im Detail interessant durch ihre wie Zinnen auf einer Burg wirkenden „Geländer“.

Ich verlasse die Hauptstraße und sehe kurz drauf das Ortsschild von Dilofo, sinnigerweise ergänzt um ein Schild, das vor Glatteis warnt … Vorläufig – wie ich annehme – parke ich auf einem Platz vor dem eigentlichen Ortseingang. Ich habe mich im Archontiko Dilofo angemeldet und will mich kurz zu Fuß orientieren, um dann anzufahren. Dagegen spricht jedoch das unzweideutige „Einfahrt verboten“-Schild. Natürlich habe ich mich schon der Motorradjacke entledigt, aber die Hitze ist unbeschreiblich, dazu habe ich schon meinen Packsack dabei. Das Schild „Archontiko 60 m“ erweist sich als Fake! Zum Schluss muss ich noch einen Berg hinauf und stehe vor dem Tor. Olga, eine rotwangige, mütterliche Frau erwartet mich schon. Angesichts der zwei Male, die ich noch laufen muss, frage ich gleich nach einer zweiten Nacht, damit die Mühe lohnt. Während ich also das restliche Gepäck anschleppe, klärt Olga das telefonisch mit dem Inhaber – passt! Puuh, ich bin erledigt, aber: Glatteis wäre sicher noch unangenehmer gewesen. Die Gassen der Dörfer waren nie auf Autoverkehr angelegt, die Pflasterung besteht aus Wackersteinen und dicken Kieseln, grob gefügt und sicher eher für Eselskarren als für Autos und Zweiräder gemacht, selbst das Gehen macht Mühe.

Nach meiner Erfahrung steigt mit der Anzahl der gebuchten Tage häufig auch die Qualität der Zimmer. Statt des gebuchten bekomme ich denn auch ein größeres und, bedingt durch die Lage, auch kühleres. Schön eingerichtet mit antiken Möbeln, Bad und WC vom Feinsten, dazu auf der Anrichte eine Karaffe mit Tsipouro und frisches Obst. Nach dem Duschen lasse ich mir von Olga anhand einer Karte die umliegenden Sehenswürdigkeiten erklären, dann mache ich mich auf einen ersten Erkundungsgang durchs Dorf. Schon 2016 war uns aufgefallen, dass die hiesigen Dörfer zwar nicht verfallen, aber doch weitgehend unbewohnt wirken. Dieser Eindruck bestätigt sich: Man sieht meist nur ältere Menschen, die offensichtlich dauerhaft hier wohnen. Dazu kommen die Sommerfrischler, die hier ein Haus besitzen, und dann die Menschen, die in den Pensionen und Tavernen arbeiten. Dass es hier je überlaufen sein könnte, den Eindruck habe ich nicht. Dies scheint so ein typischer Ort zu sein, wo man sich ein paar Wochen einquartieren könnte, um ganz in Ruhe ein Buch zu schreiben.

Wie in vielen griechischen Dörfern gibt es auch hier einen zentralen Platz mit einer mächtigen Platane mit fast hohlem Stamm, darunter eine kleine Taverne. Die Gassen sind eng und die Häuser wirken malerisch, wenngleich auch etwas abweisend – kleine, meist vergitterte Fenster und irgendwo eine Eingangstür. So bietet sich mir auch meine Unterkunft dar. Wenn sich jedoch so ein Tor öffnet, zeigt sich dahinter oft ein lauschiger Innenhof, bunt geschmückt mit allerlei Krimskrams und vielen Blumen. Die traditionellen Steinhäuser sind zumeist mit grauen Steinschindeln gedeckt, dabei wird es in dem, auf 888 Meter Höhe gelegenen Dorf im Winter weder übermäßig kalt (die Temperatur fällt nur selten unter den Gefrierpunkt), noch fällt nennenswert Schnee.

Für morgen habe ich einige der von Olga empfohlenen Ziele in der Umgebung auf dem Zettel, für heute jedoch reicht es. Ich mache mich frisch und auf in Richtung Restaurantempfehlung. Die Entscheidung fällt nicht schwer, denn die Taverne unter der Platane sieht nicht sehr einladend aus, allenfalls für ein Glas Wein zum Abschluss geeignet (aber – so stellte sich später heraus – eigentlich nicht einmal dafür). Also auf zum Lithos – Takis Place. Kaum habe ich auf der kleinen Terrasse mit Blick auf das Dorf, im Hintergrund die Berge, Platz genommen, kaum steht der typisch griechische Blechkrug mit kühlem Rotwein vor mir, ist mir klar: Im Moment möchte ich nirgendwo anders sein. Lediglich Rendel fehlt. Im Gedenken an sie bestelle ich als Vorspeise einen Teller gegrillter Austernpilze – ein Gedicht: große Portion und mit Unmengen Knoblauch und Petersilie. Als Hauptgericht lasse ich mir die geschmorte Schweinshaxe in pikanter Sauce mit Bratkartoffeln empfehlen. Das Vorher- und das Nachherbild mit den blitzeblanke abgesuchten Knochen schicke ich Rendel (musste ich ihr versprechen!) „The best things in life“ sind vielleicht nicht „for free“, aber durchaus erreichbar und erschwinglich. (Rendel habe ich diese Genüsse auch nicht auf Dauer vorenthalten; im Herbst 2020 haben wir, eine kurze Entspannung in der Coronakrise nutzend, in der Gegend ein paar Tage verbracht und auch hier gegessen.) Zurück bei Olga bespreche ich mit ihr noch kurz das morgige Frühstück, dann ab in die Falle (für einen guten Schlaf brauch ich nicht mal mehr den Tsipouro …)

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Hinter den Bergen – Zagoria

   
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Was für ein Morgen! Die Luft flirrt schon wieder leicht, ein unbeschreiblich vielfältiger Duft drängt sich auf. Ich habe mich kleidungstechnisch fürs kleine Besteck entschieden, also lange, luftige Hose, Sandalen, T-Shirt – aber natürlich Helm und Handschuhe. Noch ist die Gegend relativ flach, es geht durch Felder und Weiden. Die ganze Zeit muss ich mich ganzer Schwärme von Schmetterlingen erwehren. Ich erreiche Aristi und passiere eine Kurve, die sicher so manchem WoMo-Fahrer schon Panik verursacht hat. Kurz drauf überquere ich die nur einspurig zu befahrende Brücke über den Voidomatis. Im Gegensatz zu gestern an der Kokkori-Brücke führt er hier relativ viel Wasser. Ich stoppe, genieße einen Moment das Idyll am Ufer, das jedoch durch etliche Rafter, die hier ihre Schlauchboote besteigen, gestört wird. Flussabwärts kann man dann etwa fünf Kilometer bis zur Kleidonia-Brücke paddeln, dort, an einem Wehr, werden die Boote dann wieder aufgenommen. Der Voidomatis (oder „Fluss von Vikos“) ist nur 15 Kilometer lang und gilt als einer der saubersten Flüsse Europas. (Anlässlich unseres Besuchs 2020 sind wir die besagte Strecke am Fluss entlang gewandert und haben dabei immer wieder daraus getrunken.)

Hinter der Brücke wird das, was sich schon auf der Restaurantterrasse in Dilofo abzeichnete, immer klarer: Ich halte schnurstracks auf die Gipfel des Tymfi-Gebirges zu, eines Gebirgsmassivs von knapp 2.500 Metern Höhe. „Schnurstracks“ trifft es nur insoweit, als es nirgendwo rechts oder links abgeht, „direkt“ ist es hingegen nicht. Bis zu meinem Ziel am Ende der Strecke, dem Ort Mikro Papingo, zähle ich an die 50 Kehren – und ich meine Kehren, also Kurven mit mindestens 90, häufig aber an die 180 Grad. Und nach jeder dieser Kehren bietet sich ein immer noch grandioserer Blick auf das Astraka genannte Felsenensemble, das die Orte Makro Papingo und Mikro Papingo überragt. In ersterem Ort mache ich kurz Halt und besichtige die Kirche St. Blasios mit ihrem freistehenden, sechseckigen Glockenturm.

Wie magisch zieht es Menschen wohl immer an die jeweils entferntesten, abgelegendsten, einsamsten Orte. So fahre ich noch ein Stück weiter bis Mikro Papingo, wo die befestigte Straße endet. Kurz vorher stoppe ich aber noch an einem kleinen Parkplatz, a) weil sich dort eine der von Olga beschriebenen Sehenswürdigkeiten befindet, b) weil ich dort zwei Motorräder mit deutschem Kennzeichen sehe, an denen ich nicht ungegrüßt vorbeifahren kann. Das Ehepaar in den 30ern macht einen freundlichen Eindruck, wir beschließen, die Papingo Rock Pools gemeinsam in Angriff zu nehmen. Diese landschaftliche Attraktion ist eine Reihe von Felsbecken, die als Kolymbithres (grch. für „Schwimmbad, Badeanstalt“) oder als Ovires von Rogovos bekannt sind, die im Kalkstein durch den Bach von Rogovos, der den Tymfi hinunterfließt, gebildet wurden. Trittsicher muss man sein, um an die eigentlichen Becken zu gelangen. Ein paar Mädels tummeln sich schon in den klaren Fluten; als sich meine neuen Bekannten trauen, darf ich natürlich auch nicht länger zögern: rein in die Badebuxe und runter ins Wasser. Oh Mann, doch ganz schön frisch – aber eben auch eine willkommene Abkühlung bei der Hitze! Die kleine Schlucht mit den aneinandergereihten Becken kann man noch etwa 500 Meter weiter erwandern, zum Schluss wirkt es fast wie irgendwo im Dschungel.

Wir verabschieden uns und ich fahre noch die 500 Meter weiter bis ins kleine Papingo. Architektonisch ähnelt es Dilofo, von der Lage her ist es jedoch eine ganz eigene Nummer, denn praktisch direkt vor der Nase reckt sich das Astraka-Massiv in die Höhe. Zudem wirkt Mikro Papingo belebter, einige Häuser sind das ganze Jahr über bewohnt, dazu viele Tagesbesucher und Wanderer, die es weiter zum Drakolimni, dem „Drachensee“, zieht. (Einige der Unterkünfte, etwa das Dias Guesthouse, in dem wir im September 2020 waren, haben auch im Winter auf und sind dann zum Teil sogar ausgebucht.) Ich schlendere ein wenig durch den Ort, schaue mir die Kirche an und finde dann das schöne Terrassencafé Pinocchio, wo ich es mir bei hausgemachter Limo und etlichen Macchiatos gut gehen lasse. Langsam lasse ich mich bergab zunächst wieder Richtung Aristi rollen, dann gebe ich Gas und finde gerade noch genug Zeit, vor dem Abendessen noch einen kleinen Rundgang durchs Dorf zu machen. Ich bin froh, noch einen zweiten Abend hier zu haben.

Natürlich zieht es mich wieder zu Takis Place, diesmal gibt’s Kotelett, aber vorweg wieder die Pilze! Hinterher komme ich mit einer charmanten jungen Frau ins Gespräch, die im Ort arbeitet. Sie kann mir noch einiges über Dilofo und die Gegend erzählen, denn sie arbeitet auch als Wanderführerin. Auf dem Rückweg will ich doch wenigstens einmal unter der Platane ein Glas Wein trinken, setze mich also an einen Tisch der anderen Taverne. Der Inhaber macht einen, sagen wir: unengagierten Eindruck, fast etwas widerwillig bringt er mir ein Glas Wein – und nimmt mir dafür später vier Euro ab. Nun ja. Zum Glück sind solche Erfahrungen die absolute Ausnahme.

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Butrint (Albanien)

Zeitiges Frühstück im fast wie ein Wohnzimmer eingerichtetem Speiseraum. Komme noch mit einem Paar am Nebentisch ins Gespräch, die, neben mir, einzigen Gäste. Hatte gestern von ihnen und einer Katze, die es sich im Restaurant auf ihrem Tisch bequem gemacht hatte, ein nettes Foto gemacht. Verspreche, es ihnen zu schicken. Zum Frühstück gibt’s auch gekochte Eier – aber was für Oschis! Fast doppelt so groß wie eine normales Klasse-„M“-Ei. Olga erzählt mir, dass der Inhaber der Pension ein Faible für die entsprechende Hühnerrasse hat und diese züchtet. Derart gestärkt, komme ich noch zeitig los, was auch gut ist, denn ich will nicht schon vor dem Start wieder klatschnass geschwitzt sein. Entsprechend teile ich mir die Gänge mit Gepäck zum Motorrad ein.

Einen herrlicheren Morgen kann es für einen Motorradfahrer nicht geben! Und dann über menschenleere Sträßchen durch diese Gegend! Ich habe mich entschieden, der attraktivsten albanischen Ausgrabungsstätte, die wir schon bei unserem ersten Albanientrip aufgesucht hatten, noch einmal einen Besuch abzustatten. Von den drei sinnvoll infrage kommenden Routen nach Butrint entscheide ich mich für die bewährte, die wir seinerzeit schon gefahren sind, also die schnellste Strecke über den Grenzübergang Kakavia, was einer recht kurzen Etappe von etwa 120 Kilometern, sprich: zweieinhalb Stunden, entspricht. Also alle Belüftungsreißverschlüsse auf und los. Wie gerne würde ich mich in diesem Moment, wo ich coronabeschränkt zu Hause sitze und mich an diesen Morgen erinnere, dahin zurückbeamen … Der Grenzübertritt erfolgt routiniert und problemlos. Kurz erwäge ich einen Stopp bei Syri i Kaltër, dem „Blauen Auge“, gebe dann aber doch gleich Gas. In Ksamil, einem beliebten Badeort, herrscht schon reges Treiben, Familien mit Sonnenschirm, Strandliegen und aufgeblasenen Gummitieren streben Richtung Strand. Das Hotel Livia liegt unmittelbar neben dem Eingang zum Ausgrabungsgelände und hatte sich auch ansonsten als recht angenehm herausgestellt. Der Manager, der uns vor Jahren so freundlich empfangen und uns ein extragroßes Zimmer zugeschustert hatte, erkennt mich wieder – und auch diesmal hat er ein nettes Zimmer für mich. Auf dem Parkplatz stehen schon einige rumänische BMWs, ich stelle mich daneben.

Ein kaltes Korca-Bier wäre jetzt das Richtige, aber ich verkneif’s mir, da ich befürchte, sonst zu müde zu werden. Erstmal unter die Dusche. Meine schweißnassen Socken drapiere ich auf der Fensterbank. Kurz drauf sind sie von Bienen übersät, die dort Feuchtigkeit – wahren Nektar! – saugen. Wäre interessant zu wissen, wie der Honig später schmeckt …

Da ich nur eine Nacht bleiben will, mache ich mich am Nachmittag nochmal auf, die archäologische Stätte zu besichtigen. Zwar ist rein „quantitativ“ nicht mehr viel übrig, denn wir hatten 2016 schon zwei intensive Besichtigungstouren unternommen, aber das Areal lohnt auch noch ein drittes Mal, zumal in der Abendsonne. (Zur genaueren Beschreibung verweise ich auf den 2016er-Bericht.) Wieder zurück, mache ich mich frisch und genieße ein leckeres Abendessen, dann eben doch mit einigen Korca – mal ein „zezë“ (Typ Schwarzbier), mal ein „bionde“ (Pils). Mittlerweile ist auch der Nektar aus den Socken gesaugt, sprich: sie sind wieder trocken – und ich bin rechtschaffen müde. Hoffe nur, dass die Mücken die Hoffnung auf einen erholsamen Schlaf nicht zunichtemachen.

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Vuno (Albanische Adria)

Ich bin zeitig auf, das Frühstück verzögert sich noch etwas, so habe ich noch Gelegenheit, ein paar Sätze mit zwei kroatischen KTM-Treibern zu wechseln, die noch spät abends eingetroffen sind und sich jetzt schon wieder startklar machen. Nach dem Frühstück starte auch ich durch. Erst ist es recht klar, dann bezieht es sich. Wie vor drei Jahren quäle ich mich durch Saranda, 33°C unter geschlossener Wolkendecke … Endlich freie Strecke, dann habe ich einen ellenlangen Konvoi von Geländewagen vor mir – und keine Möglichkeit zum Überholen. Dann setze ich doch an, vielleicht etwas gewagt, hat aber noch geklappt! Im Rückspiegel kann ich dann noch beobachten, dass die Kolonne abgebogen ist … Mich überholen drei KTMler aus Österreich, dann fahre ich an ihnen vorbei, als sie sich die Regenpellen überziehen. Ich warte noch ab, was sich als richtig rausstellt (aber es bleibt bedeckt). Bei der Schwüle noch die Regenkombi über den Anzug? Das möchte ich doch möglichst vermeiden. Hier ist überall schon viel los, kein Wunder, denn a) konzentrieren sich hier an der Adria die schönsten Strände Albaniens, b) hat die Hochsaison gerade begonnen. Zehn Kilometer vor meinem Ziel sehe ich die drei Ösis in einem Café sitzen, der eine macht mir das „Kaffeetasse-an-den-Mund-Führen“-Zeichen. Ich wende und geselle mich dazu. Um die dreißig, sehr nett und auf Balkantour. Zeigen sich an meinen Reisen sehr interessiert. Ein bettelnder Junge bekommt von mir 100 Lek, die Mutter, die mehr will, eine Abfuhr.

Dann geht es quälend langsam an einer Baustelle durch Vuno. Hätte es geregnet, hätte ich nasser nicht werden können. Laut Navi bin ich an der Abfahrt schon vorbei. Eine Booking-Rezensentin hatte von einer „albanientypischen“ Anfahrt geschrieben … So vorgewarnt, nehme ich mir vor, nicht lang zu suchen, sondern die Buchung notfalls verfallen zu lassen und mir im Ort was zu nehmen. Aber dann sehe ich durch die beschlagene Brille auf Felsen gepinselt Villa Filip. Und dann auch den groben Fels-Feldweg den Hang hinauf … Ich schalte das Mopped auf Gravel-Modus, bete kurz und gebe Gas. An der Einfahrt fahre ich erst bewusst vorbei, weil es da noch gröber zugeht, stelle das Mopped ab und frage einen fröhlich aussehenden älteren Herrn, ob ich richtig sei. Ja – und er sei Filip. Dann bittet er mich, das Mopped doch auf dem Hof zu parken. Also gewendet, ein Stück zurück, denn die Wackersteine zusammen mit einem 180°-Turn hätten das Ende bedeutet.

Klitschnass lass ich mir mein Zimmer zeigen, helfe noch beim Bettenbeziehen und quatsche ein wenig mit Filip. Er ist griechischstämmiger Albaner und nur von April bis September hier. Kein Deutsch oder Englisch, wir „unterhalten“ uns (erstaunlich flüssig) per Google Translator und meinen paar Brocken Griechisch, Albanisch und Türkisch.

Das Haus liegt einsam am Berg, die Küste nur etwa 500 Meter entfernt, und, trotz Dunst, herrlicher Blick vom Balkon. Irgendwo vor und unter mir soll sich einer der malerischsten Strände Albaniens verstecken, praktisch nur zu Fuß zu erreichen. Aber aufs Mopped hätte man mich heute mit vorgehaltener Pistole zwingen müssen – und irgendwie habe ich auf Strand auch keine Lust. Ich bin derzeit der einzige Gast, gestern sind einige Deutsche abgereist. Filip und ich haben viel Spaß miteinander – und das Wichtigste: Er kocht mir, was ich will und hat alles an Getränken da. Während er in der Küche werkelt, telefoniert er mit Tochter und Enkeln, dabei schnappe ich etwas von „Filetto“, „Zaziki“ und „Patates“ auf – könnte was werden … Und war wirklich gut – die Bestnote bei Booking hat Filips Pension wirklich verdient. Den erhofften Sonnenuntergang kann ich wegen dem Dunst nicht wirklich sehen, trotzdem genieße ich den Abend und falle todmüde ins Bett.

Morgen früh werde ich wohl erstmal ein großes Glas Raki trinken, denn runter ist schwerer als hoch … Aber sind ja nur 500 Meter (und runter kommen sie immer).

Für Tirana habe ich vorgebucht, eine Motorradwerkstatt soll quasi auf dem Weg liegen. Ich muss meine hinteren Bremsklötze erneuern – kann ich eigentlich selbst, aber so lerne ich mal eine albanische Werkstatt kennen und kann das Mopped dort mal durchchecken lassen.

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Über den Llogara-Pass nach Tirana

Das Frühstück haben wir für 8.00 Uhr verabredet, leider bin ich schon seit sechs Uhr wach – und will Filip auch nicht frühzeitig aus dem Bett schmeißen. So mach ich schon mal das Mopped klar. Dabei sehe ich, wie ein grandioser, großer grüner Grashüpfer (was für eine Alliteration!) auf meinem Tankrucksack seine Morgengymnastik vollzieht. Stören lässt er sich dabei nicht, so kann ich ganz dicht ran und einige schöne Fotos machen. Schließlich erscheint auch Filip, und nach dem Frühstück drücken wir uns herzlich und wünschen uns „Udha e mbarë“ und „Mirupafshim“ – „Gute Reise, auf Wiedersehen!“

„Downhill“ ist dann – auch ohne Raki – doch nicht ganz so heikel wie befürchtet, trotzdem bin ich froh, wieder auf fester Straße zu sein. Die heutigen 220 Kilometer sind streckenmäßig wieder sehr überschaubar, da das Navi jedoch knapp vier Stunden dafür ansetzt, gehe ich doch von einer – wie auch immer – etwas fordernderen Strecke aus. Nicht weit hinter Vuno werde ich auch gleich auf recht angenehme Art ausgebremst – es geht den Llogara-Pass hinauf, also auf vielen Serpentinen von quasi Meereshöhe auf gut 1.000 Meter. Die Straße ist prima ausgebaut, in der Hinsicht gibt es im Landesinneren spektakulärere Strecken, aber die Blick aufs Meer ist einmalig. Etliche Male werde ich von einheimischen Motorradfahrer in aus meiner Sicht halsbrecherischer Manier überholt. Heute habe ich wenigstens mal einen entsprechenden Weitblick, 2016 lag alles in Dunst und Regen. Am Aussichtspunkt Panorama Llogara lege ich einen Fotostopp ein, bevor es dann wieder bergab zur Küste geht. Ich lasse den ehemaligen U-Bootstützpunkt Orikum links liegen, erinnere mich aber gut an unseren Besuch. Nach und nach arbeite ich die Hafenstädte Vlora und Durrës ab, ein eher tristes, nerviges Unterfangen. Ab Durrës geht es dann straff über eine Autobahn nach Tirana.

Großstädte haben wir lange Zeit auf unseren Reisen gemieden, Sarajewo, Skopje, Plovdiv (und auf dieser Reise Tiflis und Jerewan) haben uns jedoch gezeigt, dass auch diese ihren Reiz haben können. Dazu hieß es von Tirana, dass die Stadt durchaus sehenswert sei – und mit knapp 450.000 Einwohnern auch noch kein Moloch. Mit der Wahl der Unterkunft tat ich mich etwa schwer: Ich wollte die Stadt möglichst fußläufig erkunden können, auf der anderen Seite hätte ich es gerne etwas ruhiger. Wenn man eine Stadt noch gar nicht kennt, ist es schwierig, nur anhand der Beschreibungen eine Wahl zu treffen. Schon zu Hause hatte ich mich dann doch festgelegt: Mitten in Tirana gibt es einen großen Park, der auch genauso heißt: Parku i madh i Tiranës – „Großer Park von Tirana“, quasi eine „Grüne Lunge“ der Hauptstadt. Und mitten in diesem gut 230 Hektar großen Gelände, nah zum Zentrum und doch recht fern vom Lärm, soll sich das empfohlene Hotel Dreri befinden – von der Beschreibung her also genau das, was ich suche! Zum Glück kennt mein Navi das Haus, aber auf dem Weg will ich ja noch bei imoto vorbeischauen. Hier hab ich nur die Adresse, sollte passen.

Seit ich mich von der Küste gelöst habe, ist der Himmel zumeist kompakt grau, es ist aber trocken geblieben. Hier in Tirana muss es aber kurz vorher mächtig geschüttet haben, überall stehen breite und tiefe Pfützen. Ich hatte es nicht kommen sehen, in der Rückschau war es aber so, als ob der Verkehrsfluss von der Autobahn an der Stadtgrenze abrupt zum Stehen kam. Und dann auf eine Weise, wie es in südlichen Städten oft der Fall ist: gerade noch geordnet auf zwei Hin- und zwei Gegenfahrspuren, dann von jetzt auf gleich ein unüberschaubares Knäuel von Fahrzeugen, das in eine Richtung strebt, PKW, rußende LKW, dazwischen sich durchschlängelnde Roller und Mopeds. Wenn ich wenigstens wüsste, wo ich mich „einordnen“ soll. Das Navi weist zwar die Richtung, aber irgendwie komm ich nicht dahin. Der ganze Kreuzungsbereich ist eine riesige verschlammte Baustelle. Schließlich schwimme ich irgendwie im Schlamm mit und der Cursor am Navi hat sich auch wieder auf der richtigen Straße eingependelt.

Dabei fahre ich eigentlich gerne in diesen wuseligen Städten Motorrad. Man ist zwar ungeschützter, aber wenn man sich in die Fahrweise etwas eingefühlt hat und sich auch traut, sich beherzt durchzusetzen, macht es richtig Spaß! Ich bin wieder in der richtigen Richtung unterwegs, die Stadtautobahn, die dann weiter nach Elbasan im Landesinneren führt, sollte mich praktisch direkt zu der Honda-Werkstatt und dann weiter zu besagtem Park bringen. Doch ehe ich mich versehe, ist die Adressmarkierung für imoto schon auf dem Navi vorübergeflogen, ohne, dass ich eine Abfahrt hätte erkennen können. Egal, dann eben morgen! Bis zum Hotel dürften es noch etwa 500 Meter sein, nur: Hier fängt tatsächlich der Park an, schön für Spaziergänger und Familien mit Kinderwagen, für mich heißt es jedoch: Einfahrt verboten! Und so dreist, mich, noch dazu als Ausländer, darüber hinwegzusetzen, bin ich dann doch nicht. Also absteigen, Helm ab, durchfragen. Der Mann beratschlagt sich mit einem Bekannten, doch beide schütteln den Kopf – nee, da geht’s nicht durch! Aber kein Ding: Er schwingt sich auf seinen Roller und bedeutet mir zu folgen. Drei Minuten später rufe ich ihm ein Faleminderit! – „Vielen Dank!“ – hinterher und parke mein Mopped vor dem Dreri. „Nobel“ wäre übertrieben, „gediegen“ trifft es schon. Wie erwartet ruhig gelegen, mit dem Auto zwar erreichbar, aber eben kein Durchgangsverkehr. Ich bekomme ein schönes Zimmer mit Balkon, Klimaanlage und einem Blick ins Grüne. Ich will zwei Nächte bleiben, also Gelegenheit, ein bisschen Wäsche zu waschen. Bei einem kurzen Erkundungsgang lege ich mich auch gleich für das Abendessen fest: Obwohl das Hotel ein Restaurant hat, entscheide ich mich heute für das riesige Gartenlokal des Sheqer Pikant, nur zwei Minuten zu Fuß vom Hotel entfernt und noch mitten im Park gelegen.

Große Lust verspüre ich nicht, aber für den Fall, dass das morgen mit der Werkstatt auch nicht klappt, mache ich mich an das Wechseln der hinteren Bremsklötze. Das ist grundsätzlich kein großer Akt, nur habe ich es an der Maschine noch nicht gemacht – und es gibt meist doch den einen oder anderen Unterschied in der Vorgehensweise. Nach einer Stunde kann ich die erfolgreiche Probefahrt machen.

Für südländische Verhältnisse bin ich etwas früh im Sheqer Pikant, es füllt sich nur langsam, oft mit Familien mit kleinen Kindern. Den ersten Halbliterkrug Pils leere ich fast in einem Zug – jetzt geht’s schon besser! Das Essen ist auch wieder so, wie es mir gefällt – sowohl qualitativ als auch im Blick auf die Portionsgröße. Ich bin froh, dass es bis zum Hotel nicht weit ist … Mit Mühe schaffe ich es noch, Rendel anzurufen, kurz drauf höre ich noch das Vogelgezwitscher vom Park und …

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Tirana

   
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… werde damit am nächsten Morgen auch wach. Das Frühstücksbuffet ist nicht allzu üppig, aber doch mit allem, was man braucht. Richtig gut sind auch hier – wie eigentlich überall in Albanien und im Kosovo – die Macchiatos, der italienische Einfluss eben. So gestärkt mache ich mich auf, die Stadt zu erkunden. Die Architektur und damit das augenfälligste Merkmal Tiranas wird als „farbenfroh … aus der osmanischen, faschistischen und sowjetischen Zeit“ beschrieben. Diese Charakterisierung mag so gar nicht zu der Tristesse passen, die man aufgrund der hunderttausenden Betonbunker, die unter dem paranoiden Diktator Enver Hoxha errichtet wurden, erwarten würde.

Einen kleinen Vorgeschmack bekomme ich gleich, als ich mich vom Park kommend Richtung Innenstadt orientiere und sich vor mir ein knallrotes Hochhaus in die Höhe reckt. Dass mich, als vor allem an älterer Geschichte Interessiertem, hier in Tirana nichts Sensationelles erwartet, haben mich schon mein Recherchen im Vorfeld ahnen lassen. Erste Besiedlungen lassen sich hier zwar schon für die Steinzeit und dann später auch für die römische Periode nachweisen, jedoch hat Tirana bis Anfang des 20. Jahrhunderts keine große Rolle in der Geschichte gespielt, erst 1920 wurde sie zur Hauptstadt und dann auch für gut ein Jahrzehnt zum Königssitz. Aber gut: New York kann auch nicht mit archäologischen Stätten aufwarten und ist trotzdem eine interessante Stadt …

Schon eingangs der City quere ich eines der wenigen Baudenkmäler, das das Attribut „antik“ halbwegs verdient – die Ura e Tabakëve“ (Gerberbrücke), eine Gewölbebrücke aus dem frühen 19. Jahrhundert. Ganz selbstverständlich wurde sie in die Verkehrsinfrastruktur integriert und dient als vielgenutzte Fußgängerbrücke. Nur ein paar Schritte weiter, dann erstreckt sich vor mir das eigentliche Zentrum der Stadt, der 38.000 m² große Skanderbeg-Platz (als Quadrat gedacht also etwa 200 x 200 Meter), benannt nach dem albanischen Volkshelden, dessen Reiterstandbild an einer der Seiten steht. Direkt gegenüber der markante Klotz des Nationalmuseums, dessen Fassade ein elf Meter hohes und 40 Meter breites Mosaik ziert – Shqipëria, Albanien. Es zeigt – in der Manier des „Sozialistischen Realismus“ – Repräsentanten verschiedener Phasen der albanischen Geschichte, insbesondere solche, die sich im immerwährenden „Befreiungskampf“ einen Namen gemacht haben. (Der rote Stern, der lange in der Mitte prangte, wurde nach Ende der kommunistischen Ära entfernt.) Das Material für den vollflächig mit polierten Steinplatten gepflasterten Platz stammt aus allen Regionen Albaniens und soll so die Einheit des Landes symbolisieren. Ansonsten gruppieren sich um den Platz noch die Et’hem-Bey-Moschee aus dem späten 18. Jahrhundert und der sehenswerte, 35 Meter hohe Uhrturm, der ebenfalls von besagtem Pascha Et’hem Bey erbaut wurde. (Derartige Uhrtürme finden sich vielfach im ehemals osmanischen Kulturkreis. Sie sollten in der „Vor-Armbanduhr-Ära“ der Bevölkerung die Uhrzeit nennen.) Ich orientiere mich in Richtung eines anderen markanten Turms, der sich aus der Nähe als der freistehende Glockenturm der neuen Auferstehungskathedrale erweist. Der eigentliche Turm ist von vier Säulen flankiert, welche oben eine Art „Flamme“ tragen und so wie Kerzen wirken. Beeindruckend ist das Portal des eigentlichen Kathedralbaus, das fast die gesamte Front des Gebäudes beansprucht. In direkter Nachbarschaft steht gerade ein weiteres futuristisch wirkendes Hochhaus vor der Vollendung – in etwa 15 Metern Höhe verspringt die Fassade nach außen, das Gebäude wird also breiter.

Für eine Innenstadt wirkt es hier alles recht grün, Parks, Teiche mit Wasserspielen, Spazierwegen und Bänken. Leider spenden auch die Bäume nicht viel Schatten, die Mittagshitze macht mir zu schaffen und ich gebe meinen Plan auf, zur Talstation der Seilbahn zu laufen, die mich auf den Dajti, den Hausberg Tiranas, bringen sollte. Aber eine eher zweifelhafte Sehenswürdigkeit möchte ich mir nicht entgehen lassen, die so genannte Piramida, ein entsprechend geformter Monumentalbau, der einmal als Museum für den früheren albanischen Diktator Enver Hoxha gedient hat. „Museum“ ist wahrscheinlich ein Euphemismus, es war wohl eher Zentrum des Personenkultes, um nicht zu sagen ein Tempel zur Verherrlichung dieses Mannes. Nach dem Ende dieser Ära hat man versucht, dieses Monstrum einer sinnvolleren Verwendung zuzuführen – von Kulturzentrum über Jugendtreff und Veranstaltungshalle bis hin zum Abriss wurde fast alles diskutiert, aber letztlich gammelt der Komplex doch nur vor sich hin.

Ich mache mich auf den Rückweg, steuere aber zunächst noch eine Apotheke an, denn durch die ungeplante Verlängerung meiner Tour werden meine Blutdrucksenker knapp. Da ich die Wirkstoffbezeichnung kenne, ist das kein Problem – und ein Rezept braucht man hier auch nicht. Zwei Präparate kosten mich gerade mal so viel wie zu Hause an Rezeptgebühr fällig gewesen wäre. Große Lust habe ich nicht, aber da ich bei Reisen in diese Gegenden nie Rasierzeug mitnehme, muss ich mal wieder einen „Berber“ aufsuchen. Der Laden wirkt modern, ich bin der einzige Kunde. Der hip gestylte Meister spricht weder Englisch noch Deutsch, aber mein „Komplett. Zero.“ mit unterstützender Geste zeigt ihm unmissverständlich, auf welche Weise er mich verschönern soll. (Das Blöde ist nur, dass man danach meint, noch mehr zu schwitzen, da nun überhaupt keine Haare mehr den Schweiß zwischenspeichern.)

Im Hotel haue ich mich ein bisschen auf’s Ohr, zwei Macchiato machen mich danach wieder wach, dann schau ich mal genauer, wie ich zu besagter Werkstatt finde. Jetzt, wo ich ein bisschen orientierter bin, finde ich den Laden von imoto auf Anhieb. Gemäß Internetauskunft soll es sich um eine offizielle Hondawerkstatt handeln. (Bei meinem Anliegen nicht soo wichtig, aber da in den modernen Motorrädern viel Elektronik verbaut ist, bedarf es einiges an Know how und Ausrüstung.) Der Laden liegt in einem architektonisch modernen Wohngebiet, das Geschäft im Hochparterre, die Werkstatt darunter im Souterrain. Die Verkäuferin ruft nach dem Chef, der auch gleich kommt – ein freundlicher Mittdreißiger, der hinsichtlich Kompetenz keine Zweifel aufkommen lässt. Meinen zaghaften Hinweis auf das DCT meines Moppeds – die „Automatik“ – quittiert er mit „Hab selbst so eine!“ Er schwingt sich auf das Gefährt und bugsiert es sicher über eine Rampe in die Werkstatt. Gewissenhaft prüft er meine Bremsenreparatur, spannt die Kette, fettet sie gründlich, macht noch ein paar weitere Checks, noch etwas Luft drauf – fertig. „Was bin ich dir schuldig?“ – „Nix! War mir eine Freude!“ Das ist noch echtes Motorradfahrer-Ethos! Ich fahre zurück zum Hotel, jetzt schon wesentlich lockerer als gestern bei der Anreise, das Fahren in der Großstadt macht jetzt richtig Spaß. Und natürlich schreibe ich auf Google noch ein paar nette Zeilen zu der Werkstatt.

Obwohl mitten in der Woche, hat sich der Hotelparkplatz gut gefüllt. Mir war schon früher aufgefallen, dass der große Garten mit vielen Spielgeräten ausgestattet ist, fast wie ein richtiger Spielplatz. Fast jeder Tisch im Außengelände ist besetzt, überall lärmen Kinder, wobei mir besonders ins Auge fällt, dass es vor allem die Väter zu sein scheinen, die sich um ihren Nachwuchs kümmern. – Schönes Bild, das ich von einer etwas ruhigeren Ecke vom Restaurantbalkon aus betrachte. Ähnlich intensiv schaue ich mir die Speisekarte an und entscheide mich für einen Salat und als Hauptgang Thymianhähnchen, zum Abschluss „aufs Haus“ noch eine großer, edel angerichteter Früchteteller. Die Weinkarte ist ellenlang, Weine fast aller erdenklicher Provenienzen, die teuerste Flasche um die 2.000 Euro. Die verkneife ich mir heute, der 2015er Mavrud Rezerva der Kellerei Bardha sollte meinen Ansprüchen auch genügen … Obwohl: Der kostet 3.000 – allerdings Albanische Lek. So klingt mein Hauptstadttag aus. War schön, aber ich freue mich dennoch, dass morgen wieder mehr Natur auf mich wartet. Aber bevor ich ins Bett gehe, versuche ich noch, Rendel per WhatsApp anzurufen, klappt aber nicht so richtig. Dafür schicke ich ihr wie versprochen noch ein paar Bilder, nicht zuletzt die vom Essen …

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Von Tirana an den Skadarsko Jezero (Skutari-See/Montenegro)

   
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Bevor ich wieder kleine und kleinste Sträßchen unter die Reifen nehme, genieße ich noch einmal die morgendliche Rush hour einer Großstadt! Auf den breiten Innenstadt-Boulevards nimmt es einem niemand übel, wenn man sich zwischen den Autos hindurchschlängelt, um dann bei „Grün“ von der Pole Position zu starten – und sich diesen Rang auch bis zum nächsten Stopp nicht mehr nehmen zu lassen. Die folgende Etappe ist dann – aus Erfahrung vorhersehbar – nicht so schön, denn jetzt gilt es, sich kilometerweit in LKW-Schlangen einzureihen. Überholen ist nur selten möglich, bringt’s auch nicht wirklich, da man dann gleich wieder in der Dieselwolke des nächsten „Ellis“ hängt. Ich durchfahre Shkodra, die zweitgrößte Stadt Albaniens im Norden, dann ist schon Hani i Hotit ausgeschildert, der Grenzübergang, der mich nach Montenegro bringt. Bliebe ich nordwärts in Albanien, käme ich über spektakuläre Straßen in die Albanischen Alpen, also etwa nach Vermosh oder Valbona. Stattdessen möchte ich heute aber lieber an den Skadarsko-/Skutari-See, den größten See der Balkanhalbinsel. Dessen Südspitze reicht fast bis an die Stadt Shkodra heran, mich zieht es eher an den Nordzipfel, auf der Strecke liegt die montenegrinische Hauptstadt Podgorica. Die Fläche des Sees, die jahreszeitlich starken Schwankungen unterworfen ist, teilen sich Albanien und Montenegro etwa fifty-fifty. Insbesondere das Nordufer ist durch weitläufige Sumpf- und Schilfstreifen gekennzeichnet – ein einzigartiges Ökosystem, das mittlerweile in beiden beteiligten Ländern unter Naturschutz steht.

Wir hatten die Gegend schon anlässlich unserer zweiten Balkan-/Albanienreise 2018 erkundet. Schon damals hatte ich ein winziges Örtchen am Nordufer, weit vorgeschoben in der Schilflandschaft, als Unterkunft ins Auge gefasst, leider ausgebucht. Diesmal konnte ich in Karuč in der gleichnamigen Pension wenigstens eine Nacht ergattern. Dass sich das so schwierig gestaltete, lag weniger daran, dass es so überlaufen ist, als vielmehr daran, dass es tatsächlich nur zwei, drei Zimmer gibt. Leider muss ich, um, wie notwendig, von Norden anfahren zu können, über Podgorica fahren. Ich passiere die dortige Kathedrale und stehe kurz drauf an der Brücke über die Morača, des größten Flusses Montenegros, hoffnungslos im Stau. Das wäre nicht weiter erwähnenswert, aber die Hitze ist unerträglich und es geht nur im Stop-and-go millimeterweise vorwärts. Fast eine Stunde schmore ich im eigenen Saft, dann geht mir langsam der Schweiß aus (und das Trinkwasser). Doch schließlich bin ich wieder auf freier Strecke, selbst der warme Fahrtwind bringt etwas Linderung. Nach der letzten Abzweigung wird die Straße eng, enger, am engsten, dann das Ortsschild. GoogleEarth zeigt, dass der Ort aus etwa 30 Häusern besteht. Wegweiser zu verschiedenen Pensionen deuten an, dass man hier doch auch noch anderswo unterkommen könnte. Aber ich habe ja im Karuč-Apartment gebucht. Das mehrfache Wenden auf den steilen, engen Sträßchen bringt mich zusehends an meine Grenzen. Schließlich stelle ich das Mopped ab, greife zum Handy und rufe an. Während ich das Telefon noch am Ohr habe, kommt mir schon eine junge Frau entgegen – ich habe praktisch in der Einfahrt zu meiner Unterkunft geparkt! Sie scheint meine physische Verfassung richtig zu deuten; das Gepäck bleibt erstmal am Mopped und sie geleitet mich über ein auf den ersten Blick sehr undurchsichtiges Labyrinth von Treppen und Brückchen zu einer überdachten Terrasse direkt am Wasser. Ohne zu fragen, stellt sie mir einen Krug eisgekühlte hausgemachte Limonade und einen Teller mit frischem Blaubeerpfannkuchen hin! Gesegnet seist du auf ewig! Ich schaue mich um und mir wird umgehend klar, dass alle Strapazen gelohnt haben: Dies ist wieder einer dieser Orte, von denen man vielleicht ahnte, dass es sie noch geben könnte, doch wo?

Ich lasse die Szenerie auf mich wirken. Der Ort liegt auf einem Felsvorsprung direkt am See, umgeben von Schilf. In der kleinen Bucht vor mir schwankt ein Ruderboot, Enten watscheln quakend an Land, zwischen meinen Füßen huschen Hühner hin und her. In den Bäumen sitzen ganze Schwärme von Vögeln, im Schilf wimmelt es von verschiedensten Libellen und im Wasser tummeln sich Unmengen von Fischen. „Paradies“ ist etwas hoch gegriffen, aber „paradiesisch“ trifft es allemal. Dankbar wird mir wieder mal bewusst, wie privilegiert ich bin, auf diese Weise an derartige Orte reisen zu können! Nur Rendel fehlt mir.

Gestärkt und etwas runtergekühlt lasse ich mir mein Zimmer zeigen. Der Komplex besteht aus alter, originaler Bausubstanz, das Ensemble wurde in mehreren Etagen an den Fels gebaut. Mein Zimmer ist groß, eher dunkel, aber dafür relativ kühl, wichtig, denn eine Klimaanlage ist Fehlanzeige. Kurz kläre ich noch die Details fürs Abendessen, dann richte ich mich etwas ein und halte vor allem die Flasche mit Autan griffbereit.

Außer mir ist nur noch eine serbische Familie mit Freunden hier, damit ist der Laden auch schon voll. Die Besitzerin erzählt mir, dass das Stammgäste sind, die schon seit vielen Jahren kommen. Nach und nach finden sie sich ein, die meisten von ihnen waren mit Booten auf dem See. Ich schnappe mir meine Kamera und verbringe wohl zwei Stunden mit dem Fotografieren von Vögeln und Libellen. Auch eine Wasserschlange kommt mir, als sie den Kopf aus dem Wasser streckt, vor die Linse. Die tun wohl nichts, wofür auch spricht, dass sowohl die Gäste als auch der mittlerweile eingetroffene Chef des Hauses – der es ja wissen muss! – im Wasser schwimmen. Am anderen Seeufer hat es Rendel im letzten Jahr auch gewagt, aber nee: Für mich ist das nichts!

Ich komme mit dem Inhaber ins Gespräch, der mich durch die Gebäude führt und mir einiges zur Geschichte des Dorfes erzählt. Ein altes Foto zeigt den Ort vor etwa 100 Jahren, zu der Zeit standen hier nur eine Handvoll Häuser. Das Haus ist alter Familienbesitz, sein Vater und Großvater haben mit der Fischerei ihren Lebensunterhalt bestritten, noch heute ist der See verhältnismäßig fischreich. Der jetzige Inhaber verdient sein Geld in der Stadt, in Podgorica, möchte die Pension jedoch nach und nach ein bisschen ausbauen. Er weist mich auf eine kleine Ruine etwas höher auf dem Hügel hin – der Aufstieg sei zwar etwas schwierig, aber lohnenswert. Ich nehme mir das für nach dem Abendessen vor, aber früh genug, um noch sicheren Tritts dort rauf zu kommen. Ich bringe nochmal meine Kamera in Stellung, dann mache ich mich zum Abendessen frisch.

Ich hatte die Wahl zwischen Geflügel und Fisch. Prinzipiell mag ich Fisch, tue mich aber mit den Gräten immer etwas schwer. Aber wenn ich schon hier bin, wo sie sich sicher auf den Zubereitung von Fisch verstehen wie nirgends sonst … Obligatorisch ist natürlich ein leckerer Salat, dann kommt eine Terrine mit Fischsuppe. Meine Befürchtung, dass da Fischköpfe drin rumschwimmen, aus denen mich trübe Augen traurig anschauen, war unnötig. Farbe und Konsistenz erinnern eher an eine Ochsenschwanzsuppe, schön sämig und perfekt abgeschmeckt. Davon werde ich eigentlich schon satt, aber der Hauptgang kommt noch – eine große Platte mit gegrillter Forelle und jeder Menge Karpfen. Tut mir leid, Leute, aber das ist für drei! Und ich muss ja noch den Hügel hoch.

In der späten Abendsonne erklimme ich den holprigen Weg zur Ruine. Nicht besonders beeindruckend, aber doch etwas geschichtsträchtig, denn die verfallenen Gebäude stellen die Reste der Winterresidenz des früheren Fürstbischofs Petar I. Petrovic Njegos, der Ende des 18./Anfang des 19. Jahrhunderts vom nahegelegenen Cetinje aus Montenegro regierte. (Ein Fürstbischof vereinte geistliche wie weltliche Macht in einer Person.) In der Folgezeit errichteten Fischer dann nach und nach einige Häuser unterhalb der kleinen Festung – Grundstein für den Weiler Karuč. So wenig die Reste der alten Residenz hergeben, so eindrucksvoll ist die Aussicht über die Bucht und den See, dazu in einer einmaligen Abendstimmung.

Ich merke, dass ich nix merke! Nein, das ist nicht die Simon’sche Version des Descartes’schen „Ich denke, also bin ich!“, vielmehr fällt mir auf, dass die befürchtete Mückeninvasion bis jetzt vollständig ausgeblieben ist, auch die Nacht über soll sich das nicht ändern. Wenigstens das! Denn heiß ist es schon auf dem Zimmer, entsprechend schlecht schlafe ich dann auch. Früh bin ich wach, von „Kühle des Morgens“ kann keine Rede sein, als ich die Tür aufmache, knallt mir die Sonne schon voll entgegen. Noch im Schlafanzug belade ich das Mopped, dusche dann erst und gehe frühstücken. Zeitig mache ich mich zu meinem nächsten Ziel auf.

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Ganz verschwitzt – Durch den Durmitor-Nationalpark an die Tara

   
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Gerne wäre ich noch geblieben, bin aber doch froh, dass ich – zumindest für kurze Zeit – der Hitze entfliehen kann. Montenegro, Crna Gora, die „Schwarzen Berge“, besteht zu großen Teilen aus Gebirge und Hochebene, was etwas angenehmere Temperaturen in Aussicht stellt. Bei Podgorica stelle ich „Kurs Nordwest“ ein und halte zunächst über Danilowgrad auf Nikšić, Heimat des beliebtesten montenegrinischen Bieres, des Nikšićko, kurz: Nik. Nicht viel später fahre ich in den Durmitor-Nationalpark ein. Ich erinnere mich, wie mir in Zuge der Vorbereitung für unsere erste Balkantour ein Motorradbekannter einschärfte: „Und ihr müsst unbedingt in den Durmitor!“ – was mir zu der Zeit aber noch gar nichts sagte. Jetzt bin ich zum dritten Mal hier und sage jedem, der eine Reise in die Gegend plant: „Ihr müsst auch unbedingt …“ Hier ist wirklich Genussfahren angesagt, unterbrochen durch viele Stopps, entweder zum Fotografieren oder einfach nur, um sich auf eine Bank zu setzen und das herrliche Panorama und die gute Luft zu genießen. Schließlich passiere ich den charakteristischen Sattel des Sedlena Greda und halte auf Plužine zu. Vor mir erkenne ich zwei stehende Motorräder samt Halter, etwa 200 Meter voneinander entfernt. Ich stoppe beim ersten, einem Harley-Fahrer, der mir erzählt, dass seine Batterie den Geist aufgegeben hätte. Ich biete meine Hilfe an, aber er hat schon den ADAC angerufen, der bereits Hilfsmaßnahmen vor Ort ausgelöst hat. Wir plaudern noch einen Moment, er fragt, wo ich herkomme. „Oh“, meint er, „und unsereiner bildet sich schon was ein, wenn er bis Siebenbürgen gekommen ist.“ Und ob er denn wohl ein Foto von einem echten Kaukasusfahrer machen dürfe … Wenn’s hilft!

Die letzten zwei, drei Kilometer vor Plužine gehören zu den spektakuläreren Abschnitten meiner heutigen Strecke. Bevor es im Ort auf die gut ausgebaute Hauptstrecke geht, windet sich das Sträßchen vom Durmitor kommend oberhalb des Piva-Stausees mittels grob aus dem Fels gehauenen Tunneln durch den Berg, wobei sich immer wieder grandiose Ausblicke auf den See und die Umgebung bieten (erinnert ein klein wenig an die Taş Yolu bei Kemaliye in Zentralanatolien, wiewohl das doch noch eine andere Nummer ist). Plužine lasse ich links liegen, ich halte mich weiter Richtung Norden, noch gut 15 Kilometer, dann bin ich an meinem Tagesziel, dem Ort Šćepan Polje, der direkt an der Grenze zu Bosnien-Herzegowina und an der Mündung des Flüsschens Piva in die Tara liegt. Die Tara bietet ideale Bedingungen für wassersportliche Aktivitäten wie Rafting oder Canyoning (wo man mit Helm und Neoprenanzug entsprechend geeignete Abschnitte im Fluss zu Fuß, rutschend, springend oder schwimmend absolviert). Vermutlich eher nichts für mich, was ich aber gerne mal machen würde, wäre eine Fahrt auf einem der traditionellen Holzflöße – dazu müsste ich aber an eine andere Stelle der Tara. Das Blue River Rafting ist ein Komplex aus Holzhäusern mit Unterkünften, einem Restaurant und – nicht zu übersehen – einem umfangreichen Rafting-Angebot. Überall hängen Neoprenanzüge und -stiefel zum Trocknen, immer wieder treffen geländegängige Fahrzeuge mit Anhängern ein, auf denen die Schlauchboote zurücktransportiert werden.

Wieder einmal bin ich total fertig. Diese Hitze, selbst hier! Immer wieder lege ich mir ein nasses Handtuch in den Nacken, nichts scheint zu helfen. Erst gegen Abend wird es etwas erträglicher. Das offene Restaurant bietet einen Blick auf Tara und Piva und auf die Brücke über die Tara, die die Verbindung zwischen Montenegro und BiH bildet, eine einspurige, holzbeplankte Stahlkonstruktion, über die der gesamte Grenzverkehr in der Gegend abgewickelt wird.

Ich setze mich im Restaurant zu zwei Motorradfahrern aus Ungarn, anständige Typen, denn sie spendieren mir sofort ein Bier. Nachdem die Sonne hinter den Bergen verschwunden ist, wird es etwas kühler, ich bitte nochmals um die Karte fürs Abendessen. Eine Spezialität ist der hiesige, hausgemachte Ziegenkäse – leider nicht mein Ding. Mir fällt ein, dass meine „Grüne Versicherungskarte“, die ich für BiH brauche, nicht mehr gültig ist – die Versicherung hat sie nur für meine ursprünglich geplante Reisedauer ausgestellt. Ich frage etwas herum und erfahre, dass es in der Nachbarschaft jemanden gibt, der Versicherungen für BiH ausstellt – morgen früh würde reichen. So dusche ich nochmal ausgiebig eiskalt und falle in einen tiefen, in meiner Erinnerung traumlosen Schlaf.

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Jajce (Bosnien-Herzegowina)

Noch vor dem Frühstück suche ich besagten Versicherungsmenschen auf. Er ist noch im Schlafanzug, nimmt aber meinen KFZ-Schein an und schickt mich erstmal wieder weg. Als ich beim Frühstück sitze, kommt er vorbei, kassiert und händigt mir den Versicherungsschein aus – alles ganz korrekt. So langsam zieht es mich Richtung Heimat, zwei bis drei Stopps habe ich aber noch eingeplant. Heutiges Tagesziel ist Jajce in BiH – nicht besonders originell, da wir die kleine Stadt schon 2017 ausgiebig erkundet haben, aber für eine Nacht immer noch attraktiv genug (für eine ausgiebige Beschreibung siehe entsprechend den 2017er-Bericht). Ich nehme die Route über Sarajewo, was etwa fünf Stunden Fahrzeit bedeuten wird. Ich quere besagte Brücke, komme mit dem neu erstandenen Versicherungsschein problemlos in Bosnien-Herzegowina rein, werde dann aber gleich mittels eines großen Schildes in der „Republik Srpska“ willkommen geheißen … Das bringt mir wieder in Erinnerung, dass dieses vermeintlich homogene Staatsgebilde, das unter dem Namen „Bosnien-Herzegowina“ firmiert, in Wirklichkeit ein hochgradig zerteiltes, zerstrittenes, um nicht zu sagen verfeindetes Konglomerat verschiedener Teilrepubliken, ein hauptsächlich durch „ethnische“ Grenzen beschriebenes Land ist. Die „Republik Srpska“ ist ein Teil, die „Bosnisch-kroatische Föderation“ ein weiterer, wobei sich die Bewohner des zweiten Teils – (überwiegend muslimische) Bosniaken und (überwiegend katholische) bosnische Kroaten, trotz „Föderation“ auch nicht grün sind. Die wunderschöne, zudem herrlich zu befahrende Gegend lässt einen vergessen, dass hier auch in jüngerer Zeit heftige Kämpfe getobt haben – zuletzt in den kriegerischen Auseinandersetzungen im Zuge des Zerfalls Jugoslawiens, im Frühjahr 1943 tobte hier die Schlacht an der Sutjeska – und auch Srebrenica, Inbegriff bestialischer Kriegsverbrechen in neuerer Zeit, liegt nicht weit von hier.

Die schöne Strecke endet kurz vor Sarajewo, jetzt wird es etwas öde und anstrengend, denn auf den schmalen Landsträßchen drängen sich die Autos, überholen oft nicht möglich oder nicht sinnvoll. Kurz hinter Travnik, das immer noch als der Ort mit den besten Ćevapčići überhaupt gilt, bietet mir das Navi eine Abkürzung an. Ich setze zweimal an, finde die kleine Straße jedoch nicht, es sei denn, der zunehmend in Schotter übergehende Waldweg ist damit gemeint. Schneller ist es hier lang definitiv nicht, und da mir die Hitze schon wieder schwer zu schaffen macht, wende ich und reihe mich reumütig wieder in den Autokorso ein … Ich habe mich wieder im Hotel Stari grad („Altstadt“) angemeldet und bin mir sicher, es auch direkt zu finden, aber die ganzen Gässchen und Einbahnstraßen machen die Suche dann doch etwas schwieriger. Da das Haus keinen Aufzug hat, muss ich mein Gepäck bis in den dritten Stock hochschleppen, wieder eine schweißtreibende Angelegenheit. Und, als wenn das noch nicht genug sei, bittet mich der Inhaber, das Mopped in eine Garage zu verfrachten. Im Prinzip habe ich nichts dagegen, das Motorrad sicher untergestellt zu wissen, die Vorabbegehung treibt mir jedoch zusätzlich den Schweiß auf die Stirn. Die Garage liegt direkt an einer ganz steilen, kopfsteingepflasterten Gasse, zudem ist der Garagenboden so abschüssig, dass ich Probleme habe, das Motorrad sicher abzustellen – von der morgigen Ausfahrt ganz zu schweigen. Irgendwie klappt es – und ich klappe auch bald zusammen. Aber nach der obligatorischen Dusche geht es wieder, ich schlendere ein wenig durch den Ort, setze mich in ein Eiscafé und bin überrascht, dass mich die nette Inhaberin gleich wiedererkennt – vermutlich, weil ich beim letzten Mal die größtmögliche Portion bestellt hatte … Die darf es auch diesmal sein, und dann geht es mir wieder richtig gut.

Beim letzten Mal hatten wir uns zwei Tage Zeit genommen und so die Stadt und Umgebung intensiv erkunden können. Heute beschränke ich mich auf einen kleinen Bummel in der Stadt, die imposanten Wasserfälle am Zusammenfluss von Pliva und Vrbas lasse ich mir jedoch auch diesmal nicht entgehen. Neu ist eine kleine Gedenkstätte direkt vor dem Hotel, die an die 328 Opfer aus Jajce während der Kriegsjahre 1992–1995 erinnert – etwas bedrückend der Sinnspruch auf der Gedenktafel: „Here one does not live to live./Here one does not live to die./Here one dies to live.“ Auch hier ist die Zersplitterung greifbar, im Krieg spalteten sich die westlichen Ortsteile von Jajce ab und schlossen sich der „Republik Srpska“ an.

Außer Frühstück und dem Eis habe ich noch nichts gegessen. In der Gegend sind Ćevapčići ein Muss, ich steige wieder ins Kod Asima hinauf, das darauf spezialisiert ist. Bestellt wird gestaffelt nach der Anzahl der Ćevapčići – fünf, zehn, fünfzehn oder zwanzig Stück, serviert in Weißbrottaschen, in die eine schöne Portion des leckeren Bratfetts geträufelt wurde. Ich nehm den Zehnerpack, dem ich mit einigen leckeren Bierchen auf die Sprünge helfe. Ich bin alleine im Restaurant, was es ein wenig trist macht, dafür komme ich später beim Wein im Hotel noch mit einem netten Ehepaar ins Gespräch, das das Land mit seinen Fahrrädern bereist.

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Wo die Babys herkommen – Lonjsko Polje

Um mein Gepäck nicht hoch zur Garage schleppen zu müssen, will ich das Mopped zum Hotel holen. Leider ist der Chef nicht da und die Kraft am Frühstücksbuffet weiß nicht, wo der Garagenschlüssel ist. Insgesamt drei Mal stapfe ich zur Garage hoch, immer wieder mit einem anderen Schlüssel. Der Leser wird es sich denken: Das Duschen war auch diesmal eher überflüssig. Schließlich klappt es, selbst das Rausbugsieren aus der Garage geht ganz gut, dann schnell aufgerödelt – und ab. Heute soll es in eine der Beschreibung nach sehr urtümliche Gegend gehen, ins Naturschutzgebiet Lonjsko Polje in Kroatien. Ich mag das Meer, die Küste und lauschige Buchten, etwas, für das ja nicht zuletzt auch Kroatien berühmt ist. Mit der Zeit habe ich mir jedoch angewöhnt, mich in der vorbereitenden Auseinandersetzung mit einem für mich neuen Reiseland zunächst auf die weniger bekannten und weniger frequentierten Orte und Gegenden zu konzentrieren, was sich meist als ergiebiger und interessanter herausstellte. Das Lonjsko Polje liegt etwa zwischen Zagreb und der bosnisch-herzegowinischen Nordgrenze am Fluss Sava. Diesem dient die Gegend als Überschwemmungsgebiet. Mit einer Fläche von über 50.000 Hektar (oder, anschaulicher, entsprechend einem Quadrat mit gut 22 Kilometer Seitenlänge) ist es eines der größten und bedeutendsten Feuchtbiotope Europas. Es beheimatet fast 240 Vogelarten, darunter Adler, am bekanntesten ist es jedoch für seine Storchenpopulation.

Ich verlasse die Autobahn, passiere noch ein paar Dörfer, dann leitet mich das Navi – entgegen der Straßenbeschilderung – auf ein kleines Sträßchen, das dann zu einem Waldweg wird. Eingangs des Waldes verbietet ein Schild die Durchfahrt, mit Blick auf die unübersehbaren Reifenspuren und einen Wegweiser, der dann doch mein Ziel, das Dorf Lonja, nennt, ignoriere ich es jedoch. Um im Naturschutzgebiet nicht unnötig Krawall zu machen, lasse ich es mit Bedacht angehen und genieße die Strecke durch den dichten Wald. Wieder draußen, sehe ich das Ortsschild von Lonja und einen Pfeil, der zum Ethno Village Stara Lonja weist. Das „Village“ liegt am Rande des kleinen Fleckens, ein Ensemble von vier, fünf in traditionellem Stil gebauten Holzhäusern. (Dieser Teil des Dorfes heißt dann auch Budžak, vom gleichlautenden türkischen Wort, das „Winkel, Einzelhof“ bedeutet.) Begrüßt werde ich von einem wild kläffenden, wirklich furchterregend aussehendem Hund, dessen Fangzähne so unnormal lang sind, dass sie selbst bei geschlossenem Maul weit herausstehen. Aber er wird umgehend von einem kräftigen Glatzkopf zurückgepfiffen – Igor, dem, zusammen mit seinem Bruder Mladen, der Komplex gehört. Der Hof ist seit Generationen im Familienbesitz, die Brüder haben es nach und nach als Rückzugsort für stressgeplagte Städter umgebaut. Wobei von Umbau nicht so viel wahrzunehmen ist, denn die Häuser als solche und auch die Einrichtung der Zimmer wirken so, als hätte es schon vor über 100 Jahren hier so ausgesehen. Ich bekomme ein riesiges, mit Unmengen antiken Möbeln und Accessoires ausgestattetes Zimmer im ersten Stock eines der Häuser. Natürlich ist es hier etwas dunkel, zudem haben die Türrahmen eine Höhe, an die ich mich erst noch gewöhnen muss …

Ich rödel kurz ab, dann finde ich mich zum Begrüßungsdrink in einer Art offener Scheune ein, wo auch gegessen wird. Das Bier wird zünftig in einem Brunnen in der Mitte der Wiese gekühlt, aber die selbstgemachte, eisgekühlte Holunder-Limonade tut mir jetzt besser. Den Brüdern merkt man ihre Begeisterung für ihr Projekt und die Gegend an. Entsprechend können sie mir auch gleich eine Kurzeinweisung in die Sehenswürdigkeiten des Lonjsko Polje geben. Außer mir ist noch eine Familie aus Berlin hier – mit einem aufgeweckten Achtjährigen und einem Säugling. Sie haben ihren Aufenthalt schon mehrfach verlängert und stehen mittlerweile mit einem Einheimischen wegen des Kaufs eines Hauses in Verhandlungen. Ich merke an, dass es trotz der hohen Attraktivität hier nur wenig Touristen zu geben scheint, was die Brüder bestätigen. Hauptgrund sei ihrer Meinung nach die schlechte Vermarktung, so würden selbst im nur 100 Kilometer entfernten Zagreb die wenigsten diese schöne Gegend kennen. (Im Seuchenjahr 2020 konnte ich im Sommer eine „Corona-Lücke“ nutzen und nochmal in die Gegend fahren. Ich hatte mich dann in Mužilovčica, ein paar Meter hinter Lonja, einquartiert; hier bot sich exakt dasselbe Bild, im Grunde sah ich keinen weiteren Touristen.)

Das Ungeheuer, das mich so freundlich begrüßt hatte, macht keinen ganz gesunden Eindruck. Jetzt, wo ihn und mich kein Zaun mehr trennt, schleicht er immer im großen Bogen um mich herum, sobald ich ihn mit dem Blick fixiere, sucht er das Weite. Selbst, wenn ich von Ferne versuche, ihn zu fotografieren, nimmt er Reißaus. Mladen erzählt, dass er ihn auf einem Friedhof aufgelesen hat und er wohl schwer traumatisiert sei. Ich kläre noch Zeit und Inhalt des Abendessens, mache mich dann frisch und beschränke mich für den Rest des Tages auf das Gelände. Überall finden sich lauschige Eckchen mit Sitzgelegenheiten oder Sonnenliegen, große Bäume spenden Schatten – und dann diese Ruhe! Ich hoffe nur, dass auch hier die Mücken noch nicht so weit sind, denn schließlich sind wir hier nahe am Fluss, zudem in einem Überflutungsgebiet, auch, wenn das Wasser jetzt schon wieder zurückgegangen ist.

Jetzt habe ich auch die Mutter der beiden kennengelernt. Sie hat als Kieferorthopädin in Zagreb praktiziert und hilft jetzt dabei, die Gäste zu beköstigen. Ausnahmsweise erinnere ich mich nicht daran, was es heute zu essen gab, nur, dass es lecker und sehr viel war. Und jetzt kommt auch das kalte Bier aus dem – Achtung: Wortspiel! – Ziehbrunnen zum Zuge, die erste Flasche leere ich in einem Zug.

Das mit den Mücken hält sich in Grenzen, zumindest brauche ich weder Mückennetz noch Autan. Mir gefällt’s, lediglich das wohl nachträglich eingebaute Bad ist sehr klein geraten; zur fotografischen Dokumentation lege ich meine Duschlotionflasche ins Waschbecken – damit war das Becken voll. Und des Nachts mache ich zum ersten Mal mit der niedrigen Tür Bekanntschaft. Und das nicht zum letzten Mal – die immer wieder nachgearbeitete Macke bleibt mir noch einige Wochen erhalten.

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Lonjsko Polje

   
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Balkantypisches Frühstück, also im Mittelpunkt eine große Platte mit verschiedener deftiger Wurst, Speck und Schinken, ergänzt durch würzigen Käse. Heute habe ich dreierlei auf dem Schirm: a) möchte ich die ganze Strecke durchs Lonjsko Polje an der Sava entlang einmal abfahren. Direkt an der Strecke liegt b) das erste EU-„Storchendorf“ Čigoć, wo heute der letzte Tag des jährlichen Storchenfestes ist, c) möchte ich mir die Holzhäuser von Krapje, dem einzigen kroatischen Dorf, das als Denkmalort geschützt ist, ansehen. Diese Bauweise findet sich zwar überall in der Gegend, doch sollen die Häuser in Krapje die schönsten und besterhaltenen sein.

Die Strecke im Lonjsko Polje entlang der Sava ist etwa 40 Kilometer lang, zumeist folgt die Straße unmittelbar dem Flusslauf. Bisweilen steigt der Wasserspiegel im Frühjahr bei Zufluss aus den Alpen um bis zu 10 Meter an. Heute werde die Städte und Dörfer im Lonjsko Polje durch einen viele Kilometer langen Deich geschützt, auf dem auch die Straße verläuft, zudem existiert ein umfangreiches System kleinerer Deiche. In früheren Zeiten ist man dem periodisch wiederkehrenden Hochwasser begegnet, indem man die Häuser so konstruiert hat, dass das Erdgeschoss nur als Lager und Stall genutzt wurde, gewohnt wurde im Obergeschoss, von wo im Bedarfsfall dann auch direkt Boote bestiegen werden konnten. An den Häusern von Krapje, die zum Teil originalgetreu erhalten bzw. instandgesetzt wurden, kann man das noch gut sehen. In Krapje fühlt man sich in eine andere Zeit versetzt, auch die eher verfallenden, oft überrankten Gebäude wirken sehr malerisch. Die Häuser haben die ständigen Überschwemmungen vor allem deshalb so gut überstanden, weil sie überwiegend aus dem widerstandsfähigen Holz der – nomen est omen – Steineiche gebaut wurden.

Ich mache kehrt und stelle mein Motorrad in Čigoć ab, besagtem Storchendorf. Natürlich hat der Ort kein Monopol auf die Störche, in jedem der Dörfer sieht man die großen Nester und auch „bei mir“ in Lonja hört man immer wieder das charakteristische Geklapper. In Čigoć gibt es jedoch eine deutliche Häufung, bis zu 45 Nester kann man zeitweise zählen, was dem Dorf als erstem die Auszeichnung „Europäisches Storchendorf“ eingebracht hat. In Erinnerung an diese Ernennung findet Ende Juni immer der „Storchentag“ statt. Viele der knapp 130 Einwohner einschließlich der Kinder haben sich in traditionelle Trachten gekleidet, und so finden chor- und andere musikalische Darbietungen, Anspiele und vieles mehr statt – Folklore der authentischeren Art. Ich mache mich auf den Heimweg, lege mich ein bisschen hin und lese noch ein wenig zu der Gegend. (Interessant sind noch die beiden größeren Orte am Nordwest- bzw. Südostende des Lonjsko Polje – Sisak und Jasenovac. Sisak hat eine kleine, gut erhaltene Festung als Hauptsehenswürdigkeit, die „Attraktion“ von Jasenovac würde man sich gerne schenken, denn hier befindet sich auf dem Gelände eines ehemaligen Konzentrationslagers eine entsprechende beeindruckende Gedenkstätte. Die beiden Orte habe ich dann anlässlich meines kurzen Kroatientrips 2020 besucht.)

Nach dem Abendessen unterhalte ich mich noch ein bisschen mit den Berlinern und den Inhaberbrüdern. Morgen möchte ich gerne die hiesige Tierwelt mit ihren Besonderheiten erkunden und hole mir dafür noch ein paar Tipps.

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Schweinereien im Matsch

Biologie war und ist nicht gerade einer meiner Schwerpunkte, aber wenn es irgendwo etwas Interessantes zu entdecken gibt, das sich auch dem Laien erschließt, bin ich gern dabei. Zu Hause hatte ich schon davon gelesen, Mladen und Igor haben es mir dann noch weiter erklärt: Neben vielen Wildtieren sind hier auch einige außergewöhnliche Nutztierrassen beheimatet. Ich fahre zehn Kilometer bis zum Weiler Mužilovčica, biege ab und bin kurz drauf am Rande einer unübersehbar weiten Weidefläche, am Rand ein dichter Laubwald. Mit etwas Glück, so hat man mir gesagt, könne ich dort eine der originellsten Tierarten bei einer ihrer Lieblingsbeschäftigungen beobachten (wiewohl die Chance dazu ein, zwei Monate früher größer gewesen wäre): schwimmende Schweine! Doch wo soll ich suchen? Auf gut Glück stapfe ich los, die sengende Sonne ärgert mich schon wieder. Je weiter ich auf der Wiese vorankomme, desto mehr ist das mit dem „Stapfen“ wörtlich zu nehmen. Mit jedem Schritt versinke ich tiefer im morastigen Boden, sollte ich jetzt aus irgendeinem Grunde Reißaus nehmen müssen, hätte ich keine Chance. Etwa 50 Meter voraus bewegt sich etwas, kommt direkt auf mich zu – eines der hiesigen Turopolje-Schweine! Als es mich erblickt, nimmt es die Haxen in die Hand und sprintet im Schweinsgalopp davon. Diese Schweinerasse gilt als autochthon, will heißen: sie ist nicht eingewandert oder importiert, sondern stammt von hier. Sie ist sehr robust und kann ganzjährig draußen gehalten werden. Und die große Besonderheit ist eben, dass sie gut und gerne schwimmen und tauchen, weniger zum Zeitvertreib als zur Futtersuche auf den überschwemmten Wiesen. So gelangen sie etwa an Wasserpflanzen und Muscheln.

Jetzt kann ich erkennen, wie immer mehr Schweine in kleinen Gruppen, zum Teil mit Ferkeln, in Richtung Wald eilen. Es ist etwa 10 Uhr am Vormittag, Zeit, sich in den Schatten zu verziehen. Hinter den Schweinen trotten vereinzelt Rinder mit riesigen, nach oben zeigenden Hörnern und dann eine kleine Herde Pferde – Rappen, Schimmel und Braune. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eines der hier ansässigen Posawina-Pferde, eine stämmige Kaltblutrasse, sondern eher um athletische Warmblüter. All diesen Tieren gemeinsam ist, dass sie sich an eine Stelle im Wald zurückziehen. Ich nähere mich ihnen vorsichtig und beobachte, wie sich alle einträchtig im Schatten ausruhen. Ein fettes Schwein trottet in meine Richtung, reibt sich genüsslich das Hinterteil an einem Baum, um dann, als es mich sieht, quiekend Reißaus zu nehmen. Ich fotografiere die Szenerie noch ein wenig und stapfe dann zum Motorrad zurück. Schwimmende Schweine habe ich nicht zu Gesicht bekommen, trotzdem empfinde ich diesen Vormittag als ein besonderes Naturerlebnis. (Als ich im Jahr drauf zur fast gleichen Zeit am selben Ort war, habe ich indes kein einziges dieser Tiere gesehen.)

Nach dem Abendessen zahle ich, lasse mir noch die Adresse von einer ähnlichen Pension der beiden Brüder in Bosnien-Herzegowina geben, dann packe ich für morgen – damit ist die Reise so gut wie vorbei.

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Richtung Österreich

Ich verabschiede mich und gebe Gas. Die Brüder haben mir eine Abkürzung zur Autobahn beschrieben, ziemlich schotterig, aber wesentlich kürzer. Kurz vor der Autobahn, bei Potok, passe ich einen Moment nicht auf, als zwei Autos vor mir einer links abbiegen will und dazu stoppt. Um nicht aufzufahren, ziehe ich übers unbefestigte Bankett rechts vorbei, wobei ich allerdings das vor mir fahrende Auto leicht mit dem Seitenkoffer touchiere. Der Schaden scheint nicht hoch zu sein, aber es handelt sich um einen nagelneuen Firmenwagen und die beiden Insassen müssen ihren Chef informieren. Der gibt Order, die nächste Werkstatt anzufahren. Ich hoffe inständig, das „auf dem kleinen Dienstweg“ regeln zu können und jetzt nicht die ganze zeitraubende Maschinerie mit ADAC und Versicherung anwerfen zu müssen. Bei einer Werkstatt schaut sich der Meister das an und meint dann: „Bei euch würde das etwa 300 Euro kosten – ich mach’s für hundert.“ Erleichtert zücke ich das Portemonnaie und drücke ihm den Hunni in die Hand.

Dann muss ich die Autobahn bis zum Tagesziel, dem Motel Landzeit bei Wels, nicht mehr verlassen. Auf der Strecke gibt es unzählige Tunnel, teilweise viele Kilometer lang. An einem wird gebaut, die Belüftung funktioniert nur partiell. Mein Außenthermometer zeigt 44°C. Für das nächste Jahr muss ich mir unbedingt luftigere Sommerkleidung zulegen, obwohl das jetzt auch nicht viel Linderung gebracht hätte. Am frühen Nachmittag schlage ich an der Landzeit auf, gerade noch rechtzeitig, mit den ersten Tropfen schleppe ich meine Klamotten aufs Zimmer, dann bricht ein beispielloses Unwetter über uns herein, das u. a. für stundenlangen Stromausfall im Hotel sorgt. Dass sie einem hier für ein Achtel mittelmäßigen Rotwein € 6,90 abnehmen, ist mir jetzt sowas von egal …

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Homeward bound

Das Gewitter ist lange vorbei, aber es hat die ganze Nacht geregnet – und es pladdert noch weiter. Also gleich rein in die Regenkombi und los. Bis Passau ist es extrem unangenehm zu fahren, der Regen an sich, die Gischt, beschlagendes Visier. Doch dann klart es auf, und da ich mich recht fit fühle, halte ich auf der Strecke – von der Landzeit bis nach Hause sind es exakt 700 Kilometer – nur einmal zum Tanken an. Um 13.45 Uhr stelle ich das Mopped vor meiner Garage ab – und kann noch kurz Rendel in die Arme schließen, die sich gerade nach der Mittagspause wieder auf den Weg zur Arbeit macht.

Gut sieben Wochen war ich unterwegs, Wochen mit Spannung, Abenteuer, auch Erholung – auf jeden Fall unvergesslich. Ich hoffe, den Leser ein bisschen mitgenommen zu haben und dass er nach den ausführlichen Beschreibungen nicht zu mitgenommen ist. Im besten Fall konnte ich ein wenig Appetit machen, diese Länder einmal selbst zu besuchen.

Stand: 23.10.2021