Türkei 2014

Türkei total 2014

Fünf Wochen Abenteuer, Kultur und Natur pur

   
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Einleitung/Anreise

Unsere achte Türkeireise per Motorrad steht an. Nein, es wird nicht langweilig! Regelrecht routiniert laufen jedoch mittlerweile die eher formalen und praktischen Vorbereitungen ab: Urlaube einreichen, Flug und Spedition buchen, die Check- und Packliste abarbeiten, Vorbereitung der Motorräder. Wenn sich dann so langsam die Kommode im Schlafzimmer mit den Dingen füllt, die man sonst unterm Jahr eher nicht braucht, dann ist das das klare Signal, dass es bald losgeht.

Die eigentliche Herausforderung besteht eher darin, aus der Fülle der möglichen Ziele die zu extrahieren, die für uns wirklich lohnenswert erscheinen, und diese dann entlang einer Streckenführung anzuordnen, die möglichst wenig Doppelungen zu den Vorjahren aufweist. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Menge der Ziele noch für weitere 10 Jahre ausreichen würde, ohne dass das nur Verlegenheitslösungen oder Lückenfüller wären.

Ich plane immer so, dass von vornherein klar ist, dass eine „Planerfüllung“ unmöglich ist, aber so sind wir auch für Umwege und allfällige Routenkorrekturen gut vorbereitet, denn ärgerlich ist, wenn man nur aus Unkenntnis an interessanten Dingen vorbeigefahren ist.

So gingen 10 Tage vor dem geplanten Übernahmetermin die Motorräder zur Spedition, wir starten am Sonntag, 18. Mai, von Köln/Bonn aus, wobei wir uns diesmal eines Flughafen-Transfers bedienen. Nach einem ruhigen Flug landen wir am Nachmittag auf dem Makedonia Airport und finden uns eine Stunde später im Hotel ein. Kein Termin, den man sich unbedingt merken muss, aber da wir zufällig herausgefunden haben, dass wir an diesem Tag exakt ein Dritteljahrhundert (33,33 Jahre) verheiratet sind, feiern wir das – zusammen mit dem Urlaubsbeginn – noch ein bisschen.

Die netten Leute bei der Spedition erwarten uns am nächsten Morgen schon fast, schnell sind die wenigen Formalitäten erledigt, wir umgezogen, ein paar Sachen umgepackt, schon rollen die Motorräder die Rampe hinunter. Noch kurz die Neuanschaffung – einen kleinen, sehr potenten Kompressor – eingeweiht und damit den Luftdruck korrigiert, Funkgeräte an – und los. Langsam, spätestens, wenn rechter Hand das erste Mal das Meer in Sicht kommt, legt sich das Kribbeln. Gegen 14 Uhr passieren wir die Grenze und sind in der Türkei. Noch kein einziges Mal habe ich unser erstes Quartier in Biga, das Hotel MRG, auf Anhieb gefunden, warum sollte es in diesem Jahr anders sein? Auch hier sind wir schon alte Bekannte, die auf Türkisch angesprochen werden.

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Es geht richtig los! – Biga/Tavşanlı/Aizanoi/Polatlı

Unser Schwerpunkt liegt zumeist mehr auf der Osttürkei, dennoch wollte ich die Etappen dorthin auch schon so gestalten, dass jeweils mindestens eine Attraktion am Wegesrand liegt. So schauen wir uns auf dem Weg nach Tavşanlı, dem unspektakulären heutigen Übernachtungsort, das phrygische Felsmonument Dilikitaş an, das aber nur lohnt, weil es direkt an der Straße liegt und wir eh eine Pause brauchen. Vorher stellt uns jedoch die Großstadt Bursa mal wieder auf die Probe. Zum Glück müssen wir nicht ganz hindurch, sondern biegen vor dem Zentrum Richtung südost ab, Bursas Hausberg, den Uludağ, einige Zeit als Begleiter zur Linken. Die Landschaft ist entsprechend schön, wenngleich wir unser Hauptaugenmerk auf die Straße richten müssen, die hier, wie vielerorts in der Türkei, ausgebaut wird. Im Huzur-Hotel in Tavşanlı verbringen wir eine angenehme Nacht.

Ein erster kultureller Leckerbissen erwartet uns am nächsten Morgen – die alte römische Anlage von Aizanoi. Am augenfälligsten ist der Hügel, von dem aus der gut erhaltene Zeus-Tempel die Umgegend überblickt. Die anderen Überreste dieser, früher zur Landschaft Phrygien zu zählenden römischen Stadt, verteilen sich weiträumig und sind teilweise mit dem heutigen Dorf Çavdarhisar verflochten, in dessen Ortskern sich etwa das alte Bad befindet. Besonders sehenswert ist die Penkalas-Brücke aus dem 2. Jahrhundert, die den gleichnamigen Fluss überspannt und die noch heute ihren Dienst tut. Wir überlegen kurz, evtl. eine Nacht zu bleiben, das einzige Hotel am Ort hat jedoch (noch) geschlossen.

So nehmen wir die Strecke über Kütahya nach Polatlı, wo wir wieder im Hotel Duatepe recht kommod unterkommen. Am nächsten Morgen haben unseren zwei Motorräder Nachwuchs bekommen, daneben parkt eine grotesk überladene BMW. Noch beim Frühstück begrüßen wir den Schweizer Roland, der uns von seinen Plänen erzählt. Er ist auf dem Weg nach Van, wo er seine Frau, die dorthin fliegen wird, aufnehmen und mit ihr für drei Wochen weiter in den Iran fahren will. Obwohl er schon in drei Tagen dort sein muss, breiten wir noch die Karte aus und weisen ihn auf ein paar sehenswerte Dinge am Wegesrand hin.

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„Schöne Heimat“ – Güzelyurt

Wir haben zwischenzeitlich den Plan, in Şereflikoçhisar und damit in Sichtweite des Tuz Gölü die Nacht zu verbringen, aufgegeben. Durch das zunächst nicht eingeplante Zwischenziel Polatlı sind wir Güzelyurt, wo es als Nächstes hingegehen soll, schon zu nah, als dass noch eine Zwischenübernachtung lohnen würde. Am Nordostufer des Tuz Gölü meine ich, vor uns ein Motorrad zu erkennen. Tatsächlich ist es der Schweizer, der eher querfeldein gefahren und uns damit ein Stück voraus ist. Er begleitet uns bis Aksaray, wo er sich dann wieder „in die Büsche schlägt“.

Auch Güzelyurt war eigentlich nicht eingeplant, ja, Kappadokien wollten wir diesmal ganz links liegen lassen … Dazu später mehr. Von Aksaray kommend nähert man sich dem kappadokischen Kernland behutsam und über eine landschaftlich sehr schöne Strecke. Nicht weit von Güzelyurt („Schöne Heimat“) erstreckt sich das İhlara-(Peristrema-)Tal mit seinen vielen Kirchen, das wir vor einigen Jahren schon durchwandert hatten. Der Ort gilt als sehenswert, und mit Kadir’s Antique Gelveri House habe ich auch eine Unterkunftsempfehlung. Wir passieren die Yüksek Kilise (die „Hohe Kirche“ – weil auf einem einzelstehenden Hügel gelegen) und halten kurz darauf vor der Pension, die direkt an der Dorfstraße liegt. Eine junge Frau hat die gute Nachricht, dass sie ein Zimmer frei haben. Bevor wir uns einrichten, stärken wir uns jedoch erst einmal mit einen Tee, den wir im schönen Innenhof zu uns nehmen.

Während ich „None“ halte, erkundet Rendel das Dorf. Zwischenzeitlich ist Kadir, der Inhaber, eingetroffen; er steigt mit mir auf’s Dach und erklärt mir die Umgegend. Wie viele Dörfer in der Gegend, war auch Güzelyurt früher, noch unter dem Namen Gelveri, von Griechen bewohnt, die sich dann größtenteils in Nea Karvali (in der Nähe von Kavalla in Griechisch-Thrakien) angesiedelt haben. Größter Sohn der Stadt ist Gregor von Nazianz, der in der Nähe geboren wurde, einer der „drei großen Kappadokier“ (neben Basilius von Caesarea [Kayseri] und Gregor von Nyssa [vielleicht das heutige Nevşehir], dessen Bischofskirche (heute Moschee) eine der Hauptsehenswürdigkeiten von Güzelyurt ist).

Ich schaue mich ein wenig in der Nachbarschaft um, kehre zur Pension zurück, wo ich einen jungen Mann begrüße und ihn frage, was er hier für einen Job hat. Im Gegenzug ergeht die Frage an mich, wo ich wohnen würde. „Na hier!“ Irgendwie gelingt es mir, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich im Tor geirrt habe – und im Hof der Nachbarpension gelandet bin …

Da wir zwei Nächte bleiben wollen, haben wir keine Eile; wir vertrödeln den Rest des Tages, der dann mit einem ganz leckeren Abendessen ausklingt – Kadir ist ein leidenschaftlicher Koch, der versucht, möglichst Zutaten aus dem direkten Umfeld zu benutzen. Als Wein kredenzt er mir einen Tropfen, den ein Freund von ihm, ein Deutscher, hier am Ort keltert.

Am nächsten Morgen machen wir uns zu einer Wanderung ins Klostertal auf. Ähnlich wie in İhlara sind hier Höhlenkirchen in die Felsen gehauen worden. Wer İhlara oder gar die richtigen kappadokischen Highlights gesehen hat, der mag das hier weniger spektakulär empfinden, trotzdem lohnt Güzelyurt und Umgebung einen Ausflug, sehr empfehlenswert auch als ruhiges Standquartier außerhalb des Rummels, wobei es schon etwas abseits liegt. Nachdem wir uns vor dem leichten Regen länger untergestellt haben, sind wir froh, dass uns ein deutsches Paar mit Auto fragt, ob sie uns wieder mit ins Dorf nehmen sollen.

Während wir auf’s heutige Abendessen warten, treffen zwei Damen Mitte 50, wohnhaft in Bremen, ein. Sie verbringen einen Wanderurlaub in Kappadokien, morgen geht’s nach Hause. Während des Abendessens gesellt sich noch ein Ehepaar dazu, das nur essen möchte. Interessiert lauschen sie unseren Reiseerlebnissen, nicht zuletzt, weil auch er leidenschaftlich gern Motorrad fährt. Für unsere morgige Weiterfahrt gibt uns Kadir noch ein paar Tipps, dann geht’s ins die Heia.

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Fehlgeleitet zum Apostel Paulus: Güzelyurt–Tarsus

Für Reisende stellt das Internet eine echte Bereicherung dar, manche Tipps hätte man anders nie bekommen. Einem solchen Tipp folgend, soll es heute nach Çamlıyayla gehen. Die „Yaylas“, „Almen“, waren früher die höhergelegenen Weideplätze, auf die sich die Nomaden und Hirten in den heißen Sommermonaten zurückzogen. Diese Funktion haben sie noch immer, doch ist es auch immer mehr gleichbedeutend mit „Sommerfrische“, wenn auch mit demselben Ziel, der Hitze zu enfliehen. Çamlıyayla soll so eine touristisch erschlossene Alm sein, in der Nähe die Lambron-Burg, neben Natur also noch ein bisschen Kultur und Geschichte.

Wir fahren über Niğde nach Bor, wollen über die alte Landstraße durch die Kilikische Pforte, kurz drauf muss es dann Richtung Westen nach Çamlıyayla abgehen. Der Himmel verdunkelt sich zusehends, kurz nach Pozantı sehen wird uns gezwungen, vor dem heftigen Gewitter Schutz zu suchen. Den finden wir in einer Betonröhre, die wohl im Frühjahr das Schmelzwasser aus dem Bergen kanalisieren soll. Nachdem wir fast zwei Stunden dort verbracht haben, erwägen wir, zurück nach Pozantı zu fahren und ein Hotel zu suchen. Plötzlich hören wir eine Polizeisirene. Der Sheriff wollte mal, nachdem ihm jemand berichtet hatte, dass da zwei herrenlose Motorräder stehen, nach dem Rechten sehen. Das Gewitter hat sich soweit verzogen, dass wir weiter können. (Das war übrigens der einzige Anlass, unsere Regenkombis überzuziehen.)

Ich kann kaum glauben, dass sich über diese Feldwege im Sommer viele Großstädter aus Adana usw. hinauf nach Çamlıyayla quälen! Nach fast zwei Stunden Fahrt, die Entfernung, die das Navi anzeigt, nimmt kaum ab, wird aus dem Feldweg eine felsige, kaum befahrbare Piste. Am Waldrand sehen wir ein Paar, das Obst pflückt. Auf Rendels Nachfrage bestätigen sie, dass der Weg nach Çamlıyayla derzeit unpassierbar sei. Aber, meint der Mann, wenn ihr wollt, seid ihr heute unsere Gäste! Eigentlich muss man sich ja über diese, noch weit über das normale Maß hinausgehende Gastfreundlichkeit nicht mehr wundern – ich staune trotzdem immer wieder. Aber wir wollen ja weiter, müssen unser Ziel aber schließlich knicken, kommen aber nicht los, bevor uns die beiden noch etwas Obst zusammengestellt haben. Also wende ich beide Motorräder und wir zuckeln die ganze Strecke zurück. Auf dem Weg und heute noch zu erreichen wäre Tarsus. Ausgehend von der Annahme, dass es dort nicht sehr viel Sehenswertes gibt, haben wir die Geburtsstadt des Paulus schon vor Jahren einfach nur passiert. Heute dann also doch. Wir rufen im „Konak Efsus“ an, um uns zu versichern, dass sie etwas frei haben, eine Entscheidung, die wir ganz kurz bereuen, als wir weiter südlich doch noch einen, offensichtlich besser ausgebauten Weg nach Çamlıyayla finden.

Das Navi führt uns ziemlich umwegarm zum Hotel, das zentral in der Altstadt gelegen ist. Wir entscheiden uns für zwei Nächte, dafür soll der morgige Besuch des Giaurdere-Viadukts nicht im Rahmen der nächsten Etappe, sondern als Ausflug von hier aus erfolgen.

Das Hotel ist wieder einmal so ein typisches osmanisches Herrenhaus, ein „Konak“, sehr weitläufig und mit vielen, schön eingerichteten Nebenräumen. Rendel macht wie meistens den „Scout“, erkundet ein wenig das Umfeld, essen wollen wir im Hotel. So schön die Anlage ist, so schusselig ist das Personal, wobei ich bei der vierten Nachfrage nach meinem Bier tatsächlich langsam ärgerlich werde.

Der Giaurdere-Viadukt hatte es mir angetan, seit ich das erste Mal Bilder gesehen hatte. Die Brücke mit ihren kühnen Bögen gilt als Inbegriff der Bagdadbahn, die Anfang des vergangenen Jahrhunderts von deutschen Ingenieuren gebaut wurde. Dazu kam, dass die Brücke in der Eingangssequenz des James-Bond-Films „Skyfall“ eine wichtige Rolle spielt. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob und wie man die Brücke anfahren kann, lasse mir vom GPS einen Vorschlag machen. Nach anderthalb Stunden Fahrt, die uns unserem Ziel nicht wirklich näher zu bringen scheint – zudem wird der Sprit knapp und Tankstellen sind hier Fehlanzeige – ziehen wir die Reißleine: Alles auf Anfang, zurück Richtung Tarsus und eine andere Strecke gewählt. Denn ich meinte gestern, als wir von Norden kamen, im Augenwinkel einen Wegweiser wahrgenommen zu haben, der zu einem Ort in der Nähe der Brücke wies. Und tatsächlich: Von hier aus zeigt auch das GPS eine plausible Route an. Abgesehen von einem langen Baustellenabschnitt ist die Strecke auch schön zu fahren. Auf die eigentliche Brücke gibt es zwar keinen Hinweis, wohl aber auf den dazugehörigen Haltepunkt, das Dorf Haçıkırı. Wir schlängeln uns noch ein paar Serpentinen hinauf, dann erblicken wir diese architektonische Meisterleistung, die 1907 fertig- und ein paar Jahre später in Dienst gestellt wurde.

Wir steuern ein improvisiertes Lokal an, wo wir erfahren, dass die Brücke hier zumeist unter dem Namen „Alman Köprüsü“ – „Deutsche Brücke“, auch „Varda Köprüsü“, bekannt ist. Den Namen „Giaurdere“ („Bach der Ungläubigen“) erhielt sie, weil sie hier das Tal des „Giaour Dere“, eines heute meist trockenen Bachlaufs, überspannt, an die Ingenieure erinnert heute noch ein deutscher Friedhof.

(Apropos: Nein, nicht, dass ich Spielfilmhandlungen sonst für bare Münze nähme … Aber a) stürzt James Bond in dem Film in einen tiefen Fluss, b) verlässt der Zug, von dessen Dach er letztlich abgeschossen wird, den Bahnhof Istanbul, um dann nur drei Minuten später diese Brücke nicht weit von der Südküste zu überqueren. Das zum Thema „Realitätstreue“.)

Auf jeden Fall ist die Brücke tatsächlich höchst beeindruckend – elegant, kühn, Schwindel erregend hoch. Zudem kann man die Gleise auf ihr ungehindert begehen, hin und wieder kommt ein Zug, der aber langsam fährt und sich früh genug ankündigt. Tatsächlich fährt noch regelmäßig ein Personenzug, den man in Adana besteigen kann, dazu wird die Linie noch für den Güterverkehr genutzt.

Während wir uns in dem kleinen Lokal noch etwas stärken, treffen zwei Paare auf Motorrädern ein, Türken mit demselben Ausflugsziel wie wir. Wir kommen natürlich ins Gespräch und verabreden, unser letztes Ziel für heute, die Tarsus-Wasserfälle, noch gemeinsam in Angriff zu nehmen. Dabei sehen wir, dass es noch eine weitere Strecke gibt, auf der wir das Baustellenstück der Hinfahrt vermeiden können. Ich soll die Meute anführen, übergebe erst kurz vor Tarsus an die Einheimischen, die den Weg zu den Wasserfällen kennen. Auf der Strecke fliegt mir – mal wieder – irgendein „stichhaltiges“ Insekt in den Helm und piekst mich in die Nasenwurzel, was ziemlich schmerzt und eine heftige Schwellung mit sich bringt.

An den Wasserfällen herrscht Hochbetrieb an einheimischen Ausflüglern, besonders auffällig die vielen Hochzeitspaare, die sich vor dem schönen Panorama ablichten lassen. Unsere türkischen Motorradkollegen ordern einen ganzen Tee-Samowar, und wir tauschen uns noch etwas aus. Einer der Männer ist Automechaniker, der andere arbeitet in einer Firma, die Hefe produziert.

Ich gehe zu den Motorrädern, um mir aus der Reiseapotheke Salbe für meinen Stich zu besorgen. Der Junge, der mich dabei fragend beobachtet und dem ich meine missliche Situation erkläre, meint darauf mitfühlend „Geçmiş olsun!“ – „Gute Besserung!“

Wir verabschieden uns und sind kurz drauf im Hotel. Bevor ich dusche, will ich noch zum Berber, um mich wenigstens äußerlich ein wenig auf „zivilisiert“ trimmen zu lassen. Leider ist Sonntag, da haben auch die Friseure zu.

Da es noch nicht Essenszeit ist, wollen wir noch die wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt erkunden. Den wenig authentischen „Paulusbrunnen“ schenke ich mir, auch das „Kleopatra-Tor“ hat Rendel gestern schon begutachtet. Die Pauluskirche hingegen wirkt sehenswert und ist gut erhalten, aber leider schon zu. Der Bedesten – so etwas wie eine mittelalterliche Markthalle – ist zwar klein, aber ganz nett. Während Rendel dort etwas stöbert, erklimme ich die Leiter, die am Gebäude des Hamams lehnt, und mache in der Abendstimmung ein paar schöne, fast surreal wirkende Bilder hinweg über die Kuppeln dieses alten Baus. Auf der Suche nach einem Lokal fotografieren wir noch drei in Trachten gekleidete Männer, die sich anlässlich einer religiösen Aufführung so ausstaffiert haben.

Schon auf dem Hinweg war ich auf ein Lokal aufmerksam geworden, das man durch eine unauffällige Tür betreten muss und das im ersten Stock gelegen ist. Mit Blick über den Hauptplatz, das von dem martialischen Denkmal für Sultan Suleiman ibn Kutalmiş, der einen Morgenstern in der Hand hält, dominiert wird, erstreckt sich dort ein unerwartet großes Lokal, in dem man uns freundlich begrüßt. Dort speisen wir an diesem Abend hervorragend, selbst das geliebte Humus ist dabei, dazu zu einem echten Spottpreis. Satt – im Wortsinn und im übertragenen – fallen wir ins Bett.

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Türkische Bürokratie/Zu Gast bei Eugen

Heute sollte es von Tarsus weiter Richtung Osten gehen. Als nochmaligen Zwischenstopp hatten wir uns das wuselige Şanlıurfa (kurz Urfa) ausgeguckt. Da wir bislang immer die Maut auf den Autobahnen geprellt hatten, wollen wir uns heute eine HGS-Plakette besorgen. Es ging uns nie um die paar Lira, aber die Abrechnung der Maut geht nur noch automatisch über diese Plaketten, die man sich vorher besorgen muss, nicht mehr bar. Aber das soll kein Problem sein, die Plaketten gibt’s in jeder PTT (Postamt). Das größte in Tarsus ist überfüllt, aber die gibt’s ja überall, auf jeden Fall wollen wir sie uns vor Adana besorgen, um diese Großstadt auf der Autobahn umfahren zu können. Leider finden wir bis kurz vor Adana keine PTT mehr. Der Paketbote, den ich daraufhin anspreche, macht mir aber Mut: Einige Kilometer weiter, rechts, sei eine Filiale. Und da ist sie schon! „Ja, normalerweise schon, aber wir haben keine. Doch die bekommen Sie auch in den Filialen der Iş-Bank – und die nächste ist gleich da vorne.“ Rendel bleibt bei den Moppeds, ich stiefle zur Bank. Der wachhabende Polizist schickt mich vom Schalterraum in den ersten Stock, da spräche einer Englisch. Nach einer halben Stunde kann ich mein kompliziertes Anliegen vortragen. Der Kollege kann zwar kein Englisch, macht mir aber über GoogleTranslator klar, dass ihre Filiale für so etwas zu klein sei, ich müsste doch zum Hauptpostamt nach Adana … Vielen Dank. Der Polizist merkt noch an, dass die Esso-Tankstellen auch diese Plaketten anbieten. Und die nächste Esso ist gleich um die Ecke. Und tatsächlich: „Haben wir!“ Aber nur eine für’s Motorrad. Okay, gib mir die und eine für’s Auto – Mehrpreis zahl ich. „Nein, das geht aber nicht!“ Kurz und gut (lang und schlecht?): Wir fahren noch etwa eine Stunde erfolglos herum, um so eine Plakette zu bekommen, bis wir uns dann entnervt entscheiden, wieder auf die gute alte Art die Maut zu prellen. Drei Stunden und den Vorrat an Nervenkraft für einen ganzen Tag hat uns unser überflüssiges Pflichtgefühl gekostet.

Tagesziel ist Şanlıurfa, vorbei an Gaziantep und Birecik, wo wir immer abfahren, wenn wir nach Halfeti am Euphrat wollen. In Urfa verhaspeln wir uns ein paar Mal in der Altstadt, finden dann aber das „Arslan Konukevi“, wo wir vor Jahren schon mal mit Gaby und Thomas untergekommen waren.

Schnell Quartier bezogen, die Abendsonne für ein paar Fotos genutzt, dann zum „Berber“, um mir Bart und Haupthaar stutzen zu lassen, etwas essen und ab ins Bett. Am nächsten Morgen zeitig los, denn die heutige Etappe soll lang werden. Wir bevorzugen kleine, kurvige Sträßchen, aber um Strecke zu machen, kommt uns die mittlerweile gut ausgebaute Straße zwischen Urfa bis hinter Midyat entgegen; tatsächlich können sich selbst unsere besseren Autobahnen von diesen hiesigen Schnellstraßen mittlerweile eine Scheibe abschneiden. Kurz hinter Nusaybin steuern wir das antike römische Dara an – unspektakuläre Ruinen, erwähnenswert vielleicht nur, dass die Stadt das erste nennenswerte Wasserversorgungssystem Mesopotamiens besaß. Zwei kleine Mädchen machen sich an Rendel ran, freundlich und unaufdringlich, erst ganz zum Schluss bitten sie zögerlich um etwas Geld – über die paar Lira freuen sie sich sehr und bedanken sich artig.

Nicht ganz am Wegesrand, aber schon länger auf unserer Liste: das Kloster Mar Augen, südöstlich von Midyat gelegen. Diese Gegend wird als „Tur Abdin“ bezeichnet, als „Berg der Knechte Gottes“. Einige der hier angesiedelten aramäischen Klöster und Kirchen haben wir in den Vorjahren schon besichtigt. Mar Augen (oder Mar Evgin = Eugen, Eugenius, Jewgenij oder englisch Eugene) liegt von der Straße ab oben in den Bergen und überblickt die mesopotamische Ebene bis weit nach Syrien. Es gilt als das älteste der hiesigen Klöster, von dem aus dann die weiteren Gründungen und die Missionsarbeit ihren Ausgang nahm. Vom Gründer und Namenspatron Eugen ist überliefert, dass er ursprünglich aus der Gegend vom Roten Meer stammte, wo er als Perlenfischer gearbeitet hat; das Kloster soll er im Jahr 340 gegründet haben.

Nachdem wir den Klosterkomplex, der sich Ton in Ton an die umgebende Landschaft anpasst, entdeckt haben, sind es noch etliche Serpentinenkilometer bis dort. Begrüßt werden wir zunächst von einem Arbeiter und seinen Pferden. Diese sind mit Tragegestellen bestückt, auf denen sie Felsbrocken hinauf zum eigentlichen Kloster schleppen. Dort angekommen – nassgeschwitzt bis auf die Knochen – heißt uns Bruder Yoken willkommen, übergibt uns aber gleich an einen jungen Mann von vielleicht achtzehn, das jugendliche Alter wird durch seine Zahnspange unterstrichen. Vorteil ist aber, dass er deutsch spricht, denn er kommt – us Kölle! Aus einer aramäischen Familie stammend hat er die Schule geschmissen und prüft hier für zwei Jahre seine Berufung zum Priester. Die aramäische Sprache ist ihm von Kind auf geläufig, die Schrift lernt er nun hier in der Einsamkeit. (Neben ein paar Bauarbeitern und Bruder Yoken sowie den ganz wenigen Besuchern trifft man hier praktisch niemanden. Lediglich die sehr kleine Gemeinde, die sich hier hin und wieder versammelt, bringt ein wenig Leben in die Abgeschiedenheit.) So ist er froh, mal etwas deutsch sprechen zu können. Freundlich, kundig und etwas schüchtern zeigt er uns die herrliche Anlage. Eine Art „Reliquie“ ist ein vorgeblich echter Balken von der Arche Noah. Dieser ist, in der Nische einer kleinen Kapelle, in die Wand eingemauert. Für uns ist die Sache insofern interessant, als das Thema „Arche Noah“ bei unserer nächsten Etappe noch eine wichtige Rolle spielen soll.

Zum Abschluss gesellt sich noch Bruder Yoken zu uns, der uns Tee, kaltes Wasser (manchmal eine wahre Köstlichkeit!) und Waffeln kredenzt. Er scheint ein echter Einsiedler zu sein, aber ohne die zwischenmenschlichen Fähigkeiten verloren zu haben, auch sonst ist er wohl recht lebenstüchtig – während wir uns das Kloster zeigen lassen, schuftet er in der sengenden Sonne zusammen mit den Arbeitern bei der Pflasterung des Innenhofs. Wir tauschen uns noch ein wenig aus, insbesondere über die schwierige Situation der Christen in dieser Gegend (Stichwort: die Enteignungen der Ländereien des Klosters Mor Gabriel). Dann befiehlt er uns dem Segen Gottes an und wir quälen uns in der Nachmittagssonne wieder der Hauptstraße entgegen, das Thermometer zeigt mittlerweile bis zu 34°C. Dort geht es viele Kilometer buchstäblich direkt an der syrischen Grenze entlang, der erste Grenzzaun zum Niemandsland hin verläuft fünf Meter neben uns im Straßengraben – jenseits tobt der fürchterliche Bürgerkrieg.

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Unter Rebellen: Mit der PKK ist nicht zu spaßen

Okay – ich wusste schon, dass es ein bisschen Schwadroniererei war, als ich im Blick auf unser nächstes Ziel daheim vorgab, wir müssten halt sehen, mit welcher Seite wir uns arrangieren: entweder mit dem Militär, das uns eskortieren müsste, oder mit der PKK, zu der wir konspirativ Kontakte knüpfen würden. Dass es dann so ähnlich, aber doch ganz anders kommen würde, hätte ich selbst nicht gedacht.

Unser Ziel, gleichzeitig eines unserer Hauptziele auf dieser Reise, ist die Stadt Cizre. Noch vor einigen Jahren hätten wir uns kaum hierhin getraut, erinnern uns noch, wie man uns in Midyat vor einer Fahrt durch Cizres Nachbarstadt Şırnak gewarnt hat. Kurdengebiete prinzipiell zu meiden ist für uns schon lange kein Thema mehr, aber dies hier ist PKK-Kernland, in der Gegend kam es noch vor Kurzem zu blutigen Auseinandersetzungen. Die beiden türkischen Paare, die wird gestern an der „Alman Köprüsü“ trafen, schlugen ob unserer Pläne die Hände über dem Kopf zusammen.

Als einzig akzeptables Hotel erscheint uns das „Grand Hotel Mem û Zîn“ – wobei sich das „Grand“ nur auf die bauliche Größe beziehen kann, denn von „Grandezza“ kann nicht die Rede sein, selbst Spuren eines eventuellen Glanzes vergangener Zeiten sind nicht mehr erkennbar. „Mem û Zîn“ bezieht sich auf ein Paar, dessen tragische Liebesgeschichte hier spielte, die auch als Gleichnis für die Geschichte des kurdischen Volkes gilt, gleichsam das kurdische Volksepos.

Immerhin finden wir das Hotel gleich, was bei der nachmittäglichen Hitze auch schon ein Segen ist, dazu dürfen wir zum Parken fast in die Hotellobby fahren. Das Bemühen um die Sicherheit der Gäste und ihrer Habseligkeiten ist rührend, manchmal fast lästig. So lassen die Angestellten nicht eher locker, bis wir unsere Seitentaschen, die bislang immer und überall montiert blieben, abgenommen haben.

Beim Zimmer im vierten Stock ist man über einen Aufzug froh, und sei es nur mit 1 x 1 Meter Fläche. Sich dann mit dem Waiter und dem ganzen Zeugs dort hinein zu zwängen, ist auch noch okay, selbst, wenn ich ein wenig verbogen halb über unseren Taschen hänge. Aber wenn der Aufzug dann zwischen zwei Etagen stecken bleibt und das Licht ausfällt, wird es schon spaßig, zumal in dem Käfig eine Bullenhitze herrscht. Im Funzelschein seiner Handybeleuchtung versucht unser Betreuer, das Ding wieder in Gang zu setzen, was etwas dauert, aber schließlich gelingt. Das Hotelzimmer ist auch lediglich „grand“ im Sinne von „groß“, die Sessel sind so verschlissen, dass man die eigentlich nur noch zum Neubeziehen oder auf den Sperrmüll geben könnte, die Fensterscheiben sind blind vor Schmutz, von der Decke hängen lose zwei Stromsparwendel, die ursprüngliche Farbe des Teppichbodens lässt sich mit etwas Fantasie noch erahnen. (In der zweiten Nacht höre ich ein Rauschen wie von einem kleinen Wasserfall: Die Warmwasserleitung war irgendwo unter dem Waschtisch geplatzt, zum Glück finde ich den Absperrhebel, bevor das ganze Zimmer unter Wasser steht.) Aber die Bettwäsche ist sauber, die Klimaanlage funktioniert, das Bad ist okay – und der Minibarkühlschrank läuft und ist gefüllt.

Dem Hinweis im Reiseführer folgend, hatten wir um ein Zimmer mit Tigrisblick gebeten, das wir auch erhalten. Der Ausblick bleibt uns trotzdem verwehrt, da sich unverschämterweise einige Wohnblocks ins Blickfeld drängen.

Cizre ist eine chaotische, staubige Stadt. Als Fußgänger läuft man ständig Gefahr überrollt zu werden. Risikofreudig wie wir jedoch sind, machen wir uns zu einem kleinen Rundgang auf. Zwar sind wir es gewohnt, hin und wieder etwas beäugt zu werden, gerade in Gegenden, in denen Touristen eher eine Seltenheit sind. Hier in Cizre bedarf es jedoch schon eines gewissen Maßes an Selbstbewusstsein, denn hier heftet sich praktisch jedes verfügbare Augenpaar auf die Exoten. Zudem bin ich für Rendel an diesem Abend der „Rattenfänger von Cizre“, denn ich ziehe eine ganze Schleppe von Kindern hinter mir her. Einige werden mit ihrem „Money, money“ etwas lästig, ein scharfer Blick und ein kurzes Anknurren meinerseits schafft schnell Abhilfe. Allerdings scheint dieses Verhalten auch den Erwachsenen nicht angenehm zu sein, eine Frau weist die Kinder entsprechend deutlich zurecht.

In einem Fleischlokal speisen wir gute Hausmannskost zum günstigen Preis und machen uns auf den Rückweg zum Hotel, wobei uns in direkter Nachbarschaft noch ein Ladenlokal auffällt, in dessen Schaufenster u. a. der Schriftzug „Turistik“ prangt, eine Entdeckung, die sich stark auf den morgigen Tag auswirken soll.

Einen solchen Tag, der von Staub und Hitze geprägt war, ohne ein kühles Bier ausklingen zu lassen, fällt mir schwer. Zwar bin ich darauf eingestellt, in dieser Gegend vielleicht darauf verzichten zu müssen, trotzdem fragen wir unseren Rezeptionisten nach einer Bezugsquelle. Hier in der Türkei sind dies üblicherweise die lizensierten „Tekel“-Läden, der hiesige ist etwa einen Kilometer entfernt. Also laufen wir noch durch das schwül-heiße abendliche Gewusel, wobei ich diese Entscheidung fast bereue. Schließlich finden wir den Laden, ordern drei Flaschen Efes-Pils, die, wie hier üblich, in einer schwarzen Plastiktüte verstaut werden. Dies wertet uns als Attraktion noch einmal auf, denn Touristen mit  schwarzer Plastiktüte – da weiß hier jeder, worum es geht.

Der nächste Morgen. Wir hatten uns die Stadt Cizre nicht wegen ihres Charmes ausgesucht, sondern weil es hier in der Gegend einige höchst attraktive Ziele geben soll. Außerdem ist hier ganz in der Nähe der einzige Übergang in den Nordirak, den wir in diesem Jahr auch besuchen wollen. In der direkten Umgebung von Cizre liegt der Bergzug des Cudi Dağı, dessen Gipfel nach moslemischer, aber auch teilweise nach jüdisch-christlicher Tradition als alternativer Landeort der Arche Noah gilt. So wird etwa hier vor Ort behauptet, dass Cizre selbst von Noah gegründet wurde, die Nachbarstadt Şırnak trägt in ihrer ursprünglichen Schreibweise „Şehr-i-Nuh“ Noah sogar im Namen („Stadt des Noah“). Egal, wie man zu dieser alten Geschichte steht, hoch interessant ist diese Gegend in jedem Fall.

(Ganz kurzer Exkurs: Die Bibel spricht nicht ausdrücklich von einem „Berg“ Ararat, sondern vom „Gebirge“ oder auch vom „Land“ Ararat, weswegen es sich nicht unbedingt um den üblicherweise genannten Berg an der armenischen Grenze handeln muss, der seinen Namen zudem erst in viel späterer Zeit erhalten hat. Außerdem gibt es etliche weitere, außerbiblische Indizien, die für die Gegend um den Cudi sprechen.)

Neben dem vorgeblichen Landeplatz der Arche gibt es einige Kilometer entfernt noch einen interessanten Ort, der auf kurdisch „Şah“ genannt wird, türkisch „Çağlayan“ („Wasserfall“), der – folgt man der obigen Argumentation – als erste von Noahs Stadtgründungen gelten kann. Die ganze Gegend war viele Jahre eine No-go-Area, für Ausländer sowieso, aber auch Einheimischen, die ursprünglich von dort stammten, war der Zugang lange verwehrt. Erst seit im Verhältnis zwischen dem türkischen Staat und den Kurden (und der PKK) seit einem Jahr ein wenig Entspannung eingesetzt hat, kann ein Besuch zumindest theoretisch wieder erwogen werden.

Dieser Umstand und die Vorstellung, vielleicht seit langem die ersten Ausländer zu sein, die diese Gegend aufsuchen können, hatten uns dieses Ziel ins Auge fassen lassen, ohne jedoch zu wissen, wie realistisch der Plan sein würde. Jenseits des eingangs erwähnten Schwadronierens gab es für mich eigentlich nur zwei realistische Szenarien: Entweder war die ganze Angelegenheit mittlerweile so weit gediehen, dass sich schon ein gewisser Cudi-Berg-Tourismus entwickelt hatte, oder das Unterfangen wäre nach wie vor völlig unmöglich. Dass sich so etwas wie ein Mittelding von beidem entwickeln würde, hat mit dem „Turistik“-Schriftzug in besagtem Laden zu tun. Es scheint sich zwar um ein Geschäft für Gasflaschen zu handeln, trotzdem will Rendel dort nachfragen, sicherlich zumindest einen Versuch wert, da wir eh noch nicht wissen, wie wir vorgehen wollen. Der Inhaber des Ladens hört sich unser Anliegen an, greift zum Telefon und lässt uns mit seinem Englisch sprechenden Bruder reden. Dieser bietet sich an, kurzfristig in unser Hotel zu kommen, um die Angelegenheit zu bereden. Tatsächlich kommt Abdullah kurz darauf in die Hotellobby, ein freundlicher junger Mann Mitte zwanzig, der uns erzählt, dass er in der Ukraine Medizin studiert. Zusammen mit seinem Bruder überlegt er, wer wohl am ehesten als Fahrer in Frage kommen würde, ein solcher wird in seinem Verwandtenkreis jedoch schnell gefunden.

Als besonderer Glücksfall erweist sich, dass sowohl der Fahrer als auch Abdullah selbst ihre Wurzeln im Dorf Şah haben. Er durfte lange Zeit nicht in seinen Heimatort und hatte eh geplant, ihn jetzt in seinen Semesterferien endlich einmal wieder aufzusuchen. Wir hatten also beides – einen versierten und kundigen Fahrer und einen sympathischen, an uns interessierten Übersetzer.

Die Gegend nicht im Alleingang zu erkunden, also nicht „einfach so hoch zu fahren“, erweist sich als gute Entscheidung: a) hätten wir mangels entsprechender Karte den Weg nicht gefunden, b) ist die Strecke derart schwer befahrbar, dass Rendel es nach einigen Kilometern aufgesteckt hätte – auch mir wäre es nicht ganz leicht gefallen. Umso froher sind wir, dass unser Fahrer seinen Wagen nicht schont, angesichts der großen Wackersteine, der scharfen Kanten und der vielen Wasserdurchfahrten hätten wir wohl auch kaum einen Taxifahrer gefunden, der seinen Wagen auf dieser Strecke hätte ruinieren wollen. Und schließlich zeigt auch die folgende Begebenheit, dass der Besuch der Gegend noch immer nicht „ohne“ ist.

Schon früh fallen mir oben auf dem Kamm der Hügel die vielen Wachtürme auf. Als sich am Wegesrand erste Ruinen zeigen, die ich gerne fotografieren will, zögern unsere beiden Begleiter. „Wir werden von allen Seiten beobachtet“, lautet die Begründung. Trotzdem stoppen wir kurz und ich mache schnell meine Fotos. Vor uns tut sich das schöne Panorama des Cudi-Gebirgszugs auf. Davor staffeln sich ausgedehnte Terrassenanlagen, auf denen früher Gemüse und Getreide angebaut wurden. Die Dörfer, Felder und Wälder sind im Rahmen der Vertreibungsmaßnahmen zum Großteil dem Erdboden gleich gemacht und abgebrannt worden.
(Wegen zu erwartender Militärkontrollen, die manchmal auch die Fotoausrüstung einschließen, hatte ich wohlweislich auf Fotos der Wachtürme verzichtet und das im Fall der Fälle auch so behauptet. Rendel jedoch hat hemmungslos draufgehalten. – Muss mir mal die Besuchszeiten des hiesigen Gefängnisses geben lassen.)

Wir passieren die ersten Ruinen eines verlassenen Dorfes, wo sich nur eine Frau mit Kindern zeigt, die zu den hier zeitweise siedelnden Nomaden gehören. Ohne zu wissen, worum es genau geht, können wir aus dem Verhalten unserer Begleiter schließen, dass sie noch zögern, mit uns direkt bis ins Dorf Şah weiter zu fahren. Zwar hätte uns das bislang Gesehene auch schon gereicht, aber natürlich würden wir gerne bis zu unserem eigentlichen Ziel weiterkommen. Schließlich stoppen wir in der Nähe eines von Gestrüpp überwucherten Bachlaufs. Dieser Bach ist die Lebensader dieser Gegend und begründete zudem den vormaligen Wohlstand von Abdullahs Familie, denn dieser Teil des Bachs und das umgebende Land gehört ihnen.

Unser Fahrer verschwindet im Unterholz und lässt sich erst einige Zeit später wieder sehen, im Gefolge zwei Männer. Bei Abdullahs Erklärungen war schon häufiger das Wort „Guerilla“ gefallen, das ich aber noch nicht recht einzuordnen wusste. Der Anblick der beiden Männer erklärt jedoch alles. Deren martialisches Aussehen lässt mich im ersten Moment an schlechte Folkore denken, jedoch ist klar, dass das hier kein Theater ist. Die beiden tragen die typische Uniform der PKK (genauer: der HPG, der Hêzên Parastina Gel, „Volksverteidigungskräfte“), Schnellfeuergewehre über der Schulter und eine Plakette mit dem Porträt eines ihrer Märtyrer an der Brust. Wir werden mit dem typischen Wange-an-Wange begrüßt. Abdullah lässt uns wissen, dass von der Entscheidung der beiden PKKler abhängt, ob wir die Gegend erkunden dürfen oder nicht. Was sich in der nächsten halben Stunde anschließt, kann in der Rückschau nur als Verhör bezeichnet werden. Der Wortführer der beiden, vielleicht 40, befragt uns nach dem Grund unserer Reise, warum wir gerade in diese Gegend kommen, zu unserer politischen Einstellung, was wir von Abdullah Öcalan halten und vieles mehr. Das Ganze wird immer von Abdullah übersetzt, da die beiden konsequent keine türkische Silbe verwenden. Wir müssen uns zudem dazu äußern, warum wir zwar etwas türkisch, jedoch kein Wort kurdisch sprechen, und dass, so der Anführer, obwohl wir doch hier in „seinem“ Land sind. Wir reden uns etwas heraus und versprechen, uns zu bessern. Wohlwollend wird registriert, dass sich Rendel früher um kurdische Flüchtlinge gekümmert hat … Mulmig wird uns, als der Anführer vorschlägt, für einige Tage ihre Gäste zu sein, eingedenk der Tatsache, dass frühere Geiselnahmen seitens der PKK nachträglich meist als „Gastaufenthalt“ deklariert wurden.

Zwischendurch hält der Anführer der beiden Rebellen immer kurz inne, er scheint unsere Antworten abzuwägen und zu bewerten. Schließlich rauchen wir zusammen eine Zigarette, in meinen Augen so etwas wie eine Friedenspfeife, und bekommen das Ergebnis unseres Verhörs mitgeteilt: Wir dürfen uns tatsächlich als Gäste fühlen und die Gegend ungehindert erkunden. Bei der Verabschiedung bringe ich noch mein einziges kurdisches Wort an – „Spas!“ – „Danke!“, was dem Anführer ein Lächeln abnötigt. Die beiden ermahnen unsere Begleiter noch ausdrücklich, dass sie nur in ihrem Gebiet für unsere Sicherheit garantieren können, darüber hinaus würden Abdullah und unser Fahrer die Verantwortung für uns tragen – immerhin zeigt sich auch hier die von uns oft beobachtete Verantwortung für die „Gäste“.

Wir atmen auf, als sich die beiden wieder in ihr schützendes Dickicht zurückziehen. Rendels Frage, ob wir noch ein Foto von den beiden machen dürfen, erübrigt sich eigentlich. Meine ursprüngliche Annahme, uns mit der PKK arrangieren zu müssen, hat sich also bewahrheitet, wobei ich jedoch nicht davon ausgegangen war, dass dieses Arrangement auf eine für uns derart aufregende Weise zustande kommen würde.

Abdullah versichert uns, dass wir nun mit Billigung und unter dem Schutz der PKK unsere Besichtigung fortsetzen könnten, meint aber auch, dass der Kommandeur des Trupps (weitere verbargen sich im Gebüsch) sehr „hart“ gewesen sei.

(Für eventuelle Nachahmer: Man sollte auf keinen Fall auf die Idee kommen, diese Gegend leichtfertig auf eigene Faust besuchen zu wollen. Interessierten bietet Abdullah an, mit ihnen auf dieselbe Weise zu verfahren, jedoch ohne Garantie, dass das immer klappt. Den Kontakt zu Abdullah kann ich auf Wunsch vermitteln.)

Nun setzen wir die Besichtigung der Gegend unter der kundigen Führung unserer Begleiter (und unter den wachsamen Guerilla-Augen) fort. Manche Ruinen, die in unseren Augen wie römische Hinterlassenschaften aussehen, erweisen sich als alte kurdische Wohnhäuser, die bis zu ihrer Zerstörung durch die Armee bewohnt waren. Jedoch gibt es tatsächlich eine Anzahl von Relikten aus alter Zeit – vorgeschichtlich, römisch, byzantinisch und osmanisch.

Zwischenmenschlicher Höhepunkt unseres Ausflugs ist noch die Einladung zu einem Picknick durch eine kurdische Gruppe, mit der wir noch einiges an Spaß haben (darunter wieder etliche dieser weiblichen Schönheiten, die mir schon oft unter den Kurden aufgefallen waren). Oft strapazierter Begriff, aber auch hier beeindruckte uns wieder einmal die spontane und großzügige Gastfreundlichkeit, die uns auch und gerade immer wieder von kurdischer Seite entgegen gebracht wird.

Zwar war die Summe der heutigen Eindrücke schon fast mehr, als wir verkraften können, trotzdem entschließen wir uns noch zu einem kurzen Abstecher in die Kasrık-Schlucht, eine beeindruckende Felsformation, in der es das Relief einer auf einem Pferd reitenden Frau, angeblich eine parthische Fürstin, zu sehen gibt.

Abdullah lädt uns noch noch zu einem Abendessen in das Haus seiner Familie ein, eine Einladung durch die wir uns sehr geehrt fühlen, die wir allerdings angesichts unserer Erschöpfung dankend ausschlagen.

Bleibt noch zu erwähnen, dass Abdullah den von uns für unseren Fahrer vorgeschlagenen Fahrpreis als viel zu hoch ablehnt, hier erweist sich jedoch mein Verhandlungsgeschick, indem ich den Preis doch noch etwas hochhandeln kann. Für sich selbst beansprucht unsere neue Bekanntschaft keine müde Lira.

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Durchkreuzte Pläne – Diyarbakır

Zehn Tage sind wir jetzt auf Achse – die Vielzahl der Eindrücke, Erlebnisse und Begegnungen würde schon locker für zehn Wochen reichen. Besonders der heutige Tag wird sich dauerhaft in unser Gedächtnis einbrennen. Kurz bevor wir „Gute Nacht“ sagen, gehen wir noch einmal die weitere Planung durch. Am nächsten Morgen wollen wir die Grenze in den Nordirak überschreiten, genauer gesagt in die „Autonome kurdische Region Nordirak“, die Kurden diesseits der Grenze sprechen dabei nur von „Kurdistan“. Die Idee dazu, in diesen sichereren Teil des Irak zu reisen, kam eigentlich nur deshalb zustande, „weil wir dann ja eh in der Gegend sind“. Ganz bestimmt ist die Gegend auch interessant, die wirklichen Sehenswürdigkeiten des Landes befinden sich jedoch zum Großteil im nicht befriedeten Teil des Irak (Ninive, Babylon, Ur etc.). Diese Erwägungen und die Aussicht auf eine Stunden dauernde Einreiseprozedur unter sengender Sonne lassen mich am Morgen den Vorschlag machen, diesen Abstecher ausfallen zu lassen. Rendel hatte sich zwar schon gefreut, findet sich aber angesichts der vielen anderen Ziele, die noch auf unserer Agenda stehen, schnell damit ab, zumal für die ins Auge gefasste Gegend in den nächsten Tagen Temperaturen von bis zu 48°C vorhergesagt sind. Diese Überlegungen lassen mich nicht gut schlafen, zudem hält uns ein andauernder Schusswechsel länger wach. (Im Nachhinein, angesichts des ISIS-Terrors im Irak mit seinen unkalkulierbaren Auswirkungen auf die ganze Region, hat sich die Entscheidung auch als richtig erwiesen.)

Im Vorfeld unserer Reise haben wir Kontakt zu Evi und Oke bekommen, einem Paar, das auch über einen Fundus an Motorrad-Reiseerfahrung verfügt. Sie sind auf der Rückreise von Georgien und Armenien und unsere Wege könnten sich heute oder morgen kreuzen. Unsere Planung sieht vor, über Midyat Richtung Westen zu fahren, um dann kurz vor Diyarbakır nach Norden in Richtung Bingöl abzubiegen. Auf dem Weg würden wir noch mal den Tigris kreuzen; an der Stelle soll es eine interessante Grotte mit Reliefs aus assyrischer Zeit geben. In der Nacht hat es geregnet, die Luft an diesem Morgen ist frisch und klar, wenngleich das Thermometer schon wieder 25°C zeigt. Seit die D400 so gut ausgebaut ist, ist die Landstraße zwischen Cizre und Midyat wenig befahren, es macht richtig Spaß, durch die Kurven zu wedeln. Rendel meldet sich über Funk, bei ihr stelle sich wieder ein „Flow“ ein, dieses Wohlgefühl, das auf solchen Strecken so typisch ist. Wir grüßen den Bischofssitz Mor Gabriel, den wir vor einigen Jahren besucht haben, von ferne, und halten auf Hasankeyf zu. Auf meiner Landkarte gibt es den Ort schon nicht mehr. Wo auf älteren Karten noch ein dünner Strich den Lauf des Tigris markierte, erstreckt sich auf der neuen nun ein langgezogener Stausee. Es ist eine Schande, wie hier Jahrtausende altes, einmaliges Kulturgut innerhalb von wenigen Jahren kurzfristigem Profit zum Opfer fällt – ganz zu schweigen von den Auswirkungen auf die Bevölkerung. Es ist unser vierter Besuch in Hasankeyf, weswegen wir nur kurz Rast machen und noch ein letztes Mal die Kulisse auf uns wirken lassen. Der Burghügel ist heute eh gesperrt, eine Besichtigung wäre also nicht möglich gewesen.

Nachdem wir uns vor Jahren auf den Erdölfeldern um Batman verirrt hatten, war ich mir sicher, dass diese Stadt mit dem witzigen Namen diesmal kein Hindernis darstellen würde … Kurz: Ich bin froh, dass die Motoren unserer Africa Twins als „thermisch unzerstörbar“ gelten. Etliche Male müssen wir auf den aufgerissenen Straßen dieser Großstadt wenden, weil selbst das aktuellste Navi mit den Baustellen nicht Schritt halten kann. So chaotisch die Städte sind, so schön sind dann wieder die Landstraßen, vor allem, wenn man dann wieder aufatmen kann. Hier in der Stadt leuchtet einem leicht ein, dass Luftverschmutzung und Lärm tatsächlich ernst zu nehmende Gesundheitsrisiken sind.

Nicht ganz so malerisch wie die Brückenreste in Hasankeyf, aber aus derselben Zeit (artukidisch, aus der Mitte des 12. Jahrhunderts), gut erhalten bzw. authentisch rekonstruiert präsentiert sich die Malabadi-Brücke etwas östlich von Silvan. Uns begrüßt eine Gruppe von Jungs, die uns irgendwas mit „müzik“ anbieten, wobei wir zunächst abwinken. Nachdem wir die Brücke vor Jahren nur aus einem ungünstigen Winkel fotografieren konnten, hat die Stadt zwischenzeitlich eine Art Aussichtsplattform angelegt, die einen schönen Blick über die ganze Anlage gewährleistet. Als dann ein Bus mit türkischen Touristen anhält, werden wir auch gewahr, was es mit der „müzik“ auf sich hat: Zunächst trägt einer der Jungen lautstark Erläuterungen zur Geschichte der Brücke vor, dann singt der ganze Trupp ebenso vehement ein Loblied auf den Ort und seine Brücke. Das alles ist natürlich auswendig gelernt und wirkt wie eine Aufführung, ist aber trotzdem ganz putzig.

Die vorläufige Absprache mit Evi und Oke sieht ein Treffen in Diyarbakır vor, was aber eigentlich nicht auf unserer Strecke liegt. Wir wollen kurz vorher abbiegen und über besagte Tigrisgrotte nach Bingöl. Kurz vor dem entscheidenden Abzweig weist uns ein Tankwart darauf hin, dass eben die Strecke, die wir nehmen wollen, wegen eines Militäreinsatzes im Zusammenhang mit PKK-Aktivitäten gesperrt sei – wir könnten aber ein paar Kilometer fahren, um dann an einem Posten Gewissheit zu bekommen. Tatsächlich ist nach zehn Kilometern „finish“, Polizei und Militär weisen uns freundlich aber bestimmt darauf hin, dass sich die nächsten Tage hier nichts tun wird. Also zurück und dann Richtung Diyarbakır, der heimlichen (oder gar nicht so heimlichen) Kurdenhauptstadt. Da wir mit den beiden anderen Motorradfahrern keinen Treffpunkt vereinbart haben, entschließen wir uns, einfach ein Hotel auszuwählen und ihnen das als Treffpunkt durchzugeben. Weil die vergangenen Tage in der Hinsicht etwas kärglich waren, wollen wir ausnahmsweise mal aus dem Vollen schöpfen und wählen das teuerste und angeblich beste Haus am Platze, das „Green Park“ (außerdem sind wir ja im Urlaub …). Auch hier erweist sich das Navi als nur von relativem Wert. Zwar sehen wir, wo das Hotel liegt, was aber noch lange nicht heißt, dass wir auch wissen, wie wir dorthingelangen. „Da ist es!“, vermelde ich über Funk. „Nur noch 200 Meter!“ So nah und doch so fern! Eine Einbahnstraße entgegen der Fahrtrichtung zu befahren, ist eher eine unserer leichteren Übungen, aber wenn sich einem dabei dreispurig die geballte Verkehrsmacht einer türkischen Großstadt entgegenstellt, überlegt man sich zweimal, ob man es damit aufnehmen möchte. Und dann die Hitze! An einem Abzweig will es Rendel partout nicht gelingen, sich wieder einzufädeln, alle Handzeichen, sie doch bitte zu lassen, werden ignoriert. Und ich stehe 50 Meter weiter ohne die Möglichkeit ihr zu helfen. Aber dann hat ein freundlicher Opa ein Einsehen und regelt den Verkehr soweit, bis Rendel wieder hinter mir ist. Um die Situation zu lösen, steuere ich einen Taxistand an und rufe „Taksi var mı?“ – „Gibt’s hier ein Taxi?“ Die dort sitzenden Taxifahrer lachen angesichts der Motorradfahrer erst, aber dann drücke ich einem 15 TL in die Hand und bitte ihn, uns zum Hotel zu geleiten. Der Riesenbogen, den er dann fährt, bestätigt mich in der Annahme, dass wir den Weg nie gefunden hätten – zumindest nicht, bevor wir der Dehydrierung zum Opfer gefallen wären. 110 Euro – runtergehandelt von 140 (wohlgemerkt: Euro!) sind eine Stange Geld für eine Nacht, aber was soll der Geiz? Wir können zunächst direkt vor dem Hotel parken und abrödeln. Wie in Luxusabsteigen üblich, drücke ich dann den Waitern die Schlüssel in die Hand … „Das ist für Sie!“ (habe ich aus dem Fernsehen), so verabschiede ich den Kofferträger, und erschöpft und völlig durchnässt lassen wir uns auf die Betten fallen. Sekunden drauf klingelt das Telefon. Evi und Oke sind kurz vor dem Hotel. Fix geduscht und runter – da höre ich schon ihre BMWs. Die Waiter hatten unsere Moppeds zwischenzeitlich ein wenig umgeparkt, jetzt sollten wir sie in die Tiefgarage bringen, die sich unter dem ganzen Straßenzug erstreckt. Ich erwische zunächst die falsche Rampe, nämlich die der Ausfahrt, mit dem Vorderrad schon über der Schwelle! Vor einigen feixenden Jungs mache ich mich zum Affen, wie gesagt: umgezogen und frisch geduscht!, aber ich versuche, Contenance zu bewahren, und mit Rendels Mopped geht es dann komplikationslos.

Wir verabreden uns mit Evi und Oke in der Lobby. Wie schon die Vorabkontakte erahnen ließen, sind die beiden sehr nett, eben so, wie man es von aufgeschlossenen Individualreisenden erwartet. Wir machen uns zu einer kurzen Stadtbesichtigung auf, nicht schwer, weil wir uns im Herzen der Altstadt befinden. Eher zufällig stoßen wir gleich auf das „vierfüßige Minarett“, tatsächlich ein einzeln stehendes Minarett, das auf vier runden Säulen ruht. Es schließt sich die Besichtigung der katholischen Marienkirche und der benachbarten armenischen Kirche an. Fast überall wurde der für Diyarbakır typische schwarze Basalt verwendet, besonders augenfällig bei der Stadtmauer und ihren Toren, wobei die Mauer als längste Stadtmauer der Welt gilt (was wir angesichts eines in vielen Jahren erstellten Modells der Stadt gut nachvollziehen können). Wir hoffen, das kleine Lokal, in dem wir vor drei Jahren so lecker gegessen hatten, wiederzufinden. Rendel meint, es zu wissen, auf der Suche verschlägt es uns in den Käsebasar. Unglaublich! Zunächst einmal dieser Gest…ruch. Und dann – wo man auch hinschaut – Berge von verschieden geformten Käsen, fast alle schneeweiß, nur hin und wieder durch beigemengte Kräuter und Gewürze etwas gesprenkelt, der Geschmack rangiert von angenehm-mild bis Würgereiz. Das Lokal finden wir jedoch nicht wieder.

Exemplarisch für die Stadttore nehmen wir uns noch das (südliche) Mardin-Tor vor. Von dort hat man unter anderem einen schönen Blick auf die Ongözü-(„Zehn-Augen“-)Brücke, die ihren Namen von ihren zehn unterschiedlich geformten Bögen hat. Am Mardin-Tor spricht uns eine kurdisch-saarländische Familie an. Sie können uns den Tipp geben, es restauranttechnisch im Bereich des Kapı Dağı, also am gegenüberliegenden Stadttor, zu versuchen. Auf dem Weg kommen wir noch an der Ulu Camii, der großen Moschee, vorbei. Der Vorplatz scheint ein einziges Teehaus zu sein, überhaupt wirkt die ganze Stadt wie ein riesiges Wimmelbild. Hungrig und auch etwas genervt angesichts unserer Restaurantsuche gehen wir in ein typisches Kebab-Lokal. Rendel gelingt es – eher untypisch – als Einziger, sich nicht zu bekleckern.

Auf dem Weg zurück zum Hotel stellt sich die obligatorische Frage nach dem „Feierabendbier“ (war ja wirklich ein Arbeitstag!). Wir könnten ja erst einmal im Hotel fragen. Fast schon etwas entrüstet klingt die Antwort des Angestellten. Aber sicher haben wir Bier! Stellt sich nur die Frage, wo es die Herrschaften zu genießen wünschen. Erst jetzt werden wir gewahr, was sich hinter der modernen Hotelfassade alles verbirgt. Durch verschachtelte Gänge werden wir in einen riesigen überdachten Innenhof geführt, der ansonsten noch original ist (wobei uns überall von eleganten Krawattenträgern höflich die Tür aufgehalten wird). Das Äußere des Hotels ist demnach tatsächlich nur Fassade, Lobby, Zimmer etc. sind modern, der Rest noch authentisch alt. Hier hätten wir also auch gepflegt und in herrlichem Ambiente speisen können. Wir beschränken uns auf Bier und Wein, deren Preise aber zumindest auch gepfeffert sind. Als der diensthabende Alleinunterhalter („Mehmet Rahlenkötter an der Farfisa-Heimorgel“) zu laut aufspielt, ziehen wir uns in eines der Nebengemächer zurück, ein stilles, großes Zimmer, geschmackvoll im spätosmanischen Stil eingerichtet und dekoriert. Kurz diskutieren wir noch die jeweiligen morgigen Pläne, bis wir dann müde in die Betten fallen.

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Eine erstaunliche Stadt – Tunceli

Gut gefrühstückt (gekochte Eier verschiedener Härtegrade!), schnell aufgerödelt, mit Schwung aus der Tiefgarage, kurze Verabschiedung, dann geht es für Evi und Oke in Richtung Kappadokien, wir hingegen hatten ja gestern eine Kursänderung vornehmen müssen, die sich zwangsläufig auch auf unsere heutige Route auswirkt. Wir wollen einen letzten Versuch machen und schauen, ob wir bei Ergani doch noch in Richtung Bingöl und damit über die Tigris-Grotte fahren können. Der Polizist, den wir in Ergani entsprechend befragen, bestätigt jedoch, dass die Gegend noch mindestens eine Woche unzugänglich bleiben wird. So machen wir aus der Not eine Tugend und entschließen uns, den eigentlich für die Rücktour geplanten Besuch von Tunceli vorzuziehen. Zwar schon einige Male gefahren, ist die Strecke vorbei am Hazar-See immer wieder ein Genuss, Rendel wieder voll im „Flow“ … Da der Tigris keinen eindeutigen Quellfluss hat, gilt der Hazar-See, in den mehrere kleinere Flüsse münden, als sein Quellsee. Ohne die genaueren Umstände zu kennen, scheint sich der Vorfall in der Gegend von Bingöl auch hier auszuwirken (wie auch schon in Diyarbakır, wo ständig Militärhubschrauber unheimlich knatternd über der Stadt kreisten). Nachdem uns vor einigen Jahren wider Erwarten sehr wenig Militär in dieser „widerspenstigen“ Gegend begegnet war, kommen uns jetzt laufend diese kleinen Militärfahrzeuge entgegen, die wegen ihrer glattflächigen Panzer-Karosserie wie zu groß geratene Holzautos wirken. Der Gedanke an Spielzeug kommt aber angesichts der darauf montierten Maschinengewehre gar nicht erst auf.

Innerlich bin ich darauf eingestellt, eventuell auch hier am Weiterfahren gehindert zu werden. Als uns dann eines der besagten Militärfahrzeuge lichthupend entgegenkommt, bin ich mir sicher, dass es soweit ist. Um Missverständnisse zu vermeiden, gehe ich in die Eisen. Dabei achte ich nicht auf Rendel, die eine Sekunde später rechts an mir vorbeizischt. Das war brenzlig! Dass der Auffahrende Schuld hat, interessiert mich in dem Moment wenig. Mal wieder Bewahrung erlebt! Ich wende und schleiche mich an das Militärfahrzeug heran, gebe Handzeichen, dass sie stoppen sollen – mal vertauschte Rollen! Als sich die gepanzerte Tür öffnet, strahlen mich zwei Soldatengesichter an, die nur mal freundlich grüßen wollten. Ich nutze die Gelegenheit und checke die Lage. Trotz des starken Militäraufgebots scheint unserem Besuch in Tunceli nichts entgegenzustehen. Unsere Anfahrtsroute unterscheidet sich von der von vor einigen Jahren, während wir seinerzeit fast direkt in den Ortskern einfuhren (Tunceli, oder, wie die hiesige Bevölkerung lieber sagt: Dersim, hat etwa 33.000 Einwohner), kommen wir jetzt durch vorgelagerte Wohngebiete. Vor Jahren hatten wir die Erwartung, dass wir hier auf eine eher finstere Stadt im Belagerungszustand treffen würden (das deuteten die Reiseführer, wenn sie die Stadt überhaupt erwähnten, an). Selten stimmten bei uns Erwartung und Realität so wenig überein. Die ganze Gegend wirkt sauber, die Häuser sind bunt, alles ziemlich modern und die Atmosphäre ist fast heiter zu nennen, wenn man angesichts der immer noch angespannten Lage überhaupt davon reden darf. An der Stadtgrenze müssen wir uns noch einer Passkontrolle unterziehen – großer Bahnhof mit Militär, Jandarma und Polizei in Uniform und in Zivil. Eine der Zivilpolizistinnen lächelt mich freundlich an – ein ziemlicher Kontrast zu der MP, die sie in den Händen hält.

Nicht, dass wir uns an den Luxus schon zu sehr gewöhnt hätten, aber statt des kleinen, etwas dunklen Has-Hotels fahren wir diesmal das Grand Şaroğlu an, das uns seinerzeit zu teuer war. Grund ist, dass ich mal wieder ein ruhiges Plätzchen brauche, an dem ich ohne sachkundige Begleitung seitens des männlichen Teils der Bevölkerung die Moppeds warten kann, zudem wollen wir mal einen Tag richtig abhängen, was mit den Möglichkeiten eines größeren Hotels leichter zu realisieren ist. Und die 180 TL (was etwa 63 Euro entspricht) sind nach deutschem Maßstab ja auch nicht die Welt. Tatsächlich verfügt das Hotel über einen abgeschlossenen Parkplatz, der zudem am Spätnachmittag noch etwas Schatten bietet. Das Haus an sich ist erstaunlicherweise noch eine Nummer besser als das in Diyarbakır – abgesehen von den Türöffnern, dafür tragen die hiesigen Kellner weiße Baumwollhandschuhe.

Bevor ich mir die Dusche gönne, mache ich mich erst an die Motorräder – keine Auffälligkeiten, erstaunlich (oder auch nicht), denn die Guten sind mittlerweile beide um die 20 Jahre alt. Danach noch ein kleines Vor-Verdauungsschläfchen, dann ist Essenszeit. Auf das Gençler-Restaurant mit seiner wunderschönen Gartenterrasse und mit Blick auf den Munzur-Fluss freue ich mich schon, seit wir den Entschluss gefasst haben, wieder hierhin zu kommen. Entsprechend enttäuscht bin ich, als ich angesichts der Speisekarte feststellen muss, dass es nur noch ein Café ist, in dem man bestenfalls ein paar Sandwiches bekommt. Das Grand Şaroğlu verfügt jedoch auch über ein Restaurant, unter anderem in einem lauschigen Garten, wo es jetzt schon relativ kühl ist.

Nicht, dass Alkoholkonsum und englische Musik per se als zivilisatorische Errungenschaften und als Ausweis von Modernität und Weltoffenheit gelten könnten, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich die, zumeist alevitische Bevölkerung damit – und mit manchen anderen Dingen – von der Umgebung abheben will. Das Restaurant füllt sich mit augenscheinlich Einheimischen, darunter viele junge Frauen, die sich selbstverständlich ohne männliche Begleitung setzen, ein Bier bestellen und den Abend genießen. Zur Erinnerung: Wir sind hier nicht in İstanbul oder İzmir, sondern in der hintersten Provinz! Eine Kopftuchträgerin ist mir hier nicht aufgefallen. Dass sich unter den Kurdinnen auffallend viele echte Schönheiten befinden, hatte ich wohl an anderer Stelle schon erwähnt … Diese Einschätzung wird jedoch auch von Rendel geteilt, an einem Tisch hat sie so eine Zusammenballung von Attraktivität entdeckt. In solchen Situationen kommen ihre Sprachkenntnisse zum Tragen (und zudem traut sie sich auch was). Also geht sie rüber, kommt über ein Kompliment mit ihnen ins Gespräch und sitzt – mir nichts, dir nichts – bei ihnen am Tisch. Ich werde gnädigerweise später auch noch hinzugebeten, aber nur, um die Grazien abzulichten …

Auch am Nachbartisch sitzen zwei dieser Exemplare. (Ich weiß gar nicht, wo ich hinschauen soll!) Auch mit ihnen kommen wir ins Gespräch und dabei zeigen sich dann auch die eher intellektuellen und sonstigen Wesenszüge. Interessant ist zunächst, dass die beiden – obwohl beides Kurdinnen – Türkisch miteinander sprechen. Die Erklärung: Sie kommen aus unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, wobei die eine Zaza, die andere Kurmandschi, also zwei unterschiedliche kurdische Dialekte sprechen. Die beiden sind Studentinnen, eine ist angehende Wirtschaftswissenschaftlerin.

Wenn ich mich Türken gegenüber vorstelle, gebe ich immer die lautmalerische Hilfestellung, dass mein Name „Detlev“, nach Platzwechsel zweier Buchstaben, dem türkischen Wort „Devlet“ ähnelt, was „Staat“ bedeutet. In diesem Fall entgegnet die eine der beiden jungen Frauen: „Oh, we don’t like ‚devlet‘!“, was ich nicht persönlich nehme. Ihre Haltung zum Staat beschreiben sie als „assimiliert“, ohne den türkischen Staat zu mögen. Sie seien jedoch glücklich, hier in Tunceli mit den hier möglichen Freiheiten zu leben – die sich eben auch darin äußern, als Frau in ein Restaurant zu gehen und ein Bier zu bestellen. (O tempora, o mores …)

Zwischenzeitlich haben die beiden hiesigen Alleinunterhalter ihren Soundcheck abgeschlossen. Wir befürchten ein „Rahlenkötter-Duo“, doch schon die Instrumentierung weicht wesentlich ab. Der Gitarrist singt zugleich, während der andere zunächst mit einer Querflöte einsetzt, die später auch mal einer Zurna, dem klassischen türkischen Blasinstrument – einer Oboe ähnlich –, weicht. Und was soll ich sagen: Wir lauschen regelrecht verzaubert! Das orientalische „Aroma“ ist unverkennbar, jedoch auch für unsere Ohren auffallend harmonisch, zudem sind beide wahre Meister ihres Fachs – gäbe es eine CD, die wäre umgehend meine!

Angesichts dieser relaxten Atmosphäre und den angenehmen Gegebenheiten beschließen wir, noch nicht morgen weiterzufahren, sondern noch einen echten Day off einzulegen, damit unsere Tour eben nicht nur Expeditions-, sondern auch etwas Urlaubscharakter hat.

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Die Ruhe trügt

Den Day-off verbringen wir angemessen mit Lesen, Körperpflege und einfach Relaxen. Bevor wir uns noch mal ins schöne Gartenlokal des Hotels begeben, tun wir es den Einheimischen gleich und mischen uns unter die Flanierenden in den kleinen Parkanlagen Tuncelis. Von Weitem hören wir eine Megafonstimme und das laute Rufen einer größeren Menschenmenge. Später sehen wir, dass es sich um eine Veranstaltung zum Jahrestag der Gezi-Proteste handelt, auf einem riesigen Transparent wird gleichzeitig an die Opfer der Grubenkatastrophe von Soma erinnert. Die Pressefotografen machen Rendel großzügig Platz, damit sie die Situation auch aus günstiger Perspektive einfangen kann.

Endlich ist Essenszeit. Ein paar Tische weiter hören wir deutsche Stimmen. Rendel spricht die beiden Männer an, die sich nicht lange bitten lassen und sich unaufgefordert zu uns setzen. Ceytin und Ali kommen beide ursprünglich aus der Gegend, Ceytin lebt seit Jahrzehnten in Dortmund, wo er bis zu seiner Berentung als Steiger im Steinkohlebergbau tätig war, Ali, über achtzig, hat viele Jahre für einen Turbinenbauer in Deutschland gearbeitet. Beide haben sich vor Ort angefreundet und verbringen die Abende miteinander. Als Insider, die beide von hier kommen, können sie noch ein wenig mehr Erhellendes über die Gegend beisteuern. Besonders interessant ist, dass sich die Konfliktlinie nicht nur zwischen Kurden und Türken entlangzieht, hier in Tunceli geht es hauptsächlich um den Gegensatz zwischen den (sunnitischen) Moslems und den „liberalen“ Aleviten (die eigentlich, streng genommen Schiiten sind, die man aber mit den „normalen“ schiitischen Moslems etwa im Iran nicht vergleichen kann). Dieser Konflikt äußert sich in kleinen Nickligkeiten wie etwa, dass Aleviten die sunnitischen Moscheen mit Schuhen betreten, die Moslems hingegen verbreiten z. B. gerne Schauermärchen über alevitische Orgien usw. – also etwa so, wie es bei uns früher in ländlichen Gegenden zwischen Evangelischen und Katholischen zuging. Hin und wieder jedoch eskaliert der Konflikt auch. Während Ceytin deutsch mit Ruhrgebietszungenschlag spricht, kann man Ali nur sehr schlecht verstehen, dabei hätte er sicher viel zu erzählen. So hat er etwa den „verrückten Şeuşen“ (siehe den Bericht von vor zwei Jahren) noch persönlich gekannt. Für mich besonders beeindruckend ist, dass ich bei ihm zu ersten Mal aus „türkischem“ Mund höre, dass die Tötung der Armenier Anfang des 20. Jahrhunderts Völkermord war.

Nachdem wir gestern so angenehme Tischmusik hatten, dröhnt heute auf der Dachterrasse eher Discosound. Wir sind gerade eingeschlafen, als wir von Motorengeräuschen, Schreien und Schüssen geweckt werden. Die Musik auf dem Dach verstummt augenblicklich, die Partygäste oben rufen etwas nach unten. Der Lärm kommt von der Straße unter unserem Fenster, nur durch ein kleines Mäuerchen von unseren Motorrädern getrennt. Wieder Schreie, laut, wie in Todesangst, Schrittgeräusche von weglaufenden Menschen, verfolgt von Militärfahrzeugen. Durch den Restaurantgarten, wo wir vorhin noch gemütlich gesessen haben, wabern Tränengasschwaden. Was genau passiert war, kann uns auch Ceytin am nächsten Morgen nicht sagen, es scheint aber mit der Demonstration am Abend in Zusammenhang zu stehen, denn die Straßen sind am Morgen mit Steinen übersät. Das Friedlich-Heitere, auf das wir hier so eindrücklich gestoßen wurden, ist also äußerst brüchig.

Mit diesen zwiespältigen Eindrücken verabschieden wir uns aus Tunceli. Ceytin verhilft Rendel noch zu Medikamenten, die sie braucht, um eine aufkommende Nebenhöhlenentzündung schon im Keim zu ersticken.

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Auf ans Schwarze Meer

Die weitere Route soll uns in Richtung Schwarzmeerküste bringen, auf dem Weg wollen wir die Gegend um den „Georgischen Sinai“ noch etwas erkunden. Bei unserer ersten Reise dorthin mussten wir viele Ziele links liegenlassen. Ein erstes Schmankerl sollen wir jedoch schon an diesem Vormittag genießen dürfen – die Fahrt entlang des Pülümür-Flusses. Die Strecke ist nicht ganz so wildromantisch wie die entlang des Munzur, die westlich von der heutigen Strecke verläuft und die wir vor zwei Jahren gefahren sind, aber wir sind mittlerweile ja auch arg verwöhnt. Doch auch heute bringen die vielen Guck- und Fotostopps unseren Zeitplan schon früh durcheinander. Bei einem dieser Stopps überholen uns zwei BMWs mit Schweizer Kennzeichen. Die Fahrer halten an und wir verabreden uns kurzfristig zu einer Rast im nächsten Teehaus. Niklas und Alex sind beides Deutsche, leben und arbeiten aber in der Schweiz. Als Steinmetz und Zimmermann haben sie die in diesen Berufen übliche Wandergesellentradition ausgiebig genutzt und sind damit auf alle Erdteile gelangt. Allerdings ist ihre jetzige Reise die erste große Motorradtour. Sie haben sich eine sechsmonatige Auszeit genommen und wollen über Georgien, Aserbaidschan, den Iran bis in die Mongolei. Spontan entscheiden wir uns, die heutige Etappe gemeinsam zu fahren, für den Abend lädt Rendel die beiden zum Essen ein, denn schließlich hat sie heute Geburtstag! Einen von mir vorgeschlagenen Abstecher zu einem alten Kloster abseits der Strecke müssen wir wegen Unbefahrbarkeit der Piste zwei Kilometer vor dem Ziel abbrechen, genießen stattdessen die Rast in der Einsamkeit der anatolischen Hochebene.

Wieder auf der Hauptstraße passiert dann das, was wir fast 50.000 Kilometer vermeiden konnten: Wir werden geblitzt! Nachdem uns die Polizisten herausgewunken haben, geht es zunächst um die Beweise. Auf den Videos kann zwar jedes der Motorräder mit der jeweiligen Geschwindigkeit nachverfolgt werden, aber die beiden BMWs lassen sich nicht auseinanderhalten. Letztlich müssen Niklas und ich dran glauben. Etwa 60 Euro für drei Stundenkilometer zuviel. Die Sheriffs dürfen nicht vor Ort kassieren, so müssen wir eine langwierige bürokratische Prozedur hinter uns bringen („Name des Vaters?“). Ich nehm’s sportlich, zumal die Polizisten sehr freundlich sind. Blöd nur, dass wir jetzt noch eine dafür zugelassene Stelle ansteuern müssen, wo wir das Knöllchen bezahlen können (spezielle Banken und Postämter).

Am Spätnachmittag erreichen wir Erzurum. Während wir das vorgeplante Hotel ansteuern, suchen sich die beiden etwas Günstigeres – bei einem halben Jahr muss man halt etwas auf den Etat achten. Das Abendessen im, noch aus russischer Zeit stammenden Lokal „Güzelyurt“ ist lecker, der dazu gereichte Wein auch. Wir schlendern noch ein wenig durch das abendliche Erzurum und fallen müde in die Kojen. Niklas und Alex müssen noch zur iranischen Botschaft, um etwas wegen ihrer Visa zu klären, deshalb verabschieden wir uns schon am Abend. (Eine Woche nach unserer Rückkehr meldet sich ein enttäuschter Niklas aus der Schweiz. Missverständnisse hinsichtlich der Art und der Gültigkeit seiner Visa haben seiner Reise ein frühes Ende bereitet, Alex versucht, die Sache alleine durchzuziehen.)

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Traum- und Albtraumstraße

Erzurum, 18 Grad, trocken – die Frisur sitzt. Tatsächlich ein herrlicher Morgen. Wie immer, stellt der morgendliche Großstadtverkehr kein Problem dar, schnell sind wir auf der Straße Richtung Norden, die uns heute über Yusufeli nach Şavşat bringen soll. Zunächst geht es, rechts und links gesäumt von saftigen Wiesen, in gerader Linie Richtung Norden auf die Berge zu. Okay, es ist nicht die „Route 66“, nicht der „Pamir Highway“ und auch nicht die „Transamericana“, aber die Strecke zwischen Tortum und Yusufeli zählt für mich zu den Traumstraßen der Welt. Dazu kommt, dass man zu deren Befahrung nicht expeditionsmäßig ausgerüstet sein muss: Flug nach Erzurum, Leihwagen – und los! (Selbst der Türkei-Führer des Michael-Müller-Verlags, der sonst mit Superlativen eher geizt, lässt sich zu dem Prädikat „landschaftlich überaus reizvoll“ hinreißen.)

Einige der Klöster und Kirchen aus georgischer und armenischer Zeit hatten wir schon besucht, heute steht noch Haho auf dem Programm. Dazu müssen wir die Hauptstraße verlassen und durch etliche kleine Dörfer hoch in die Berge. Die Frauen hier sind zwar zumeist nicht verschleiert, wann immer wir uns nähern, halten sie sich jedoch ihr Kopftuch vor das Gesicht oder wenden sich ab.

Die Klosterkirche von Haho wurde im 10. Jahrhundert errichtet, dient jedoch schon seit dem 17. Jahrhundert als Moschee. Der Kuppelbau ist gut erhalten und sehenswert, leider können wir ihn von innen nicht besichtigen, da die Tür verschlossen ist.

Dann schließt sich der Teil der Strecke an, der schon seit dem ersten Besuch vor drei Jahren zu meiner persönlichen Nummer eins unter den „Best of Turkey“-Strecken zählt. Im ersten Abschnitt sind die Berge noch mit viel Grün überzogen, erst kurz vor Yusufeli wird es dann karg. Eigentlich um Worte nicht verlegen, fehlen mir hier doch die Möglichkeiten, diese fantastische Gegend angemessen zu beschreiben. Allein die schiere Höhe der Berge, die Verschiedenartigkeit der Felsformationen – steil abgebrochen, dann wellenförmig gefaltet, so, als ob die flüssige Lava in kürzester Zeit erstarrt ist, dann wieder wie aus Bauklötzen aufgestapelte, hundert Meter hohe Felsen, bei denen man fürchtet, dass sie im nächsten Augenblick von Riesenhand umgeworfen werden könnten. Und dann das Farbenspiel! Da ich ja vorausfahre, warne ich Rendel nach fast jeder Kurve über Funk: „Pass auf, das haut dich um! Vergiss nicht, auf die Straße zu achten!“

Rechts von uns fließt der Tortum-Fluss, der sich dann zum gleichnamigen See weitet. Fast alle Seen in der Gegend sind Stauseen, dieser hingegen wurde durch einen natürlichen Erdrutsch, der den Abfluss behinderte, gebildet. Unweit Uzundere reckt sich eine alte Bergfeste in den Himmel, mit bloßem Auge kaum auszumachen, da aus demselben Material wie die umgebenden Felsen gebaut. Ich versuche, mit dem Motorrad bis oben hin durchzudringen, muss dann aber passen. Ich weiß nicht, wie oft wir hier zum Staunen und Fotografieren angehalten haben, einmal fahre ich sogar noch mal einige Kilometer zurück, um ein versäumtes Motiv doch noch festzuhalten. Allein für diese Strecke hat diese ganze Tour gelohnt.

In Yusufeli haben wir vor Jahren ein paar schöne Tage verbracht, heute stoppen wir nur in der Nähe um zu tanken und Rast zu machen. In der Gegenwart von Truckern und Landwirten stärken wir uns mit Menemen, dieser pikant-scharfen türkischen Rührei-Variante. Nach dem Start dann die erwartbare Überraschung: Statt wieder auf die normale Straße geht es zunächst in einen langen Tunnel. In dem Gebiet zwischen Yusufeli und Artvin wird der Çoruh mehrfach gestaut, die gewonnene Energie soll einen Großteil der Türkei mit Strom versorgen. Das ganze Tal ist eine einzige riesige Baustelle, kurz nach Yusufeli noch in Betrieb, während die anderen, weiter nördlichen Staustufen schon fertiggestellt sind. Wie Menschenhand die Landschaft gestalten kann! Vor einigen Jahren sind wir noch am Fluss entlang, quasi durch die Talsohle, Richtung Artvin gefahren, jetzt wurde die Straße komplett in die Höhe verlegt und verläuft über viele Brücken und Tunnel, unter sich der nunmehr fast 70 Kilometer(!) lange Stausee. Ich hätte nicht gedacht, dass sich so ein See in so kurzer Zeit aufstauen lässt.

Aber wir müssen uns zunächst durch den Staub der noch bestehenden Baustellen quälen. Die Sprengfahrzeuge, die zur Staubbindung Wasser verspritzen, sind auch keine Hilfe, damit wird aus dem Staub auf unseren Helmvisieren nun eine veritable Schlammkruste. Die teilweise noch unbeleuchteten Tunnel machen das Fahren auch nicht angenehmer, zudem scheint sich, da das Navi die neue Streckenführung noch nicht kennt, unser Tagesziel immer weiter zu entfernen. Statt wie früher in einem Bogen um Artvin herumgeführt zu werden, müssen wir jetzt fast durch, zunächst in Serpentinen nach unten, dann auf der Straße nach Şavşat, unserem Ziel, wieder nach oben. Oben angelangt stoppen wir kurz, um ein Foto der gewaltigen Staumauer zu machen.

Wolken ziehen auf, unsere Kraft lässt langsam nach – es sind noch 70 Kilometer, und das nur für eine schöne Unterkunft. Uns zwei fast an der Strecke liegende, jedoch schwer zu erreichende Klöster heute noch anzusehen, haben wir uns eh schon abgeschminkt. So konsultieren wir unseren Reiseführer im Blick auf eine Unterkunft in Artvin. Zwar hatte ich uns auch schon eine Pension auf der Kafkasör-Alm ausgeguckt, aber die wollen wir dann jetzt am Abend nicht mehr auf gut Glück ansteuern. „Koru Otel“ klingt gut – schöne Lage, Blick über das Tal, nur kurz durch Artvin den Berg hoch, ganz am Ende.

Von wegen! „Michael Müller“ spricht von einem „städtebaulichen Kuriosum“ – das Ortsschild steht im Flusstal, das Zentrum liegt fünf Kilometer und etliche Serpentinen weiter oben. Und unser Hotel ganz an deren Ende. So quälen wir uns dieses Kuriosum hoch, nicht wissend, ob das Hotel überhaupt geöffnet hat (mein Handy-Akku ist leer, weswegen wir nicht anrufen können). Doch schließlich parken wir die Motorräder an einem Zaun, an dem ein großes Banner mit dem Hotelnamen hängt. Der Mann, den ich frage, und der sich dann als Inhaber herausstellt, gibt die erlösende Auskunft, dass sie offen haben. Und der Weg hat sich gelohnt: hoch oben über der Stadt, Blick auf den besiedelten Hügel, gegenüber der alles beherrschenden gigantischen Atatürk-Statue, beziehen wir unser geräumiges Zimmer, das zudem über einen Balkon verfügt.

Hier ist es merklich kühler, die tief hängenden Wolken vermitteln das typische Schwarzmeerberge-Feeling. Nach diesem gleichermaßen anstrengenden wie erlebnisreichen Tag belohnen wir uns mit einem leckeren Abendessen und einer Flasche Wein – Typ „Öküzgözü“ („Ochsenauge“) –, meine hiesige Lieblingssorte.

Wir beschließen, den Abstecher zu den genannten Klöstern zu streichen, denn in den vergangenen Tagen haben wir schon genug dergleichen gesehen, zudem liegt auf der vor uns liegenden Strecke noch viel Sehenswertes. Übermorgen soll es nach einem Ruhetag über Borçka kurz an die Küste und dann über Çamlıhemsin zur Burg Zılkale gehen. In deren Nähe liegt der Drehort zum Film „Bal“, die Nacht wollen wir in der Pension, wo schon das Filmteam seinerzeit untergebracht war, verbringen.

Mit fällt ein, dass wir ja immer noch das unbezahlte Strafmandat mit uns herumführen! Da ich so etwas immer sportlich nehme, macht es mir, wenn es denn berechtigt ist, nichts aus, das auch zu zahlen. Rendel möchte eh mal in den Ort und dabei die Sache dann begleichen. Von der „eigentlich“ zuständigen Bank schickt man sie jedoch zur „Belediye“, der Stadtverwaltung, die für uns als Ausländer zuständig sei. In der Kassenstelle bietet man ihr einen Platz an, der Sachbearbeiter muss mal kurz weg – und Rendel findet sich alleine in dem Büro wieder, vor ihr große Stapel von Geldscheinen! Der junge Mann telefoniert mit seiner Frau, die wohl schon eher mit derartigen Angelegenheiten befasst war und die kurz drauf auch auftaucht. Im Blick auf unser Strafmandat beschwört sie Rendel regelrecht, die Buße nicht zu bezahlen. Und das nicht etwa, weil sie vielleicht ungerechtfertigt wäre, sondern weil die Grenzbehörden derzeit noch keine Möglichkeit haben, eine nicht erfolgte Zahlung zu erkennen. Ähnlich wie mit dem Mautticket können wir auch hier nichts ausrichten. Die beiden stellen sich noch zum Erinnerungsfoto auf und erwägen, uns vielleicht am Abend noch im Hotel zu besuchen.

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Auch Türkei – aber ganz anders

Manchmal denke ich, dass ein bunter Hund im Gegensatz zu mir fast anonym bleiben kann. Kurz bevor wir abends schon ein paar Dinge an den Motorrädern verstauen wollen, höre ich das typische BMW-Motorengrollen. Zwei Motorradfahrer suchen offensichtlich den Eingang zum Hotel, ich rufe und winke ihnen zu – ein Heidelberger und ein Hamburger Kennzeichen. Kaum hat der Heidelberger den Helm abgesetzt, meint er mit Verweis auf seinen Begleiter, der noch rangiert: „Kudret wollte dir heute noch eine SMS schicken.“ Mittlerweile ist Kudret auch aufgetaucht. Es stellt sich heraus, dass wir vor Monaten in einem Reiseforum korrespondiert hatten, irgendwie meinte er, dass wir wohl in der Gegend sein müssten. Dass wir uns hier im hintersten Winkel in einem von vielen Hotels vor Ort treffen, ist reiner Zufall.

So nehmen wir das Abendessen und das Absackerbier gemeinsam ein (das Bier ohne Rendel, die sich zwischenzeitig um die Schmutzwäsche der beiden kümmert). Das Hotelrestautant ist heute von einer großen Gruppe hiesiger Abiturienten okkupiert, die ihren großen Tag feiern – die Mädels zumeist in schicken Minikleidern, teilweise in Tüll, ein paar – auch sehr schick – mit Kopftuch, die Jungs entsprechend. Drinnen geht es so turbulent zu, dass wir uns, trotz lausiger 12°C, lieber nach draußen in einen Pavillon setzen und so den Abend mit „Benzingesprächen“ ausklingen lassen.

Heute steht die Küste an, die Wettervoraussetzungen scheinen optimal. So verlassen wir Artvin schon zeitig, zunächst vorbei an weiteren Staustufen des Çoruh. Ein bisschen „genippt“ von diesem Teil der Türkei hatten wir ja schon vor drei Jahren, jetzt soll es endlich so richtig in diese grüne, von Wäldern und Wasser (von oben wie von unten) dominierten Gegend gehen. Schon das Stück von Borçka bis Hopa, das am Meer liegt, ist ein Fest für die Sinne. Rendel wünscht sich, endlich einmal Teeplantagen zu sehen, ein Wunsch, der sich umgehend erfüllt. Zwar sind die meisten Teebüsche gerade abgeerntet, doch überziehen sie unverkennbar die meisten Flächen zwischen den Wäldern.

Nachdem wir seinerzeit den Abschnitt zwischen Ünye und Trabzon entlang am Meer als nicht so attraktiv in Erinnerung haben, ist die heutige „Strandetappe“, die von Hopa bis kurz vor Rize führt, fast „lieblich“ zu nennen. Die Berge reichen fast bis ans Wasser, zwischen den Ortschaften gesprenkelt mit Häusern in der typischen Schwarzmeerarchitektur. Rechter Hand das Meer, dessen Gischt wir manchmal sogar ein wenig zu spüren bekommen, der würzige Meeresduft in der Luft – und das alles bei strahlendem Sonnenschein.

Wir haben uns vorgenommen, diesmal das Schwarzmeerhinterland möglichst in Reinkultur zu erleben, und sei es so, wie es der Postkartenkitsch vorgaukelt. Dazu müssen wir einfach ein Stück „rein“ ins Gebirge und in Richtung der „Yaylas“, der Sommerweiden. Inspiriert hatte uns vor allem der Film „Bal – Honig“, der in dieser Gegend spielt, ein sehr leiser, anrührender und authentischer Film, der 2010 den „Goldenen Bären“ der Berlinale gewann. Nach etwas Recherche hatte ich herausgefunden, wo seinerzeit das Filmteam untergebracht war – und genau da wollen wir uns einquartieren, in der „Doğa Pansyion“ („Doğa“ heißt „Natur“). So biegen wir im 90°-Winkel von der Küstenstraße ab und halten auf Çamlıhemsin zu. Kurz drauf sichten wir zum ersten Mal die reißende Fırtına, einen Fluss, der dem Tal hier seinen Namen gegeben hat. In Çamlıhemsin, einem 1.400-Seelen-Ort, tanken wir, Scheinwerferbirnen führen sie hier an den Tankstellen nicht. Schon an der Küste sind wir in fast jedem Ort an den Verarbeitungsstätten für den hier geernteten Tee vorbeigefahren. In einem Dorf halten wir kurz, als wir eine Gruppe Frauen sichten, die neben großen Haufen mit frischen Teeblättern Pause machen.

Beim Flecken Şenyuva soll die Doğa Pansyion liegen, meine eigene Recherche und die Angabe im Navi decken sich. So quälen wir uns über kleine, unbefestigte Serpentinen einen Berg hinauf – nichts. Per Handzeichen – unser Funk ist ausgefallen – bedeute ich Rendel, dass sie warten soll, während ich weitersuche. Nachdem sich der Weg im Nichts verliert, wende ich. Kurz drauf treffe ich auf Rendel, die mein Handzeichen missverstanden und sich auch noch weiter den Berg raufgekämpft hat, Blut und Wasser schwitzend. Uns in einer anderen Pension einzuquartieren scheitert, da sie ausgebucht ist. Langsam von der Sucherei etwas entnervt, beschließen wir, bei einem Holzhaus, das auch mit „Doğa“ beschriftet ist, mal zu fragen. Und tatsächlich: Es ist eine Pension – und obendrein die, die wir suchen!

Ein älterer Herr mit weißer Prinz-Heinrich-Mütze begrüßt uns freundlich, abwechselnd auf Türkisch und praktisch akzentfreiem Englisch und Französisch redet er auf uns ein. Die Pension ist sehr – sehr! – einfach, doch wie im Paradies, nur durch einen fünf Meter breiten Gemüsegarten von der tosenden Fırtına (was sinnigerweise „Sturm“ heißt) getrennt. Tatsächlich ist das Brausen so laut, dass wir es selbst bei geschlossenem Fenster hören. Wir haben einen eigenen, umlaufenden Holzbalkon mit Blick auf den Fluss und die Berge.

Das 35-köpfige „Bal“-Team war während der Dreharbeiten hier untergebracht, wovon auch eine vergrößerte Seite der Zeitung „Die Welt“, die hier im Flur hängt, zeugt.

İdris, so heißt der freundliche Herr, stammt aus dem 10 Kilometer entfernten Örtchen Çat, hat aber in Frankreich studiert und einige Jahre in Australien gelebt. Gerne und kundig gibt er uns Tipps, was wir hier erleben können, sodass wir uns schon auf morgen freuen. Rendel scheint es begriffen zu haben, mir fehlt der Sinn für die Verwandtschaftsstrukturen, auf jeden Fall werkeln im Haus noch zwei freundliche Frauen, die sich dankenswerter Weise auch schon nach unseren Essenwünschen erkundigen. Die Leute hier gehören mehrheitlich zu den Hemşinli, einer irgendwie – die Forscher sind sich nicht ganz einig – mit den Armeniern verwandten, aber moslemischen Volksgruppe, deren Frauen vor allem durch ihre bunten Kleider und Kopftücher auffallen.

Das buchstäblich Wetterwendische dieser Gegend im Hinterkopf, nutzen wir die Zeit bis zum Abendessen noch, um die Festung Zil Kale, die nur sieben Kilometer entfernt liegt, zu besichtigen. Seltsam berührt bin ich, als ich an einer dieser wunderschönen Stein-Bogenbrücken vorbeifahre. Irgendwie schießt es mir durch den Kopf: „Ich bin hier an einem Ort, an den ich schon immer wollte, von dem ich aber nicht recht wusste, dass es ihn gibt!“ Tatsächlich waren mir diese Brücken, die ich nur von Bildern kannte, immer ein Sinnbild für Beschaulichkeit, Ruhe, Natur, „Arkadien“ (wenngleich das in Griechenland liegt). Ich lasse das auf mich wirken, bevor ich versuche, diesen Eindruck in Bildern festzuhalten.

Rendel steckt ihr fahrerisches Erlebnis noch in den Knochen, weswegen sie sich den Weg zur Zil Kale gerne von mir chauffieren lässt. Die Burg stammt aus dem 14./15. Jahrhundert und wurde restauriert. Das schmälert den etwas verwunschenen Eindruck ein wenig, aber alleine die schiere Lage auf einem Felsen, umgeben von hohen Bergen, versetzt einen ins Mittelalter.

Wir genießen es immer, in diesen einfachen Unterkünften nicht mit imitierter europäischer Kost konfrontiert zu werden oder zum x-ten Male Hähnchen-Şiş essen zu müssen, sondern das, was der hiesige Garten und in diesem Fall der Fluss hergibt, genießen zu können – „Ev Yemek“, Hausmannskost. Wenn eine türkische Speisekarte Suppe anbietet, dann ist das in vielen Fällen eine pürierte Linsensuppe oder eine auf Joghurtbasis. Heute gibt’s vorweg eine wahrhaft köstliche Gemüsesuppe, sämig, aber so, dass die vielen frischen Bestandteile aus dem Garten noch erkennbar sind. Als Hauptgang dann Flussforelle, die meines Erachtens wesentlich besser schmeckt als die Exemplare aus den Zuchtbecken. Und zum Nachtisch – der „eigentlich“ gar nicht mehr reingeht – Sütlaç, also ein Milchreis, bestreut mit gehackten Haselnüssen, die auch in der Gegend geerntet wurden.

Kann es einem besser gehen?

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Grüner wird’s nicht!

Wie meist auf dieser Tour sind wir schon kurz nach sechs wach. Trotz (oder wegen) des Dröhnens des Flusses haben wir hervorragend geschlafen. Nach dem Frühstück lassen wir uns noch mal die möglichen Ziele für heute erläutern. Für richtige Wanderer und Trekker ist die Gegend ein wahres Paradies, selbst die fast 4.000 Meter hohen Gipfel der Kaçkar-Berge lassen sich von Geübten zur entsprechenden Jahreszeit erklimmen. Wir entscheiden uns für den Padovit-Wasserfall und einen Besuch im Dorf Çat, aus dem unsere Gastgeber stammen. Heute gehen wir das Restrisiko ein und verzichten – abgesehen von Helm und Handschuhen – auf die übliche Sicherheitskleidung. Die etwa 10 Kilometer bis zum Wasserfall werden zu einer wahren Trunkenheitsfahrt – so besoffen macht einen die Gegend! Im Gegensatz zur – ähnlich faszinierenden – Gegend südlich von hier, die wir noch vor vier Tagen durchquert haben, lässt hier die dem Meer zugewandte Seite der Berge kaum ein Stück Fels durchschimmern, stattdessen ist alles über und über mit Grün in allen denkbaren Nuancen überzogen. Und die Berge ragen in den engen Schluchten so gewaltig vor einem auf, dass man sich vor Genickstarre hüten muss. Wo man hinschaut fließen dem Fluss kleinere Bäche entgegen. Hoch über den Tälern kleben einzelne oder kleinere Ansammlungen von Holzhäusern in den Bergen, man mag sich gar nicht vorstellen, von dort aus zum Brötchenholen geschickt zu werden. İdris hat uns erklärt, dass die Talsohlen kaum bewohnt sind, die Menschen vielmehr in den Bergen wohnen, und das teilweise sogar in einem abgestuften System, also nicht nur winters unten und sommers oben, sondern auch noch mit Stationen dazwischen. Und dann gibt es noch die Fälle wie etwa den des Rentners, mit dem wir uns heute bei einem Stopp unterhalten: Im Winter wohnt er in der Millionenmetropole İzmir, jetzt im Sommer auf einer Alm unter einer Handvoll Dörflern – was für ein Gegensatz!

Der Weg zum Wasserfall erweist sich stellenweise als fordernder als erwartet, mühsam quälen sich Mensch und Maschine hinauf. Den Wasserfall hatten wir uns größer vorgestellt, aber allein das „Setting“ ist eine Wucht. Rendel möchte mir das Opfer einer Weiterfahrt ins Dorf Çat nicht zumuten, ich plädiere dafür, es soweit es geht zu versuchen. Noch einmal stellt schon allein die Landschaft eine mehr als reichliche Belohnung dar, etwa die noch schneebedeckten Gipfel des Kaçkar, die durch die Taleinschnitte lugen. Hinter Çat soll es noch eine diese schönen Steinbrücken geben, es wird jedoch zunehmend unwegsam. Mein Navi behauptet jedoch, dass sich die Brücke in 500 Metern befindet. Rendel will das Stück laufen, ich fahre vorweg. Tatsächlich zeigt sich die Brücke nach der nächsten Biegung, dort hat sich eine Großfamilie zum Picknick mit Grill niedergelassen. Ich grüße freundlich und untersuche zunächst die Brücke. Die richtige Kontaktaufnahme überlasse ich in solchen Fällen meist Rendel, die mit ihren Türkischkenntnissen noch schneller mit den Leuten warm wird. Ich raune ihr zu: „Wetten, dass wir eingeladen werden?“ Rendel mag dem aber nicht entgegenhalten. Während ich noch mit Fotografieren beschäftigt bin, signalisiert sie mir, dass wir beide die Wette gewonnen haben. Neben lecker gegrilltem Hähnchen gibt es Muhlama, eine hiesige Spezialität, die wie Rührei aussieht, aber vor allem aus Käse, Mehl und Öl besteht. Und dann natürlich die üblichen gegrillten Peperoni, Tomaten und und und.

Die Leute gehören auch zu den Hemşinli, die Frauen in der typischen Kleidung. Die Familie hat in den letzten Tagen die Tee-Ernte eingebracht und feiert das mit einem großen Picknick, bevor es in den nächsten Tagen zu Besuchen in die Städte usw. geht. Regen darf den Einheimischen hier nichts ausmachen, als es zu tröpfeln anfängt, werden Schirme aufgestellt, auch die Ladeklappe eines Vans dient als Unterstand. Wir, die wir rutschig-nasse Straßen nicht mögen, verabschieden uns und machen uns auf den Heimweg. Zum Glück ist der eigentliche Regen schon vorbei, was ich vor allem im Blick auf die Kopfsteinstrecke zu schätzen weiß.

Nachdem ich die Marterstrecke souverän gemeistert habe, bin ich für Rendel der Held – und für heute reicht’s dann auch, sowohl an Fahrerei als auch im Blick auf die Erlebnisse und Eindrücke. Klar ist mir auch: Sollte ich je noch mal in die Versuchung geraten, über ein Leben in der Türkei nachzudenken – diese Gegend käme mir längerfristig sicher mehr entgegen als die üblichen Plätze an Ägäis und Riviera.

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Am Wendepunkt

Von hier aus werden wir uns wieder langsam Richtung Westen vorarbeiten. Unsere Planung sieht vor, dass wir über Trabzon bis Ünye fahren, mehr lässt der Fahrtag sinnvollerweise nicht zu. Gerne unterhalten wir uns noch ein wenig mit unserem Gastgeber. İdris Duman ist mit seinen 83 geistig noch voll auf der Höhe, ein sehr kluger, aber auch sehr charmanter Herr, der sein verschmitztes Lächeln noch unterstreicht, wenn er die Augen zusammenkneift. Er bezeichnet sich als Atheist, den es vor allem wurmt, dass mit seinen Steuern immer neue Moscheebauten unterstützt werden. Besonders beklagt er sich jedoch über die wirtschaftlich motivierte und zudem häufig völlig unsinnige Verunstaltung der Natur. „Man kann alles kaufen, die Natur aber nicht – deshalb müssen wir sie bewahren“, lautet sein Credo. So hofft er, dass das Staudammprojekt, das die Fırtına aufstauen soll, nicht nur kurzfristig auf Eis, sondern endgültig ad acta gelegt wurde. Deutlich macht er den Unsinn auch daran, dass etwa Hochspannungs-Trassen in die Berge gelegt werden, wo nur ein paar Leute wohnen, die lediglich Strom für einige Glühbirnen brauchen. İdris war als Ingenieur in der ganzen Welt mit diesen Fragen beschäftigt und plädiert für dezentrale, kleine Lösungen für die Energieversorgung. Ob man seinen Ansichten zustimmt oder nicht, eine Bereicherung sind derartige Begegnungen und Gespräche allemal.

Rendel meint, noch mal kurz in den Ort gehen zu wollen und mir dabei auch eine neue Scheinwerferbirne zu besorgen. Als ich ihr von meinem Navi ausrechnen lasse, dass es knapp 11 Kilometer bis Çamlıhemsin sind, lässt sie schnell von ihren Plänen ab. Wir lassen uns noch mal die leckere Hausmannskost schmecken, heute als Hauptgericht Köfte, sehr lecker mit viel Gemüse zubereitet. Außer uns ist nur noch ein Paar in der Pension – eine Französin in unserem Alter mit ihrem Reisebegleiter. Sie ist das erste Mal in der Türkei und gleich ganz hin und weg. Für den letzten Tag sucht sie noch ein Ziel, das man erwandern kann – ich empfehle ihr das Kuştul-Kloster in der Nähe von Trabzon, woraufhin sie mir den Titel „Master of Turkey“ verleiht. – Wenn die Sonne niedrig steht, werfen selbst Zwerge lange Schatten.

Am Morgen sind wir schon kurz nach acht unterwegs. Noch einmal genießen wir den Blick auf diese fantastische Gegend, bevor wir wieder auf die Küstenstraße stoßen. Etliche Motorradreisende, mit denen wir während der Tour in Kontakt waren, beklagten sich über schlechtes Wetter, oftmals Regen über Tage. Wir brauchten die Regenkombi nur ganz am Anfang einmal, sonst war das Wetter in der Regel so, wie es für unsere Art des Reisens optimal ist.

Dass uns die Küstenstraße auch in dem heutigen Abschnitt nicht ganz so öde vorkommt wie vor drei Jahren, mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass das Wetter mitspielt. Während die Gegend um Rize vom Teeanbau geprägt war, sind wir hier bei Ordu ganz im Zentrum des Haselnussanbaus. Ein Großteil der Weltproduktion stammt von hier – Nutella lässt grüßen.

Mir fällt auf, dass auch meine zweite Scheinwerferbirne das Zeitliche gesegnet hat; jetzt zieht noch leichter Regen auf, es muss also Abhilfe her. Nun kann man aber in der Türkei wegen solch einer Birne nicht einfach eine Tankstelle anfahren, für so etwas muss man ein so genanntes „Sanayi“ aufsuchen, das meist irgendwo am Ortsrand ansässig ist. Hier sind alle mit KFZ befassten Firmen konzentriert. Nach einigem Suchen finden wir in Fatsa ein solches Gewerbegebiet und suchen die Bude mit „Oto Elektrik“. Ja, die Birnen hat er – zwar mit 100 statt 55 Watt – aber watt soll’s? Jemand spricht uns auf deutsch an. Er sah uns die Hauptstraße verlassen und sich genötigt zu fragen, ob wir Hilfe bräuchten. Die wird uns tatsächlich zuteil, statt dass ich mir die Finger brechen muss, hat der Fachmann gleich die Birne unter der Verkleidung eingefädelt (ich hätte das unter der interessierten Beobachtung von zwanzig Augenpaaren eh nicht bewerkstelligen können).

Ünye als Stadt sagt uns nicht viel, wir hatten es einmal passiert und dabei die Reste der alten Festung wahrgenommen. Die ganze Gegend gehörte zum alten Königreich Pontus, das Caesar schließlich unterwarf. Der Gebirgszug, der hier bis ans Meer reicht, trägt bis heute den Namen „Pontisches Gebirge“. Als Unterkunft soll heute, nachdem wir uns in den letzten Tagen so bescheiden gegeben haben, mal wieder eine dieser schönen alten Villen dienen, ein so genannter „Konak“. So sehr ich Landkarten liebe, so sehr schätze ich mittlerweile die Hilfe des Navis bei der spätnachmittäglichen Hotelsuche. Wenn man eh geschafft ist, der Schweiß aus allen Poren rinnt und der Verkehr ein Übriges tut, ist man über diesen Pfadfinder dankbar. So werden wir tatsächlich schnell und fast ohne Umweg zum „Sebile Hanım Konağı“ geführt.

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Gespräche auf Ministerebene

Der Inhaber des Konaks begrüßt uns auf deutsch, kein Wunder, er war früher Deutschlehrer. Die Motorräder dürfen wir im lauschigen Innenhof abstellen. Schnell abgerödelt, während das Zimmermädchen die Betten nach unseren Wünschen herrichtet – zwei Einzelbetten. (Nein, bei uns stimmt noch alles. Aber das Gezerre um die Bettdecke liegt uns nicht, zudem bin ich nachts etwas unruhiger.) Der Inhaber zeigt uns Fotos von der Ruine des Hauses, das er vor einigen Jahren stilvoll wiederhergerichtet hat. Der Preis ist akzeptabel, auch, wenn Rendel zunächst eiskalt duschen muss.

Bevor ich mich in ein besseres Etablissement traue, muss ich mir erst einmal ein zivileres Aussehen verschaffen – die letzte Rasur war in Şanlıurfa am anderen Ende der Republik. Der Barbier geht routiniert zu Werke, während mich sein etwa dreizehnjähriger Lehrling die ganze Zeit fasziniert anschaut. (Aus dem Jungen wird mal was!) Das İskele Restaurant soll das beste Haus am Platze sein, wir sind jedoch etwas enttäuscht. Ich ziehe im letzten Moment meine Entscheidung, hier noch einmal Seefisch zu essen, zurück, und bestelle (wie blöd muss man sein?) etwas Mexikanisches. Das ist dann auch entsprechend nix Halbes und nix Ganzes. Rendel hingegen ist ganz zufrieden mit ihrem „Levrek“, Wolfsbarsch, zumal sich herausstellt, dass der ganze Fisch nur etwa fünf Euro kosten soll. Ich bestrafe mich für meinen Fehlgriff mit einem Fläschen Şalgam. Nein, keine hiesige Rotweinsorte, sondern vergorener Steckrübensaft (Alkohol gibt es in den meisten dieser Restaurants eh nicht). Gewiss nicht jedermanns Geschmack.
Wir stromern noch ein wenig durch die Stadt, auffällig sauber und gepflegt, mit vielen Blumenbeeten. Bevor wir uns auf den Rückweg in unseren Konak machen, genießen wir noch die abendliche Atmosphäre an der Kaimauer, in deren Nähe sich auch ein Denkmal für Yunus Emre (1240–1321), den türkischen Volksdichter schlechthin, befindet.

Zurück im Hotel setzen wir uns noch ein wenig in den Innenhof. Auf meine Frage nach Wein kommt der Patron mit einem georgischen Wein daher – eigentlich sind die dortigen Tropfen mit das Beste, was man sich hier antun kann, ist Georgien doch das älteste Weinland der Welt. Dieser Tonflasche mit geprägten bunten Verzierungen und einem am Flaschenhals baumelnden Trinkhörnchen ist aber nicht zu trauen, der Hinweis auf „halbtrocken“ lässt mich dann vollends zurückschrecken, dann doch lieber die bewährten „Ochsenaugen“.

Auf einmal kommt Bewegung in den Laden. Ein Tisch füllt sich mit einer Reihe Anzugträgern, im Eingangsbereich postieren sich wichtig aussehende Typen mit Funkgeräten und Pistolenholstern. Der Hotelier sagt uns, dass es sich um den stellvertretenden türkischen Umweltminister mit seiner Entourage sowie etlichen Provinzgrößen handelt. Nachdem alle Platz genommen haben, ergreift unser Gastgeber das Wort und stellt den Herren seine anderen Gäste vor – zwei wichtige deutsche Reisende, die es sich nicht nehmen ließen, auch in seinem schönen Haus zu logieren, was mit Applaus quittiert wird.

Nachdem meine Flasche Wein geleert ist, werde ich mutig, begebe mich an den Nachbartisch und frage die Herren, ob sie vielleicht noch zu einem gemeinsamen Foto bereit wären. Nichts lieber als das, die beiden höchstrangigen und unser Hotelier stellen sich auf, ihre Helfer nehmen meine Kamera und machen ein paar Bilder, wofür sich der Herr Minister dann auch artig bedankt.

Unausgewogenheit kann man uns nicht vorwerfen – vor ein paar Tagen noch mit der PKK im Gespräch, heute mit Regierungsvertretern.

Die Herren haben auch im Haus geschlafen, als wir die Motorräder aufrödeln, lassen sie nochmal von ihren Gesprächen ab und beobachten uns interessiert. Kurz drauf brechen beide Delegationen auf – die Anzugträger in einem VW-Bus mit verdunkelten Scheiben und einem Kommunikationsdom auf dem Dach, wir auf unseren alten Hondas.

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Die Schönste unter den Städten – Amasya

Rendel ist mit leichter Migräne aufgewacht, mal sehen, wie es sich entwickelt. Wir haben uns vorgenommen, entgegen erster Planung doch noch mal einen Abstecher nach Kappadokien zu machen, was aber an einem Tag nicht gut zu schaffen ist, weswegen Amasya als Zwischenstopp dienen soll. An der Tankstelle ist man erstaunt, dass wir die alte Strecke über Niksar nehmen wollen, aber a) liegt am Weg eine nette Familienunterkunft, die wir vor Jahren schon einmal genossen haben (falls es mit Rendels Kopf schlechter werden sollte), b) ist die Strecke wesentlich schöner, denn es geht noch mal so richtig durchs Pontische Gebirge. Zum Glück fühlt sich Rendel bald besser, schon am frühen Nachmittag fahren wir in Amasya ein, oder besser: „kriechen“. Da die Umgehung noch nicht fertig ist, quält sich der Verkehr durch das enge Tal des Yeşilırmak, an dessen Ufer sich im Altstadtbereich diese schönen osmanischen Erkerhäuser entlangziehen. In einem dieser Häuser hatten wir mal übernachtet, auch heute wollen wir eines ansteuern. Das endlose „Stop and go“ nervt jedoch, das Navi kennt das Haus noch nicht, die Motorenlüftungen laufen auf Hochtouren. Schnell umdisponiert und „Melis Hotel“ eingegeben. Dort waren wir auch schon mal, da wissen wir, was uns erwartet. Levent Aslan, der Inhaber, nimmt uns freundlich in Empfang und wir beziehen unser Zimmer im dritten Stock.

Amasya gilt als die schönste Stadt Zentralanatoliens, ein Prädikat, das man ihr nur schwer absprechen kann. Da ist zunächst die Lage, eingezwängt in das Tal des Yeşilırmak, flankiert von wirklich hohen, steil aufragenden Bergen. Beherrscht wird die Szenerie von den großen, in die Felsen gehauenen Königsgräbern aus der Zeit der pontischen Herrscher. Und dann eben die gut erhaltene osmanische Architektur, die sich besonders eindrücklich in den genannten Erkerhäusern zeigt. Dazu kommen etliche Moscheen, Grabdenkmäler (so genannte „Türben“), ein „Bedesten“, hiesiger Vorläufer unserer heutigen Einkaufszentren, der früher eine „Kütüphane“, also eine Bibliothek beherbergte, eine Funktion, die er heute wieder innehat. Amasya war früher Hauptstadt des Pontischen Königreichs, bis Caesar ganz hier in der Nähe, beim Städtchen Zile, den letzten pontischen König in einer nur vierstündigen Schlacht besiegte. Die knappe Vollzugsmeldung an den römischen Senat ist sprichwörtlich: „Veni, vidi, vici“ – „Ich kam, sah, siegte“. Ein weiterer großer Sohn der Stadt ist Strabon, der als einer der ersten Geographen gilt.

Gegenüber der Zitadelle, auf dem anderen Berg, prangt ganz oben ein Schriftzug: „Ali Kaya“. Dieses Restaurant mit einem wahrhaft fantastischen Blick über ganz Amasya soll heute für unser leibliches Wohl sorgen. Levent lässt uns einen der begehrten Plätze direkt an der Felskante reservieren und besorgt uns zudem ein Taxi dort hoch. Auch diesen Ausblick konnten wir früher schon genießen, aber das kann man sich immer wieder antun.

Überall in der Türkei bekommt man die üblichen Gerichte wie Kebab, Kavurma, Şiş in allen Variationen und natürlich meist auch die legendären „Mezeler“, die Vorspeisen. Jede Region hat aber auch ihre Spezialitäten, die man sich nicht entgehen lassen sollte. Neben etlichen Vorspeisen entscheiden wir uns heute für ein Tokat Kebab, jedoch nicht ganz in der Originalversion, also mit Lamm, sondern mit Hähnchenfleisch. Angerichtet ist das Ganze mit Auberginen-Stücken, die scharf angebraten sind, also so, dass die Schale verbrannt ist, dazu gebratene Kartoffelscheiben, auch leicht angebrannt, und als Krönung eine ganze gegarte Knoblauchknolle. Klingt unspektakulär, schmeckt aber, wenn entsprechend gewürzt und abgeschmeckt, fantastisch (so gut, dass ich es am nächsten Tag noch mal nehmen werde).

Am nächsten Vormittag erkunden wir die Stadt und müssen feststellen, dass wir bei unserem ersten Besuch etliches noch nicht gesehen (oder vergessen) haben. Interessant ist eine Art Krankenhaus aus dem 13. Jahrhundert, das heute ein Museum beherbergt, in dem medizinische Gerätschaften aus vergangenen Jahrhunderten gezeigt werden, teilweise gruselig, etwa Instrumente zur Hämorrhoiden- und Blasenstein-Entfernung, Beschneidungswerkzeug und etliches mehr. Wirklich interessant ist jedoch eine Sammlung verschiedener Musikinstrumente, die zur Linderung psychischer Beschwerden eingesetzt wurden. Dabei sind bestimmte Instrumente bestimmten Erkrankungen zugeordnet – Musiktherapie auf osmanisch. Als wir das Museum verlassen, spricht uns eine alte Omi mit Kopftuch und einem ganz lieben Gesicht an, fragt nach einer Buslinie. Als Rendel ihr auf Türkisch klarmacht, dass wir aus Deutschland kommen, strahlt sie uns an, umarmt Rendel und drückt ihr einen Kuss auf die Wange.

Bevor wir uns am Abend noch mal ins Ali Kaya bringen lassen wollen, treffen im Hotel zwei Deutsche ein – Cousins aus Frankfurt, die mit dem Auto eine Rundreise machen. Wir verabreden uns, gemeinsam ins Lokal auf dem Berg zu fahren, wo wir einen angenehmen Abend verbringen, der seinen endgültigen Ausklang im Hotel mit Levent findet, der uns noch einiges an Einblick in die korrupten Strukturen der türkischen Wirtschaft allgemein und in Amasya im Besonderen gibt.

Für die Rücktour haben wir uns entschlossen, doch wieder in unserem geliebten Old Greek House im kappadokischen Mustafapaşa einzukehren, was morgen eine Tour von etwa 340 Kilometern bedeuten wird.

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Unvermeidliche Highlights – Kappadokien

Ich sitze hier mit Blick über den Beyşehir-See. In der Abendsonne wiegt sich das Schilf, die Berge, die fast den ganzen See umgeben, zeichnen sich noch sanft und in der Tiefe gestaffelt gegen den Himmel ab. Meine Gedanken gehen zurück zu den vergangenen Tagen. Vor drei Tagen führte uns eine recht unspektakuläre Etappe nach Mustafapaşa, etwas südlich von den Hotspots Kappadokiens. Eigentlich wollten wir diesen Landstrich in diesem Jahr komplett aussparen, jetzt sind wir – nach Güzelyurt zu Anfang – zum zweiten Mal in der Gegend. Soviel zum Thema Planung. Aber so sind unsere Touren ja auch angelegt: maximale Vorbereitung, so, als könne man alles sehen, wohl wissend, dass es nur zu einem Bruchteil reichen wird.

Jetzt also wieder Mustafapaşa. Die Wendung vom „wie nach Hause kommen“ trifft natürlich nie wirklich zu, aber es gibt Orte, die dem sehr nahe kommen. Im „Old Greek House“ waren wir in diesem Jahr angemeldet (nachdem wir im letzten Jahr zunächst mit einem, allerdings höchst komfortablen Provisorium vorliebnehmen mussten). Als wir dort vorfahren, werden wir gleich von der ganzen Familie Öztürk und den Angestellten, die wir schon seit Jahren kennen, herzlich begrüßt. Die Motorradjacken noch nicht ausgezogen, gibt es schon mal Tee, Kuchen, noch warmes Börek. Aufmerksam wie sie sind, haben sie uns „unser“ Zimmer, das „Şaçmalık“, reserviert (was auf deutsch „Nonsens, dummes Zeug“ bedeutet …). Da wir nur zwei Nächte bleiben wollen, brechen wir noch am frühen Abend auf einem Motorrad zu einem kleinen Ausflug auf, kurz zum Aktepe, wo es einige wunderliche Felsformationen gibt, und zur Pancarlık-(Rote Bete-)Kirche. Ein Gewitter zieht auf, wir kommen trocken „nach Hause“, Hüseyin, unser Patron, berichtet aber später, dass es in Nevşehir kaum ein Durchkommen gegeben hat, das Wasser sei fast knietief in den Straßen gestanden. Emine, seine Frau, freut sich, uns wieder mit dem Abendessen verwöhnen zu dürfen.

Das Haus ist fast leer, Mai ist immer Hochsaison, dann dauere es etwas, bis die türkischen Gäste in den Ferien kommen, ein weiterer Höhepunkt ist dann im September.

Wir entschließen uns, drei Nächte zu bleiben, morgen wollen wir uns ein paar Kappadokien-Highlights zu Gemüte führen.

Man mag es kaum glauben: Wir waren etwa dreißig Mal in der Türkei, aber noch nie in İstanbul. Ähnlich verhält es sich mit Kappadokien – wir sind jetzt das achte Mal da, haben aber noch nie die echten „Must see“ gesehen, also etwa Göreme oder Çavusin. Das soll sich ändern, heute wollen wir uns das antun, von dem wir wissen, dass wir es zeitgleich mit hunderten anderer Touristen teilen müssen. Aber hier endet eben der Snobismus, mit dem wir uns bislang nur den Ecken gewidmet haben, in denen wir fast allein waren. Also mutig zunächst das „Göreme Open Air Museum“ angesteuert. Die 500 Meter Serpentinen auf Kopfsteinpflaster machen mich für heute für Rendel schon wieder zu ihrem Helden.

In dem Ort, in dem ich aufgewachsen bin, am Rande des Teutoburger Waldes, gibt es eine Felsformation, die man – mit etwas Fantasie und gutem Willen – als eine sitzende alte Frau deuten könnte, entsprechend wird dieser Steinhaufen, um den sich eine richtige kleine Tourismusindustrie entwickelt hat, als „Hockendes Weib“ bezeichnet.

Und dann steht man hier in Kappadokien. Etliche Male in diesen Tagen haben wir uns gesagt: „Nein, wir halten jetzt nicht mehr an. Wir fahren jetzt wie mit Scheuklappen zurück in die Pension!“

Sehenswert ist das „Open Air Museum“ tatsächlich. Ähnliche Einzelteile dieses Ensembles findet man mehr oder weniger zwar häufiger in Kappadokien, die Anordnung und Konzentration an einem Ort hat aber schon etwas. Besonders hervorzuheben sind natürlich die schön ausgemalten Kirchen, teilweise im Originalzustand, teilweise sehr gut restauriert. Schade nur, dass man dort drinnen nicht fotografieren darf (etwa die „Dunkle Kirche“).

Ich erwähnte die Touristenscharen. In diesem Jahr und zu dieser Zeit dominieren die Koreaner alles. Leider bleibt die sprichwörtliche asiatische Höflichkeit ziemlich auf der Strecke – minutenlang blockieren Einzelne die schönsten „Locations“, nur um sich für ein Posing oder ein „Selfie“ in Szene zu setzen, meist mit dem ausgestreckten Arm und dem „Victory“-Zeichen. Genauso energisch wird jedoch andererseits Zugang zu den Stätten eingefordert. So sind wir froh, dem Trubel wieder entfliehen zu können. Am Vorabend hatten wir auf der Flucht vor dem Gewitter die Nicephorus-Kirche nur im Augenwinkel wahrgenommen, heute stoppen wir dort. Hier macht sich schon wieder Stille breit, ein Bus mit Koreanern fährt vorbei, sie können nur durch die Scheibe während der Fahrt Fotos machen (ätsch!). Die Kirche ist in einen großen, monolithischen Felsen gearbeitet. Von außen wirkt es wie ein riesiger Dom, obwohl die eigentliche Kirche nur einen Bruchteil ausmacht. Direkt daneben weist ein Wegweiser nach Paşabağ und ich erinnere mich, dass das der Ort ist, wo sich noch die typischten Felsformationen finden, hoch aufragende, schlanke Obelisken, die oben noch einen „Hut“ tragen. Dieselben Naturkräfte, die diese Kuriositäten geschaffen haben, sorgen über kurz oder lang dafür, dass sie wieder zusammenfallen.

Bei der Weiterfahrt entdecken wir, dass das Gebiet noch viel größer ist als gedacht, ein riesiges Areal, auf dem eine Vielzahl der Felsen und Kirchen versammelt sind, die als kappadokien-typisch ihren Weg in die Prospekte und Poster der Fremdenverkehrsämter gefunden haben, darunter etwa die berühmten „Drillinge“. Also legen wir noch einmal unsere Scheuklappen ab und komplettieren damit unser touristisches Programm, danach ziemlich erschlagen von den vielen Eindrücken.

Dann geht es wieder ins Old Greek House, nach einem leichten Mittagessen und einem Schläfchen machen wir uns noch in den Ort auf, alte Bekanntschaften auffrischen und ein paar Mitbringsel einkaufen. Feste Größe dabei ist Çavit, der unaufdringlich-freundliche Shopbesitzer, der geduldig unser Türkisch verbessert. Nie hat er in den vergangenen Jahren auch nur ansatzweise versucht, uns irgendetwas zu verkaufen. Er stellt uns einem alten, wahrhaften „Herrn“ vor – heller Anzug, Weste, Krawatte – ungewöhnliches Alltagsoutfit in diesem kleinen Ort. Mich verwundert es nicht, dass er auch noch Stofftaschentücher benutzt.

Nicht gerechnet haben wir an diesem Abend mit dem alten Ahmet, der, weit über siebzig, immer noch die Hotelgäste mit seinem Löffeltanz und Gesang unterhält. Auch er ist hocherfreut, uns wiederzusehen, strahlt, herzt und küsst uns immer wieder. Er fährt immer noch seine 1968er-Jawa, die genau so unverwüstlich zu sein scheint wie er selbst.

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Ein Loch in der Landschaft – Obruk

Ein letztes Mal genießen wir das grandiose Frühstück und sind dann schon kurz nach acht unterwegs. Der Himmel ist zunächst noch verhangen, in unserer Richtung klart es aber schnell auf, schon kurz nach Aksaray wärmt die Sonne von einem makellos blauen Himmel. Die Gegend zwischen Aksaray und Konya ist fast topfeben, nennt sich entsprechend auch Obruk-Ebene, wobei „obruk“ soviel heißt wie „konkav“, also wohl leicht schüsselförmig. Diese Ebene ist ein Karstgebiet, der Untergrund besteht also – vereinfacht – aus karbonathaltigem Material, das wasserlöslich ist. Das führt von Fall zu Fall dazu, dass der Untergrund zusammenbricht und sich so genannte „Dolinen“ bilden, häufig fast kreisrunde Löcher, die sich zum Teil mit Wasser füllen. Da eh eine Rast ansteht, steuern wir auf etwa der Hälfte der Strecke zwischen Aksaray und Konya das Örtchen Obruk an, hier soll es eine Karawanserei geben, nicht ganz so prächtig wie die von Sultanhanı, die ja auch an der Strecke liegt. Diese Karawansereien waren entlang der Haupt-Karawanenstraßen im Abstand von etwa 30 bis 40 Kilometern platziert, also der Strecke, die eine Karawane innerhalb eines üblichen „Wandertags“ absolvieren konnte. Dort wurden Mensch und Tier versorgt, wobei die ersten drei Tage kostenfrei waren – Vorläufer der heutigen Autohöfe (abgesehen von den drei Tagen „auf’s Haus“).

Leider ist der Zugang zum Innenhof wegen Restaurierungsarbeiten geschlossen, innen soll sich eine alte Kirche befinden. Um noch eine bessere Fotoposition zu finden, marschiere ich um den Komplex herum, um dann erschrocken stehenzubleiben: Direkt hinter der rückwärtigen Mauer des Han tut sich ein gähnendes Loch auf! Unvermittelt stehe ich vor der – wie ich später erfahre – größten Doline der Obruk-Ebene. Auch diese ist mit Wasser gefüllt, der Wasserspiegel steht etwa 20 Meter unter dem „Kraterrand“. Die Fläche ist fast kreisförmig, der Durchmesser vielleicht 250 bis 300 Meter. Neben dem Han ist ein Zelt als Teehaus aufgebaut, bis auf den Betreiber verwaist. Als wir einen Tee bestellt haben, gesellt sich ein älterer Herr mit sonnengegerbtem Gesicht zu uns. Auf Türkisch erzählt er uns, dass er eigentlich aus Diyarbakır kommt und landesweit mit der Restauration derartiger Projekte beschäftigt ist. (Erfreut ist er natürlich, als wir ihm von unseren Besuchen in seiner Heimatstadt berichten und wie schön wir diese finden.)

Erstaunt hören wir, dass diese mit etwa 200 Metern auch die tiefste der 35 Dolinen in der Gegend ist. Sie beherbergt eine Fischart, deren Exemplare armlang und bis zu 20 Kilo schwer werden können. Derartige „Entdeckungen“ sind für uns das Faszinierendste mit an der Türkei – gleich „um die Ecke“ gibt es immer noch mehr zu sehen.

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„Türkische Sterne“ – Kunstflieger in Konya

Faszination und Albtraum liegen oft nahe beieinander – Letzterer stellt sich oft dann ein, wenn wir durch eine Großstadt müssen und weder Karte noch Navi noch wir selbst wirklich einen Plan haben, wo es langgeht. Zwar ist die Millionenstadt Konya gut zu durchfahren, aber wenn man nicht weiß, welchen Vorwegweisern man zunächst folgen muss, verfranzt man sich leicht – so auch wir. (Eine kurze Zwischenbemerkung zu den türkischen Straßen: Erstaunlich oft fanden wir in diesem Jahr dort, wo wir beim letzten Mal noch auf kleinen Sträßchen fahren konnten, vierspurige, autobahnähnliche Straßen vor. Das ist unter motorradfahrerischen Gesichtspunkten nicht immer schön, es ist jedoch erstaunlich, welchen enormen Aufwand die Türkei für Infrastrukturmaßnahmen treibt – ganz im Gegensatz zu deutschen Verhältnissen. Diese Leistung erscheint nochmals größer, wenn man bedenkt, wie aufwändig manche Trassenführungen wegen der Landschaftsstruktur ausfallen müssen.)

Nun also verfranzt in Konya. Auf Höhe des Flughafens steht endgültig fest, dass es die falsche Richtung ist – und keine Chance zum „Dönüş“, zur Wende (das Wort „Döner“, also Fleisch vom Drehspieß, hat – für die Türkisch-Unkundigen – dieselbe Wurzel). Auf der gegenüberliegenden Seite sehe ich große Wrackteile eines Passagierflugzeugs – vielleicht kann ich das, wenn die Wende doch noch gelingen sollte, fotografieren. Endlich können wir drehen und uns bestätigen lassen, dass die neue Richtung tatsächlich stimmt. Der Rumpf des Flugzeugs steht auf Stelzen, der Rest – Flügel, Leitwerk etc. – liegt daneben. Vor einer Baubude sitzen etliche Arbeiter beim Mittagessen, denen ich ein freundliches „Afiyet olsun!“ – „Guten Appetit“ – zurufe, was umgehend mit einem „Buyrun!“ – „Komm her!“ und der Einladung, doch zuzugreifen, quittiert wird. Erst lehne ich ab, lasse mich dann aber breitschlagen. Ich rufe Rendel dazu und wir müssen wenigstens noch ein Stück Wassermelone mitessen. Der Vorarbeiter erklärt uns, dass der Flugzeugrumpf und Anbauten später als Restaurant dienen sollen. Neben uns landen einige Kampfjets, was einen alten Luftwaffenangehörigen natürlich interessiert. Aber auch ich zucke zusammen, als kurz darauf infernalischer Krach aufkommt: Einige untypisch bunt lackierte uralte F-5-Jets heben gleichzeitig ab und gruppieren sich umgehend zu einer Formation. Auch wir machen uns startklar und verabschieden uns von unseren kurzzeitigen Gastgebern, wieder einmal etwas geplättet von deren spontaner Gastfreundschaft.

In dem Moment, wo wir wieder Gas geben, dröhnt es über uns unglaublich. Die bunten Jets bilden offensichtlich die in Konya stationierte Militär-Kunstflugstaffel „Türkische Sterne“, die buchstäblich direkt über unseren Köpfen in Achterformation steil nach oben abdreht und in dem Moment ihre Farbkartuschen auslöst und einen Schweif in den Staffelfarben rot und weiß hinter sich herzieht. Nee, ich muss schon sagen: Die bieten uns echt etwas! (Hier ein Link zu einem Film über die Kunstflugstaffel „Türkische Sterne“: Türkische Sterne)

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„Fliederquelle“ – Eflatun Pınar und Beyşehir-See

Begeistert von dieser Darbietung nehmen wir wieder Fahrt auf. Es ist früh genug, noch einen Abstecher nach Eflatun Pınar zu machen, nur ein Umweg von einigen Kilometern. Vor Jahren haben wir dieses hethitische Quellheiligtum schon einmal besucht, waren davon so beeindruckt, dass es sicher auch ein zweites Mal lohnen würde. Etwas verwunschener wirkte es seinerzeit schon, gewonnen hat das Areal allerdings dadurch, dass die Reliefs und Statuen jetzt besser zugänglich sind und etwa die Wasserspeier wieder so in Funktion sind wie vor über 3000 Jahren. Gänzlich dieselbe ist jedoch die Frau, die uns schon vor Jahren ihre selbstgestrickten Socken angeboten hat.

Das Motel Atapark liegt gut 10 Kilometer westlich von Beyşehir direkt am Ufer der gleichnamigen Sees. Die Inhaberin erkennt uns auf Anhieb wieder und meint: „Ihr müsst die Türkei ja wirklich lieben!“ Als einzige Gäste können wir die Ruhe tatsächlich genießen, erfreuen uns an dem schönen Abendhimmel und dem leckeren Essen.

Nach einer angenehm kühlen Nacht machen wir uns startklar. Angesichts der geringen Gästezahl muss der Koch auch als Frühstückskellner und Rezeptionist herhalten. Wegen seiner offensichtlich unkorrigierten Fehlsichtigkeit bittet er mich hinter den Tresen, um ihm bei der Kreditkartenzahlung behilflich zu sein. Ich mache ihn darauf aufmerksam, dass der erste Zahlungsvorgang sicher nicht im Sinne des Inhabers war, denn er hat zwei Nullen vergessen – statt „185,00“ nur „1,85“ eingegeben. Da er das auf dem Quittungsstreifen nicht lesen kann, dauert es einige Zeit, bis ich ihm den Fehler klar gemacht habe. Bei der Wiederholung läuft auch irgendwas schief – ich hoffe, er kriegt keinen Ärger. (Wie er halbblind so gut kochen kann, ist mir ein Rätsel.)

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Kirschen, Wein und Wasserfälle

Die heutige Etappe soll uns bis in die Gegend von Denizli führen, jedoch unter Umgehung von Pamukkale. Aber auch hier soll es, neben der Fahrt durch schöne Landschaft, noch mindestens einen Höhepunkt geben. Dem Tipp eines Motorradkollegen, der eine Zeitlang in der Türkei als Tourguide gearbeitet hat, folgend, wollen wir uns nördlich von Pamukkale die Güney-Wasserfälle anschauen – in der Hoffnung, dort auch für die Nacht unterkommen zu können. Doch zunächst geht es am Ostufer des Beyşehir-Sees Richtung Norden (die bislang schönere Westufer-Route nehmen wir, in der Annahme, dass sie durch den Straßen-Neubau nicht mehr so schön ist, diesmal nicht), vorbei an „Antiochien in Pisidien“ (das wir vor Jahren besichtigt haben) und am Nordufer des Hoyran-Sees, wie die nördliche Abschnürung des Eğirdir-Sees heißt, entlang. Überall wird intensiv Landwirtschaft betrieben, wobei hier Sauerkirschbäume das Landschaftsbild bestimmen. Tatsächlich klauen wir ein paar Kirschen, eine jedoch unnötige Straftat. Beim nächsten Tankstopp stellt sich der Tankstellenbesitzer als Bürgermeister des Ortes vor, nimmt uns bei der Hand und führt uns ungefragt zu einigen Kirschbäumen und Erdbeerbeeten, wo wir uns eindecken dürfen. Beim Genuss der selbst gepflückten Kirschen habe ich den Geschmack meiner Kindheit auf der Zunge.

Nach der Kleinstadt Dinar passieren wir das Ufer des Acıgöl, eines Salzsees, der optisch viel schöner wirkt als der wesentlich größere Tuz Gölü westlich von Kappadokien. Jetzt gilt es, den Weg zu besagtem Wasserfall herauszufinden. Es ist immer etwas heikel, wenn die Sonne so vom Himmel knallt und sich der Tag schon langsam neigt, ein Ziel abseits der Hauptstrecke anzusteuern, von dem man nicht wirklich weiß, ob der Umweg lohnt. Zur Vorsicht haben wir uns in der Nähe ein Kurhotel ausgeguckt, in dem wir notfalls Quartier nehmen könnten.

In dieser Woche ist in der Türkei ein Alkohol-Werbeverbot in Kraft getreten. Augenfälligste und auch etwas skurrile Konsequenz ist, dass die fast allgegenwärtigen blauen Schilder und Leuchtwerbetafeln der „Efes“-Brauerei derart abgeklebt oder überpinselt werden müssen, dass eben der Hinweis auf „Efes Pilsen“ nicht mehr erkennbar ist. – Tja, und dann fährt man durch die Gegend um Denizli – Rebflächen, soweit das Auge reicht! Und soll mir niemand erzählen, dass die Trauben nur zum Essen und für Saft gedacht sind.

Früh sehen wir den Wegweiser zu den Güney Şelalesi, den Wasserfällen, was unserer Hoffnung Auftrieb gibt, dass sich bei einem bekannten Ausflugsziel auch eine Unterkunft finden lässt. Wir müssen durch das kleine, am Hang gelegene Örtchen Güney, das so unübersichtlich ist, dass wir uns mehrmals verlieren. Schließlich geht es über etliche Serpentinen zunächst talabwärts, dann wieder hinauf, bis wir die Wasserfälle entdecken. Die brutale Hitze macht uns mittlerweile zu schaffen. Zum Glück gibt es dort ein Gartenlokal mit Schatten und kühlen Getränken. Ausgesprochen spektakulär sind die Fälle nicht, aber doch in ihrer Ausformung recht sehenswert und malerisch gelegen. Nachdem wir etwas abgekühlt sind, fragen wir nach einer Unterkunft – leider Essig! Nachdem das Kurhotel vielleicht doch nicht so unser Ding ist, sammeln wir noch mal alle restlichen Kräfte, bezwingen die Serpentinen und halten auf Alaşehir zu. Diese Stadt soll dem osmanischen Ansturm mit am längsten widerstanden haben, außerdem ist es das alte Philadelphia, das als eine der sieben Gemeinden aus der Johannesoffenbarung bekannt ist.

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Schmierige Bruderliebe – Alaşehir

„Philadelphia“ – „Bruderliebe“, so heißt das Hotel, das wir ansteuern. In Ermangelung einer Empfehlung haben wir uns das ausgeguckt, klingt nach einer Unterkunft für Pilgerreisende, mithin sicher akzeptabel. „Klingt nach …“ Kurz: Selbst das „Grand“ in Cizre war besser als diese Hütte! Ich scheute mich, meine nicht mehr ganz astreine Motorradjacke auf den Teppichboden zu legen – und das nicht etwa aus Sorge um den Bodenbelag. Der Knaller ist die Klobrille, von der ich annahm, dass diese Version schon lange Geschichte sei: so ein Ding aus weichem Polster-PVC, das beim Draufsetzen mit einem „Pppffff!“ in sich zusammensackt. Wer da keine Stuhlverhaltung bekommt. Als Wasser kommt am Waschbecken ausnahmsweise nur warm, dieselbe Menge, die oben aus dem Hahn kommt, läuft unterhalb des Beckens ungehindert auf den Boden. Aber okay: Die Bettwäsche riecht wenigstens leicht nach Waschmittel, wir können duschen – und für eine Nacht soll es gehen, zudem kostet es nur TL 80,- für zwei mit Frühstück. Ich hoffe nur, dass mich der Rezeptionist morgen nicht fragt, wie es uns gefallen hat. Letzterer spricht übrigens gut deutsch, gibt uns einen Tipp hinsichtlich der Ruine der Johannes-Kirche und besorgt uns ein günstiges Taxi dorthin.

Leider ist der Kirchenkomplex schon geschlossen, es sind jedoch sowieso nur noch Reste der Kirche erhalten, die jedoch noch eine Ahnung von der vormaligen Größe vermitteln können. Die Stadt wird ihrem Namen gerecht: „Alaşehir“ – „bunte Stadt“ wirkt recht jung und modern. Wir essen in einem Straßenrestaurant am Hauptplatz, der sehr belebt ist und auf dem auf einem Riesenbildschirm ein WM-Spiel übertragen wird. („Auf’s Haus“ gab es in dem Lokal übrigens ein Tonpfännchen mit geschmorten süßen Zwiebelringen – wirklich köstlich!)

Wir finden ein Taxi, deren Besitzer jedoch nirgends auftaucht. Daneben steht jedoch ein Dolmuş, dessen Fahrer uns bedeutet, dass es gleich in unsere Richtung losgehen würde. Wir sind die einzigen Fahrgäste, auch unterwegs steigt niemand zu. Als auf der gegenüberliegenden Straßenseite unser Hotel auftaucht, bitten wir den Fahrer anzuhalten. Der winkt jedoch ab, wendet bei nächster Gelegenheit und setzt uns direkt vor dem Hotel ab. Eine Bezahlung schlägt er rundweg aus, bedankt sich quasi noch, uns gefahren haben zu dürfen. Vielleicht keine „Bruderliebe“, sicher aber eine erstaunlich freundliche Geste.

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Wie ich fast die Omma tötete – Assos

Wir wachen gesund auf und müssen akzeptieren, dass heute die letzte ausschließlich türkische Etappe auf dem Programm steht. Çanakkale eingangs der Meerenge der Dardanellen hatte uns bislang nur als Fährhafen gedient, froh waren wir immer, schnell den Anleger gefunden und die quirlige Hafenstadt hinter uns gelassen zu haben. Heute wollen wir es mal mit ihr aufnehmen. Um nicht die ganze Zeit an der völlig verbauten Küste der Nordägäis entlangfahren zu müssen, nehmen wir die Route über Akhisar–Balikesir–Edremit. Und um noch ein kleines Highlight auf der Strecke zu setzen, schlage ich einen Abstecher nach Assos, dem heutigen Behramkale, vor. Ab Küçukkuyu lichtet sich die Bebauung, alles wirkt irgendwie urtümlicher und improvisierter – abgesehen von einigen größeren Hotels, die sich auch hier finden. Die Strecke zieht sich doch länger als erwartet. Richtig schlimm wird es einige Kilometer vor Assos, wo frische Teerarbeiten das Fahren zur Rutschpartie machen (von der Sauerei an den Moppeds ganz zu schweigen). Ich verfluche diesen Tag und bereue, den (vermeintlichen) Abstecher vorgeschlagen zu haben. Vollends den Rest gibt mir die Einfahrt in das am Hang gelegene Assos. Die Gassen sind gesäumt von Ständen mit Handarbeiten, Kitsch und allerlei „Gruschd“. Ich mag ja alte Omas, aber die, die mir schon, als ich noch im Schweiße meines Angesichts versuche, auf dem steilen, mit Wackersteinen gepflasterten Dorfplatz mein Mopped sicher zu wenden, eine ihrer Handarbeiten hinhält, hätte ich am liebsten umgefahren (wenn ich nicht Gefahr gelaufen wäre, dabei selbst auf die Schnauze zu fallen).

Okay, erst einmal etwas Schatten finden und sich orientieren. Zur Festung und dem Aphrodite-Tempel müssen wir weiter die Straße hoch, vorbei an den Händlerinnen, die aber, wohl angesichts unserer Aufmachung, wenig Anstalten machen, uns etwas anzudienen. Die Lage von Assos ist wirklich einmalig, hoch über der Ägäisküste thronend. Die Festung ist noch gut erhalten, vom Tempel stehen noch etliche Säulen – so langsam versöhne ich mich ein wenig mit dem Tag, erwäge sogar, meinen Fluch zurückzunehmen. Am Dorfplatz setzen wir uns in eine Bar und schütten den hier sehr verbreiteten Karadut Suyu, also Maulbeersaft, in uns hinein. Etwas nervös macht uns die Aussicht, dass die Abkürzung nach Çanakkale über die abschüssige Wackersteinstraße führen könnte, was Rendel vor arge Probleme stellen könnte. Glücklicherweise erweist sich die Befürchtung als unbegründet, auf einem normalen Sträßchen gleiten wir den Hang herab. Als ich dann noch die herrliche, gut erhaltene römische Bogenbrücke entdecke, bereue ich die Fahrt hierher nicht mehr. Die Brücke ist kein Teil des offiziellen Fahrwegs, über ein paar Meter Schotter kann man sie jedoch erreichen – ein schönes Motiv: ich auf dem Motorrad oben auf der römischen Brücke.

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Letzte Runde – Çanakkale

Erstaunlich schnell erreichen wir über ein Traumsträßchen (durch eine Gegend, die aussieht, wie man sich Ägäis eben vorstellt) die neue, vierspurige Piste über Ezine nach Çanakkale, für die Abzweigung zum Fähranleger nach Gökçeada bleibt nur ein wehmütiger Blick.

Die Hotelauswahl für Çanakkale ist groß, die Beschreibung des „Anzac“ klingt gut. Die ganze Gegend um die Gelibolu-(Gallipoli)-Halbinsel ist geprägt vom Andenken an die Schlachten des 1. Weltkriegs, als hier die Truppen unter Mustafa Kemal, der dann als Atatürk in die Geschichte eingehen sollte, denen einer Koalition aus Australiern und Neuseeländern gegenüberstanden. Das „ANZAC“, das auch im Namen unseres Hotels auftaucht, steht entsprechend für „Australian and New Zealand Army Corps“, jedes Jahr zum ANZAC DAY am 25. April strömen Nachfahren der beteiligten Soldaten auf die Gelibolu-Halbinsel.

Auf den letzten Metern zum Hotel bekomme ich – nach vielen Monaten ohne – einen Migräneanfall, wohl der Anstrengung und der Hitze geschuldet. Durch die begleitenden Sehstörungen halbblind, versuche ich, uns zum Hotel zu navigieren. Dann die Hiobsbotschaft: ausgebucht! Aber die Jungs an der Rezeption reagieren flexibel. Erst wollen sie uns Ersatz besorgen, dann stornieren sie kurzfristig eine Buchung, von der sie meinen, dass sie eh nicht wahrgenommen wird. Während ich in der Lobby vor mich hin dämmere, bezieht Rendel das Zimmer. Nach einer kräftigen Dosis Ibuprofen und einer Stunde Schlaf ist das Schlimmste überstanden, kann ein Gedanke ans Abendessen erwogen werden. Statt die Moppeds noch umzuparken, lassen wir sie standesgemäß direkt auf dem Platz vor dem Hotel und damit auch unmittelbar vor dem Wahrzeichen der Stadt, dem Uhrtum, stehen.

Das „Yalova“ hat eine lange Tradition und gilt als bestes Restaurant der Stadt. Die Lage direkt an der Strandpromenade ist einmalig, gerne säßen wir draußen, angesichts meines Brummschädels müssen wir aber ein wenig suchen, bis wir ein Plätzchen gefunden haben, das vor der Abendsonne schützt. Die Speisekarte ist ellenlang, beim Aufstieg auf die Dachterrasse kamen wir schon an der Fischauslage vorbei. Leider sind unsere Fischkenntnisse nicht sehr groß, um eine Enttäuschung zu vermeiden (und mir vor allem den Kampf mit den Gräten), bestellen wir Bonfile, das sehr gut mundet. Und das Acılı Ezme ist das beste meines Lebens – auch wegen der untergemischten Walnussbröckel.

Waren wir zunächst noch ganz alleine, füllt sich die Terrasse nun schnell, viele Tische sind reserviert, unangemeldete Gäste müssen um einen Platz kämpfen. Hier scheint sich die Haute Volée der Stadt zu treffen, moderne, westlich geprägte Menschen, zumeist eher gut betucht. Wir übergeben unseren Tisch an eine Gruppe von vier deutschen Frauen, deren „Anführerin“ in Bodrum als Übersetzerin lebt.

Wir genießen noch ein wenig die Abendstimmung, flanieren mit Tausenden anderen, gut gelaunten Menschen über die Uferpromenade. Hier herrscht regelrecht Volksfeststimmung, an einem Dondurma-(Speiseeis-)Stand hat sich eine hundert Meter lange Schlange gebildet. Sicher Touri-Kitsch, aber gut gemacht: das „originale“ trojanische Pferd, das für den Film mit Brad Pitt gebaut und später der Stadt Çanakkale zur Verfügung gestellt wurde.

Das Hotel hat schon etwas mehr Klasse, vom Straßenlärm hört man nichts, die Klimanlage tut unauffällig und effektiv ihren Dienst. Da der Fähranleger in Sichtweite ist, können wir ohne unnötigen zeitlichen Vorlauf auf die Neun-Uhr-Fähre, eine halbe Stunde später sind wir wieder in „Europa“. Mit den letzten Lira tanken wir in Keşan, eine halbe Stunde später sind wir an der Grenze, weitere vier Stunden später rollen wir in Olympiada ein, wo uns Loulou, die liebenswerte Hotelbesitzerin des „Liotopi“ in die Arme schließt, Tina, ihre bienenfleißige Helferin, sei „vor Freude an die Decke gesprungen“, als sie hörte, dass wir wieder kämen. Hier ist der ideale Ort, etwas „Urlaub vom Urlaub“ zu machen, sprich: etwas runterzukommen, Erlebtes Revue passieren zu lassen und sich auch körperlich noch etwas zu erholen.

Anstatt eines Fazits zu dieser Reise: Rendel hat sich gestern von der Türkei verabschiedet – „Bis nächstes Jahr, wieder mit dem Motorrad!“

 

Zeit: 19.5. bis 19.6.2014 (ab/bis Thessaloniki)

gefahrene Kilometer (nach GPS): ca. 6.800 km

Stand: Juli 2014