Anamur mon amour

Anamur mon amour

   
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Kurze Vorbemerkung
Vor Jahren hatte ich diese kleine Geschichte mal in einem Forum gepostet. Eine der Rückmeldungen lautete: „Die Episode liest sich wirklich wunderbar. Nun kommen einem aber Zweifel, ob es sich tatsächlich um einen Erlebnisbericht handelt oder wir es hier mit einem modernen Karl May zu tun haben. Dem Autor würde ich raten, seine Episoden künftig auf Papier zu bringen und dann zu verkaufen.
Natürlich ist es jedem Leser unbenommen Zweifel zu hegen, jedoch ist diese Geschichte sowie alle anderen auf diesen Seiten selbst erlebt, selbst erlitten, selbst genossen. Dass bei der Schilderung der Erlebnisse hin und wieder ein literarischer Kniff angewendet und hier und da etwas ausgeschmückt wurde, tut der Authentizität des Erlebten keinen Abbruch. (Wieso das jedoch gerade bei der folgenden Geschichte angezweifelt wurde, erschließt sich mir ehrlich gesagt nicht. Aber das „moderner Karl May“ find ich gut …, obwohl ich sicherlich mehr echten Türken begegnet bin als Karl May Indianern …)

 

ES WAR EINMAL VOR LANGER ZEIT in einem türkischen Südküstenstädtchen, dessen Name fast jedem geläufig war, von dem aber, zumindest zu der Zeit, kaum jemand wusste, wo es liegt. Anamur. Lange bevor sich die Krakenarme der Touristenhochburgen auch nach entlegeneren Orten ausstreckten. Ein verschlafenes Nest, in dem man als Besucher noch etwas misstrauisch-interessiert gemustert wurde.

Wir sind zum zweiten Mal da. Der erste Besuch erstreckte sich nur über einige Stunden, Zweck war einfach, mal dieses legendäre „Anamur“ gesehen zu haben. Das Verschlafene erschien uns attraktiv genug, um noch mal wiederzukommen. Jetzt, zwei Jahre später, sind wir also wieder da, diesmal für ein paar Tage.

Er war uns bei unserem ersten Besuch schon einmal begegnet. Ali. Wie sonst. Fünfzig Prozent aller Türken heißen Ali. Die anderen fünfzig Prozent Mehmet – der Rest Mehmet Ali. Zu der Zeit erstreckt sich unser Türkischwortschatz auf „Merhaba“, „Dolmuş“ und – mit Mühe – „Teşekür ederim“. Ali spricht mindestens halb so gut deutsch. Zur Kontaktaufnahme an der Mole hält er uns ein Bündel abgegriffener Visitenkarten unter die Nase. Viele tragen handschriftliche Vermerke: „Fantastic!“, „Ali hat goldene Hände“, „Thank you, Ali!“ Alis erklärendes „Masaj, Masaj“ führt uns auf die richtige Spur. Der kleine alte Herr – an die sechzig muss er sein – bessert seine wohl eher schmale Rente auf, indem er Touris durchwalkt. Ich lasse mir die Visitenkarten noch mal geben und blättere sie durch. Selbst prominente Namen finden sich darunter. Ein Hamam-Besuch gehört für uns zumeist zum Pflichtprogramm einer Türkeireise. Anamur hat kein Hamam, dann also „Masaj“? Wir schauen uns unschlüssig an. „Okay, Ali, wo läuft das ab?“ Er scheint die Frage verstanden zu haben und entgegnet „My house, my house.“ Heute ist keine Zeit mehr, das Abendessen steht an. „Also, Ali: Tomorrow, 4 o’clock, okay?“ – „Okay, tomorrow masaj, my house.”

Der Tag drauf. Ich bin mir bis heute nicht sicher, wer die blöde Idee hatte, auf das Angebot einzugehen. „Du wolltest doch unbedingt!“ – „Nee, du!“ Einfach nicht auftauchen ist nicht unser Stil, also los. Die Hoffnung, dass Ali seinerseits nicht auftaucht, zerschlägt sich schnell. Wir treffen ihn an der Mole und er zockelt voran. Imposanter als das kleine Häuschen, das er sein Eigen nennt, ist sein Eheweib. Aber das hölzerne Podest, auf dem die Dame im Schneidersitz thront, ist stabil genug. Dass sie diejenige ist, die in diesem Haushalt die (Pump-)Hosen anhat, wird auch durch die lange Zigarettenspitze unterstrichen, an der sie unentwegt saugt. Wir grüßen freundlich und mit zunehmender Beklemmung, während Ali sich, immer noch im Vorgarten, umzieht.

Dann bittet er uns rein. Ein letzter wehmutsvoller Blick, dann ergeben wir uns in unser Schicksal. Madame bleibt vorerst draußen. Als sich unsere Augen an das Halbdunkel gewöhnt haben, erspähen wir eine Liege. Der Bezug erinnert mich an eine schöne Sitzgarnitur aus Büffel-Fettleder, die ich mal in einem viel zu teuren Laden gesehen habe. Allerdings besteht dieser Bezug hier aus Stoff, die speckige Oberfläche muss sich im Laufe unzähliger Massage-Sessionen gebildet haben. Mein Immunsystem hatte sich bislang als recht robust erwiesen, aber das da …? Ich erinnere mich an die Visitenkarten. Aber wenn die Seuche erst zu Hause ausbrach?

Ali reißt mich aus den Todesvisionen, indem er mir bedeutet, mich auszuziehen. Ganz? „Evet!“ Während ich mich meiner Kleidung entledige, hockt Ali auf dem Boden. Auf einem Stück Pappe stehen kleine Gläschen, wohl selbstgemischte Massageöle. Schicksalsergeben lege ich mich auf die Büffellederliege. Zuerst auf den Bauch. Ich schaue noch mal an mir runter – Tripper ist also sicher. Ali, jetzt in Jogginghose, Hemd und mit einem Petzel auf dem Kopf, kniet sich über mich. Späte Rache für die Niederlage vor Wien? Muslimische Variante des „peinlichen Verhörs“ der Inquisition? Mach wenigstens schnell!

Ein Wunsch, den ich in der Folge umgehend widerrufe. Balsamduft umgibt mich. Kraftvoll-zärtliche Hände greifen nach mir, massieren mich, immer genau auf der Grenze zwischen höchster körperlicher Wonne und dem Wunsch zuzuhauen. Den Zustand meiner Schultermuskulatur beschreibt Ali anschaulich mit „Beton“. Wer je einem kundigen und fähigen „Telak“, dem türkischen Hamam-Bademeister, in die Hände gefallen ist, der wird ansatzweise wissen, was mir widerfährt. Im Rahmen meiner Hamam-Besuche habe ich diese Prozedur häufig genossen, aber was Ali da vollführt, hat wirklich ein bisschen was von Zauberei. Viel zu schnell ist die halbe Stunde rum. Als mir die Liege gerade ans Herz gewachsen ist, nimmt mich Ali an die Hand und führt mich in den Nebenraum. Ganz augenscheinlich das, was als Küche dient: Zwiebeln und Knoblauch baumeln von der Decke, Pfannen an der Wand, ein Holzofen als Kochstelle. Ich hocke mich auf ein niedriges Bänkchen, während Ali Wasser erwärmt. Neben dem Bänkchen zieht sich eine kleine Rinne durch den Fußboden, verschwindet irgendwo in der Wand. Abfluss auf türkisch. Dann macht sich Ali daran, mich von Kopf bis Fuß zu waschen. Schließlich wickelt er mich noch in Tücher und lässt mich auf einem Stuhl Platz nehmen.

Nun ist Rendel dran. Jetzt, wo es um die Frau geht, hat sich auch die Dame des Hauses hereinbegeben und überwacht die Zeremonie, die der an mir vollzogenen gleicht. Rendel, die Zeit ihres Lebens an Verspannungen an Schulter und Rücken leidet, beteuert bis heute, niemals mehr eine bessere Massage erhalten zu haben. Nachdem auch sie die „Wasch-Küche“ durchlaufen und sich wieder angezogen hat, zeigt uns Ali noch ein Fotoalbum mit Bildern, die ihm „Patienten“ zugesandt haben. (Auch wir haben alles beweiskräftig mit Fotos dokumentiert – glaubt einem ja keiner. Aber leider nicht immer jugendfrei.)

Beim abschließenden Çay zücke ich den Geldbeutel, der verlangte Preis ist nicht billig, aber so, dass ich ohne Weiteres mehr bezahlt hätte.

Etwas benommen treten wir aus dem Halbdunkel nach draußen. Wir haben bestimmt nur geträumt. Auf dem Weg zur Pension geht es wieder los: „Du wolltest doch erst nicht!“ – „Ja, und du …?“

© 2007 Detlev Simon