Türkei/Syrien 2009

Ein Traum wird wahr: Mit dem Motorrad nach Syrien

   
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Über Griechenland und die Türkei in den freundlichsten Schurkenstaat der Welt

Hinweis: Diese Reise führte uns 2009 nach Syrien. Was sich seitdem in diesem schönen Land ereignet hat, muss man niemandem schildern.
Es erschüttert uns zutiefst, wenn wir heute an alle die freundlichen, liebenswerten Menschen denken, denen wir begegnet sind, mögen uns gar nicht vorstellen, wie es ihnen ergangen ist. Zweit- und drittrangig, aber auch die einzigartigen Sehenswürdigkeiten, die wir in diesem Bericht beschreiben, dürften zumeist unwiederbringlich zerstört sein. – Der Leser möge bitte berücksichtigen, dass unsere Reise vor diesen tragischen Ereignissen stattfand und sich unsere Schilderungen auf diese Zeit beziehen.

 

Einleitung

Nein, sie drängte sich noch nicht auf, die Frage, wohin es denn 2009 gehen sollte. Schließlich waren wir erst drei Wochen wieder daheim, und die Bilder und Eindrücke der letzten Reise waren noch lange nicht gesichtet und sortiert, geschweige denn verarbeitet. Doch unwiderstehlich kriecht dann irgendwann doch ein erster Gedanke ins Hirn, setzt sich fest, nagt und bohrt – bis es dann jemand auszusprechen wagt. Diesmal war es zunächst der Begriff „Kaukasus“, mit dem sich bei mir Ländernamen wie „Georgien“, „Armenien“ und das Elburs-Gebirge verbanden. Doch nachdem der erste Georgien-Reiseführer gekauft war, kam es zu dem russisch-georgischen Konflikt, was einer weiteren Planung in dieser Richtung den Riegel vorschob (und was sich auch im Nachhinein als gut erwies, weil Georgien während der Zeit unserer Reise von schlimmen Überschwemmungen mit etlichen Todesopfern heimgesucht wurde). So erinnerten wir uns daran, dass wir 2008 schon in Sichtweite der syrischen Grenze gewesen waren, mangels Visum jedoch nicht einreisen konnten. Damit waren die Würfel schon fast gefallen, unterfüttert wurde diese Entscheidung noch durch den Umstand, dass sich Sigi und Petra, bewährte Reisebekanntschaften in den Vorjahren, sowie auch Andrea aus Köln, ebenfalls Africa Twin-Treiberin, mit demselben Gedanken trugen – und das auch noch für dieselbe Zeit.
Ich kenne Leute, die gehen auf eine große Reise und beginnen ihre Vorbereitungen acht Tage vor Antritt. Dabei bin ich mir nicht sicher, ob ich sie beneiden oder bemitleiden soll. Es ist zwar nicht mit der Reise an sich zu vergleichen, doch stellt für mich das Planen, Verwerfen, Alternativrouten suchen, das Lesen, das Herausgefundene mitteilen (und Dritten damit auf den Wecker gehen) zum Zweitschönsten bei einer solchen Reise. Aber irgendwann kommt auch dann der Punkt, wo einem das ganze Planen nicht mehr reicht und es endlich losgehen muss. Und irgendwann – man hat es kaum mehr für möglich gehalten – ist der Tag dann wirklich da!

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Vorbemerkung 1: „Ihr wollt wohin?“

Gut, wir hatten nicht verkündet, unseren Urlaub in Nordkorea oder Afghanistan verbringen zu wollen. Trotzdem begegnete uns hier und da Unverständnis, was wir nachvollziehen konnten, denn auch unser Wissen über das Reiseziel beschränkte sich im Grunde auf grob zwei Gebiete: einerseits ein Land mit großer Vergangenheit und einer entsprechend hohen Zahl von zum Teil außergewöhnlichen Sehenswürdigkeiten, auf der anderen Seite geisterte uns natürlich auch die Klassifizierung als „Schurkenstaat“, Teil der „Achse des Bösen“, was ja auch in der Nach-Bush-Ära immer noch nachklingt, durch den Kopf. In der Vorbereitung versuchten wir, uns wenigstens ein klein wenig ein Bild von der derzeitigen Situation zu verschaffen. Schnell wurde klar (was wir natürlich zum Teil auch schon vorher wussten), dass uns dort keine lupenreine Demokratie erwarten würde, vielmehr ein Land mit einer eher diktatorisch agierenden Einparteienregierung, die sich – wie in solchen Ländern üblich – zudem auf einen fast allgegenwärtigen und bei der Wahl seiner Methoden nicht gerade zimperlichen Geheimdienst stützt. Wer ein solches Land 14 Tage durchstreift – und sei es noch so „individuell“ und vielleicht sogar mit der Sprache begabt –, der bekommt, auch bei größtem Interesse, natürlich keinen Einblick in die wirkliche Situation und die Befindlichkeit eines Landes und seiner Bevölkerung. Eines wurde jedoch selbst in dieser kurzen Zeit überdeutlich: Ein ganzes Volk mittels Etikettierungen wie der oben genannten in Sippenhaft zu nehmen, ist in höchstem Maße ungerecht und unverantwortlich, denn leider lassen sich ja doch viele Menschen von solchen Aussagen beeinflussen, worunter dann die normale Bevölkerung, etwa durch Ausbleiben der Touristen, leiden muss. Wenn man diesen Begriff schon verwenden will, dann sollte man schon nach „Schurken“ auf beiden Seiten Ausschau halten.
Wir können schon von der Türkei, gerade aus den touristisch noch eher unverdorbenen Gebieten, von Beispielen überwältigender Freundlichkeit, Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft berichten, doch wurde das in Syrien oftmals noch getoppt (Beispiele hierfür wird der Reisebericht liefern).
Zudem hatten wir nie – an keinem Ort und zu keiner Zeit – das Gefühl von Unsicherheit oder Gefährdung, selbst alleinreisende Frauen bestätigten diese Erfahrung (den Hinweis, dass es „überall solche und solche gibt“ und überall etwas passieren kann, wollte ich mir eigentlich schenken …).
Diese Vorbemerkung soll die eigentlich selbstverständliche Haltung untermauern, zwischen einem Regime und der Weise, wie es in den Medien dargestellt, wird auf der einen, und den Menschen auf der anderen Seite zu differenzieren.

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Vorbemerkung 2: Das Dreamteam

Immer noch reibe ich mir hin und wieder ungläubig die Augen, wenn ich mir klarmache, dass diejenige, die ich da hinter mir im Rückspiegel sehe, meine Frau ist, sie, die noch vor fünf Jahren nicht mal wusste, wo beim Motorrad die Schaltung liegt. Mittlerweile hat sie auf türkischen und syrischen Straßen über 20.000 Kilometer abgespult – und das auf fast allen Untergründen. Ich bin mächtig stolz auf sie! Als Reisepartner kann ich sie nur empfehlen: fast immer gut drauf, nie am quengeln, zieht einfach – auch unter schwierigen Bedingungen – mit durch. (Wie sagte seinerzeit eine amerikanische Verlagskollegin, deren Tochter und Schwiegersohn in Bursa lebten, und der ich entsprechend berichten musste: She‘s a real trooper! – etwa: „Sie ist eine echte Kämpfernatur, schlägt sich durch!“ Wohl wahr.) Auch in diesem Jahr übernahm Rendel wieder den Job als Quartiermeister (fragt, ob ein Zimmer frei ist, verhandelt den Preis), Zahlmeister und Zeugwart (putzt immer schön die Visiere, hilft mir, die schweißnasse Hose auszuziehen). – Fazit: Gerne wieder!

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Auf geht’s!

Die Spannung ist langsam nicht mehr auszuhalten – der Nachteil, wenn man sich so lange und so intensiv auf solch eine Reise vorbereitet. Ich komme mir vor wie der Sänger von „Sentimental Journey“, wo es in einer Zeile heißt: Like a child in wild anticipation, I long to hear that: All aboard! („Wie ein Kind in aufgeregter Erwartung, ersehne ich den Aufruf: Alles einsteigen!“) Erschwerend kommt hinzu, dass fast alle Bekannten, von denen ich weiß, dass sie sich in dieser Zeit auch in derselben Gegend tummeln werden, schon on the road sind (Elke und Jochen aus Augsburg, Sigi und Petra – alte Bekannte aus den Vorjahren und aus dem Allgäu – sowie Andrea aus Köln, die schon eine Woche nach Ostern aufgebrochen war). Wir hatten verabredet, uns in der Türkei oder Syrien zu treffen, soweit das unsere individuelle Routenführung ermöglichen sollte.
Richtig „heiß“ machte uns noch der Syrien-Vortrag zweier Rheinländer, die die Tour vor anderthalb Jahren gemacht hatten. Mit einer supertoll zusammengestellten und präsentierten Multimedia-Show bereiteten sie uns nochmal zusätzlich auf das vor, was uns erwarten sollte.
Vierzehn Tage vor dem geplanten Start hat sich noch ein Redakteur der Lüdenscheider Nachrichten angekündigt, er wollte gerne einen Vorabbericht über unsere Reise bringen. Zugleich war das die letzte Möglichkeit, noch ein paar aktuelle Fotos mit unseren beladenen Moppeds zu schießen, da die zwei Tage drauf zur Spedition gebracht werden mussten. Am Montag war dann tatsächlich auf Seite 1 des Lokalteils – über eine Dreiviertelseite – zu lesen: „Ein Traum wird wahr: Mit dem Motorrad nach Syrien“. Daraufhin sprach mich unter anderem ein hiesiger Arzt auf einem Supermarktparkplatz an. Er ist Palästinenser mit jordanischen Wurzeln. Er erzählte mir, dass selbst er – passionierter Porsche- und Rallyefahrer – in Damaskus nur mit geschlossenen Augen im Taxi fahren würde. Zusammen mit der Aussage von Andrea, die dort mittlerweile gewesen war und die uns per E-Mail geschrieben hatte: „Ich wusste gar nicht, dass so viele Autos in so einen kleinen Motorradrückspiegel passen!“, war das – vor allem für Rendel – eine sehr mutmachende Einstimmung.
Dann erreicht mich noch von der Spedition die Mail: „Leider müssen wir Ihnen mitteilen, dass Ihre Motorräder beim Transport beschädigt wurden.“ Die beigefügten Schadensfotos sind zwar nicht ganz eindeutig, doch stellt sich schnell heraus, dass es sich nur um ein Motorrad, nämlich Rendels, handelt, und dass die Schäden nicht gravierend sind. Der „Motorradschlachter meines Vertrauens“ hat zum Glück einen Blinker vorrätig, Klebeband zum Flicken der Verkleidung ist eh dabei.
Und dann ist er da, der Abreisetag: Sonntag, 10. Mai 2009. Am Vorabend feierten wir noch den 70. Geburtstag meiner Mutter, aber da nichts mehr vorzubereiten ist und der Flieger erst am Abend geht, können wir ausschlafen. Vorteil „unserer“ Speditionsvariante ist, dass die Motorräder voll aufgerödelt mit sämtlichem Gepäck transportiert werden. Entsprechend können wir nur mit Handgepäck fliegen, das nur das beinhaltet, was wir für die erste Nacht im Hotel benötigen. Unsere besten Freunde Bernie und Annette, selbst gerade erst aus dem Urlaub zurück, fahren uns zum Bahnhof. Rendel wird – wieder Mal – im Urlaub Geburtstag haben, so drückt mir Annette noch ein Geschenk für sie in die Hand, das ich ihr aber schon während der Zugfahrt zum Flughafen aushändige. Eine weise Entscheidung, denn es handelt sich um ein sehr schönes Tagebuch, in dem Rendel forthin alle ihre Reiseeindrücke festhalten wird. Ich entschließe mich darum, auf eigene Aufzeichnungen zu verzichten und das Tagebuch als Gedächtnisstütze für eben diesen Bericht zu nutzen. In Köln/Hbf steigen wir um, der Zug fährt aber nicht los. Schließlich werden wir aufgefordert auszusteigen, da die Lok defekt sei. Kurzerhand entscheide ich, auf ein Taxi auszuweichen, eine Entscheidung, die Rendel wegen der Kosten nicht gutheißt, aber ich möchte uns (okay: mir!) unnötigen Stress zum Auftakt ersparen.
Der Rest der Anreise ist dann unspektakulär: ruhiger, überpünktlicher Flug nach Thessaloniki, Taxi zum Hotel, zwei Bier als Schlummertrunk und ab ins Bett.

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Endlich wieder auf türkischem Boden

Thessaloniki (Oreokastro)–Biga–Polatlı

Die Spedition liegt zwar nur drei Kilometer vom Hotel entfernt, doch da die Sonne schon heftig vom Himmel knallt, nehmen wir ein Taxi. Rendel fühlt sich nicht ganz fit, leichte Kopfschmerzen und ein Anflug von Erkältung. In der Spedition werden wir freundlich begrüßt, wir kennen uns ja vom Vorjahr. Die Verkleidung von Rendels Mopped ist schnell versorgt, beim Blinker passt die Kabellänge nicht. Schließlich finde ich eine recht gute provisorische Lösung, die ich in der Türkei bei einem Autoelektriker in eine mehr professionelle umzuändern plane. Doch eingedenk dessen, was ich dort schon an Reparaturen gesehen habe, muss ich davon ausgehen, dass man dort nur mit dem Kopf schütteln und fragen wird, was denn daran zu verbessern sei … Stimmt, vergessen wir‘s.
Vor dem Aufsteigen noch ein Check der Funkgeräte. Tot. Rendel ist etwas beunruhigt, denn gerade für sie stellt der Funkkontakt ein spürbares Mehr an subjektiv empfundener Sicherheit dar. Schließlich funzt es doch noch. Zwar nahmen die Aussetzer in der Folge wieder zu, bis hin zum Totalausfall, aber bis dahin hat sich Rendel schon wieder eingewöhnt und kann die mangelnde Kommunikation verkraften.
Schnell finden wir aus Oreokastro hinaus und begeben uns auf die E90 Richtung Kavala und türkische Grenze. Auf der griechischen Seite heißt dieses Teilstück der E90 „Egnatinische Straße“ in Erinnerung an die alte römische Handelsstraße, die von Illyrien (dem heutigen Albanien) bis nach Byzanz, heute İstanbul, führte. Heute und eigentlich auf dem ganzen Hinweg nach Syrien wollen wir „Strecke machen“, als Übernachtungsziel haben wir uns Biga, einen Ort schon jenseits der Dardanellen, ausgeguckt. Eigentlich sollten uns Petra und Sigi einen Tag voraus sein, doch ein Batteriedefekt an Petras Mopped, noch dazu am Sonntag, verordnete ihnen eine Zwangspause. So haben wir die Chance, sie noch einzuholen. Die, im Gegensatz zum Vorjahr vollständig ausgebaute Autobahn und das Superwetter, noch dazu bei geringem Verkehr, lassen diese Möglichkeit wahrscheinlich werden. Und tatsächlich: Am griechisch-türkischen Grenzübergang stehen die beiden Kaffee schlürfend. Nach kurzem Hallo und Lagebesprechung nehmen wir die Grenzformalitäten in Angriff und sind – in der Türkei; in unserem Fall ganze 18 Stunden nach dem Start in Deutschland.
Mir als dem vernünftigsten, besonnensten und routiniertesten Fahrer wird die Aufgabe zugewiesen, den Trupp anzuführen. Darum ist es auch an mir, in Keşan eine Vollbremsung, die mich ziemlich ins Schlingern und ins Schwitzen bringt, hinzulegen, als mir ein LKW die Vorfahrt nimmt. Das ausdruckslose Gesicht des Elli-Fahrers bleibt mir noch lange in Erinnerung.
Die Fährpassage über die Dardanellen ist schon Routine, dann noch ein paar Kilometer am Marmarameer entlang Richtung Bursa, am Spätnachmittag sind wir in Biga. Trotz der Koordinaten des Hotels MRG auf dem GPS finden wir es nicht gleich, ein freundlicher Tankwart setzt sich auf den Roller und geleitet uns dorthin. Der Tageskilometerzähler zeigt 510 Kilometer, genug für den ersten Tag. Das Hotel erweist sich als gute Wahl: schöne Zimmer, heimeliger Innenhof, gutes Essen – „und lecker Salaat!“ – wie Rendel sagen würde. (Im Blick auf die Türkei orientieren wir uns häufig am Küçük Oteller Kitabı/The Little Hotel Book, das die schönsten kleinen Hotels in der Türkei auflistet. Das meiste davon sind echte Perlen. Das Buch gibt es auch auf deutsch, jedoch meines Wissens nicht in aktueller Form, während die türkisch-englische Ausgabe jedes Jahr überarbeitet wird.)
Am nächsten Morgen Frühstart. Habe mich selten so souverän verfahren wie bei der Ausfahrt aus Biga! Eines der Geheimnisse der Navigation ist, rechtzeitig zu erkennen, dass man auf dem falschen Dampfer ist. Und nur nix anmerken lassen.
Sigi hat an seinen Sturzbügeln zwei Zusatzscheinwerfer montiert. Da er meist als Letzter fährt, hilft mir das auffällige Signalbild im Rückspiegel, unsere kleine Kolonne zusammenzuhalten. Neben der Hupe, deren Knopf auch Rendel mittlerweile im Schlaf findet, habe ich die Lichthupe schätzen gelernt. Damit kann man sich mit entgegenkommenden Fahrzeugen und Überholern gut verständigen und warnen. („Ich hab dich und du hast mich gesehen.“)
Polatlı ist keine Stadt, die man kennen muss, ich hatte sie nur deshalb als Etappenziel ausgewählt, weil es die einzige etwas größere Stadt ist, die, abgesehen von Ankara, an diesem Tag innerhalb unserer 500-km-Etappe liegt. Auf der Strecke sehen wir – keine Seltenheit für die Türkei, in dieser Häufung jedoch imposant – einen Riesenschwarm von Störchen. Für Polatlı liegt uns keine Hotelempfehlung vor, also einfach ein paar Passanten Fragen. Zwei Frauen und ein Mann nehmen sich unser umgehend an und laufen(!) fast durch die ganze Stadt vor uns her, um uns zum Hotel Duatepe zu bringen. Das erweist sich als so neu, dass im Foyer noch Leute dabei sind, Vorhänge anzubringen, an den Türen fehlen noch die Zimmernummern. Aber eben alles neu, das Personal sehr bemüht, hilfsbereit und freundlich. Sie geben uns auch einen Restaurant-Tipp. Im Konya Tandir werden wir alle vier für ca. € 20,- gut satt, zudem gibt‘s Bier, zumindest für die Männer fast essenziell.
So neu das Hotel ist, zumindest für den deutschen Gast sind die Mängel in der Bauausführung unübersehbar: Fliesen mit falschem Gefälle, lieblos zugeschmierte Silikonfugen, vorprogrammierte Schimmelecken, Handtuchhalter, die schon kurz nach der Montage kaum mehr ihre Funktion erfüllen können. Sicher haben wir das nicht zu kritisieren und sehen auch schon lange darüber hinweg, nur schade, dass man dort, obwohl man mit fast demselben Material arbeitet, nicht zu besseren und dauerhafteren Ergebnissen kommt.
Angesichts der über 1000 Kilometer in zwei Tagen fängt Rendel an, sich ernsthaft Gedanken über den Iron Butt Contest zu machen, eine Veranstaltung, bei der man am Stück eine nicht geringe Anzahl von Kilometern auf dem Motorrad machen und dabei entsprechend Sitzfleisch beweisen muss. Die Erkenntnis, dass aber auch ein „Eisenhintern“ nicht unbedingt mit Schmerzfreiheit desselben einhergehen muss, lässt sie diesen Gedanken dann doch verwerfen. Zum Popo schmerzt ihr traditionell immer das linke Ohr, heute kommen noch Schultern und rechte Hand dazu. Tja, was so ein echter Trooper ist …

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Zauberlandschaft Kappadokien

Polatlı–Mustafapaşa

Ein Jüngelchen (Zitat Rendel) geleitet uns mit seinem Roller aus der Stadt. Zunächst viele Kilometer Baustelle. Als Rendel frohlockt, dass es jetzt wohl ein Ende haben müsste, kommt das Schild: Yol yapımı 62 km, das noch viele Kilometer schlechte Strecke mit Baustellen verheißt. Schließlich wird es aber doch nicht so schlimm. Unser heutiges Etappenziel soll nicht nur Schlafquartier sein, Kappadokien darf man einfach nicht links liegen lassen, auch, wenn man schon Einiges dort gesehen hat. Sigis Vorschlag folgend, nehmen wir nicht die augenscheinlich besser ausgebaute und vermeintlich schnellste Strecke, sondern eine, die die Karte als etwas kleiner kennzeichnet. Dies erweist sich als optimale Wahl, denn die Strecke macht richtig Spaß zu fahren, so gut wie kein Verkehr, zudem sind evtl. Blitzer leicht zu erkennen – wir fahren mit teilweise 110 km/h (bei offiziell für Motorräder erlaubten 70). Zeitweise fahren wir am silbrig-weiß schimmernden Tuz Gölü entlang, einem riesigen Salzsee, der einen Teil des türkischen Kochsalzbedarfs deckt. Bei einer Rast treffen wir auf drei Fahrradfahrer, zwei Mädels und ein junger Mann. „Und? Wo fahrt ihr so hin?“ – „Nach Bangkok.“ – „Ach so!“ Die drei kommen aus Holland und haben fast ein Jahr Zeit, um ihr Ziel zu erreichen. Das ideelle Ziel der Unternehmung ist ein karitatives, sie sammeln dabei für ein Kinderheim in Nepal. Respekt – sowohl für die körperliche Leistung als auch für das Anliegen. (Eine Frage bleibt: Zwei Mädels und ein Junge – wie kann das gehen?)
Rendel geht es heute nicht so gut, ein latenter Kopfschmerz weitet sich bis zum Abend zur Migräne aus.
Über Avanos, Nevşehir und Ürgüp halten wir auf Mustafapaşa zu, den Ort, in dem es uns im letzten Jahr schon so gut gefallen hat. Statt wieder im Old Greek House anzufragen, haben wir uns auf das Haus von Frau Aysel Koch, den Club Natura, mit dessen Dependance am Van-See wir schon 2008 gute Erfahrungen gemacht haben, geeinigt. Am Ortseingang gelegen haben wir es schnell gefunden, nach Betätigung des schweren Türklopfers wird uns aufgemacht. Die wenigen „normalen“ Zimmer sind alle belegt, wir können jeweils eins der „Antik“-Zimmer bekommen, was in der Praxis nur bedeutet, dass wir vier uns das Bad noch mit einem weiteren Gast teilen müssen. Mittlerweile routiniert abgerödelt und fix das riesige, mit Antiquitäten ausgestattete Zimmer bezogen, für 50 YTL (also keine 25 Euro) sehr günstig. Vor dem Duschen werden wir von Aysel zusammen mit ihrem Personal noch zum Eis eingeladen, die Bekanntschaft mit dem Koch, die wir dabei machen, bewegt uns dazu, auch noch Halbpension dazu zu nehmen … Mit uns ist noch eine Gruppe aus Deutschland im Hotel, ältere, ganz nette Leute auf Rundreise. Das Bad teilen wir uns mit einem deutschen Biologen, der hier eine ornithologische Exkursion vorbereitet.
Wir hatten den Koch richtig taxiert, das Essen ist sehr gut und reichlich, auch der kappadokische Wein enttäuscht nicht. Rendel kann sich später noch dazu gesellen und hat so noch etwas von dem Abend. Vor dem Zubettgehen machen wir uns noch einen Spaß und stellen mit dem riesigen Kleiderschrank die bekannte Szene nach, wo eine Frau ihren Liebhaber – und das bin ich ja schließlich! – im Schrank versteckt.
Kappadokien zählt zurecht zu den absoluten touristischen Highlights in der Türkei, doch stellen Orte wie Mustafapaşa immer noch Oasen der Ruhe und Beschaulichkeit dar – ideal zum Entspannen.
Nach einer erholsamen Nacht, von der auch Rendels Kopf profitiert, geht es ausnahmsweise mal nicht gleich weiter – schließlich ist heute Türkei-Stammtisch, Motto: „Um acht in Kappadokien“. Vielleicht schaffen Jochen und Elke es ja auch noch. Rendel wäscht ein paar Sachen durch, dann machen wir einen Gang durchs Dorf und treffen auf Cavit, den älteren Herrn, mit dem wir uns schon im letzten Jahr prächtig verstanden haben. Von seinem Sohn Mustafa lassen wir uns noch ihre Familienpension zeigen, nette Zimmer und mit lauschigen, grünen Terrassen, auf denen man sicher schöne Abende verbringen kann. Mustafa hat zwar gegelte Haare, ist aber trotzdem sehr nett. Beim Verlassen der Pension begegnen wir einer alten Frau: seehr faltig, fast zahnlos, mit einem freundlichen, offenen Gesicht. Sie befragt Mustafa nach uns, auch, wo wir hinwollen, woraufhin sie uns die Richtung erklärt. Ob wir denn mit dem Auto fahren? „Nein“, antwortet Mustafa, „mit dem Motorrad.“ „Dann bring sie lieber mit dem Auto, das ist sicherer!“ Mustafa: „Sie sind mit dem Motorrad, mit dem Motorrad aus Deutschland gekommen.“ Daraufhin schüttelt sie verständnislos den Kopf und lacht herzlich.
Am Nachmittag drehen wir noch eine kleine Runde, um uns einige der schönsten oberirdischen Naturwunder Kappadokiens anzuschauen (vieles – die unterirdischen Städte, Höhlenkirchen usw. – liegt ja verborgen im Tuffstein). Bei der Gelegenheit versuchen wir – mit mäßigem Erfolg – einige schöne Fahrfotos vor spektakulärem Hintergrund zu machen. Bei einem Fotostopp treffen wir auf eine deutsche Motorradfahrergruppe, die Sigi und Petra schon auf der Fähre gesehen haben. Der Trupp – vom Cruiser bis zum Sportler – hat nicht viel Zeit für die Sehenswürdigkeiten, sie wollen fahren, fahren, fahren – eher nichts für uns. Dass Kappadokien auch „temporäre Sehenswürdigkeiten“ hat, stellen wir bei einem weiteren Fotostopp fest. Urplötzlich stehen wir selbst im Mittelpunkt des Interesses einer Bus-Touristengruppe: Fotos, Autogramme … Ein besonders schönes Fotomotiv geben Sigi und ich ab, als seine Suzi nicht mehr anspringt und ich ihn – 32°C und in Motorradmontur – anschieben muss. Seine Christbaumbeleuchtung hat der Lichtmaschine zu viel Strom abgesaugt, so dass die Batterie nicht mehr ordentlich geladen wurde. In der Folge klemmt Sigi die Zusatzscheinwerfer kurzerhand ab.
Abends beim Stammtisch wetten wir, ob es Jochen und Elke noch schaffen werden. Leider nicht, später stellt sich heraus, dass sie eine SMS nicht erhalten haben und davon ausgingen, dass wir schon weitergezogen seien. Dafür lernen wir die BR-Redakteurin Elisabeth und ihren Kameramann Sepp kennen. Sie drehen eine Woche lang für ein Reisemagazin und sind sehr angetan von Kappadokien. Beide sind natürlich reiseerfahren, Elisabeth legt uns die Südsee ans Herz und erzählt uns zudem, dass ihr Begleiter noch vor einer Woche in den Alpen unter einer Lawine verschüttet gewesen sei – missing in action. Die Begegnungen mit anderen interessanten und interessierten Menschen gehört eben zu dem Schönsten, was unsere Art zu reisen mit sich bringt.

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Ex oriente lux – weiter gen Osten

Mustafapaşa–Kahramanmaraş–syrische Grenze

Am nächsten Morgen verabschieden wir uns von unserer Gastgeberin, dem BR-Team und anderen Gästen. Wie immer, begleiten uns viele gute Wünsche. Dass wir ein gerüttelt Maß an Bewahrung brauchen, wird mir schon nach einigen Kilometern bewusst, als in einem Dorf ein Traktorfahrer mit Karacho von rechts kommt. Im letzten Moment sieht er, dass da, wo seit Jahren keiner mehr gekommen ist, auf einmal ein Pulk von Motorrädern auftaucht, reißt das Lenkrad rum und schlingert seitwärts noch ein Stück auf die Straße. Gute Reaktion! Nun schließt sich die bislang schönste Fahrstrecke unserer Tour an. Wir halten auf den Erciyes Dağ zu, den erloschenen Vulkan, der „zu Lebzeiten“, zusammen mit anderen, die Grundlage für die Entstehung der heutigen bizarren Landschaft Kappadokiens legte. Die Lavamassen erodierten in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität, und so ergaben sich die Formationen, die einen heute so staunen lassen. Vorbei an hoch aufragenden, steil abfallenden Gebirgsformationen halten wir uns Richtung Südost, etliche Male stoppen wir, um den gewaltigen, noch schneebedeckten Erciyes Dağ zu fotografieren. Drei bis vier Mal sehe ich am Straßenrand putzige Erdmännchen sitzen, die uns wohl auch erstaunt nachschauen, so, wie wir ab hier auch wieder eher die Aufmerksamkeit der Menschen auf uns ziehen, denn jetzt kommen wir wieder in Gegenden, ist denen Touristen eher selten auftauchen.
Die Streckenbeschaffenheit ist so, wie man es sich als Treiber einer Reiseenduro wünscht: eher schmalere Straßen, schön kurvig, griffiger Asphalt, durchsetzt mit Flickstellen und Schlaglöchern.
Ich habe es zwar schon erlebt, doch zum Glück ist es nicht die Regel: Irgendwo in der Walachei begegnet man einem anderen Motorradtouristen – und der fährt vorbei. Für uns und auch für das in Gegenrichtung fahrende Paar zum Glück undenkbar, zumal die beiden auch auf einer AT unterwegs sind. Großes Hallo und Austausch, sie – mit Klever Kennzeichen – kommen auch aus Syrien und Jordanien und können einiges erzählen, überlassen uns noch ihr überzähliges syrisches Geld. Der Fahrer berichtet eine überlieferungswürdige Episode: An einer Tankstelle erstand er eine Literflasche Motoröl, um ein bisschen nachzufüllen. Der eifrige Tankwart nimmt ihm die Flasche ab – und gießt den ganzen Liter auf. Absaugen war nicht, so entschließt sich unser Kollege, etwas Öl über die Ablassschraube abzulassen. Vor dem noch heißen Öl zieht er die Finger zurück … und die ganze Soße – in der Summe über drei Liter – ergießt sich unter dem Mopped.
Kurz drauf erreichen wir Doğanbeyli, den Ort, in dem wir im letzten Jahr die Trauerfeier miterleben konnten. Freudige Begrüßung, nachdem uns einige Bewohner wiedererkennen. Wieder wird ein großer Stuhlkreis vor dem Teehaus aufgebaut, geplaudert und Fotos gemacht.
Um nicht spät abends irgendwo in Syrien einzutreffen, wollen wir auf jeden Fall noch einmal übernachten. Wir entschließen uns, nicht in Reyhanlı/Bab al-Hawwa über die Grenze zu gehen, sondern am kleineren Übergang Kilis/Azaz, weswegen dann Kahramanmaraş (die Türken sagen kurz „Maraş“) als Quartier dienen soll. An einem kleinen Café vor schöner Bergkulisse machen wir Rast, füllen die Flaschen mit kühlem Quellwasser und bekommen von den fahrenden Gemüsehändlern noch exotisch aussehendes Gemüse zum Probieren angeboten, die Damen zudem noch ein kleines Fliedersträußchen. Ein junger Mann warnt mich vor einem Polizei-Blitzer ein paar Kilometer weiter, ein Tipp, den ich gerne beherzigen will. Noch etwa 100 Kilometer bis Maraş, langsam wird es echt heiß. Rendel fischt während der Fahrt ihr Sträußchen aus dem Tankrucksack, um es zu entsorgen, und schmeißt dabei gleich ihr Halstuch mit weg. Als ich sie nach dem Wenden und Auflesen über Funk bitte, wieder aufzuschließen, lässt sie den Spruch des Tages ab: „Warte, ich muss erst noch Gas geben!“
Und noch einen Titel habe ich an diesem Tag zu vergeben: „Korruptester Polizeibeamter der Provinz Kahramanmaraş“, das heißt: irgendwie auch wieder nicht … Also: Etwa 300 Meter voraus steht linker Hand ein Auto. Als ich näher komme, betätigt der Fahrer wie wild die Lichthupe. Ich blende kurz auf und fahre weiter, woraufhin er wieder die Lichtorgel anschmeißt. Dann klickt‘s bei mir: der Blitzer! Er will mich unbedigt warnen, aber unter der Maßgabe: Wenn du nicht reagierst, muss ich von Amts wegen tätig werden. Okay, also das Tempo schön auf die dort geltenden 50 km/h reduziert, das Visier aufgeklappt und mit einem komplizenhaften Grinsen, das er erwidert, an ihm vorbeigezuckelt.
Maraş ist auf dieser Tour die erste Großstadt im Feierabendverkehr. Links das Hotel, in der Mitte eine durchgehende Verkehrsinsel, an der ersten (theoretischen) Möglichkeit zum Wenden das bekannte Schild, das genau das untersagt. Und davor ein Polizist. Nicht, dass wir meinen, uns alles erlauben zu können, doch das kann doch soo schlimm nicht sein! Jepp, sieht der Sheriff auch so. Kein Problem! Sehr schön, zumal gerade in dem Moment vor dem Hotel ein Parkplatz frei wird, an dem wir allesamt halten können. Das Hotel Belli ist eines der moderneren, schöne Zimmer und Bäder, zudem ein eigenes Restaurant, in das wir uns auch, nachdem wir uns von Schweiß und Staub entledigt haben, schnell zurückziehen. Der Kellner, es ist erst sein zweiter Tag, ist in Nürnberg aufgewachsen. Er berät uns gut, vor allem gibt es hier wieder das leckere Humus mit geröstetem Pastırma! Wenn wir mit Sigi und Petra essen, zahlen wir die Gesamtzeche meist im Wechsel, heute sind wir mal wieder dran. Leider haben sie vergessen, den Wein zu berechnen, was erst auffällt, als Rendel und ich schon gegangen sind, so müssen dann doch noch Sigi und Petra löhnen.
Groggy wie ich bin, fall ich ins Bett, Rendel will noch etwas die Gegend unsicher machen. Was für Gaziantep das Baklava, ist für Kahramanmaraş das Eis. Direkt neben unserem Hotel werkelt einer der bekanntesten Eismacher der Stadt. Eher vorsichtig im Blick auf solche Köstlichkeiten hält Rendel sich zurück, was sie später bereut (hätte sie vielleicht andersrum auch). Dafür kann sie noch die Herstellung von Tarhana beobachten. Tarhana ist eine vergorene und getrocknete Mischung aus Mehl, Joghurt und Gemüse und wird in der türkischen Küche zur Suppenherstellung benutzt. Die noch feuchte Mischung wird auf Bastmatten aufgetragen, getrocknet und die Blätter dann gerollt und so verkauft. Zur Zubereitung wird es dann wieder zerbröselt und aufgelöst. Den Weg zur Burg verkneift Rendel sich, nachdem sie in der Gasse zwei Männer mit Rakı-Flaschen herumlungern sieht.

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Mordshitze und ein Wiedergänger des „Führers“

Kahramanmaraş–Aleppo

Heute soll es soweit sein, wir reisen nach Syrien ein! Rendel erwacht schon mit Kopfschmerzen, wohl der Anstrengung, der Hitze und auch der Aufregung geschuldet. Der Respekt vor dem zu erwartenden syrischen Großstadtverkehr sitzt tief. Wir holen die Moppeds aus der Tiefgarage (dort steht noch ein älteres BMW-Gespann mit Reutlinger Kennzeichen, dessen Halter auf dem Weg nach Afrika hier Station macht) und finden rasch aus der Stadt. Die letzten Kilometer nach Kilis führen über eine kleine Straße direkt an der Grenze entlang. Bei der letzten Rast kauft Rendel bei einem Mädchen, ca. 16, Wasser, und unterhält sich ein wenig mit ihr. Songül – so ihr Name – versucht, ein wenig Englisch anzubringen. Als Rendel noch ein drittes Mal wegen Wasser vorstellig wird, will sie ihr die Flasche unbedingt schenken, fast beschwörend bittet sie: Lütfen! Erfreut und etwas beschämt nimmt Rendel das Geschenk an – kein teures, aber eines von ideeller Bedeutung.
Wie erhofft, erweist sich der Übergang als nur mäßig frequentiert, Touristen gar nicht, ein paar PKW und LKW, an denen wir großzügig vorbeiziehen. Die Ausreise ist schnell bewerkstelligt, dann geht es mit den Pässen zu den Syrern. Der erste Grenzer begrüßt mich mit einem freundlichen „Kifak?“, von dem ich weiß, dass es „Wie geht‘s?“ bedeutet, worauf ich aber nur auf englisch antworten kann. Dann Einreiseformular ausfüllen, Triptik und Versicherung zahlen, mit den Quittungen zurück. So, das müsste es gewesen sein. Ein junger Mann in Zivil kommt auf uns zu und bittet uns um die Pässe. Wir hätten Glück, denn sie hätten gerade heute ihr neues Computersystem installiert, er sei zur Einarbeitung der Beamten da, die sie freuten, die ganze Palette an denkbaren bürokratischen Grausamkeiten an uns auszuprobieren. Nein, so formulierte er es nicht, doch legt das folgende Prozedere diese Auslegung nahe. Immer wieder Rückfragen, wie welcher Eintrag im Pass zu verstehen sei. Jeweils zwei Beamte vor einem Bildschirm versuchen, die Eingabefelder auszufüllen, indem sie alle Angaben in arabische Buchstaben überführen, wobei sie immer wieder diskutieren, was welcher Buchstabe ist. Rendels Kopfschmerzen nehmen zu, unsere Ungeduld auch, doch vermuten wir, dass sie zur Not auch imstande wären, das Verfahren noch ein wenig zu verschleppen, also halten wir uns mit Unmutsbezeugungen zurück und lächeln tapfer.
Zwar hatten wir uns auf ein bis zwei Stunden an der Grenze eingestellt, doch als Versuchskaninchen herhalten zu müssen … Nach einer weiteren Stunde taucht ein offenbar ranghöherer Zivilist auf, staucht die anderen zusammen und macht dem Spuk ein Ende. Wir werden in ein Kabäuschen gelotst, in dem ein fetter, etwas schmieriger Uniformierter sitzt. Endlich jemand, der Kompetenz ausstrahlt! Dann werden wir zu einem weiteren Kollegen in einer anderen Bude weitergereicht. „Almania? Ah, Addolf Hittler!“ Er erhebt sich hinter seinem Schreibtisch, ahmt die schnarrende Stimme des „Führers“ sowie dessen zustechenden Zeigefinger, mit dem er seine Aussagen zu unterstreichen pflegte, nach. Etwas irritiert grinse ich, unsicher, ob der kleine Auftritt eher anerkennend oder despektierlich-karikierend gemeint ist. Dann schlägt er eine riesige Kladde auf, die fast über den gesamten Schreibtisch reicht, und notiert alle unsere Angaben darin. Ein Hoch auf die Analogtechnik!
Im Vorfeld hatten sich Sigi und ich Gedanken gemacht, wie wir mit unseren GPS verfahren. Offiziell ist die Einfuhr nicht erlaubt, Reisende berichten unterschiedlich über die Handhabung dieser Vorschrift. Wir hatten die Geräte im Gepäck verstaut, wussten aber nicht recht, wie wir im Fall einer konkreten Nachfrage verfahren sollten, zumal die GPS-Halterungen immer noch gut sichtbar am Lenker montiert sind. Doch nach der langwierigen und nervenden Prozedur ist Gepäckkontrolle kein Thema mehr, wir können fahren. Doch halt, eines noch: Wieder werden wir in eine Baracke geführt, an deren Tür der Rote Halbmond prangt. Unser Begleiter zieht einen wichtig aussehenden Kittel an und misst uns mit einem Im-Ohr-Thermometer die Temperatur. Ach ja, die Schweinegrippe. Was wohl gewesen wäre, wenn Rendel, wie vor einigen Tagen, noch leichtes Fieber gehabt hätte? – So, jetzt aber los. Schade, dass man durch den Stress und die Hitze den so herbeigesehnten Moment nicht richtig genießen kann. Endlich in Syrien, fällt Sigi ein, dass wir ja noch gar kein Geld getauscht haben. Also lauf ich nochmal zurück, überzeuge den Grenzer, dass ich noch mal eben … er winkt mich kopfschüttelnd durch und ich tausche ein erstes Kontingent Syrische Pfund. (Als Fazit des Grenzabfertigung muss festgehalten werden, dass die Behandlung durchweg überaus korrekt und zumeist auch sehr freundlich war. So mussten wir etwa nicht, wie von anderen berichtet, gegen Bakschisch jemanden anheuern, der uns bei dem Ganzen behilflich ist.)

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Basare, Burkas, Bigamisten

Aleppo

Als nächstes steht ein Tankstopp an. Die syrische Ölindustrie ist verstaatlicht, also nichts mit Shell, BP etc., die Tankstellen sind sehr unscheinbar, manchmal eher Zapfstellen. An der ersten stoppen wir, kurz drauf bekomme ich Sehstörungen, mit denen sich bei mir immer ein Migräneanfall ankündigt. Ausgerechnet hier und jetzt! Wir beschließen, einen Moment auszuruhen. Der Tankwart bietet uns Stühle an und geht mit einer Kupferkanne mit langem Stiel herum, aus der er uns in einer Minitasse einen winzigen Schluck Kaffee von teerig-zäher Konsistenz kredenzt. In der Annahme, dass das gegen meine Kopfschmerzen sein soll, halte ich die Tasse nochmal hin – die kommende Nacht schlafe ich kaum …
Positiv vermerken wir in diesem Moment, dass der Spritpreis bei nur ca. 64 Euro-Cent je Liter liegt, ein Einheitspreis, den wir auf unserer gesamten Reise zahlen werden. Wir beschließen, dass Sigi ab hier die Führung übernimmt und halten auf Aleppo zu. In der Nachmittagssonne und bei mittlerweile fast unerträglicher Hitze passieren wir das Ortsschild dieser mit über 1,7 Millonen Einwohnern größten Stadt Syriens. Einer Empfehlung folgend hatten wir uns das schönste Hotel in der Aleppiner Altstadt, das „Dar Halabia“ ausgesucht. Wie in Trance – meine Sehstörungen haben wieder eingesetzt – versuche ich, an Sigi und Petra dranzubleiben, dabei immer noch bestrebt, Rendel im Blick zu behalten.
Der Verkehr ist einfach unbeschreiblich, ich versuch‘s trotzdem: Auch hier scheinen Fahrbahnmarkierungen eher folkloristische Bedeutung zu haben, eigentlich gibt es gar keine Spuren, nur ein Knäuel von Fahrzeugen, wobei die Farbe gelb überwiegt, etwa 50 Prozent der Fahrzeuge sind Taxis. Abgesehen von der Hauptrichtung, in die alles strebt, fährt jeder, wie er mag. Erst später durchschaue ich, dass das Ganze zwar äußerst chaotisch wirkt, aber trotzdem einer inneren Ordnung folgt. Die Fahrweise ist keineswegs rüpelhaft oder gar rücksichtslos, nur – anders. Vieles, was bei uns verboten oder verpönt ist, darf man halt. Man schneidet und wird geschnitten, aber jeder weiß das und rechnet damit, im Zweifel wird dann eben doch gebremst (meistens zumindest). Das Ganze ist natürlich mit einem durchgängigen Dauerhupton akustisch unterlegt. Nach ein wenig Eingewöhnung kann man an der Fahrweise durchaus Gefallen finden und damit klarkommen, was auch Rendel eindrücklich unter Beweis stellt. Wenn Petra die (eben nicht vorhandene) Spur wechseln muss, macht sie nach hinten Handzeichen, woraufhin das nachfolgende Auto auch meist gebührend Abstand hält.
Aber wie kommen wir ins Hotel? Mehrfach fragen wir, halten schließlich auf einen am Straßenrand stehenden Motorradpolizisten zu. Obwohl nicht entsprechend veranlagt, muss ich sagen, dass es mir die syrischen Polizisten angetan haben, zumindest die in den Städten: sandfarbene Uniform, mit akkurater Bügelfalte, sauber rasiert und mit einem Halbschalenhelm – das hat was, fesch. (Die Motorradpolizisten fahren zumeist ältere Moto Guzzis, ähnlich der California.) Sofort sind wir und der Polizist von Hilfswilligen und Neugierigen umzingelt. Von überall her schallt uns (auch bei Ampelstopps) ein freundliches „Welcome to Syria!“ entgegegen. Man kann uns die grobe Richtung nennen und wir wollen weiter. Um uns das Wiedereinfädeln zu erleichtern, tritt ein zweiter Polizist auf die Straße. Nachdem das vordere Fahrzeug nicht sofort hält, tritt er noch einen Schritt vor, richtet sich gerade auf und zeigt mit gebieterischer Geste vor sich auf die Straße: „Freund, wenn ich ‚Stopp’ sage, dann hast du zu halten!“ Über den so für uns gesperrten Fahrstreifen können wir uns wieder ins Getümmel einreihen.
Mir geht‘s schlechter, die Kopfschmerzen und die Hitze machen mich kirre, Rendel wird‘s nicht besser gehen. Noch einmal steuern wir einen Polizisten an, nach kurzer Beratschlagung bietet sich der Fahrer eines kleinen Lieferwägelchens an, uns vorauszufahren. Schließlich stehen wir am Bab Antakya, dem Antiochia-Tor, düsterer Einlass in die Untiefen des Aleppiner Suq, des Basars, der sich hinter den Mauern über 14 Kilometer auf undurchschaubaren Wegen windet. Ja … und da sollen wir jetzt …? Wir halten vor dem Tor, Sigi (der Gute!) bietet sich an, den Weg zum Hotel zunächst zu Fuß zu erkunden, Rendel hockt wie ein Häufchen Elend auf dem Bürgersteig, Petra (die Gute!) setzt sich hinter sie, damit sie sich anlehnen kann. Ich habe echt Angst, dass sie hier kollabiert, laufe immer wieder ein paar Meter in den von Menschen, Karren und Lieferwagen verstopften Suq, um nach Sigi Ausschau zu halten. Endlich erscheint seine lange, die meisten Syrer überragende Gestalt. Er hat das Dar Halabia gefunden, das aber lediglich noch ein Zimmer frei hat. Freundlicherweise überlassen Sigi und Petra uns das Zimmer, sie kommen in einem anderen Hotel unter, das ihnen unser Hotelier vermittelt hat. Also noch einmal alle Kräfte zusammengenommen und rein in den Suq! Ein Hotelbediensteter steigt bei mir hinten auf und geleitet mich durch die engen Gassen. Niemand nimmt Anstoß, munter hupend bahne ich uns den Weg. Schließlich noch die letzte Gasse – 20 Zentimeter breiter als das Motorrad lang ist – dann stehen wir vor dem Eingang. Ich solle die Moppeds am besten gleich wenden. Und wie bitteschön? Nachdem ich beide Motorräder mit jeweils etwa einem guten Dutzend Zügen gedreht habe, meine ich, es sei jetzt an mir, zu kollabieren. Nur noch ganz schnell aufs Zimmer, duschen und hinlegen.
Mit Rendel ist sicher nicht mehr zu rechnen, aber ich würde noch gerne zu Sigi und Petra, weil sich die mit Andrea verabredet haben, schließlich wollten wir sie ja treffen, und sie hatte extra noch einen Tag in Aleppo drangehängt. In deren Hotel eingetroffen, geht‘s mit den Sehstörungen wieder los! Zudem will mich der grenzdebile Nachtportier beharrlich in ein Gespräch verwickeln. Schließlich kapituliere ich, melde mich bei Sigi und Petra ab und mache mich auf ins Hotel. Bedingt durch den ultrastarken Mokka schlafe ich zwar nicht gut, aber immerhin liegen!
Wie wir uns als Motorradfahrer ausgerechnet das einzige Hotel im Suq aussuchen konnten! Dabei ist das Hotel an sich eine echte Empfehlung wert – schön gelegen, lauschiger Innenhof mit Springbrunnen, schöne Zimmer.
Am nächsten Morgen wollen wir das Treffen nachholen, aber mir macht wieder die Migräne einen Strich durch die Rechnung. Rendel streift mit Sigi und Petra durch den Suq, eine freundliche, ganz in schwarz gekleidete Frau zeigt Rendel den Weg zur Umayyaden-Moschee, wobei sie Rendel immer freundschaftlich auf die Schulter klopft und sie am Ärmel zupft. Den Weg zur Zitadelle, wo sie sich mit Andrea treffen wollen, geht Rendel noch nicht mit, auch sie ist noch nicht wieder fit und das grelle Sonnenlicht mögen Migräniker nicht. Als Rendel und ich dann nachmittags noch ein wenig Suq-Atmosphäre schnuppern wollen, kommt uns auf einmal Andrea entgegen, schön, nachdem wir uns bislang konsequent aus dem Weg gegangen sind. Mit zwei Frauen im Schlepptau ist man bei den Männern eine echte Nummer. Überall wird mir ob meiner beiden Frauen Respekt bezeugt. Nach einiger Zeit gebe ich es auf zu erklären, dass die eine nur eine Freundin sei, erzähle vielmehr, dass ich eigentlich drei Frauen hätte, eine aber zu Hause bleiben musste.
Vergiss alles, was du über Basare weißt, selbst, wenn du schon im Großen Basar von İstanbul warst! Das hier ist wirklich Arabien, der Orient. Augen, Ohren und Geruchssinn werden hier auf das Äußerste gefordert. Dort der Schlachter, der – seltsame Zerlegetechnik – teilweise zusammenhängende Innereien präsentiert, Zuckerbäcker mit fantastisch anmutenden (und schmeckenden) Kreationen aus Unmengen Pistazien, Mandeln und Nüssen, andere Süßwaren, Berge von Obst und Gemüse, dann die Gassen mit Stoffhändlern, Schustern, dort hockt jemand, der von Bergen von Weinblättern (zum Füllen) umgeben ist. Und dann die Menschen in den unterschiedlichsten Trachten und Gewändern, die Frauen zumeist konservativ gekleidet, vom Kopftuch bis zur Burka (es gibt noch andere Bezeichnungen), teilweise sogar ohne Sehschlitz, sie schauen durch eine Art Gaze-Schleier, der letzte Quadratzentimeter Haut wird noch durch lange Handschuhe vor den Blicken Unbefugter geschützt. Die Männer tragen häufig die Kuffijah (das „Palästinensertuch“) in rot oder schwarz, manchmal auch einen Turban, einige im schneeweißen Kaftan, andere in grau. Neben den stationären Läden, die nachts hinter Toren und Stahlrollos verschwinden, tummeln sich im Suq noch unzählige Händler mit ihren Karren, auf denen sie Gemüse oder Gebäck anbieten. Und dazwischen, man glaubt es kaum, bahnen sich noch motorisierte Lieferwagen ihren Weg, um die Ecke kommen sie zuweilen nur, wenn sie zwei, drei Mal ansetzen – und keiner nimmt Anstoß.
Sehr angetan sind wir von dem Umstand, dass man nirgendwo aufdringlich angemacht wird. Natürlich schon mal eine freundliche Geste, doch heranzutreten und sich umzuschauen – sind ja schließlich Händler – aber immer zurückhaltend. Zudem hat man nirgendwo, auch abends nicht, den Eindruck von etwas Bedrohlichem, etwas, das einem ein ungutes Gefühl macht. Auch Andrea, die ja zumeist allein unterwegs ist, weiß von keiner entsprechenden Situation zu berichten.
Abends können wir endlich zu fünft noch unser geplantes Essen nachholen, das Antakya-Restaurant ist schlicht, aber mit sehr guten, reichhaltigem Essen, zudem mit Bier und einem schönen Blick über die neueren Stadtteile von Aleppo. Erschöpft fallen wir ins Bett; Sigi und Petras Zeitplan gebietet, dass sie sich morgen weiter in Richtung Jordanien aufmachen, Andrea will am nächsten Tag zurück in die Türkei.
Nach einer erholsamen Nacht fühlen wir uns fit genug, um die Stadt etwas besser zu erkunden. Als besonders imposant wird die Zitadelle beschrieben. Und das ist keine Übertreibung: Als wir aus dem dunklen Suq treten und sich unsere Augen an das Sonnenlicht gewöhnt haben, ragt dieses Monstrum vor uns auf. Die Zitadelle ist von einem Graben umgeben, man betritt die Festung über eine mächtige Steinbrücke durch ein breites Portal. Der Bau, wie er sich heute darbietet, geht wohl schon auf das 13. Jahrhundert zurück, erste Befestigungsanlagen soll es schon in der Bronzezeit gegeben haben, also vor etwa 3.000 Jahren. Von der erhöht liegenden Festungsanlage hat man einen fantastischen Blick über Aleppo. In der inneren Anlage findet sich das angebliche Grab des Heiligen Georg, auch der Kopf Johannes des Täufers soll hier lange Zeit „eingelagert“ gewesen sein. Uns beeindruckt vor allem der riesige Thronsaal mit seiner reich verzierten Decke.
Die Umayyaden-Moschee schauen wir uns nur von außen an, werfen einen kurzen Blick in den Innenhof. Wir empfinden die Atmosphäre als etwas bedrückend, zudem tun wir uns schwer damit, „Allah“ unsere Reverenz zu erweisen, indem wir unsere Schuhe aus- und „angemessene“ Kleidung überziehen. Architektonisch und künstlerisch ist das Ding jedoch, wie viele islamische Bauwerke, eine Wucht – diesbezüglich wird die Moschee allerdings noch durch die Umayyaden-Moschee in Damaskus getoppt (dazu später mehr).
Zeit für einen Hähnchen-Döner. Nach einem Verdauungsschläfchen lassen wir uns den Weg zu einem Internet-Café zeigen, das sich in unmittelbarer Nähe des legendären Hotel Baron befinden sollen. Als die Suche endlich erfolgreich ist – ich will den Leser nicht langweilen –, schlägt bei mir wieder die Migräne zu. (Ich habe es meist schubweise, dann oft viele Monate Ruhe, doch langsam müsste es aufhören, ich bin‘s so leid! Vermutlich hat uns die Anreise und der Hitzeschock zugesetzt.) Rendel fängt an, sich Sorgen zu machen, erwägt insgeheim, ob wir nicht in die „kühlere“ Türkei zurückkehren sollen. Die Kopfschmerzen sind diesmal so stark, dass ich nichts mehr essen mag und im Bett bleibe. Rendel streift noch etwas durch den Suq und legt sich auch früh hin, was zur Folge hat, dass wir am nächsten Morgen schon vor sechs wach sind.

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Säulen, Shishas und Kreuzritter

Aleppo–Apamea–Tartus–Crak des Chevaliers

Ein paar Gurken und Kekse müssen für‘s Erste als Frühstück reichen. Wir fahren durch den zu dieser Zeit fast menschenleeren Suq, auch auf den Straßen ist noch nichts los, so haben wir Aleppo schon gegen sieben Uhr hinter uns gelassen, halten uns auf der Autobahn Richtung Damaskus. Um der drückenden Hitze ein paar Tage zu entfliehen, haben wir uns entschlossen, in die Hafenstadt Tartus zu fahren, auf dem Hinweg noch das antike Apamea anzuschauen und von Tartus aus einen Tagesausflug zu einem Muss in Syrien, dem Crac des Chevaliers, zu unternehmen. Die Autobahn ist, wie viele Straßen in Syrien, von sehr guter Qualität, natürlich mit den orientalischen Eigenheiten: Schafe grasen auf dem Mittelstreifen, Mopeds gehören auch dazu, manchmal kommt einem auf dem Seitenstreifen ein Fahrzeug entgegen, stellenweise sind die Straßenrändern von Verkaufsständen gesäumt, an denen Obst und Getränke angeboten werden – und eine Verkehrsdurchsage könnte so lauten: „Achtung Autofahrer auf der Autobahn von Homs Richtung Damaskus: Zwischen der Anschlussstelle An Nabk und Al Qutayfah blockiert ein überfahrener Esel die linke Fahrspur.“ Derartige Kadaver, die in der Hitze einen eigentümlichen Gestank verbreiten, finden sich häufig.
Auf halber Strecke, in Khan Shaykhun, machen wir an einem Haltepunkt für Busse Rast, wie immer gleich umringt von einer Schar sich mehr oder minder sachkundig gebender Männer umringt. Vor Reiseantritt hatte ich uns das Buch „Kauderwelsch Arabisch“ mit dazugehöriger CD gekauft, das Unterfangen, etwas von dieser Sprache zu lernen, jedoch schnell aufgegeben. Für unverzichtbar hielten wir jedoch die Begrüßungsformel Salaam aleikum und Shukran („Danke!“) bzw. Alf Shukr für „Tausend Dank!“ Die Begrüßung kommt uns zunehmend locker über die Lippen, was unser Gegenüber meist wohlwollend quittiert. Auch hier bekommen wir gleich etwas zu trinken angeboten und wir lassen uns den Weg nach Apamea zeigen. So genau wissen wir nicht, was uns da erwartet und wonach wir suchen müssen, somit fahren wir zunächst hoch zur Zitadelle. In deren Mauern hat sich ein kleines Dorf angesiedelt. Wir halten auf dem Dorfplatz, um den sich ein paar kleine Lädchen gruppieren und sind umgehend von zwanzig, dreißig Menschen – Erwachsene und Kinder – umzingelt. Als die ersten Kinder anfangen, an den Knöpfen und Schaltern unserer Moppeds zu fingern, tritt ein Mittvierziger, eine Art Gerte in der Hand, aus dem Pulk, fährt die Kinder an und haut ihnen auf die Finger. Die meisten halten sich dann respektvoll zurück, ein Junge, der uns um Bakschisch angeht, bekommt es auch umgehend mit dem Mann zu tun. Wir tragen unser Anliegen vor, woraufhin uns ein Mann ins Schlepptau nimmt und einige hundert Meter weiter den Berg hinaufführt. Unsere Motorräder mit allem Zeug lassen wir da, zu 100 % überzeugt, dass unsere Klamotten im Moment nirgendwo sicherer sind, als unter den Augen des gertenbewehrten Mannes. Dort unten, weiter in der Ebene, sehen wir die langen Säulenreihen des eigentlichen Apamea. Wir kehren ins Dorf zurück, kaufen für umgerechenet 55 Cent Brot, Tomaten und Gurken. Unserem Führer wollen wir 100 Syrische Pfund, also etwa 1,60 Euro, zustecken, doch keine Chance, es loszuwerden. Das ist um so bemerkenswerter, als das Dorf einen wirklich ärmlichen Eindruck macht und auch angesichts der Tatsache, dass ein Großteil der syrischen Bevölkerung, vor allem auf dem Land, über kein regelmäßiges Geldeinkommen verfügt, viele Arbeiter und Tagelöhner werden in Naturalien bezahlt.
Mit geschätzten 500.000 Einwohnern zählte Apamea am Orontes zu den größten orientalischen Städten des 1. Jahrhunderts n. Chr. Zwei Hirtenjungen weisen uns den Weg zum Eingang ins das Gelände. Augenfälligstes Merkmale dieser Ruinenstätte ist die fast 1600 Meter lange Säulenkolonnade, die längste der antiken Welt. Viele der Säulen sind noch erhalten bzw. wieder aufgerichtet worden – immer wieder stellt man sich vor, wie viele Handwerker hier in der Hitze geschuftet haben, um all diese Bauwerke zu errichten. Im Schatten einer Mauer verputzen wir unser Gemüse, willkommenes Fotomotiv für einen Leipziger Touristen (die hier ansonsten rar sind).
Derweil macht sich Rendel so ihre eigenen Gedanken: Dürfen die Zehnjährigen hier eigentlich schon Moped fahren? Braucht man einen Führerschein? Gibt‘s hier ein ADAC-Sicherheitstraining?
Die letzten Kilometer nach Tartus schrauben sich das Küstenvorgebirge hoch, schön zu fahrende Strecke, dann eine Anhöhe und wir sehen Tartus und das Meer. Das Blue Beach Hotel soll eine gute Adresse sein, direkt an der Corniche gelegen. Ich frage zwei Motorradpolizisten, die mir zunächst anbieten, ihre Guzzis gegen unsere ATs zu tauschen. Nee, danke … obwohl: mit Blaulicht und Martinshorn – das hätte was! Nachdem die Erklärungsversuche gescheitert sind, kickt einer der Sheriffs seine Kiste an und geleitet uns in Richtung Hotel. Nachdem er uns entlassen hat, verfransen wir uns Dank vieler Einbahnstraßen noch mal. Zwei Männer in einem Auto nehmen sich unser an und führen uns schließlich direkt bis vor das Hotel. Nettes Zimmer mit Balkon und Meerblick, dazu eine schöne, kühle Brise. Als dann kurzzeitig der Strom ausfällt, merken wir, dass die allerdings aus der Klimaanlage wehte … Nach der obligatorischen Duschung und etwas Relaxen suchen wir zunächst ein Internetcafé auf, um endlich mal eine Rundmail an Freunde und Verwandte zu schreiben. Danach gehen wir ins angepriesene Restaurant Sahara, dessen Essen allerdings nicht hält, was der Reiseführer versprach.
Heute ist Mittwoch, der 20. Mai, und heute soll es zur legendären Kreuzritterburg Craq des Chevaliers gehen. Bei der Streckenplanung orientiert sich Rendel immer an der Farbe der Straßen auf der Landkarte. „Gelb“ ist meist noch gut zu fahren, „weiß“ geht noch, aber schon schwieriger. Unsere heutige Route weist eine Mischung von beidem auf, zurück soll es ein Stück Autobahn gehen. Auf dem Hinweg fahren wir über Safita, das einigen als der schönste Ort Syriens gilt, ein Eindruck, der sich uns nicht erschließt – Hochhäuser, voll und laut. Danach wird es aber, vor allem landschaftlich, wieder sehr schön, nur die Straße („weiß gestrichelt“?) macht Rendel teilweise Mühe. Ich habe einen Abzweig übersehen, und so müssen wir lange auf Erd- und Schotterstrecken bergab, zum Teil durch Dörfer und in engen Kehren. „Bergab, Schotter, Kehren“ – das ist immer noch Rendels (Alb-)Traumkombination, doch schafft sie auch das, behauptet hinterher sogar, es hätte ihr Spaß gemacht. Auf dem Weg kommt uns ein Mopedfahrer entgegen, der vor sich zwischen den Beinen einen wohl zwei Meter hohen Olivenbaumsetzling mit Wurzelballen transportiert, gestern überholten wir zwei junge Männer auf einem Moped, die ein Bündel von drei bis vier Meter langen Stangen Monierstahl hinter sich herschleiften.
Schon von Ferne sieht man den Crac auf dem Berg thronen. Diese, ursprünglich den Johannitern gehörende Burg, ist vielleicht die Kreuzfahrerfestung schlechthin. Auch wenn die Burgen und Festungen in unseren Breiten häufig etwas Gewaltig-Majestätisches, manchmal Bedrohliches ausstrahlen, so wirken die entsprechenden Anlagen in dieser Gegend doch wesentlich „massiver“. Das, was sich etwa wie an einer Perlenschnur aufgereiht am Rhein entlang schlängelt, verbinde ich eher mit Walt Disneys Cinderella, während die gewaltigen, monolithisch wirkenden Zitadellen und Burgen hier in Syrien eher zu Krieg der Sterne passen würden. Der Crac (der Name Crac entstammt wahrscheinlich dem Altsyrischen und bedeutet „Festung“), gehört zu den großen nationalen Baudenkmälern Syriens, und so werden auch Schulklassen etc. herangekarrt, dazu natürlich busseweise Touristen auf ihrer Rundreise. Trotzdem hält sich der Auftrieb in Grenzen, zudem ist das Areal auch in dieser Hinsicht sehr weitläufig, viele Fotos gelingen, ohne dass ein anderer Besucher ins Bild lugt. Doch vorher zeigt uns noch der einbeinige Parkplatzwächter einen guten Stellplatz. Wir drücken ihm 100 SP in die Hand machen uns in der Gewissheit, dass an unseren Moppeds nichts wegkommen wird, auf den Rundgang. Zwar sind eine Anzahl Stufen zu erklimmen, doch liegt vieles im Schatten, weshalb das Ganze dann nicht so arg schweißtreibend wird.
Zwar weiß ich, dass die Festung häufig den Besitzer gewechselt hat, doch frage ich mich unwillkürlich, wie so ein Klotz überhaupt je eingenommen werden konnte. Die innere Burg ähnelt einer Pyramide, die auf halber Höhe gekappt und auf deren Ecken dann mächtige Türme gesetzt wurden. Mithilfe der 11-Millimeter-Stellung meines Ultra-Weitwinkel-Objektivs bekomme ich sie, wenn ich direkt davor stehe, so gerade ganz aufs Bild. Diverse An- und Einbauten aus Nach-Kreuzfahrerzeit, so etwa von den Mameluken, können den christlichen Ursprung der Burg nicht verdecken. (Wobei ich hier nicht auf die Frage eingehen möchte, wie weit „christlich“ und „Kreuzfahrer“ überhaupt zusammenpassen …) Manche Fenster und Spitzbögen, der große Speisesaal und anderes erinnern an eine Klosteranlage. Besonders hat es mir der riesige Ofen neben der Küche angetan, dessen Feuerstelle mehrere Meter im Durchmesser misst – die Pizza hätte ich sehen wollen! Eine Nummer kleiner ist das Restaurant, das gleich neben dem Crac liegt. Wir haben Zeit und lassen uns Hähnchen in Knoblauchsauce, Humus und einen Vorspeisenteller kredenzen. Rendel hatte hier schon vor der Besichtigung eine Flasche Wasser gekauft. Der Kassierer nahm ihr 100 SP ab. Kurz drauf lief ihr der Besitzer hinterher, ein bedauerndes „Sorry, sorry!“ auf den Lippen. Der Kassierer hätte ihr 50 SP zu viel abgenommen. Dem Inhaber ist das wohl immer noch peinlich und drückt Rendel bei der Verabschiedung noch ein besticktes Täschchen in die Hand – als „Wiedergutmachung“. Dann muss er sich noch davon überzeugen, dass wir wirklich mit dem Motorrad gekommen sind, als wir starten, hält er anerkennend den Daumen hoch. Zurück nehmen wir die Autobahn, die etliche Kilometer direkt an der Grenze zum Libanon entlang führt.
Vor dem Hotel checke ich später die Moppeds, wobei mich ein Mann anspricht, der sich als Motorradmechaniker zu erkennen gibt. Er bestätigt mir, dass es in Syrien – aus welchem Grund auch immer – kaum „richtige“ Motorräder gibt, auf seinem Fotohandy zeigt er mir die angeblich einzige Ducati Syriens. (In Tartus gibt es aber zumindest noch ein richtiges Motorrad. Am Abend können wir vom Balkon beobachten, wie ein Irrer mit Sozius auf der Hauptstraße vor dem Hotel Wheelies produziert, mit mindestens 130 km/h, immer hin und her – und vor den Augen der Polizei. Ein weiteres Anzeichen, dass Motorrädern wohl einer privilegierten Schicht vorbehalten sind.)
Wir erwägen, zum Abendessen auf die vorgelagerte Insel Arwad überzusetzen, doch dann ereilt mich wieder die Migräne. Wird zwar nicht so schlimm, doch bleiben wir lieber „an Land“. Mal schauen, ob sich die zweite Restaurantempfehlung, das Castle, als besserer Tipp erweist. Wir sind es gewohnt, relativ früh zu essen, was die Restaurantbesuche häufig zu einer einsamen Angelegenheit werden lässt. So strecken wir noch die Zeit, schauen den Booten im Hafen zu und den Shisha-Rauchern, die sich ihre abendliche Wasserpfeife mit Blick aufs Meer gönnen. Die Kathedrale Notre Dame de Tortosa (Tortosa ist der ursprügliche Name von Tartus) hat schon geschlossen, doch können wir sie noch von außen bewundern, eine schöne Kirche aus der Kreuzfahrerzeit, teils in romanischem, teils im gotischen Stil, die heute als Museum genutzt wird. Das orthodoxe Ostern liegt zwar nach dem unsrigen, trotzdem müssen wir schmunzeln, als wir an einer anderen, modernen Kirche noch ein „Happy Easter!“ in Leuchtschrift prangen sehen. Unsere Verzögerungstaktik hat nicht gefruchtet, im Castle sind wir noch die einzigen Gäste. Fisch müsste doch hier, direkt am Meer, die beste Wahl sein. Aber die Auslage ist leer. „Kein Problem!“, meint der Kellner, woraufhin ich befürchte, dass jetzt die Tiefkühltruhe bemüht werden soll, aber weit gefehlt. Nach zehn Minuten ist er wieder da, ein ausladendes Tablett mit einer einladenden Zusammenstellung ganz frischen Fischs darauf. Er war nur eben zum Fischmarkt rübergeflitzt und hat eine Auswahl besorgt. Frischer geht‘s nicht! Dazu handgeschnitzte Pommes, Humus (hat‘s uns einfach angetan), gegrillte Auberginen, Salat, Wasser und Bier – das alles für ganze 1.900 SP, also etwa 31 Euro. Ach ja: In dem Preis war noch etwas mit drin. Nachdem ich die Shisha-Raucher draußen im Café beobachtet hatte und auch unser Restaurantchef selig an seinem Pfeifchen zieht, möchte ich auch mal. Ich gestehe dem Ober, dass ich das noch nie gemacht habe. So holt er mir zunächst seine, steckt ein neues Mundstück drauf und lässt mich mal ziehen. „Schmeckt?“ – „Ja, lecker!“ Die Restaurants haben meist einen Burschen, der nur für die Wasserpfeifen zuständig ist. In einem an dünnen Ketten hängenden Gefäß, das an den „Weihrauchschwenker“ in der katholischen Kirche erinnert, transportiert er glühende Holzkohlestückchen. Er bringt eine Shisha, legt Kohlen auf, raucht die Wasserpfeife an, steckt dann ein frisches Einmal-Mundstück auf und reicht mir den Schlauch. „Verfeuert“ wird in der Regel ein Tabak mit Apfelaroma. Interessanterweise ist der Rauch sehr mild, der Schadstoffanteil soll jedoch über dem von Zigarettenrauch liegen. Okay, aber ich will mir das ja nicht angewöhnen. Kaum zu glauben, aber selbst Rendel nimmt ein paar Züge, ohne zu husten und meint, dass ihr das auch schmeckt! Na, wer weiß, was da noch mit drin ist! Zwischendurch kommt der Junge immer mal, um neue Kohle aufzulegen, so kann man bis zu zwei Stunden an dem Ding nuckeln, während die Pfeife heimelig vor sich hin blubbert.
Satt und um eine Erfahrung reicher gehen wir ins Hotel. Rendel sinniert noch etwas über das Motorradfahren. Sie kann stolz sein, dass sie heute wieder ein paar kribbelige Stellen gemeistert hat, eine Zufriedenheit, die jedoch einen Dämpfer erhält, als sie sich entsinnt, dass sie ein Zwölfjähriger mit einem Beifahrer hintendrauf dabei überholte … Zudem geht sie davon aus, dass sie schon lange landesweit Gesprächsthema ist, weil sie wohl die einzige Verkehrsteilnehmerin ist, die sowohl vor dem Überholen als auch vor dem Wiedereinscheren den Blinker setzt.
Wir genießen noch einmal die guten Betten (an zeitigen Schlaf ist jedoch wegen des Verkehrslärms nicht zu denken), denn die Qualität der morgigen Schlafstatt erscheint ungewiss – es soll ins Kloster gehen.

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Bei Thekla in der Klosterzelle

Tartus–Maalula

Unsere gute Erfahrung mit dem frühmorgendlichen Verkehr in Aleppo haben den Plan in uns reifen lassen, auch Damaskus in den Morgenstunden anzugreifen. Maalula, wohin wir uns heute aufmachen wollen, liegt nur eine knappe Stunde von Syriens Hauptstadt entfernt, also ideal. Die heutige Etappe wird nur gut 200 Kilometer lang sein, also Zeit genug. Gegen neun machen wir uns auf, verfahren uns noch kurz, wobei wir den schönen Strandabschnitt von Tartus kennen lernen. Wieder fährt uns ein Rollerfahrer voraus und zeigt uns den Weg. Über Homs (auch ein Ziel, das sehenswert sein muss, das wir aber links liegen lassen) halten wir uns Richtung Damaskus. Autobahn, aber über zig Kilometer keine Tankstelle. Ein LKW-Fahrer weist uns in ein staubiges Dorf, wo die Straße jedoch in einer Sackgasse zu enden scheint. Zurück zur Hauptstraße, nochmal gefragt, doch, das stimmt. Wir hätten noch ein paar Meter weiter gemusst. Also Sprit fassen, etwas Smalltalk über uns und unsere Reise, dann geleitet uns ein Tankwagenfahrer zurück zur Hauptstraße. Nach etlichen Kilometern schlagen wir uns in die Berge. Laut Karte müssen wir uns Richtung Yabrud halten, doch verfransen wir uns. Die Gegend gehört zu denen, wo es einem nicht leid tut, sich verfahren zu haben. Über kleine Dörfer, bei denen wir davon ausgehen müssen, dass sie eher selten einen Touristen, noch dazu auf dem Motorrad, zu Gesicht bekommen, suchen wir uns den Weg, beim Nachfragen immer darauf bedacht, dass Rendel nur Frauen und ich die Männer anspreche. (Wobei auf machen Strecken klar zu erkennen ist, ob wir uns in vornehmlich muslimisch besiedeltem Gebiet befinden oder auf „christlichem Terrain“, die Kleidung der Frauen macht es frappierend deutlich.)
Schließlich ist Maalula ausgeschildert, doch zieht sich die Straße ziemlich lang durch die Wüste und dann in die Berge. Dann fahren wir auf einen mächtigen Hohlweg zu, an beiden Seiten ragen hohe Felsen auf, ein schönes Motiv. Ich fahre ein paar Meter weiter, um die Richtung zu erkunden, und lande vor einem riesigen Stahltor, das die Straße abriegelt. Wirkt militärisch, keine Chance, also zurück. Zwei Arbeiter beschreiben uns, indem sie in den Sand malen, den Weg. Obwohl die Richtung stimmte – ich habe Maalula als Waypoint auf dem GPS – hätten wir an einer Gabelung doch erst eine andere, vermeintlich falsche Richtung nehmen müssen. Nicht weit vor Maalula kommt uns eine BMW R1200GS entgegen. Der Fahrer, ein Münchner mit Wohnort Athen, kommt gerade von dort. Er gibt uns noch ein paar Tipps für Damaskus, was unsere noch latent in der Schwebe befindliche Entscheidung „Damaskus: ja oder nein?“ letztlich klärt. Dann geht‘s weiter. Wir wissen nicht genau, wo wir hin müssen, orientieren uns erst zum Konvent St. Serge et Bacchus (Was hat denn Bacchus, dieser Trunkenbold, mit Mönchtum zu tun?) Im kleinen Restaurant nebenan spricht eine Gruppe polnischer Männer schon zur Mittagszeit dem „Pivo“ zu, danach kommt ein Trupp Franzosen. Wir stärken uns mit Pizza und Tee und bewundern die schöne Aussicht. Unter uns, in einem engen Bergeinschnitt an den Felsen gelehnt, das muss unser Ziel sein, das Kloster der Heiligen Thekla. Thekla war eine angebliche Schülerin des Paulus, die sich der Zwangsverheiratung durch ihre heidnischen Eltern widersetzte, floh, und in den engen Schluchten der Gegend Schutz fand. Die beiden Klöster gehören zu den ältesten der Welt, der Männerkonvert St. Serge et Bacchus soll gar das älteste durchgehend bewohnte Kloster überhaupt sein.
Eine der Besonderheiten Maalulas ist, dass seine 5000 Einwohner noch das ursprüngliche Aramäisch sprechen, das Jesus und seine Jünger benutzten. Zwar finden sich auch im Tur Abdin in der Türkei (südlich von Mardin und Midyat) noch aramäisch sprechende Gruppen, doch soll die in Maalula gesprochene Variante noch näher an das Original herankommen, eine Tatsache, die zum Beispiel dazu geführt hat, dass der Erhalt diese Sprache mittlerweile sogar staatlicherseits gefördert wird.
Die freundliche Schwester weist uns ein Zimmer zu: sehr (sehr!) einfach, Toilette, Dusche und Waschbecken auf dem Gang. Etwas irritiert sind wir von dem Kinderspielzeug auf eben jenem Gang, zudem befindet sich gegenüber unserem Zimmer ein Raum, der wie ein Klassenzimmer eingerichtet ist. Als uns dann am nächsten Morgen auf dem Weg zur Dusche noch Kinder mit Tornistern über den Weg laufen, erfahren wir, dass sich die Nonnen neben der Kontemplation noch der Betreuung und der Unterrichtung von Waisenkindern verschrieben haben.
Wir erkunden ein wenig die Umgebung. Das Kloster ist direkt am Felsen gelegen, von dort kann man durch die Schlucht wandern, durch die man auch den eigentlichen Ort und das höher gelegene Männerkloster erreichen kann. Das Kloster an sich ist recht schön, eher schlicht, im Innern das Grab der Heiligen Thekla. Uns fällt auf, dass Besucher wohl eher gern gesehen sind, anders, als etwa in Griechenland erlebt. Hundert Meter weiter ist ein kleines Lokal, hier werden wir für kleines Geld mehr als satt, der Hauswein ist etwas gewöhnungsbedürftig.
Das Kloster liegt fast 1700 Meter hoch, der Ort ist recht weit weg, beste Voraussetzungen für eine ruhige Nacht. Eigentlich. Den Muezzin im Ort nimmt man ja schon fast nicht mehr wahr. Doch dann wird der spätabendliche Klostergottesdienst, der wohl zwei Stunden dauert, auch in voller Länge über die hauseigene Lautsprecheranlage übertragen, so dass sich zeitweise Minarett und Kirchturm zu einer unbeschreiblichen Kakophonie vereinen. Zwar klingt das Aramäische durchaus angenehm, zudem bekommt man die Ursprache Jesu ja auch nicht jeden Tag zu hören – aber ich will schlaafen! Aber auch das endet schließlich und wir kommen doch noch zu unserer Erholung.

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In der erstaunlichsten Stadt der Welt

Maalula–Damaskus

Zum Frühstück werden wir in die Klosterküche geleitet. Ich würde es mal so bezeichnen: sehr frugal. Wir fragen nach dem Preis, die Beherbergung erfolgt auf Spendenbasis. Uns wird ein Betrag von 10 Dollar genannt, wir lassen 30 Euro da. Rendel hält noch ein Schwätzchen mit der Oberin, die ihr ein Armbändchen schenkt und uns mit dem Satz: „Wann immer ihr nach Maalula kommt – hier habt ihr ein Zuhause“ und einem „God bless you!“ verabschiedet.
Schon gegen zehn Uhr rollen wir in Damaskus ein. Unsere „Frühmorgens-Taktik“ scheint aufzugehen. Wir folgen der Beschilderung Richtung „Old City“, am Eingang in einen Suq stoppen wir und fragen. Als Unterkunft haben wir uns das Dar al-Yasmin oder, alternativ, das Gästehaus einer Familie Fallouh ausgeguckt. Wir drehen, fahren nach Anweisung der Polizei in falscher Richtung in eine Einbahnstraße, dann einfach so weiter, wie mein untrüglicher Instinkt mich weist. Auf einer schnurgeraden Straße geht es schier unendlich weiter, alles noch sehr leer an diesem Morgen. Schließlich erklären wir einem französischsprachigen Mann unser Anliegen. Er ist pensionierter Biologieprofessor. Nach einer Tasse Tee nimmt er uns an der Hand und führt uns durchs Gassengewirr (die Motorräder bleiben stehen). Er will uns an einen Freund vermitteln, der irgendwo im Hinterhof Zimmer vermietet. Dieser Freund, ein älterer Herr, begrüßt uns, nachdem er gehört hat, dass wir Deutsche sind, mit „Heil Hitler!“ Okay, und die Zimmer sind auch nicht schön. Wir lehnen dankend ab, was den Professor aber nicht vergrätzt, vielmehr weist er uns noch den Weg zum Dar al-Yasmin, zudem würde er sich freuen, uns später noch auf ein Schwätzchen begrüßen zu dürfen.
Das Dar al-Yasmin liegt versteckt in einer Gasse des christlichen Viertels, wie so oft durch ein unscheinbares Stahltor vom Rest der Welt abgeschottet. Doch dahinter liegt das Paradies – in dem aber leider kein Zimmer mehr frei ist! Morgen, morgen wäre was frei. Der Rezeptionist vermittelt uns für die erste Nacht ans Al-Khair Palace. Zurück bei den Motorrädern stellen wir fest, dass wir dahin nur noch ein paar Meter fahren müssen, immer auf dieser geraden Straße. „Gerade Straße?“ Jetzt dämmert es uns. Wir fuhren die ganze Zeit auf der „geraden Straße“, die in der Bibel in der Apostelgeschichte genannt ist, die Straße, auf der Paulus nach seiner Erblindung den Ananias traf. Und direkt an dieser geschichtsträchtigen Straße, kurz vor dem Bab Sharqi, dem Osttor, liegt unser Hotel. Zunächst muss ich von der Straße kommend durch ein enges Tor, so schmal, dass ich mit meinen Koffern kaum durchpasse. Über den roten Teppich (wir waren ja angekündigt!) fahre ich bis zum Hotel vor, zum Wenden ein Stück in die Eingangshalle, dasselbe noch mit Rendels Mopped – et voilà!
Nach dem Duschen erkunden wir erst die nähere Umgebung. Besonders interessant ist die Ananias-Kapelle. Dieser Jünger Jesu hatte, aller Angst zum Trotz, den Christenverfolger Saulus, später Paulus, aufgenommen. Die schon sehr alte Tradition lässt es als wahrscheinlich erachten, dass sich am Ort der heutigen Kapelle tatsächlich das Haus des Ananias befunden hat. Als wir gerade für einen Hähnchen-Döner anstehen, bekomme ich wieder Migräne. Schnell verputzen wir den Döner und machen uns auf den Weg ins Hotel. Nach zwei Stunden Schlaf, starkem Tee und ein paar Muffins geht es wieder (es sollte dann auch der vorerst letzte Anfall auf der Fahrt gewesen sein). Wir trotten in Richtung Altstadt und Umayyaden-Moschee. Meine Meinung zu Moscheebesuchen habe ich ja schon kundgetan – aber auch die zu der Architektur und der Kunst. Diese Moschee ist einfach atemberaubend, selbst das, was man nur von außen sehen kann. Vor allem das riesige Mosaik, das die Frontfassade schmückt, ist überwältigend. Die Moschee gehört zu den wichtigsten Kultstätten des Islam, entsprechend ist der Besucherandrang. Im Schatten der Moschee liegt das Noufara-Kaffeehaus, das wohl bekannteste in ganz Damaskus. Um 18 Uhr sollen wir hier eine der Hauptattraktionen sehen können – einen der letzten Damaszener Geschichtenerzähler (Rafik Shami lässt grüßen). Leider stellt sich heraus, dass es dann doch halb acht werden wird. Aber Damaskus, die erstaunlichste Stadt der Welt, lässt keine Langeweile aufkommen. Wir marschieren nochmal um das Moscheeareal. Wie häufig, wurden an dieser Stelle schon mehrere Götter angebetet: Schon vor 4000 Jahren war hier eine erste Kultstätte, unter den Römern erstreckte sich an dem Ort ein riesiger Jupitertempel, bis dann im Jahr 705 mit dem Bau der Moschee begonnen wurde. Und zu guter Letzt sollen sich hier auch die Gebeine Johannes‘ des Täufers befinden (der, dem Herodes auf Salomes Bitte hin den Kopf abschlagen ließ). Auf unserer Suche nach der Zitadelle, die in direkter Nachbarschaft zur Moschee liegen soll, bahnen wir uns den Weg durch den völlig überfüllten Suq. Mittendrin „fahren“ dann noch Taxis und kleine Lieferwagen, die gar nicht durch die Gassen zu passen scheinen. (Autohändler: „Wo wohnen Sie? In der XY-Gasse? Da empfehle ich ihnen den chinesischen Hefei 1200 – nur fünf Millimeter schmaler als die engste Stelle der Gasse.“) Wir verirren uns, finden die Zitadelle nicht (die, wie wir am nächsten Tag erfahren, im Moment eh nicht zugänglich ist) und landen irgendwo in einem sehr ärmlichen Teil der Stadt. Schließlich erkunden wir nochmal die Lage des Restaurants, in dem wir zu abend essen wollen, um die Zeit natürlich noch menschenleer. Gegen sieben sind wir wieder am Noufara, noch Zeit, sich rasieren zu lassen. Gegenüber des Noufara findet sich eine Friseurstube. Der Inhaber, ein alter, hinkender Mann, macht sich an mir zu schaffen. Alte Schule. Er kein Wort deutsch oder englisch, ich kein arabisch, aber wir haben Spaß. Zum Schluss, nachdem er mir Bart und Schädel blitzeblank geschoren hat, greift er zum Kamm, um ihn dann mit der Geste: „Ach nee, da hab ich mich ja vertan!“ und mit verschmitztem Lächeln wieder wegzustecken. Umgerechnet 1,60 Euro verlangt er für seine Dienstleistung.
Jetzt aber schnell rüber. Sepp, der BR-Kameramann aus Kappadokien, hat uns schon von dem Geschichtenerzähler berichtet, der in der „Fernweh“-Folge des Senders auch eine Rolle spielte. Einen Fez auf dem Kopf, ein großformatiges Buch auf den Knien, so sitzt er da auf seinem erhöhten Stuhl. Nachdem das Publikum zur Ruhe gekommen ist, schlägt er das Buch auf und fängt an zu erzählen – natürlich auf Arabisch. Mit dramatischen Gesten und einer entsprechenden Stimme zieht er alle, auch die, die nichts verstehen, in den Bann. Immer, wenn mal ein Begriff auftaucht, der auch uns geläufig ist, also etwa „Aladin“, „Harum al-Rashid“ oder „Damaskus“, geht ein langgezogenes „Ooooh!“ und „Aaaah!“ durch die Zuhörerschaft. Wenn diese einmal unaufmerksam wird oder eine Passage der Unterstreichung bedarf, greift der Erzähler unvermittelt zu einem Schwert und schlägt damit mit einem Knall auf das vor ihm stehende Tischchen. Dabei interagiert er sympathisch und manchmal mit gespielter Empörung und Ärger mit den Zuhörern. Ein köstlicher Spaß, der daran erinnert, dass gute Unterhaltung auch in der Vor-TV-Ära möglich gewesen ist. Der umhergereichte Teller füllt sich schnell mit etlichen Scheinen.
Mit Hunger bis unter die Arme nehmen wir im Restaurant Al-Dar, angeblich eines der besten in ganz Damaskus, Platz. Mehrere Kellner laufen herum, ohne, dass das Ganze überkandidelt wirkt. Wir bestellen Humus mit gebratenem Rindfleisch, Salate, Hähnchen provençale, Kebab nach Art des Hauses und libanesischen Rotwein. (Als wir wieder zu Hause sind, wird uns das Al-Dar tatsächlich als das beste Restaurant auf dieser Reise in Erinnerung geblieben sein.) Angenehme Musik lässt die Sache rund werden, zumal, als sich ein Paar daran macht, live zu singen und zu spielen, zumeist westliche Liebeslieder älteren Datums, mit sehr schöner Stimme vorgetragen und am Keyboard begleitet. Als ich dann frage, ob sie vielleicht „unser Lied“ – Have I Told You Lately von Van Morisson – im Repertoire haben, muss ich mich erst mit einem „Sorry!“ abfinden, kurz drauf erklingt es dann doch, zwar ohne Gesang – „Sorry again, only music!“ –, doch schön. Ein perfektes Dinner für zwei! (Die Zeche war dann so gering, dass wir kaum glauben konnten, in einem der besten Hauptstadtrestaurants gegessen zu haben.)
Auch im Restaurant unseres Hotels gibt es bis spät Live-Musik, aber eher im Stil von „Heinz Rahlenkötter an der Farfisa-Heimorgel“, aber das stört mich nicht, ich bin müde und schlafe wie ein Stein.
Am Morgen heißt es umziehen. Wir lassen uns noch mal den Weg zurück zum Dar al-Yasmin erklären und fahren zunächst – die „Gerade Straße“ ist Einbahnstraße – entgegen der Fahrtrichtung, woran von den Einheimischen niemand Anstoß nimmt, lediglich ein paar Touristen rufen uns „WROOONG WAY!“ zu. Im Gassengewirr geben wir schließlich auf und wenden uns an einen freundlich wirkenden Ladenbesitzer. Der ruft einen Fünfzehnjährigen herbei, der sich auf meinen Sozius schwingt und mir die Richtung zeigt. Ich hätte ihm gerne etwas zugesteckt, doch wage ich am Ende nicht, ihn aus seiner Verklärung zu wecken. Er bringt noch ein stammelndes „Thank you for the ride!“ über die Lippen, dann verschwinden wir um die letzte Ecke zum Hotel. Luftlinie betrug die Entfernung zwischen den Hotels vielleicht 800 Meter, gefühlte 10 Kilometer, schon wieder nassgeschwitzt. Wir müssen noch etwas warten, bis unser Zimmer hergerichtet ist, Zeit, das Hotel schon in Augenschein zu nehmen: mehrere Innenhöfe, Balustraden, Erker, Springbrunnen, überall Steinmetzarbeiten und Wandmalereien, viel Grün, antike Möbel mit Intarsien und Perlmutteinlegearbeiten – ein Traum aus 1001 Nacht. (Zudem auf dem Zimmer zwei Betten in 140 x 220, auch für mich lang genug.) Diese heutigen Hotels waren früher zumeist Stadthäuser besser gestellter Bürger.
Wir machen uns noch einmal auf in Richtung Zitadelle, die wir zumindest von außen sehen können. Davor steht das dramatische Reiterdenkmal von Saladin dem Prächtigen, dem Nationalhelden, ja, einem der Helden der arabischen Welt schlechthin. Dieser Kurdenfürst hat im Jahr 1187 in der Schlacht bei Hattin die Kreuzfahrer unter Guido von Lusignan besiegt und in der Folge die Stadt Jerusalem nach 88-jähriger Besetzung durch die Kreuzritter befreit.
Wir decken uns noch mit köstlichen „süßen Stückchen“ ein, dann ziehen wir uns erst ins Hotel zurück. In Anlehnung an die abenteuerliche Flucht des Paulus über die Stadtmauer (die Sache mit dem Korb), baldowern auch wir unseren morgigen Fluchtweg aus der Stadt aus. Wir genehmigen uns noch einen frisch gepressten Orangensaft, um den Abend dann wieder im Al-Dar ausklingen zu lassen. Wir hatten uns fest vorgenommen, uns nicht zu überfressen – aber dann gab es noch einen Früchteteller auf Kosten des Hauses, kunstvoll arrangiert … so rollen wir uns ins Hotel.

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Durch die Wüste

Damaskus–Palmyra

Heute ist Sonntag, der 24. Mai. In den Altstadtgassen begegnen uns nur ein paar Kirchgänger. Schnell sind wir wieder auf der Via Recta, der „Geraden Straße“, auf der wir die Altstadt durch das Bab Sharqi verlassen. Wir müssen erst wieder ein Stück Richtung Norden, also im Idealfall so, wie wir gekommen waren, denn auf dem Hinweg haben wir schon den Hinweis in Richtung Tadmur/Palmyra gesehen. Soweit zur Theorie. Sobald wir wieder in eher muslimischen Gefilden sind, ist es aus mit Sonntagsruhe. Wir sind mitten drin im Berufsverkehr, eingehüllt von Dieselschwaden. Irgendwann kommen wir an einer Kaserne vorbei. Ich spreche einen Offizier an, der kurz Haltung annimmt und mir zur Begrüßung die Hand reicht. Leider kann ich mit seinen Erklärungen nicht viel anfangen, doch dann zeigt er auf einen Linienbus: „Einfach immer hinterher!“, bedeutet er mir. So zockeln wir hinter dem Bus her, bis er irgendwo abbiegt, was mir nicht zielführend erscheint, wir fahren lieber geradeaus. Nach einigen Kilometern ist er wieder vor uns … okay, schon gut! Ich setze mich neben den Bus, der Fahrer lacht mir zu, als ob er wüsste, was da gelaufen ist. Rendel hat, allen ihren Befürchtungen zum Trotz, auch Damaskus gut im Griff. Zwar kam es heute morgen in einem Kreisverkehr fast noch zu einer unsanften Begegnung mit einem Taxi, aber sonst alles super.
Schließlich der ersehnte Wegweiser. Etliche Kilometer müssen wir uns die Straße noch mit LKW teilen, die zumeist die Zementwerke und andere Fabriken entlang der Straße anfahren. Dann dünnt sich der Verkehr langsam aus, bis wir manchmal zehn, fünfzehn Minuten ganz alleine sind. Wir fahren noch ein paar Kilometer, als sich das Landschaftsbild allmählich ändert und wir mitten in der Wüste sind. Ein Wegweiser nach Bagdad tut ein Übriges, um uns daran zu erinnern, dass wir in Arabien sind (zudem queren wir einmal die legendäre Bagdad-Bahn). Wir stellen die Motorräder ab und lauschen. Nichts. Herrlich. Und dann dieses Licht und die Weite. Überhaupt ist diese Gegend, um es mit dem zeitgenössischen deutschen Philosophen Herbert Knebel zu sagen, „von einer großen Weitläufigkeit gekennzeichnet“. Die Luft flirrt, das Auge wird von Luftspiegelungen und Fata Morganas irritiert.
Bei einer Pause hält ein kleiner Lieferwagen mit Pritsche an, zwei Männer im Führerhaus, zwei auf der Ladefläche, Arbeiter auf dem Weg zu einer Baustelle. Salaam alaikum! – Wa Aleikum as-Salaam! Zu mehr reicht es „offiziell“ nicht, trotzdem verstehen wir uns prächtig. Der kleine Gaskocher auf der Ladefläche wird angeworfen, Tee gemacht, die Gläser extra ganz sorgfältig vor unseren Augen gespült. Die Männer können uns erklären, dass sie Kurden sind. Noch ein wenig interessiertes Nachfragen nach unseren Moppeds, Foto – dann ziehen wir weiter. Keine zehn Kilometer weiter schon der nächste Halt. Von anderen Reisenden hatten wir vom legendären Bagdad Café gehört – somewhere in the middle of nowhere. Dieses kleine Restaurant wird von einigen Brüdern betrieben. Redwan, gekleidet im typischen Stil der Beduinen, hat freundliche, wache Augen. Nachdem wir etwas zu trinken bestellt haben, setzt er sich zu uns. Sein Englisch ist ausgezeichnet. Wir unterhalten uns über unsere Kulturen, Vorbehalte, Vorurteile und die Möglichkeiten, diese auszuräumen. Vielleicht ist es ein Vorurteil von mir, aber ich bin überrascht, hier einen so weltoffenen, kultivierten und verständigen Menschen zu finden. Redwan stammt aus der Gegend von Maalula und ist seit 15 Jahren hier. Seine Familie kommt immer in den Ferien, denn die Möglichkeit zur Schulbildung ist hier nicht so gut. Er hat sich Englisch selbst beigebracht und er betont immer wieder, wie wichtig die gemeinsame Sprache ist, um einander kennen zu lernen. So habe er im Laufe der Zeit seine Vorurteile gegenüber Europäern revidieren können. Er genießt es, dass „die Welt“ zu ihm kommt und er von ihr und sie von ihm lernen kann. Wie war das nochmal mit den Schurken? Redwan erzählt, dass er sich jede Woche ein neues englisches Wort beigebracht hat. Das erinnert mich an Cavit aus Mustafapaşa, der mir, auf seine guten Englischkenntnisse angesprochen, erzählte, dass er ein Wort pro Tag lernen würde. Ob die Wüste dabei hilft, noch einen Gang runterzuschalten, die Zeit noch ein wenig relativer zu nehmen?
Wir grüßen Redwan noch von Andrea, die seine Gastfreundschaft auch schon genossen hat, und wollen zahlen – ein aussichtsloses Unterfangen. Biker würden bei ihm nie bezahlen, wenn wir wollten, könnten wir auch kostenlos übernachten. Das wäre sicher eine reizvolle Option, doch wir haben von Damaskus aus ausnahmsweise ein Hotelzimmer in Palmyra vorgebucht. Derart gestärkt und um eine nette Begegnung reicher machen wir uns auf die letzten 100 Kilometer nach Palmyra, auf denen uns noch heftiger Seitenwind zusetzt und wir viele mit Sand aufgeladene Windhosen sehen.
Manchmal kann man sich auch als individuell Reisender den Touristenströmen nicht ganz entziehen. Die meisten Fahrzeuge, die uns auf der ansonsten recht einsamen Strecke begegnen oder überholen, sind Busse, die Palmyra-Besucher transportieren. (Fairerweise muss man aber wohl sagen, dass Busreisende in Syrien auch schon recht „individuell“ sind.) Dass diese alte Ruinenstadt ein derartiger Magnet ist, dass man auch eine lange Anreise in Kauf nimmt, erschließt sich sehr schnell. Zunächst erblickt man auch hier wieder eine, allerdings aus neuerer Zeit stammende Zitadelle, dann tut sich vor den Augen das weite Ruinenfeld von Palmyra auf. Nach der Monotonie der Wüste erscheint das im ersten Moment völlig unwirklich, so, als hätten moderne Tourismusmanager hier einen Freizeitpark aus dem Boden gestampft.
Zu größter Blüte gelangte Palmyra Ende des dritten Jahrhunderts nach Christus unter der Herrschaft der legendären Königin Zenobia, die sich um das Jahr 268 herum von Rom lossagte und sich Syrien und Unterägypten einverleibte. Zu dieser Zeit galt Palmyra als eine der prachtvollsten Städte der Welt, eine Beschreibung, die zu glauben auch heute noch leicht fällt. Besonders imponiert die schiere Fülle und Zusammenballung gut erhaltener Zeugen dieser Epoche: lange Säulenreihen, ein Theater, der beängstigend große Baalstempel, andere Tempel, Kirchen. Rendel und mir hat es vor allem das „fast neuwertige“ Tetrapylon angetan, eine Vierergruppe von jeweils wiederum vier Säulen, die häufig im Zentrum einer antiken Stadt oder an einer Kreuzung errichtet wurde. In der Nachmittagssonne sehen wir uns das Theater an. Nachdem sie von ihrer Reisegruppe dazu gedrängt wird, stellt sich eine junge Frau in der Mitte des Theaters auf und singt mit schöner Stimme die klassische Vertonung eines Psalms.
Natürlich kann man auch hier die eher unschönen Seiten des Tourismus erleben, nervig sind die Souvenierhändler, die sich sofort auf ihre Mopeds schwingen und die neu eingetroffenen Touristen mit ihren Waren behelligen, zumeist Schmuck und Tücher. Aber wer will es den Einwohnern verdenken, dass sie auch ein Stückchen vom Kuchen abhaben wollen, den der Tourismus zu verteilen hat, zumal in dieser Gegend, die nicht viel Möglichkeiten für ein Zubrot bietet?
Das Zenobia Cham Palace war uns als eine der besten Adressen zur Unterkunft genannt worden, um uns nicht lange mit den Schleppern auseinandersetzen zu müssen, haben wir von Damaskus aus vorgebucht. Wir sind nicht im Haupthaus, sondern in Bungalows untergebracht, die Beduinenzelten nachempfunden sind. Die „Zelte“ sind geräumig, sehr gut ausgestattet (auch mit Kühlschrank, Klimaanlage und deutschem Fernsehempfang – „Deutsche Welle TV“). Die Lage direkt an den Ruinen ist schöner nicht zu machen, doch würden wir uns künftig ein anderes Hotel suchen. Hier ist doch vieles auf Massenabfertigung ausgerichtet; als wir abends gerne à la carte essen wollen, verweist man uns auf das Buffet, kurz drauf kann der Nachbartisch doch individuell bestellen. Gut, aber die Zimmer eignen sich ausgezeichnet, die heißen Tagesstunden zu verdösen, der Preis ist akzeptabel, kein Grund, wirklich zu meckern. Nach dem Abendessen lasse ich mir nochmal eine Shisha anrichten, und tatsächlich muss ich (ich!) mir eine Fleecejacke überziehen, denn die alte Weisheit, dass es in der Wüste nachts kalt wird, scheint sich zu bewahrheiten – nach der Hitze in den Städten und hier tagsüber durchaus nicht unangenehm.
Tatsächlich treffen wir hier auf zwei weitere deutsche Motorradfahrer, zwei Freunde, von denen der eine auf Zypern lebt. Beide Motorräder – eine BMW 2V-GS und eine Yamaha XT660 – tragen Hannoveraner Kennzeichen, sind aber auf Zypern stationiert. Die beiden haben nicht allzu viel Zeit, wollen gleich morgen weiter.
Nach dem Frühstück – wir wollen zwei Nächte bleiben – machen wir uns zum Baals-Tempel auf, einem der größten zusammenhängenden Areale in Palmyra. Nachdem das Christentum seinen zeitweisen Siegeszug angetreten hatte, bauten die Gläubigen dort eine Kirche hinein, später war dort eine Moschee und in ayyubidischer Zeit, im 8. Jahrhundert, diente der Komplex auch als Festung, eine Funktion, die man, wenn man davorsteht, eh für am angemessendsten halten würde.
Wir verabreden uns mit einem Minibusfahrer, uns später mit zum Tal der Gräber zu nehmen. Eigentlich wollten wir mit dem Motorrad hin, doch so haben wir gleich einen Führer. Durch unsere vielen Türkeibesuche haben wir schon ein ziemliches Repertoire an Grabformen gesehen, heute gibt‘s eine neue Variante. Im Tal der Gräber ragen einige hohe Ziegeltürme mit quadratischem Grundriss aus dem Sand. Hier wurden die Toten in Wandnischen übereinander wie in Schubladen bestattet. An der Seite war jeweils der Name des Toten verzeichnet, zudem eine Reliefabbildung, etliche Inschriften sind auf Aramäisch und Arabisch. Als diese Art der Bestattung zu teuer wurde, verlegte man sich auf eine unterirdische Entsprechung. Wir besichtigen auch so eine Grabkammer, das „Grab der drei Brüder“, die prächtig ausgemalt ist, unter anderem mit einem Archilles-Motiv. Leider ist hier unten das Fotografieren nicht gestattet. Diese Art Gräber stammen zumeist aus dem 1. Jahrhundert, sie fassten zum Teil mehrere Hundert Leichen.
Es wird heiß, das Wetter irgendwie komisch, die Fliegen fangen an zu beißen. Gegen fünf Uhr nachmittags trauen wir uns wieder raus, setzen uns vor das Zelt und planen die weitere Route. Zum Sonnenuntergang wollen wir hoch zur Zitadelle, von wo man einen guten Blick über ganz Palmyra haben soll. Auf der Anfahrt bläst ein scharfer Wind, es ähnelt einem Sandstrahlgebläse. Der Blick auf Palmyra ist faszinierend, doch durch den leichten Sandsturm etwas getrübt. Allerdings gibt das der Szenerie etwas Besonderes, Unwirkliches. Auch hier sind wir von Andenkenhändlern umlagert. Ich mache mir mit einer Touristin einen Spaß, indem ich auf sie zutrete, an meinem Hemd zupfe und frage „You want T-Shirt?“ – die Arme ist ziemlich erschrocken …
An diesem Abend wollen wir außerhalb des Hotels essen, da mein Bauch etwas kneift, bleiben wir doch da, genießen den schönen Abend in der Wüste, tanken noch ein wenig Kälte … denn morgen soll es nach Der Essor gehen, der angeblich heißesten Stadt Syriens.

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Zu Gast bei Harun al-Rashid, weiter zum Euphrat

Palmyra–Quasr al-Hair ash-Sharqi–Deir Essor

Zeitig verabschieden wir uns von Palmyra und halten uns nach Osten. Zwar haben wir von unserem Etappenziel Der Essor nicht viel zu erwarten, doch kommt man fast zwangsläufig dort durch, wenn man zum Euphrat will (zudem eignet es sich gut als Standquartier für Ausflüge Richtung irakische Grenze, also etwa nach Mari und Dura Europos). Auf dem Weg dorthin soll es jedoch noch ein echtes Schmankerl geben, wenn man dafür auch einen Umweg in Kauf nehmen muss. Bis As-Shukhnah fahren wir die gut ausgebaute Straße, dann müssen wir nach Nordosten abzweigen. Zunächst geht es noch durch einige staubige Dörfer, auf deren Bewohner wir wohl wie von einem anderen Stern wirken. Zwar ist die Route als durchaus befahrbare Straße eingezeichnet, doch folgen nun etwa 25 Kilometer Schotter und Sand, denn teilweise ist der Ausbauzustand noch nicht weiter gediehen, teilweise wird akut dran gearbeitet. Die Sandpassagen, mit denen sich Rendel erstmals konfrontiert sieht, veranlasst sie später zu der Aussage: „Da weiß man erst, wie schön Schotter ist!“ Auf dem Weg sehe ich ein Tier, dass wie ein Gecko aussieht, jedoch mindestens einen Meter misst – gibt‘s hier so was wie Leguane?
Und wofür soll ein solcher Umweg lohnen? Für das Wortungetüm Quasr al-Hair ash-Sharqi oder auf deutsch: das „Östliche Wildgehegeschloss“. Dieses Wüstenschloss gilt als die älteste befestigte Anlage aus frühislamischer Zeit, erbaut im 8. Jahrhundert. Auch dieses Bauwerk war eher „multifunktionell“, zunächst diente es seinen Erbauern und späteren Nutzern – darunter der legendäre Harum al-Rashid – als Jagd- und Lustschloss, aber natürlich wurde es auch als Befestigungsanlage genutzt. Die Anfahrt ist filmreif: zunächst rundrum nur unendlich erscheinende Wüste, dann lösen sich aus dem flimmernden Horizont schemenhaft erste Konturen, die sich dann zu einem kompakten Etwas verdichten. Und dann steht man vor diesem wuchtigen Ziegelbau mit dem Eingangsportal, das von zwei mächtigen runden Türmen flankiert wird. Der innere Teil ist weniger gut erhalten, doch immer noch imposant. Mit uns ist ein Kleinbus mit anderen Besuchern eingetroffen. Ein Belgier erzählt uns von seinem Besuch in Apamea (s. o.) Ein befreundeter Archäologe, der dort gräbt, hat ihm erzählt, dass dort nur geschätzte 1% bislang ausgegraben worden sind. Ob ich doch auch noch mal anfange, auszugraben – nämlich meinen Kindheitstraum, Archäologe zu werden?
Vor dem Portal sitzt ein Mädchen, das heißen Tee verkauft – kommt immer gut. Der Tee ist sehr süß und wir erinnern uns an die Ausführungen von Redwan, dem Inhaber des Bagdad Café, dass für die Wüstenbewohner der Tee immer sehr süß sein muss, während die Städter, die körperlich nicht so gefordert sind, ihn weniger stark süßen.
Zum Glück müssen wir nicht den Weg zurück, den wir gekommen sind, landen vielmehr über eine sehr gut ausgebaute Straße wieder auf der Hauptstrecke nach Der Essor. (Ich wähle hier die einfachste Umschreibung der arabischen Bezeichnung, so, wie sie auch auf dem Ortsschild steht. Dayr az Zawr, so vermeldet es die Landkarte, wüsste ich nicht mal auszusprechen.) Dort angekommen, verblüffe ich Rendel mit meinem Orientierungssinn: rechts, links, zweimal rechts, nochmal halblinks – schon stehen wir vor dem Hotel. (Ehrlich, ich war noch nie vorher da!) Wir sollen direkt vor der Tür parken, doch übersteigt die Höhe der Bordsteinkante die Bodenfreiheit unserer Moppeds, über eine improvisierte Rampe gelingt es schließlich doch.
Rendel besorgt uns erstmal eine Falafel, dann duschen und hinlegen. „Hast du die Fernbedienung für die Klimaanlage gesehen?“ – „Nee, ich frag mal.“ Es stellt sich raus, dass die einzelnen Klimaanlagen auf den Zimmern nur zentral von einem Steuerpult an der Rezeption gesteuert werden können, und dann auch nur „An“ oder „Aus“! So muss man dann immer unten anrufen. Bescheuert! Dafür hält das Zimmer eine Besonderheit für muslimische Gäste bereit: An der Zimmerdecke ist ein Pfeil mit der Beschriftung „Al-Kibla“ angebracht, der in Richtung Mekka weist.
Durch ein Fenster schauen wir auf einen Verkehrskreisel, durch ein anderes auf eine aramäische Kirche, die den Märtyrern dieser Volks- und Religionsgruppe geweiht ist. (Viele der im Rahmen der Pogrome Anfang des 20. Jahrhunderts ums Leben gekommenen Armenier starben in der Nähe von Der Essor.) Am Spätnachmittag trauen wir uns aus dem Haus, in der Stadt regt sich noch nicht viel. Mit unsere Telefonkarte rufen wir unsere Mütter an, bevor wir uns dann zu einer der wenigen Sehenswürdigkeiten der Stadt aufmachen.
Booah, das ist aber auch heiß! Wir orientieren uns Richtung Fluss und laufen schließlich auf die imposante Hängebrücke zu, die von der französischen Kolonialmacht errichtet und erst vor kurzem erneuert wurde. Sie überspannt den hier schon recht breiten Euphrat und ist heute Fußgängern vorbehalten. Wir schauen den Anglern, Spaziergängern und den Kindern zu, die sich als Mutprobe einen Sprung von der Brücke in den Fluß ausgesucht haben. Rendel spricht zwei Frauen, Mutter und Tochter, an. Beide sind Englischlehrerinnen, die Mutter ist in Rente und hat in Lattaqia, einer Hafenstadt nördlich von Tartus, unterrichtet, die Tochter ist an einer Schule hier in Der Essor. Jetzt komme auch ich dazu und wir unterhalten uns angeregt. Bevor sie stirbt, wünscht sich die Mutter nur noch, dass auch ihre älteste Tochter heiratet.
Wir finden ein Restaurant direkt am Fluss, nur durch den Schilfgürtel vom Wasser getrennt. Selbst hier gibt es Bier („Meister Pils“ – aber ein syrisches Produkt) und eine gute Speisenauswahl. Ich bestelle mir wie immer zu viel, meist kann ich ja auf Rendel zählen. Deren Verdauungsapparat zeigt sich heute aber als nicht gut zufrieden, weshalb sie nichts isst. Im Hotel entscheiden wir, die Klimaanlage aus, die Fenster dafür auf zu lassen. Als mich der Verkehrslärm endlich zur Ruhe kommen lässt, höre ich aus dem Bad Würge- und ähnliche Geräusche. Rendel hat einen brutalen Brechdurchfall bekommen, ist gerade dabei, das Bad zu putzen – und schon wieder recht guter Dinge. Nachdem alles raus ist, geht es ihr gleich wieder besser – zum Glück ist kein Fieber dabei! Damit steht aber trotzdem unsere Planung für morgen auf dem Spiel, warten wir’s ab.

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Ein funkelnder Edelstein in der Wüste

Der Essor–Raqqa–Qalaat Jabar–Raqqa

Am nächsten Morgen sind wir beide etwas gerädert – Hitze, Lärm und Kotzeritis –, doch Rendel fühlt sich fit genug zu starten. Wir wollen uns langsam wieder Richtung Türkei vorarbeiten (das Visum gilt zunächst nur 14 Tage und wir wollen es nicht verlängern). Für heute heißt das, den Euphrat am westlichen Ufer hochzufahren, Ziel ist das 135 Kilometer entfernte Raqqa, eine Etappe, die auch zu schaffen ist, falls es Rendel wieder schlechter gehen sollte.
Wir haben noch viele überzählige Syrische Pfund, die wir gerne loswerden wollen. Rendel hatte zwar den Zimmerpreis in Euro erfragt, worauf der Inhaber auch erst besteht, doch setzt sie sich dann doch durch und zahlt in Landeswährung.
Auf der Fahrt wird sehr deutlich, welche Rolle so ein Fluss für die Lebensbedingungen der Bevölkerung spielt. Rechter Hand, also zwischen Straße und Euphrat, zieht sich ein grünes Band am Fluss lang, intensiv landwirtschaftlich genutzt, links hingegen setzt schon nach ein paar hundert Metern wieder die karge Steppe und Wüste ein.
In den Orten wehen uns überall Papierschnipsel entgegen. Heute ist Ferienbeginn und die Schüler geben ihrer Freude darüber Ausdruck, indem sie ihre Schulhefte zerreißen und dem Wind übergeben. Eigentlich wollten wir noch ein Schloss besichtigen, das ein paar Kilometer neben der Strecke liegt, doch mit Rücksicht auf Rendel fahre ich an dem Abzweig vorbei. Als wir kurz drauf eine Rast machen, meint Rendel, dass sie das aber doch ganz gerne gesehen hätte, doch einigen wir uns darauf, das einem nächsten Besuch vorbehalten sein zu lassen. Stellenweise löst sich die Straße weit vom Fluss und wir fahren wieder durch die Wüste. (Fast in Sichtweite, auf der anderen Euphratseite, hat sich der seinerzeit noch im Bau befindliche „Al-Kibar“-Reaktor befunden, den die israelische Luftwaffe zwei Jahre zuvor in der „Operation Orchard“ zerstört hat.)
Durch die kurze Etappe rollen wir schon gegen 11 Uhr in Raqqa ein, wo ich wieder mit traumwandlerischer Sicherheit zum Hotel finde. „Zimmer? Nein, wir haben nur Suiten!“ Oh ha! Okay, für 44 Dollar lass ich mir auch das gefallen. Es ist zwar alles etwas abgewohnt, doch geräumig, kühle Zimmer und zudem relativ ruhig gelegen, was wir auch zunächst ausnutzen und uns ein Stündchen aufs Ohr hauen. (Raqqa ist die Stadt, die Jahre später als Hauptstadt des so genannten „Islamischen Staates“ traurige Berühmtheit erlangen sollte.)
Dann lassen wir uns vom Rezeptionisten den Weg zum Assad-Staudamm und der Burg Qalaat Jabar erklären. Zur Vorsicht schreibt er uns den Satz: „Wo bitte geht es nach Qalaat Jabar?“ noch auf arabisch auf einen Zettel. Schon bei der Ausfahrt aus der Stadt verfransen wir uns, doch scheinen zwei Männer in einem Auto zu ahnen, wo wir hinwollen? „Qalaat Jabar??“, rufen sie uns zu. Wir nicken heftig, woraufhin sie uns etliche Kilometer vorausfahren, bis wir auf der Hauptstrecke sind. Ein Weg sind etwa 100 Kilometer, eine Strecke, die sich ziemlich zieht, zudem weht ein heftiger Seitenwind. Ich stelle fest, dass sich meine Fixierung auf den Rückspiegel zunehmend gelegt hat. Zur eigenen Sicherheit schaue ich natürlich immer noch oft rein, doch ist der Zwang gewichen, immer auf Rendel aufpassen zu wollen. Mittlerweile hat sie so viel Routine, dass sie sich ruhig mal etwas zurückfallen lassen kann, ohne, dass ich mir gleich Sorgen mache.
Zum Glück hatte ich mir im Hotel die Pässe zurückgeben lassen, denn an strategisch (nicht nur im militärischen Sinne) so wichtigen Punkten wie einer Staumauer, muss man immer mit Kontrollen rechnen. Und prompt werden wir dort nach den Pässen gefragt, obwohl wir eigentlich ungewollt dort hingeraten sind. Wir hätten schon etliche Kilometer vorher zum Qalaat Jabar abbiegen müssen. Zwei Zivilisten von dem Posten bieten sich an, uns vorauszufahren (wie oft haben wir das mittlerweile erlebt?), wobei sich rausstellt, dass sie wohl gerne selbst einen kleinen Ausflug mit Rast im lauschigen Gartenrestaurant am Schloss machen wollen. Es sei ihnen gegönnt.
Der Assad-Stausee ist eine Art syrische Antwort auf die vielen ähnlichen Projekte, bei denen die Türkei Euphrat, Tigris und andere Flüsse zum Zwecke der Bewässerung und Energiegewinnung staut. Die Wasserversorgung ist ein permanenter Streitpunkt zwischen den Ländern dieser Region. Vieles, Dörfer und auch geschichtlich Wertvolles, fällt diesen Staudammprojekten zum Opfer, das Qalaat Jabar hat dadurch jedoch ausnahmsweise noch gewonnen. Früher ein Wüstenschloss (das zwar in der Nähe des Flusses lag), liegt es jetzt absolut malerisch direkt am Ufer des Stausees, der auch für sich genommen ein echtes optisches Juwel darstellt – tiefblaues Wasser mitten in der umgebenden Wüste.
Die ovale Anlage auf einem Basaltfelsen ist komplett aus gebrannten Ziegelsteinen errichtet, einmalig für Syrien. Sie ist durch einen zweifachen Mauerring und diverse mächtige Türme gesichert. Da sich das Ziegelmaterial im Laufe der Zeit zersetzt, sind Teil der Mauern verfallen, einige wurden durch moderne Ziegel ausgetauscht.
Wir parken die Moppeds im Schatten der Burg, woraufhin uns sofort ein Schweizer anspricht. Mit Blick auf unsere Kennzeichen meint er: „Sind die ächt?“, wohl im Zweifel, ob man diese Tour tatsächlich von Deutschland aus machen kann. Zusammen mit ihm und seiner Frau erkunden wir das Gelände, wobei er sich als sehr humorvoll herausstellt. Wie schon beim Östlichen Wüstenschloss sind die Innenbauten zumeist verfallen, nur ein schlichtes, etwas schiefes Ziegelminarett lässt sich noch eindeutig erkennen. Wir beschließen den Ausflug in dem kleinen Gartenlokal – wenn’s hier ein Zimmer zu mieten gäbe …
Wir geben noch einmal Speed und sind nach einer Stunde wieder im Hotel. Nach dem Duschen gehen wir in einen Kebab Salonu. Für mich Tavuk Şiş, Rendel hält sich noch an trocken Brot. Auf meine Nachfrage hin geleitet mich der Kellner noch zu eine kleinen Laden, der Bier verkauft. Von einem Taxi lassen wir uns ins Hotel bringen, der Abend klingt auf dem Balkon aus. Danach fällt Rendel in einen tiefen erholsamen Schlaf, hat sich heute wieder wacker geschlagen.

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Mit Aişe, Oma und einem Junggesellen in einer WG

Raqqa–Savur

Wir fühlen uns topfit – Rendels Magen ist wieder okay und mich hat die Migräne vorerst aus ihrem Griff entlassen. Diese Voraussetzungen brauchen wir auch, denn heute wollen wir Syrien verlassen und haben eine recht lange Etappe vor der Brust; wir wissen zwar noch nicht genau, wo wir hinwollen, doch mehr als 400 Kilometer werden es heute sicher. Zudem lauert da noch ein Zwangsstopp namens „Grenzübertritt“, ungute Erinnerungen an die Einreise werden wach. Zum x-ten Mal fährt uns ein Mopedfahrer voraus, um uns den schnellsten Weg aus der Stadt Richtung Tell Abyad, dem Grenzübergang, zu zeigen. Ganz sicher sind wir nicht, ob das eine gute Entscheidung ist, denn andere Motorradfahrer berichteten schon, dass sie dort abgewiesen worden waren – allerdings nur als Motorradfahrer, alle anderen kamen durch, das Problem hätte auf türkischer Seite gelegen.
Ob wir vielleicht noch hätten tanken sollen? Aber jetzt müsste doch bald was kommen! Mir wird etwas mulmig. Ohne Sprit liegen zu bleiben ist sicher nicht der motorradfahrerische Super-GAU, wäre aber trotzdem blöd. Ich frage, irgendwo vorne links soll eine Schule sein, da rein. Also los. In dem Dorf schaut man uns groß an. „Petrol?“, frage ich und zeige auf den Tank. „Yes, yes!“ Er zeigt auf eine Hütte ein paar Meter weiter. Raus kommt ein Mann, den ich nochmal frage. „Yes, yes!“ Im Nu sind wir von der Hälfte der männlichen Dorfbevölkerung umringt. Ich öffne den Tankverschluss, woraufhin der Mann mit einer Art Milchkanne, randvoll mit Sprit, erscheint. In der Folge bin ich nicht mehr Herr des Verfahrens. Etliche Männer drängen sich um die Moppeds, weisen den Mann an, scheuchen ihn wieder und wieder in seine Hütte, deuten mit Daumen und Zeigefinger an, dass noch was reingeht, dasselbe mit Rendels Mopped. Sie zeigt zum Glück genügend Geistesgegenwart, das Ganze im Bild festzuhalten. Nach Abschluss der Zeremonie müssen wir mit etwas Englisch und Händen und Füßen noch berichten, wo wir herkommen und was wir noch vorhaben. Schließlich bringen sich noch einige Dörfler stolz in Positur, damit ich sie fotografiere. (Dabei muss ich immer an die Hütte mit dem dort lagernden Sprit denken. Einmal unachtsam mit einer Zigarette …)
Dann heißt es „Tschüss!“ – und kurz drauf auch „Tschüss Syrien!“ Auf den letzten Kilometern vor der Grenze fallen uns die vielen Frauen auf, die bei der Feldarbeit sind oder uns auf Eseln entgegenkommen. Das Auffällige dabei ist, dass sie dieser eher schmutzigen Arbeit in leuchtend-bunten Kleidern nachgehen, eigentlich eher für ein Fest denn für die Feldarbeit gekleidet.
Im Grenzort Tell Abyad ist der eigentliche Übergang schwer zu finden, ein Auto, das schon etliche Kilometer hinter uns her fährt, will wohl in dieselbe Richtung, der Fahrer macht uns entsprechend Handzeichen. Meine erste Frage am Übergang ist natürlich, ob er für uns überhaupt offen ist. Zum Glück wird dies bejaht, ein Nein hätte allein auf syrischer Seite einen Umweg von mehr als 200 Kilometern bedeutet. Abgesehen von den üblichen Verständigungsschwierigkeiten verläuft die Abfertigung auf syrischer Seite recht flott und korrekt, auch bei den Türken business as usual; hier fällt auf, dass wir es gleich als erstes bei der Passkontrolle mit einer Frau zu tun haben, auch beim Zoll (unsere Fahrzeuge müssen ja wieder in den Pass eingetragen werden) werkeln unter Anleitung zwei junge Frauen, augenscheinlich „Zollinspektorinnenanwärterinnen“. Das verzögert die Sache ein wenig, ist aber nicht tragisch, denn wir stehen im Schatten und alle sind sehr freundlich. Unterm Strich dauerte der ganze Übertritt eine Stunde – Rekord?
So langsam müssen wir unser Tagesziel festlegen. Wir entscheiden uns für Savur, einen schön beschriebenen Ort nördlich von Mardin, also recht weit im Osten der Türkei, ca. 50 Kilometer Luftlinie von Hasankeyf und damit vom Tigris entfernt. Da es fast auf der Strecke liegt, machen wir noch einen Abstecher nach Harran. Wenn wir auch nicht wissen, was es da tatsächlich noch zu sehen gibt, wollen wir uns diesen Ort, der eng mit dem Leben Abrahams verbunden ist, doch nicht entgehen lassen. Als wir in den Ort einfahren, überfallen uns gleich zwei junge Männer auf einem Moped, sie seien Fremdenfüher bla, bla, bla … Als ich mich mit Rendel bespreche, quatscht mir der Wortführer der beiden dauernd dazwischen, woraufhin ich ihn ziemlich scharf anblaffe. Da wir keine Lust haben, uns noch lange orientieren und dann vielleicht noch mit anderen „Fremdenführern“ auseinandersetzen zu müssen, willigen wir in eine Kurzführung ein. Allzu viel zu sehen gibt es bei diesen extrem alten Stätten häufig eh nicht. Wir werfen einen Blick über das Ausgrabungsgelände, das dem Laienauge tatsächlich nicht viel zu bieten hat, und schauen uns den Turm an, der wohl eines der ältesten „Observatorien“ der Welt darstellt. Interessieren tun uns noch die traditionellen Trulli-Häuser. Uns werden ein paar restaurierte Exemplare gezeigt, die aber eher wie ein mäßig gemachtes Heimatmuseum wirken. Zu Schluss trinken wir noch einen völlig überteuerten Eistee und werden von ein paar aufdringlichen Kindern um Bakschisch angegangen. Wieder einer der – wenigen, auf dieser Reise erlebten – negativen Begleiterscheinungen des Tourismus. Beim Start tritt Rendels Fuß irgendwie ins Leere, ihr Mopped kippt um – nur im Stand, kein Problem. Hinter einem Zaun taucht das freundliche Gesicht eines alten Mannes auf, der Rendel mit Gesten bedeutet, es langsam angehen zu lassen. Rendel entgegnet auf türkisch: Evet, yavaş, yavaş! – „Jawohl, langsam, langsam!“, worauf der Opa breit und zustimmend lächelt.
Wir halten auf Şanlıurfa zu, befürchten – so zeigt es die Karte –, mitten durch diese Großstadt zu müssen, was sich aber als nicht zutreffend erweist, wir können es umfahren und halten uns straff Richtung Osten. Ein kurzer Stopp, Rendel kauft Brot, Käse und Gemüse, ich erkläre wieder mal unsere Moppeds, dann geht‘s weiter in Richtung Kurdistan (wobei es ein fest umrissenes „Kurdistan“ gar nicht gibt, lediglich eine iranische Provinz trägt offiziell diese Bezeichnung).
Hin und wieder halten wir an, um in Savur im Haçi Abdullah Bey Konağı anzurufen und zu fragen, ob sie ein Zimmer frei haben, bei den ganz kleinen Hotels, zumal den „Geheimtipps“, nicht immer selbstverständlich, leider geht keiner dran.
Die Straße zwischen Şanlıurfa und Kiziltepe ist eine Marterstrecke – 120 Kilometer Flickwerk, Schlaglöcher und LKW an LKW. Irgendwann krieg ich einen Koller, ich halte an, könnte heulen. Warum tun wir uns das an? Im letzten Jahr sind wir die Strecke ohne Murren gefahren, doch da hatten wir auch ein Ziel: Wir wollten unbedingt den Van-See sehen, den Ararat. Doch jetzt fahren wir Hunderte Kilometer, nur, um in ein schönes Hotel zu kommen??! Ja, geht‘s denn noch? Und dann nimmt im Hotel noch nicht mal jemand ab. Ich beruhige mich wieder, wir beschließen, das Ziel Van-See für dieses Jahr vorläufig oder endgültig zu streichen, erst einmal das Beste aus diesem Tag zu machen. Schließlich liegt auch die Marterstrecke hinter uns, schon die Anfahrt auf Mardin entschädigt für vieles. Gerade in der Nachmittagssonne wirkt diese Stadt, deren honigfarbene Häuser sich um den in fast derselben Farbe erglühenden Felskegel schmiegen, fast überirdisch. Ohne Rendel in den Plan eingeweiht zu haben, will ich zunächst ein empfohlenes Hotel in Mardin ansteuern. Nach einigem Herumgegurke und etlichem Fragen stehen wir davor. Doch geben wir den Leuten in Savur noch eine Chance! Tatsächlich nimmt jemand ab, und: Ja, sie haben etwas frei!
Die Nachricht mobilisiert nochmal neue Energie, denn das Haus und der Ort wurden uns in fast schwärmerischen Worten beschrieben. Dreißig Kilometer sollen es sein, hoch in die Berge. Kurz nach Mardin sehen wir einen Wegweiser: „Savur“. Schon nach einigen Kilometern ist die Straße gesperrt, ein Pfeil und ein Schild Servis Yol weisen auf eine Behelfsstrecke. Nach einigen weiteren Kilometern kann ich kaum noch glauben, dass diese „Straße“ in bewohntes Gebiet führen soll, Rendel kommt auch ziemlich ins Schwitzen (was aber keinem auffällt, wir schwitzen eh den ganzen Tag). Uns entgegen kommt ein Auto, das sich auch da durchquält und dessen Fahrer mir zum Glück bestätigt, dass wir noch auf dem rechten Weg sind. Langsam sinkt die Sonne. Aus einem Spezial-Hotelführer, der die schönsten kleinen Hotels in der Türkei auflistet, habe ich mir die Koordinaten des Haçi Abdullah Bey Konağı übertragen, der Abstand scheint sich jedoch nicht zu verringern. Aber abgesehen davon, dass wir fürchten, diese Strecke eventuell noch ein Stück im Dunkeln fahren zu müssen, ist es ein Genuss sondergleichen. Wald, Pinienduft, der Geruch frisch gemähten Grases, klare Gebirgsluft – all das, was wir in den letzten Wochen vermissen mussten. Schließlich müssen wir uns noch einmal vergewissern, dann kommt das Ortsschild „Savur“, noch den Berg hinauf zum Konak, wo uns schon der Inhaber (richtiger: der Bruder des Inhabers, Aydın Öztürk) erwartet. Wir sollen hinter dem Gebäude parken, es geht über dicke, lose Steine steil bergauf. Erst mein Mopped, dann hole ich Rendels. Von wegen! Sie kommt selbst hinterhergefahren. Bin gespannt, wann sie mich gar nicht mehr braucht! (Ha, runter musste ich dann aber doch fahren!)
Uns werden mehrere Zimmer zur Auswahl angeboten, alle geräumig und originell eingerichtet und dekoriert. Das Bad müssen wir eventuell mit anderen Gästen teilen, was aber kein Problem ist. Etwas irritiert sind wir nur, als wir feststellen, dass wir im Grunde zusammen mit der Familie hier wohnen werden, wir haben hier eben „unser Zimmer“ (so wie die Jungs auch). Dieser Eindruck wird noch bestätigt, als ich Aydın obligatorisch unsere Pässe aushändigen will, worauf er energisch abwehrt: „No, now you are family!“ – na dann, Detlev Öztürk. Wir sind im Moment die einzigen Gäste. Auf die Frage, was wir essen wollen, erklären wir, dass uns irgendwelche Hausmannskost am liebsten sei. Kurz drauf hören wir aus der Küche, die unserem Zimmer gegenüber liegt, vielversprechende Schäl- und Schneidgeräusche, bald bahnt sich ein köstlicher Geruch den Weg zu uns rüber. Auf einer kleinen Terrasse ist schon für uns beide gedeckt. Wir richten uns kurz ein, nehmen das Angebot an, für mich eine weitere Matraze auf dem Boden auszurollen, da wir uns im relativ kleinen Doppelbett, noch dazu mit nur einer Zudecke, etwas schwer tun. Diese auszurollenden Matrazen sind übrigens kein Behelf, sondern – zumindest früher – Standard in solchen Häusern, denn manche Räume dienten tagsüber als Wohn- und nachts als Schlafzimmer, über Tag wurden die Matrazen in großen Wandschränken verstaut. Das Bad ist ein richtiges kleines Hamam, ein dicker Badeofen bollert vor sich hin und hält den Raum mollig warm, was erstaunlicherweise selbst bei den herrschenden Außentemperaturen sehr angenehm ist.
Das Essen hält, was der Duft versprach – nur wieder viel zu viel zu viel … Dann setzen wir uns auf das Dach. Im letzten Tageslicht sehen wir die Umgebung, dann gehen die Lichter in Savur an, dessen Häuser sich uns gegenüber an einen kegelförmigen Hügel lehnen. Traumhaft schön und romantisch. Ich war davon ausgegangen, dass Savur mehrheitlich kurdisch sei, was sich jedoch als Fehlannahme erweist. Kaum zu glauben, dass wir hier nur ein paar Kilometer von Bilge entfernt sind, dem Ort, in dem sich erst kurz vor unserer Abfahrt das furchtbare Massaker unter einer Hochzeitsgesellschaft ereignete, dem 44 Menschen zum Opfer fielen. Aber das ist heute abend nicht unser Thema. Wir genießen die Ruhe, die nur von nicht unangenehmer Live-Musik irgendwo im Ort gestört wird, ein Fest anlässlich der Geburt eines Kindes. Fehlt nur noch … „Aydin, hast du auch Wein?“ Aydin ziert sich etwas, druckst herum. Aber nicht, weil ihm die Frage als solche unangenehm wäre, vielmehr ist es ihm etwas peinlich, dass er für die Flasche 20 YTL nehmen muss, also etwa 9 Euro. Dabei kostet sonst in jedem türkischen Lokal die Flasche einfachsten Weins meist das Doppelte. Und in diesem Fall handelt es sich sogar um syrischen Wein, den ein Freund von ihm keltert. Dann her damit! Und so erhält ein zunächst etwas misslungener Tag doch noch einen Abschluss mit dem Prädikat „Perfekt“!
Zwar wohnt nicht die ganze Großfamilie immer im Konak, doch fühlt man sich tatsächlich wie in einer Familie oder zumindest wie in einer WG. Morgens sehen wir die Söhne, wie sie sich, Bücher unter dem Arm, schnell noch mit der Bürste über die Schuhe gehen, bevor sie sich auf den Schulweg machen, während sie am Sonntag schläfrig im Pyjama über den Flur trotten. Die Oma ist zunächst etwas zurückhaltend, doch spürt man ihr das gute Herz ab. Sie bereitet uns morgens das Frühstück, die beiden Schwiegertöchter helfen bei den Mahlzeiten. Und dann ist da noch Aydın, wohl ewiger Junggeselle. Er managt den Laden, während sein Bruder Selahattin, der eigentliche Inhaber, seinem Hauptberuf als Lehrer nachgeht. Auch Aydın bemüht sich rührend um uns. Als er uns beispielsweise zufällig „erwischt“, wie wir im Ort ein paar Lebensmittel für eine Zwischenmahlzeit kaufen wollen, nimmt er uns die Sachen gleich wieder ab, ruft seine Mutter an und sagt ihr, dass wir beide gleich auftauchen würden – und zwar hungrig. (Gleich vorab: All das schlug sich nicht auf der Schlussrechnung nieder.)
Freitag, 24. Mai, unser erster Tag in Savur. In perfektem Türkisch bittet Rendel um eine Waschschüssel, um ein paar Sachen durchzuwaschen. Das ist jedoch überflüssig, da der Haushalt über eine Waschmaschine verfügt. Wir schlendern durch den schönen, sauberen und geschäftigen Ort. Ich muss mal wieder zum Berber, der Friseurbesuch in Damaskus liegt schon über eine Woche zurück. In der Friseurstube begrüßen mich alle Wartenden mit Handschlag und man lässt mir den Vortritt.
Es wird Zeit, uns mal wieder bei unseren Müttern zu melden, zudem ruf ich zu Mitte des Urlaubs immer mal im Betrieb an. Am Ortseingang gäbe es ein Kartentelefon. Das ist ein Stück, doch heute ist ja schönes Wetter … Das mit dem Telefon ist Fehlanzeige, doch werden wir auf einen Tee eingeladen. Zurück geht‘s bergauf, doch zum Glück fährt dort ein Dolmuş. In der Post – dort hat man uns den Tipp mit dem Telefon gegeben! – können wir dann auch ohne Karte telefonieren, zahlen direkt am Schalter … Wieder „zu Hause“ hängt die Wäsche bereits auf der Leine. Wir quatschen ein wenig mit der Oma, die immer zutraulicher wird, müssen ihre gefüllten Weinblätter probieren. Rendel will die Wäsche abnehmen, was man ihr allerdings schon abgenommen hat. Tja, in so einer Familie hat halt jeder seine Aufgaben.
Da es hier oben nicht so arg heiß ist, setzen wir uns auf die Dachterasse, lesen, machen Fotos und unterhalten uns mit zwei bildschönen Kurdinnen aus Diyarbakır, die eine völlig westlich gekleidet, die andere auch mit Jeans, aber mit Kopftuch. (Diyarbakır ist die „Kurdenhochburg“ der Türkei, von Savur etwa 100 Kilometer entfernt.)
Bei der Abendessenszeit haben wir uns mittlerweile auf ca. 20 Uhr umgestellt. Heute gibt es vorweg Joghurtsuppe, dann İçli Köfte, Salat, İmam Bayıldı, Reis und eine Nachspeise mit Nüssen. Mittlerweile ist ein zweites Paar eingetroffen, er gebürtiger Österreicher, sie Lettin, beide wohnhaft in Riga. Er hat lange in der Tourismusindustrie gearbeitet, erzählt, dass es in Kayseri bei seinem ersten Besuch 1968 nur zwei Privatautos gegeben hätte: den 170-er Mercedes des Hotelbesitzers und ein altes Chevrolet-Schlachtschiff als Taxi. Die beiden bereisen die Osttürkei und er erweist sich als sehr kundig, erzählt begeistert von Kraterseen, die sich im Bereich der Obruk-Ebene, einer Dolinenlandschaft zwischen Konya und Kappadokien, gebildet haben. Auch dieser Abend klingt bei syrischem Wein auf der Dachterasse aus, heute ist alles still, eine Stille, die noch nicht einmal durch das sonst scheinbar unvermeidliche Mopedgeknatter gestört wird.
Ich leg mich hin, Rendel macht Frauenabend, quatscht mit Oma und den Schwiegertöchtern über Gott und die Welt. Wieder einmal staune ich am nächsten Morgen, wie weit ihre Türkischkenntnisse reichen, sie unterhielten sich über das Haarefärben, darüber, dass der einen Frau immer ein Bein einschläft, wenn sie die Beine übereinanderschlägt und vieles mehr. Zudem erfährt Rendel einiges über den Ort, der, mit seinen nur 5000 Einwohnern, über drei weiterführende Schulen verfügt, darunter ein Gymnasium mit Internatsunterbringung.
Am nächsten Vormittag kommen wir endlich dazu, von einem Internetcafé aus mal wieder eine Rundmail, die Damaskus bis Savur abdeckt, zu schreiben. Beim Nachmittagstee kreuzen Michaela und Jochen aus Freiburg auf. Sie haben zwei Monate Zeit, um auf einer BMW 1100 GS Griechenland und die Türkei zu erkunden (Jochen ist Lehrer und gönnt sich gerade ein Sabbatjahr, Michaela ist Krankenschwester und studiert noch irgendetwas in Richtung Pflege). Ihre BMW haben sie in Diyarbakır stehen lassen und sind mit dem Bus nach Savur gekommen. Gerne würden sie eine Nacht bleiben, doch hat sich eine 14-köpfige Gruppe von Türken angemeldet, die zwar zum Teil in Massenlagern schlafen werden, die Zimmer sind aber damit auch alle belegt. Trotzdem kann sich Aydın nicht dazu durchringen, den beiden abzusagen. Zur Not könnten sie auf dem Dach schlafen, was im Sommer sogar „offiziell“ angeboten wird, im Moment ist es aber nachts noch etwas kühl. Schließlich kriegt es Aydın irgendwie hin, die beiden doch noch in einem Zimmer unterzubringen. Was dann mit einem Ehepaar aus Südafrika nicht mehr gelingt. Ich unterhalte mich noch ein wenig mit dem Mann, gebe ihm für Midyat eine Hotelempfehlung, während er mir noch ein paar kuriose Geschichten über namibische Wanderdünen erzählt.
Den Plan, noch ein in der Nähe befindliches aramäisches Dorf zu besichtigen, geben wir auf – der Gedanke, in der Hitze die Motorradkleidung anziehen zu müssen, lässt uns zurückschrecken. Also etwas schlafen und lesen. Rendel geht in den Ort, um schwarzen Pfeffer zu kaufen. Den findet sie zwar, bezahlen darf sie ihn aber nicht. Zwei Kurden aus Midyat erzählen ihr, dass sie mit den meist arabischstämmigen Türken dort keinerlei Probleme hätten.
Auch ohne Motorradtour kann ich eine Dusche gebrauchen – wer hat sich denn da so lange im Bad verbarrikadiert? Ich tippe auf einen der Teenager, doch dann sehe ich durch die geöffnete Zimmertür, wie die Oma des Hauses, eingewickelt in dicke Handtücher, über den Flur huscht.
Beim Abendessen unterhalten wir uns angeregt mit Jochen und Michaela, interessante und nette Leute. Die Befürchtung, dass die türkische Gruppe, die zwischenzeitlich eingetroffen ist, vielleicht etwas laut sein könnte, erweist sich als unbegründet, ja, tatsächlich man nimmt sie kaum wahr.

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Schräge Vögel und Baklava für den Ministerpräsidenten

Savur–Birecik–Gaziantep

Gerade haben wir die Familie Öztürk und den Ort ins Herz geschlossen, da muss es weitergehen. Der Entschluss, Savur den östlichsten Punkt unserer Reise sein zu lassen, steht fest. Damit ist zwar noch nicht die Heimreise eingeläutet, doch geht es tendenziell wieder in die Richtung. Der Abschied von der Familie Öztürk fällt sehr herzlich aus, die Oma herzt und küsst Rendel, auch von den Schwiegertöchtern gibt es Küsschen (Und wer küsst mir?) Gute Wünsche werden ausgetauscht, dazu haben sie uns noch ein Lunchpaket gepackt. Zum Winken versammelt sich die ganze Familie und einige der türkischen Gäste auf dem Balkon. Ein letzter Gruß, dann fahre ich die Moppeds nacheinander die steile Auffahrt hinunter. Danach hat Rendel noch etwas Mühe mit der holprigen Straße. Sie kann das Fußeln nicht lassen, womit sie sich natürlich auch die Möglichkeit nimmt, die Fußbremse zu betätigen. Und wenn sie dann vor Schreck zur Handbremse greift, rückt auf diesem Untergrund, dazu noch abschüssig, der Straßenbelag in greifbare Nähe. Doch heute geht alles gut und bald finden wir uns auf der schönen Strecke nach Mardin wieder. In der Stadt will Rendel an einer Ampel links ab, übersieht aber einen LKW, der zum Überholen ansetzt. Gerade noch rechtzeitig kommt er zum Stehen. Rendel verspricht mir, die Mahnung zum häufigen Spiegelblick wieder besser zu beherzigen. Ab Kiziltepe sind wir wieder auf der Marterstrecke, die heute aber dadurch etwas gemildert wird, dass am Sonntag viel weniger LKW unterwegs sind. Es ist unglaublich heiß, heute messen wir zwischen 35 und 41°. Gegen zwölf machen wir eine Rast, das Lunchpaket beinhaltet leckeren Kuchen, zum Tee ein echter Labsal.
Den Traum, in Hasankeyf die sich im Tigris spiegelnden Sterne zu sehen, habe ich für dieses Jahr begraben müssen, aber ein anderer Vorsatz lässt sich vielleicht noch umsetzen: die Waldrapps in Birecik zu sehen. Dieser bizarr wirkende Vogel war früher fast überall zu finden, auch in Deutschland, heute ist er fast ausgestorben. Die Zucht- und Ansiedlungsversuche erfordern große Anstrengungen, und dazu dient eben auch eine Aufzuchtstation in Birecik, an den felsigen Ufern des Euphrat. Wir legen die Routenführung so, dass wir auf dem Weg nach Gaziantep direkt durch die Stadt kommen. Zwar muss die Station direkt am Ufer liegen, doch wissen wir nicht, auf welcher Flussseite. Wir queren die Euphratbrücke, an deren einem Ende uns gleich eine Skulptur des Kelaynak begrüßt. Das ist die türkische Bezeichnung für den Waldrapp, der gleichzeitig Wahrzeichen der Stadt ist. An einer Tankstelle fragen wir, ein Mopedfahrer fährt uns bis zu einem Abzweig voraus. An der Aufzuchtstation sind eine große Anzahl Nistkästen am steilen Felsen befestigt. Leider darf man nicht nah ran und mein Teleobjektiv ist zu kurz, um einen Waldrapp formatfüllend drauf zu bekommen, doch erkennen kann man ihn schon!
Sagte ich es schon: Die Hitze ist brutal, doch bin ich erstaunt, wie gut ich mich daran gewöhnt habe. Dass ich in meiner Textil-Motorradkleidung mittlerweile wie ein Puma stinken muss, bekümmert mich wenig.
Wir verabschieden uns von Mesopotamien (von „meso“ und „potamos“, „zwischen den Flüssen“, also zwischen Euphrat und Tigris) und halten auf Gaziantep zu, eine auch bei jüngeren Türken sehr beliebte Großstadt. Wir wollen ins Anadolu Evleri, ein hoch gelobtes Hotel in der Nähe des Viertels der Kupferhandwerker. Diese nähere Eingrenzung der Lage des Hotels hilft uns aber auch nicht wirklich weiter. Wir sprechen einen Mann an, der sich, nachdem alle Erklärungsversuche scheitern, zu mir aufs Motorrad setzt. So fahren wir eine ziemliche Strecke durch die Stadt. Möchte der nur eine Stadtrundfahrt, von der er noch seinen Enkeln erzählen kann? Nee, er dirigiert uns zu einem Taxistand, wo er verschwindet – und nicht wiederkommt. Doch dann taucht er doch wieder auf, im Schlepptau einen Taxifahrer. Die beiden fahren uns voraus, geleiten uns bis vor den imposanten Laden des bekanntesten Baklava-Produzenten der Türkei İmam Çağdaş (dazu später mehr). Dort reicht man mir ein Handy, über das ich direkt mit dem Hotelier des Anadolu Evleri verbunden bin, er würde jemanden schicken, der uns die letzten Meter zeigt. Wir wollen Emrah, so heißt unser Wegweiser, etwas Geld zustecken, doch lehnt er energisch ab, genau wie der Taxifahrer, dem wir doch wenigstens den Betrag, den die Fahrt gekostet hätte, erstatten wollen – keine Chance. Emrah hinterlässt uns noch seine Telefonnummer für den Fall, dass wir noch einen Stadtführer bräuchten. Danach steht uns der Sinn aber nicht mehr und morgen wollen wir zeitig weiter. Die enge Gasse zum Hotel ist auf ganzer Länge aufgerissen, Rendel hätte keine Chance. Der Junge, den Timur, der Hotelier, geschickt hat, schwingt sich bei mir hinten drauf und wir crossen zum hoteleigenen Parkplatz, wo die Moppeds auf einem verschlossenen Hof sicher untergestellt werden können. Als ich schließlich auch Rendels Motorrad abgestellt habe, läuft mir die Suppe fast aus den Stiefeln.
Timur, kurz Tim, hatte mir schon am Telefon gesagt, dass Zimmer frei wären, wir können uns ein schönes aussuchen. Wir duschen und machen die Klimaanlage an. Diese schaltet sich jedoch schon immer nach ein paar Minuten aus. Ich behaupte, dass ich immerhin einen leicht kühlenden Luftzug spüre, lege mich noch mit Rendel an, als sie mit der Fernbedienung spielt und dann selbst dieser Luftzug aussetzt. Schließlich geht Rendel zur Rezeption und reklamiert. Tja, wie soll ich sagen? Die Klimaanlage stand noch vom Winter her auf „Heizen“, lief dann immer kurz an, heizte die Luft von vielleicht 26 auf 28° auf, und schaltete dann ab. Die dabei in Bewegung gesetzte Luft fühlte sich aber wirklich relativ kühl an …
Ziemlich erschossen machen wir es uns im Innenhof bequem. Ein Reiseführer warnte, dass man aus dem Hotel unter Umständen gar nicht mehr hinauswolle. Na, ganz so doll ist es nicht, gerade in Syrien hatten wir bei günstigerem Preis noch schöner gewohnt, aber nett ist es schon. Rendel will noch einen kurzen Blick in den nahegelegenen Basar werfen, ich bestelle ein Bier und komme mit Tim ins Gespräch. Er ist Türke, aber mit amerikanischen Vorfahren im Stammbaum. Auch er ist leidenschaftlicher Biker, im Moment mit einer BMW F 650 GS, mit der er und seine Frau auch große Touren, bis hin nach Spanien, machten. Die Geburt ihrer Tochter hat dieses Hobby jedoch ein wenig zur Nebensache werden lassen. Tim gibt mir den Katalog zur Guggenheim-Ausstellung The Art of the Motorcycle, mit dem ich mir die Zeit bis zum Essen verkürze. Unterdessen hat Rendel sich noch gut auf dem Basar unterhalten, bekam Pistazien und Süßigkeiten geschenkt.
Das Essen kommt aus dem benachbarten Restaurant, der Nachtisch direkt von schon erwähntem İmam Çağdaş. Wer je Baklava gegessen hat und damit eine furchtbar süße, dazu noch in Zuckersirup ersäufte „Süßspeise“ verbindet, der möge das alles bitte vergessen! Die Auswahl, die wir hier serviert bekommen, hat damit nichts gemein. Natürlich ist es süß, aber es überwiegt der Geschmack von ganz frisch gemahlenen Pistazien und Nüssen, dazu ein Blätterteig, der – wie beschrieb es jemand treffend: im Mund „kschhh“ macht –, so leicht ist er. İmam Çağdaş stellt jeden Tag handwerklich zwei Tonnen dieser Köstlichkeiten her, alles in traditionellen Steinöfen. Der türkische Ministerpräsident bekommt jeden Tag eine Lieferung dieser Spezialität aus Gaziantep.
Beim Abendessen fällt mir ein seltsam geformter Wiederverschluss für die Weinflasche auf, der Verschlussbügel erinnert mich an den Schnabel des Waldrapp. Das Ding verleitet mich zu einer Mister Bean-Nummer, Rendel biegt sich vor Lachen und meint – nach 32 Jahren –, noch eine neue Facette an mir entdeckt zu haben.

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„Toter Mann“ in voller Montur, Melonenlikör und „Das Ding“

Gaziantep–Taşucu

Das Hotel war nicht gerade preiswert, doch zumindest bekommen wir einen Biker-Rabatt. Um 9 Uhr fahren wir schon aus der Stadt heraus, heute wollen wir uns in eine reine Touristengegend wagen, nach Kızkalesi. Als Alternative hätte sich angeboten, durchs Binnenland zu fahren, damit wäre aber auch vorgegeben, dass wir den ganzen Rest der Strecke zurück nach Griechenland so hätten zurücklegen müssen. So halten wir uns auf der Autobahn Richtung Adana/Mersin, die zwar gebührenpflichtig, aber schön leer ist. Zudem führt die Strecke durch ausnehmend schöne Gegenden, so dass selbst ein Autobahnritt zum Genuss wird. Dabei geht es über etliche große Brücken, die weite Täler überspannen, und durch viele Tunnel, der längste 2800 Meter lang. Ein Stück nach Mersin müssen wir wieder auf die Landstraße, bei der Hitze und viel Verkehr unangenehm, aber es ist ja nicht mehr weit. Schließlich passieren wir die Seeburg von Kızkalesi und rollen in den Ort ein. Bei einem Stopp, um nach dem Hotel Ausschau zu halten, kommen mir Zweifel: Wollen wir das wirklich? Schnell überschlage ich die Strecke, bis Taşucu ist es noch eine halbe Stunde. Da wissen wir wenigstens, was wir haben. Rendel willigt ein und schnell haben wir die letzten Kilometer geschafft. Was für ein Unterschied. Taşucu kennt zwar auch Touristen, doch zumeist türkische, und ist es nicht so grell und rummelig. Die Zufahrt zur Meltem-Pension kenne ich noch – und der Inhaber kennt uns noch, wir waren vor zwei Jahren schon mal hier. (Zur Erinnerung: Hier spielte sich die Episode mit der Tanzgruppe aus Trabzon ab.) Wir laden schnell ab, schlingen uns ein Badehandtuch um und gehen die paar Meter zum Meer. Das Zischen hat man bestimmt noch im Nachbarort gehört!
Da Rendel heute Geburtstag hat, will sie mich zum Essen einladen. Ein Grund, warum wir gerne wieder hier sind, ist das Baba-Restaurant, das uns in guter Erinnerung ist, direkt am Meer gelegen und mit einer ausgezeichneten Küche – hier machten wir erstmals mit Humus Bekanntschaft. Der deutschsprachige Kellner, der uns schon seinerzeit gut beraten hat, begrüßt uns – doch leider hat das Restaurant wegen Revovierung geschlossen. Als Alternative empfiehlt er uns das Deniz Kızı, ein Restaurant, das uns schon auf dem Weg aufgefallen war. Dann gibt er uns noch den Tipp, uns gleich an den deutsch sprechenden Kellner Hassan zu wenden, um keine Touristenpreise berappen zu müssen. Von der Dachterasse haben wir einen schönen Blick, zudem kommt allmählich ein leichter Wind auf, eine Wohltat nach dem heißen Tag. Das Essen lässt keine Wünsche offen, zudem war Hassan clever genug, den Rotwein ein wenig zu kühlen – der soll zwar bei Zimmertemperatur serviert werden, doch die liegt im Moment bei 25°. Auch Rendel freut sich: „Ein schöner Geburtstag. Und hierhin zu fahren, war eine gute Entscheidung.“
Der nächste Tag gleicht dem von Zigtausend anderen Touristen: faul rumliegen, Rendel liest ihren Inspektor-İkmen-Roman (der diesmal in Kappadokien spielt) zu Ende, schwimmen, sonnen, ich krame zum ersten Mal in diesem Urlaub meinen ipod raus. Zum Mittagessen hat uns Rendel Brot, Käse und Tomaten besorgt. Im Zimmer unter uns scheint ein deutsches Paar zu wohnen. Wir sprechen sie an und sie erzählen uns, dass sie auch auf einer Rundreise mit dem Auto sind. Sie fragen uns, ob wir das gewesen seien, die mit dem südafrikanischen Paar in Savur gesprochen hätten. Die hatten ihnen nämlich von einem deutschen Bikerpaar erzählt.
Vom Balkon aus beobachten wir ein älteres türkisches Paar am Strand, er in Badehose, sie komplett bekleidet und mit Kopftuch. In dieser Aufmachung gehen beide ins Wasser – in der Türkei kein seltenes Bild. Besonders scheint sie „Toter Mann“ zu lieben, wobei er sie sanft hält, ihr später ihre Schlappen holt – ein irgendwie anrührendes Bild (das sich am nächsten Tag wiederholt). Auch wir springen nochmal ins Meer, bevor wir uns landfein machen. Kurz bevor es zum Essen gehen soll – das Restaurant steht fest, kommt bei mir wieder Migräne auf, doch egal, wir gehen essen. Tatsächlich geht es recht glimpflich ab (die Migräne, nicht das Essen). Schon am Vorabend konnten wir einen Hund beobachten, der sich so auf die Straße legte, dass die Autos so gerade dran vorbeikamen. Heute legt er sich an exakt dieselbe Stelle. Kommt ein Auto vorbei, und sei es laut hupend, hebt er allenfalls kurz gelangweilt den Kopf, um dann weiter zu dösen.
Schon mal Melonenlikör probiert? Schmeckt echt lecker und gibt‘s im Deniz Kızı „auf‘s Haus“.
In unserer Pension hört man nachts eigentlich nur die Wellen, doch heute dröhnt irgendwo eine defekte Klimaanlage, was mir einiges an Schlaf raubt.
Um noch etwas ausspannen zu können, hängen wir einen Tag dran. Ich fange den İkmen-Roman an, den ich bis zum Nachmittag durch habe – wie kann man sich da nur zwei Wochen dran aufhalten?! Nach unserer traditionellen Zwischenmahlzeit bekomme ich Magenschmerzen, darum ist‘s heute nix mit Restaurant, ich bleibe abends bei trocken Brot, während Rendel sich eine Lahmacun verabreicht. Nachts muss ich dann ans Mopped schleichen, um mir aus der Reiseapotheke Immodium zu holen – die Initialdosis verfehlt ihre Wirkung nicht, am Morgen geht‘s schon wieder.
Um kurz nach acht sind wir unterwegs, diesmal haben wir unsere Pässe nicht vergessen. Der erste Abschnitt ist wieder von reger Straßenbautätigkeit gekennzeichnet, aber dergestalt, dass gleich beide Spuren betroffen sind, doch das kennen wir ja schon; nachdem auch Rendel mittlerweile Routine hat, fängt es an, Spaß zu machen. Dann die altbekannte, schöne Strecke nach Anamur: 1001 Kurven, am Meer entlang, Steilküste, dann bis in die tiefhängenden Wolken. Die Befürchtung vom Morgen, dass es vielleicht regnen könnte, erweist sich als unbegründet. Ein Stück nach Anamur beschleicht mich der Gedanke, dass man vielleicht noch hätte tanken sollen, denn – das habe ich in dem Moment aber nicht parat – die nächste Tankstelle kommt erst in 60 Kilometern. Die Straße ist mit Ständen gesäumt, die Obst und Gemüse aus der Gegend anbieten, um Anamur vor allem Muz, die ganz kleinen, zuckersüßen Bananen, als flankierende Maßnahme gegen Durchfall doppelt gut. Die Benzinhähne stehen schon lange auf Reserve, als wir 20 Kilomter vor Gazipaşa eine Tankstelle finden. Wir nutzen den Stopp zu einer Teepause, als der Muezzin einsetzt. Singen da zwei? Nee, der zweite ist ein Hund, der fast denselben Ton trifft und mir eigentlich besser gefällt.
Jetzt nützt es alles nichts, wir müssen der Realität ins Gesicht schauen. Vielleicht wären die 200 Kilometer Umweg durch die Berge doch besser gewesen? Aber wir hatten es gemeinsam entschieden, jetzt ziehen wir es auch gemeinsam durch: Wir fahren durch DAS DING! Wir fassen uns an den Händen und ich schwöre Rendel noch mal ein: „Lass dich von niemandem, NIEMANDEM ansprechen, vor allem nicht von Touristen! Tunnelblick und durch. Wir beide schaffen das!“ – wovon ich aber selbst nicht überzeugt bin. Noch ein paar Atemübungen, wir nehmen uns noch einmal in den Arm, dann geht es los, circa 30 Kilometer vorbei an Bettenburgen, „Clubhotels“ – Monströsitäten, die sich kein B-Class-Movie-Regisseur hätte ausdenken können, und darin irren Menschen umher, Menschen wie du und ich, die nur mal einen Strandurlaub verbringen wollten. Zwei Mal hätten sie mich fast gehabt, quatschen mich an – aber nein, mich kriegt ihr nicht. Ein deutscher Autofahrer mit türkischem Kennzeichen(!) versucht mich reinzulegen, nee, nee Freundchen, da must du früher aufstehen. Endlich passieren wir das Ende von DAS DING, ein letzter Blick zurück: I‘ll be back!
Zeit für einen Imbiss. Während Rendel sich einen Pieselplatz sucht, stehe ich auf dem Seitenstreifen, als sich dort ein Roller- und ein Fahrradfahrer entgegenkommen. Keiner mag ausweichen, die beiden knallen sehenden Auges ineinander, wobei am Roller ein Stück der Verkleidung abbricht. Aber einen Zacken aus der Krone bricht sich keiner der beiden, stoisch, ohne ein Wort, hebt der Rollerfahrer das abgebrochene Stück auf und beide fahren weiter ihres Wegs. Eben echte Männer, eben echt bescheuert.
Sigi hatte mir Wegbeschreibung und Koordinaten des Nar Apart in Side geschickt, mit deren Hilfe wir das Hotel in Nullkommanix finden. Kaum haben wir die Moppeds abgestellt, spricht uns eine Frau an: „Hi, ihr müsst Rendel und Detlev sein!“ Bevor ich mir Gedanken machen kann, welchen Fernsehsender sie gesehen hat, stellt sie sich als Christiane vor, Inhaberin des Nar Apart, und erklärt, dass Sigi und Petra uns schon vorsorglich angekündigt haben, zudem haben sie ihr ein Bild von uns aus Aleppo gezeigt.
Kurz vor vier ist das Zimmer bezogen, ein schönes und geräumiges Apartment. Der Name Nar Apart war mir schon früher begegnet, zumeist als Empfehlung gerade für Motorradfahrer. Abgesehen davon, dass das Hotel wirklich schön ist, sind Biker hier besonders wohlgelitten, da Christiane selbst eine echte Hardcore-Bikerin ist, mit der man sich stundenlang über Motorräder und das Fahren unterhalten kann. Zudem kennt sie natürlich die besonderen Anforderungen dieser Klientel. So quatschen wir auch noch ausgiebig, schauen uns Bilder am PC an (u. a. eben auch wir beide mit Andrea, Sigi und Petra in Syrien). Dann lassen wir uns ein leckeres Abendessen servieren und den Tag noch auf dem Balkon ausklingen. Trotzdem es uns hier super gefällt, haben wir beschlossen, schon morgen weiterzuziehen. Noch in Deutschland hatten wir als „Schlussakkord“ dieser Reise die griechische Insel Thassos ausgewählt, das finale Abhängen, dem wir ja hier in Side auch frönen würden, soll dort stattfinden.

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Zum „Thron des Satans“

Side–Bergama

Gut ausgeruht rödeln wir die Moppeds auf und stellen uns zum Abschiedsfoto auf. Christiane möchte auf der Homepage des Nar Apart eine Biker-Ecke einrichten, auf dem auch die Gäste zu sehen sind. Kurzer Abschied, dann geht es in Richtung Antalya. Zum Glück können wir schon kurz vorher nach Norden in Richtung İsparta abbiegen, „DAS DING Part 2“ bleibt uns erspart. Uns ist schleierhaft, warum wir diese fantastische Strecke noch nie gefahren sind. Es geht durch eine wunderschöne Bergwelt, schroffe Felsen, tiefe Einschnitte, dazwischen herrlich gelegene Stauseen und atemberaubende Panoramen. Immer wieder halten wir an, um zu staunen und zu fotografieren. Am Ortseingang von İsparta kommen wir an einer riesigen Werbetabel vorbei, die einen Ski-Abfahrtsläufer zeigt, klar, die Gegend ist ein beliebtes Wintersportgebiet. Weiter geht es über Uşak, Salihli, Akhisar und Soma Richtung Bergama, vorbei an einem Stausee, an Sumpfgebieten, Bergketten und durch wahrlich „liebliche“ Landschaften. Nur müssen wir heute an die Grenzen unseres Leistungsvermögens gehen. Immer, wenn wir meinen, es fast geschafft zu haben, machen uns die Straßenbauarbeiter wieder einen Strich durch die Rechnung, Schotter, Schotter, Schotter, dazu der Staub und zuletzt immer gegen die tiefstehende Sonne. Nach elf Stunden und mit 617 Kilometern auf der Uhr rollen wir in Bergama, besser bekannt unter dem antiken Namen Pergamon, ein. (Viele wissen es, trotzdem: Von Pergamon leitet sich das Wort „Pergament“ ab. Die Bibliotheken von Alexandria und Pergamon wetteiferten, wer die größte Bibliothek hätte. Fieser Schachzug der Ägypter: Sie unterbanden den Export von Papyrus, dem gängigen Schreibmaterial, woraufhin die Leute in Pergamon das Pergament erfanden, das zudem noch haltbarer war. Ätsch.)
Völlig erschöpft, die Popos wund, aber auch stolz und zufrieden, finden wir gegen 20 Uhr den Weg zum Akropolis Guest House. Das Zimmer riecht zwar etwas muffig, ist aber schön kühl. Fix duschen, dann lassen wir uns den Weg zu einem in städtischer Regie geführten Restaurant zeigen – 15 Minuten durch die Altstadtgässchen, dort warten zwei leckere, mit Käse überbackene Rindersteaks auf uns. Nachdem wir an Sigi und Petra nochmal unsere Position per SMS durchgegeben haben, schreiben sie zurück, dass sie Tage zuvor exakt dieselbe Strecke gefahren und auch im Akropolis Guest House untergekommen waren.
Während unserer Türkeireisen haben wir schon etliche frühchristliche und biblische Stätten und Städte besucht, etwa Ephesus, Laodicäa, Kolossä, Antiochien in Pisidien, das „andere Antiochien“ (Antakya), Patara und einige mehr. Bergama/Pergamon hatten wir bislang links liegen lassen, obwohl die Stadt zu den berühmten „Sieben Gemeinden“ aus der Offenbarung des Johannes zählt. So sind wir gespannt, was uns bis jetzt entgangen ist. Das Hotel liegt zwar fast im Schatten der Akropolis, zum Eingang muss man jedoch ganz um den Burgberg rum – etwa drei Kilometer. Darum entscheiden wir uns, auf meinem Mopped anzufahren, ausnahmsweise ohne Schutzkleidung und Helm. Bei einem deutsch sprechenden Türken am Eingang sind die Motorräder in guten Händen. Rendel hält den Eintrittspreis von 20 YTL pro Person erst für einen Scherz – eine Fehlannahme. Okay, aber dann müssen sie auch was bieten. Zum Glück ist das Aufgebot an Händlern und Buden, die einem irgendwelchen Tinneff andrehen wollen, nicht so groß und aufdringlich wie in Ephesus. Auch das Areal ist nicht ganz so beeindruckend wie dort, doch haben sich die 40 YTL gelohnt. (Wobei erwähnt werden muss, dass die Akropolis nur einen Teil der besichtigungswürdigen Stätten von Bergama ausmacht. Einige Kilometer entfernt befindet sich etwa das Asklepion, eine Art Vorläufer unseres heutigen Sanatoriums. Das wollen wir uns noch am Nachmittag ansehen.)
Am beeindruckendsten ist das steil abfallende Theater, von dem man eine fantastische Aussicht über das neue Bergama hat. Erst scheuen wir, mit Blick auf den Wiederaufstieg, uns die Sache von unten, vom Bühnenraum aus, anzuschauen, doch die Aussicht auf ein entsprechendes Foto ist zu verlockend. Tatsächlich erweist es sich als lohnend, doch müssen wir die 158 Stufen auch wieder rauf! Zur anderen Seite hin tut sich ein Blick auf ein verzweigtes Seengebiet auf, eine Aussicht, die zu antiker Zeit jedoch noch nicht gegeben war, denn es handelt sich um einen Stausee. Hier wird der Bergama-Fluss, der antike Selinos, zum Zweck der Energiegewinnung gestaut. Das bekannteste Bauwerk des antiken Pergamon ist hier nicht mehr zu besichtigen, der berühmte Zeus-Altar, der komplett nach Berlin verfrachtet wurde und dem dort ein eigenes Museum, das Pergamon-Museum, gewidmet ist. Theologen und Historiker vermuten, dass sich die Aussage in der Offenbarung des Johannes, dass in Pergamon „der Thron des Satans“ ist (Offenbarung 2,13), sich auf diesen Altar bezog. Wir können nur noch die Überreste eines großen Sockels erkennen, auf dem der Altar, der etwa 36 mal 33 Meter misst, einmal gestanden hat – heute ein mit Bäumen bewachsenes, lauschiges Plätzchen.
Leider bekommt es heute mal wieder Rendel mit Migräne zu tun, die gestrige Strecke mit der bei ihr immer einhergehenden Verspannung ist wohl die Ursache. So streichen wir das Asklepion, während Rendel sich ausruht, wende ich mich einem Bauwerk zu, das ich schon gestern bei der Anfahrt in den Augenwinkeln wahrgenommen habe: die Rote Halle bzw. Rote Basilika. Ich gehe die schmale Straße vom Hotel runter und laufe direkt drauf zu. Als ich zum ersten Mal vor einem echten Wolkenkratzer stand, war ich von dessen Größe nicht so erschlagen wie angesichts dieses Monstrums. Reste eines riesigen Ziegelbaus, der, obwohl teilweise verfallen, immer noch hoch in den Himmel ragt. Die Mauern sind zum Teil drei Meter dick, flankiert wird der Hauptbau von zwei mächtigen runden Türmen, wovon der eine als Moschee genutzt wird, angeblich der älteste erhaltene Kuppelbau Kleinasiens. In diesem, vermutlich im 2. Jahrhundert unter Hadrian erbauten Tempel, wurden wohl die ägyptischen Götter Isis, Serapis und Harpokrates verehrt. Unter dem Bau fließt noch heute der Selinos, der zu diesem Zweck überbaut werden musste. In späterer Zeit wurde die Halle auch als Kirche benutzt, wobei ich gelesen habe, dass der Komplex so groß war, dass man einfach eine Kirche dort hinein gebaut hätte. Ich stelle mir vor, wie dieses Monstrum, seinerzeit noch in voller Höhe und komplett, in der umgebenden Landschaft gewirkt haben muss. Zwar passt es zeitlich wohl nicht ganz, doch könnte ich mir bei der Roten Halle noch eher vorstellen, dass sie auf die Christen der damaligen Zeit wie ein „Thron des Satans“ gewirkt haben muss, zumal hier wohl auch der Kaiserkult zelebriert wurde. Auf jeden Fall zählt dieser Bau für mich zu dem Eindrücklichsten, was ich in dieser Richtung je gesehen habe.
Es ist Samstag, der 6. Juni, mithin schon wieder eine Woche her, dass ich beim Berber war. Da ich nicht weiß, ob man in Griechenland in der Hinsicht gleich gut versorgt ist, suche ich mir hier noch einen, die Mahnung von Christiane aus dem Nar Apart im Ohr, dass das nicht mehr als 10 YTL kosten darf. Ich suche mir einen Kuaför aus, komme gleich dran. Der junge Mann ist sehr gründlich, sowohl Bart als auch der Kopf werden zwei Mal rasiert, Augenbrauen und Nasenhaare gestutzt. Die feinen Härchen an den Wangenknochen werden meist abgeflämmt, dieser Kollege trägt Heißwachs auf, das er dann mit einem schnellen Zug abreißt. Dann schließt sich noch eine Kopf- und Oberkörpermassage an, eine Maßnahme, für die ich, der ich auch ziemlich verspannt bin, dem Mann sehr dankbar bin. Und, was willst du dafür haben? Ich kenne die türkischen Zahlen zwar, die Doppelung Yedi, yedi – „sieben, sieben“ irritiert mich dann doch. Ein anderer Kunde springt mir bei und meint schlicht: Seven. Ich war schon zig Male bei türkischen Friseuren, aber mit umgerechnet 3,20 Euro bin ich noch nie davongekommen.
Rendel weilt wieder unter den Lebenden, weswegen wir einen Restaurantbesuch zum Abendessen erwägen können. Auf dem Weg zeige ich ihr noch meine neue Entdeckung, die Rote Halle. Leider finden wir auch nach längerem Fußmarsch keines der beiden empfohlenen Restaurants. Ein freundlicher älterer Herr bietet sich an, uns zu einer Lokanta zu führen, das er selbst empfehlen würde. Diese Lokale sind meist eine gute Wahl, denn hier essen die Leute nach der Arbeit, kommen ganze Familien hin. So schmecken auch die Linsensuppe, der İskender Kebab und die Pide frisch und gut, selbst Bier gibt es, in den Lokantas eher ungewöhnlich (stand auch nicht auf der Karte).
Unter dem Sternenhimmel über dem Innenhof des Akropolis Guest House lassen wir den Abend ausklingen. Die Frau, die sich hier um alles kümmert, erzählt uns, dass es einen Tag vor unserer Ankunft noch furchtbar geschüttet hätte und es jetzt sehr heiß würde. Wir hatten an mehreren Stellen auf unserer Fahrt den Eindruck, dass es kurz vorher noch geregnet haben muss, oft standen auf den Feldern große Wasserlachen, auch die Vegetation machte noch einen sehr frischen Eindruck. Unterm Strich war es für uns jedoch so, dass wir in der gesamten Zeit – von Lüdenscheid bis Lüdenscheid – keinen Tropfen Regen gesehen haben.
Der Hinweis, dass es jetzt heiß würde, lässt den Gedanken daran, dass wir die Türkei morgen verlassen werden, erträglicher erscheinen. Wir haben uns für die griechische Insel Thassos als Final Destination entschieden, wenn wir es morgen bis dahin schaffen, erwarten uns noch volle vier Tage zum Erholen.

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Endlich Urlaub …

Bergama–Thassos

Wir können etwas früher frühstücken und sind darum schon gegen halb neun unterwegs. Über Çanakkale geht‘s zügig nach Lapseki. Dabei passieren wir noch das Schild, das den Weg zum Fähranleger nach Bozcaada weist, Erinnerungen an diese schöne Insel werden wach, ob wir vielleicht doch? Ich verwerfe den Gedanken, denn das ist ja noch Türkei und wir wollen den letzten Stopp so legen, dass wir am Abreisetag ohne Stress zur Spedition und zum Flughafen kommen. In Lapseki können wir sofort auf die Fähre, ein Hähnchen-Döner am Hafen ist nicht mehr drin. So kaufen wir im Bordshop Sandwiches und Tee, unsere letzten Lira gehen nach dem Übersetzen für Wasser und Sımıt (Sesamkringel) drauf. Den Saronischen Golf zur Linken, die Dardanellen zur Rechten geht es über Keşan nach İpsala, dem türkischen Grenzort Richtung Yunanistan, wie Griechenland auf türkisch heißt. Auf beiden Seiten läuft die Abfertigung fix, der griechische Zoll fragt nur kurz, ob wir etwas anzumelden haben. „Nein? – dann gute Fahrt.“ Als wir unsere Helme aufsetzen, fragt uns ein Zöllner noch nach unserem Ziel. „Thassos? Warum fahrt ihr nicht nach Samothrake [die Nachbarinsel]? Da findet am Wochenende eines der größten Motorradtreffen Europas statt.“ Ich hatte davon gehört, doch a) ist uns nicht nach Massen von Bikern und b) fliegen wir am Freitag schon. Allerdings hatte ich Samothrake grundsätzlich schon erwogen. Seit meiner Kindheit geistert mir ein Bild aus meinem ersten Lexikon im Kopf herum, eine briefmarkengroße Schwarzweißabbildung der „Nike von Samothrake“, einer auf mich als Jungen unheimlich wirkenden kopflosen Götterstatue, die auf Samothrake gefunden wurde und die jetzt im Louvre zu sehen ist. Zudem wird die Insel in unserem Thassos-Reiseführer mit abgehandelt. Da jedoch die Fährverbindung wesentlich länger dauert, die Strecke auch seltener bedient wird, wollen wir doch lieber nach Thassos.
Dem Moment habe ich entgegen gesehen: An der Grenze kommen uns deutsche Biker entgegen, die gerade am Anfang ihrer Tour stehen. Das schmerzt ein wenig, doch haben wir eine Superzeit gehabt und wissen auch, dass wir froh sein können, der Hitze zu entfliehen (zumindest rede ich mir das ein …)
Zwar ist die Autobahn gut zu fahren, zudem sind wir nicht mehr an die 70-km/h-Grenze gebunden, doch lässt die Lust am Fahren langsam nach, zumal es wieder grausam heiß ist; ich fahre mit fast offener Jacke, trotzdem kaum Kühlung. Ich mache Rendel Mut, es seien nur noch 50 Kilometer – um dann festzustellen, dass der Fährhafen nach Thassos nicht Komotini, sondern Keramoti heißt! Ein kleiner, feiner Unterschied, der sich mit ca. 100 Kilometern auch in Zahlen fassen lässt. Also noch einmal die Zähne zusammenbeißen! Aber letztlich haben wir wieder Glück, können auch in Keramoti gleich auf die Fähre, die dann umgehend ablegt und uns in 40 Minuten nach Thassos schippert. Bei der Wahl zwischen einem Hotel am Meer oder in den Bergen entscheiden wir uns für Letzteres. Wir gehen davon aus, dass es etwas höher nicht so warm ist, vermutlich ruhiger, und außerdem sind wir ja mobil. Das mit der kleinen Pension von Kostas Siropoulos eingangs des Ortes Mikros Pinos (oder Mikros Kazaviti) liest sich gut. Schnell gefunden, fragt Rendel nach einem freien Zimmer und dem Preis. Ja, frei, 20 Euro pro Nacht. Das ist selbst in Anbetracht der Wirtschaftskrise, die Griechenland sehr beutelt, ein Supertarif. Das direkte Umfeld der Pension wirkt etwas unaufgeräumt: alte Heizkörper, Bleche und vieles mehr, die Lage ist jedoch traumhaft, vom Balkon blicken wir auf einen hohen, grünen Berg. Zudem sind die Zimmer wohl neu renoviert und picobello sauber. Die Wirtin wuselt immer herum, macht fast alles im Laufschritt. Ihr Englisch ist so gut wie unser Arabisch, doch kommen wir klar. Wichtig ist die Auskunft, dass wir direkt in der Taverne essen können, uns also nicht mehr aufmachen müssen. Zum Essen führt sie uns in die Küche und zeigt uns die in der Röhre schmorenden Hähnchenteile. Nehmen wir, dazu Zaziki, griechischen Salat und selbst gemachte Pommes, rund wird die Sache noch durch einen Krug des Hausweins.
Was die Ruhe anbelangt, liegen wir richtig, „gestört“ wird sie nur durch unzählige Vogelstimmen. Ich nehme an, dass sich hier noch die Nähe des Nestos-Deltas auswirkt, eines Naturschutzgebiets, das sich nördlich von hier am Festland erstreckt und das eines der Vogelparadiese Europas schlechthin ist.
Am nächsten Tag ist einfach nur Ruhe angesagt. Rendel schläft viel, weil ihr der Kopf wieder etwas zusetzt, ich kann mich endlich dem neuen John LeCarré zuwenden. Die Wirtin bietet uns an, zwei Zimmer weiter zu ziehen, das ist jetzt frei, der Balkon ist größer und die Aussicht noch schöner. Nur deshalb wollen wir ihr keine zusätzliche Arbeit machen, aber sie besteht fast darauf. Jetzt sind wir die einzigen Gäste.
Wir scheinen es mit einer kreativen Familie zu tun zu haben. Die mittlerweile erwachsene Tochter hat als 14-Jährige die großen Wandgemälde geschaffen, die Szenen aus der griechischen Mythologie zeigen, Kostas, der Hausherr, hat riesige Fantasiegebilde geschnitzt, die die Taverne zieren. Aktuell ist er mit Schiffsmodellen beschäftigt, die bis zu anderthalb Meter lang sind.
Für den Abend erwägen wir, nach Groß-Prinos hochzulaufen und dort zu essen. Auf dem Weg bieten sich schöne Fotomotive, fast hätte ich einen großen Vogel mit Schlange im Schnabel erwischt, schließlich kommt mir doch noch eine Schlange vor die Linse (stellte sich zu Hause als Scheltopusik hearus, ähnlich unserer Blindschleiche, jedoch größer). Der kleine Ort ist richtig malerisch, hier haben sich auch viele Deutsche angesiedelt. Uns ist derart heiß, dass wir beschließen, doch lieber morgen zum Essen mit dem Motorrad hier hochzufahren und heute wieder in der Pension zu essen – diesmal schlicht Zaziki, Pommes und Bohneneintopf, aber auch richtig lecker!
In der Nacht stürmt es, ohne sich jedoch merklich abzukühlen.
Dienstag, 9. Juni, Zeit, die Insel mal etwas besser zu erkunden. Wir beschließen, sie zunächst einfach mal zu umrunden, was sich auf etwa 100 Kilometer belaufen wird, unterbrochen von einem Badestopp. Die Straße führt fast durchgängig direkt an der Küste lang, da, wo das Meer zugänglich ist, stehen fast überall Hotels, Pensionen oder Privathäuser. In der Hauptsaison soll die Insel ziemlich voll sein, jetzt ist es noch erträglich. Nach etwa Zweidrittel der Strecke sehen wir den Wegweiser zum Paradise Beach, zu dem ein Weg hinunterführt, bei dessen Anblick Rendel schon die Schweißperlen auf die Stirn steigen. Ich meistere das bravourös (ja, ich bin ihr Held!), die Mühe lohnt. Der Strand, feiner Sand, liegt herrlich, ist zwar gut besucht, aber nicht überlaufen. Wir hauen uns in den Sand, schwimmen, essen im Strandrestaurant, bis wir uns auf den Rest der Strecke zur Pension machen. Unterwegs checken wir noch im Hafen die Abfahrtszeiten für Freitag, wenn es endgültig nach Hause gehen wird.
Rendel macht sich zunehmend Sorgen wegen der anhaltenden Kopfschmerzen. Selbst längere Phasen dauern eigentlich selten länger als vier, fünf Tage. Noch einmal vertagen wir den Restaurantbesuch im Ort und halten uns wieder an Bohnen, Zaziki, Pommes und gefüllten Weinblättern gütlich.
Nachdem es gestern an der Küste lang ging, wollen wir heute mal ins Inselinnere. Die Beschreibung von Theologos liest sich gut, vor allem die Wanderung zu den Wasserfällen. Der Ort präsentiert sich jedoch als Enttäuschung, eine fünfstündige Wanderung bei 35° wollen wir uns auch nicht antun. So kaufen wir Proviant und fahren an den Strand von Prinos, wo wir erstmal futtern. Der Zugang zum Meer ist felsig, zudem habe ich Quallen gesichtet, somit verzichten wir auf ein Bad und legen uns in den Halbschatten – Rendel in den Sand, ich auf die Parkbank (was ihr einen Spruch in Erinnerung ruft, den ich angeblich einmal in vorgeschichtlicher Zeit abgelassen haben soll: „Im Grunde meines Herzens bin ich ein Penner!“)
Motorrad am Strand – das muss doch ein schönes Motiv sein, sprach‘s, fährt das Mopped dahin – und gräbt sich ein. Mir dämmert, dass ich da einen Fehler begangen haben könnte. Schieben ist nicht, das Hinterrad gräbt sich noch tiefer ein. Schließlich gelingt es – zweiter Gang und mit viel Gefühl, doch wieder auf festen Untergrund zu gelangen.
Wieder im Hotel schlafe ich, Rendel liest, glücklich, dass die Kopfschmerzen nachlassen. Endlich kommen wir zu unserem Restaurantbesuch: Tomatensalat, gebratene Zucchini und Auberginen, Zaziki, Suvlaki und Moussaka – was man in Griechenland eben so isst. Zu spät bemerke ich, dass mich der Ober vielleicht um 10 Euro betuppt hat (vielleicht war‘s auch ein Versehen, das Essen an sich war auf jeden Fall sehr günstig).
Heute probiere ich in der Pension mal Retsina, nicht schlecht, aber gewöhnungsbedürftig. Es klopft, die Wirtin bringt uns noch eine Portion frisches Helva. Dabei lässt sie irgendwo das Licht an, das uns auf dem Balkon stört. Okay, wir basteln uns einen Satz: „phota“ heißt „Licht“, „nichta“ heißt „Nacht“ und „ochi“ heißt „nein“. „phota“ + „nichta“ + „ochi“ = „phota nichta ochi“ – nachts kein Licht! Griechisch ist so einfach! Derart ausgerüstet geht Rendel in die Taverne, kommt aber nicht dazu, dieses linguistische Meisterwerk zu präsentieren, da sich unter den Gästen eine deutschsprechende Griechin befindet. Rendel muss noch etwas von unserer Tour berichten, worauf Kostas sich vor Begeisterung auf die Schenkel schlägt und verspricht, uns morgen einen Tsipouro auszugeben.
Über den Bergen auf dem Festland ist ein Gewitter aufgezogen. Ob das wohl hier rüberzieht?
Das Gewitter hat sich verzogen, der Himmel ist wieder makellos. Schnell die Badesachen gepackt und wieder ab zum Paradise Beach. Auf dem Weg telefonieren wir noch mit der Spedition, um die morgige Übergabe klarzumachen, zudem lassen wir uns noch die Abflugzeit bestätigen. Noch einmal genießen wir den Strand, das Wasser und auf der Rückfahrt – nur in reduzierter Sicherheitskleidung, also neben Jeans und T-Shirt mit Helm und Handschuhen – die Gegend. Wir wollen möglichst alle schmutzige Kleidung auf dem Rückflug mitnehmen und packen Taschen und Gepäckrolle um. Die Fliegen nerven, ich biete Rendel einen Deal an: Für jeden dieser Plagegeister, den sie killt, gibt es einen Kuss. Wusste gar nicht, wie flink und geschickt diese Frau ist …
Vor dem Essen setzt sich Rendel nochmal auf den Balkon, genießt die Stimmung, das Vogelgezwitscher und das Läuten der Ziegenglöckchen. Sie lässt die vergangenen Wochen und das Erlebte nochmal Revue passieren, ist froh und dankbar für diese Reise.
Dimitra, so haben wir herausgefunden, heißt unsere Gastgeberin, kann heute Seefisch und frittierte Sardinen anbieten – den großen Fisch kriegt Rendel, ich nehmen einen Teller von den kleinen. Hinterher gesellt sich noch ein Lehrerpaar aus Nürnberg zu uns, beide Mitte 50. Sie campieren in der Nähe, sind ansonsten weit gereist, oft Türkei, zudem Syrien, Iran, selbst Libyen und Saudi-Arabien. Ihr Ansatz im Blick auf das Reisen ähnelt dem unseren, im Blick auf manche politische Gegebenheiten in den bereisten Ländern stimmen wir nicht immer überein. Für ihn, der sich selbst als „Linken“ bezeichnet, ist das meiste üble Propaganda unserer Medien. Beispiel: das Ahmadinedschad-Interview im SPIEGEL. Etwas vereinfacht behauptete er: Der Mann spricht ganz vernünftig, da, wo man ihm widersprechen müsste, ist er falsch übersetzt worden. Bevor es hitzig wird, kommt Kostas mit seinem versprochenen Tsipouro. Hat nur 60 % – Zeit, schlafen zu gehen, doch Dimitra hat wieder mal ein Betthupferl – ein großes Stück dessen, was wir bei uns als „Kalte Schnauze“ bezeichnen. In der Taverne scheint es auch unter den Griechen Themen zu geben, bei denen man sich ereifern kann, ich stecke mir vorsichtshalber Ohrenstopfen rein.

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Das letzte Kapitel

Thassos–Oreokastro

Angesichts der bevorstehenden kurzen Nacht – wir rechnen damit, Samstag morgen gegen drei daheim zu sein – käme ausschlafen gut, doch ein bisschen Aufregung ist beim Abreisetag auch dabei. Um 12.45 Uhr soll die Fähre gehen, also Zeit satt. Die ersten Gedanken gehen schon nach Zuhause, was müssen wir für‘s Wochenende einkaufen? Hat Steffi ihr Abi geschafft? Wir rödeln ein letztes Mal auf und bitten um die Rechnung. Kaum zu glauben: Für fünf Nächte mit Frühstück, vier Abendessen, jeden Abend Wein und Bier, da ein Kaffee, hier ein Salat, sollen wir nur 209 Euro bezahlen! Das hat uns in Gaziantep schon fast eine Nacht mit Abendessen gekostet. Wir verabschieden uns von unseren Gastgebern, Rendel kriegt von Dimitra noch eine Küsschen, dann geht‘s los. Auf dem Weg noch kurz beim Bäcker verproviantiert, dann zum Hafen, natürlich viel zu früh. Doch da liegt eine Fähre, ein Bediensteter winkt uns aufgeregt zu. In Windeseile kaufe ich die Tickets und schon legen wir ab. So mussten wir auf dieser Tour bei allen vier Fährpassagen nie warten. Wieder beobachten wir die Weißkopfmöwen, die das Schiff eskortieren. Diesmal habe ich die Kamera zur Hand und mir gelingt ein Bild, auf dem eine Möwe gerade ein Stück Brot aus Rendels Hand fischt.
Von Keramoti geht es noch ein bisschen Landstraße bis wir wieder auf der E90 Richtung Thessaloniki sind. Ich fahre noch ein Stück ohne Jacke, mir ist einfach zu heiß. Auf der Gegenspur kommen uns viele Biker entgegen, die offensichtlich alle nach Samothraki wollen. Manche grüßen, andere scheinen uns bedeuten zu wollen, dass wir in die falsche Richtung fahren. Schön wär‘s! Rechts über den Rhodopen gewittert‘s, doch wir bleiben unbehelligt. Dieses Mal hatte ich mir die Lage der Spedition auf dem GPS vermerkt, zudem kommt uns die Gegend etwas vertrauter vor, weswegen wir uns diesmal nicht verfahren und um 15.20 Uhr auf den Hof der Spedition rollen. Ein seltsames Gefühl beschleicht uns: Was ist nicht alles zwischen dem letzten Mal, als wir hier eintrafen, und heute passiert? So viele Erlebnisse, Eindrücke und Erfahrungen.
Aber heiß ist es hier, selbst die Griechen stöhnen. Die netten Mitarbeiter besorgen uns noch ein Taxi, das uns zum Flughafen bringt. Dort müssen wir noch fünf Stunden warten, dann geht der Flug aber pünktlich ab und nach einer Flugzeit, die kürzer ist als geplant, sind wir gegen ein Uhr in Köln. Jens hat es sich nicht nehmen lassen, uns eine nächtliche Zug- und Busfahrt zu ersparen, um halb drei setzt er uns daheim ab.

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Resumee

Nach der Rückkehr sieht man sich zigfach mit der Frage konfrontiert: „Und, wie war‘s?“ Die Antwort fällt im Treppenhaus natürlich anders aus als etwa, wenn man gemütlich mit Freunden zusammensitzt. Meine Standardantwort lautet jedoch hier wie dort: „Gigantisch!“ Unsere Erwartungen wurden erwartungsgemäß übertroffen, was vor allem im Blick auf das gilt, was man im weitesten Sinne als „Sehenswürdigkeiten“ bezeichnen kann. Zwar hatten wir relativ viel Zeit, sind nicht von Highlight zu Highlight gehetzt, trotzdem hat uns die Fülle der Eindrücke manchmal fast überfordert, weshalb wir, neben dem Erholungsaspekt, auch immer wieder längere Pausen gemacht haben. Dazu kamen die vielen Begegnungen mit anderen Menschen – manchmal am Rande, beiläufig, manchmal etwas intensiver. Das stellte durchweg eine Bereicherung dar, besonders natürlich dort, wo man sich willkommen fühlte oder unerwartet Hilfe erfuhr. Ein echtes Handicap waren die vielen Migräneanfälle, die wir in dieser Häufung noch nicht hatten; Rendel erinnert sich noch an die 2008er-Tour, wo sie, trotz vergleichbarem Pensums, fast gar keine Beschwerden hatte. Künftig werden wir es wohl etwas behutsamer angehen, vor allem auch mehr Zeit zur Akklimatisierung einplanen. Unterm Strich fällt aber auch das nicht wirklich ins Gewicht, denn zum einen wurden unsere Pläne dadurch nicht ernsthaft gefährdet, zum anderen ist ja überaus positiv zu vermerken, dass uns andere Kalamitäten wie Pannen, Unfälle oder Ähnliches völlig erspart blieben.
Wir sind zwar schon wieder zwei Wochen daheim, doch muss die Frage: „Wo geht‘s denn nächstes Mal hin?“ noch unbeantwortet bleiben, soweit es an uns ist, wird es aber wieder in ähnlicher Weise losgehen.

Stand: Sommer 2009

 

Zeitungsbericht zur Syrienreise 2009